Titel: | Untersuchungen über die Eigenschaften explosiver Körper; von F. A. Abel. |
Fundstelle: | Band 195, Jahrgang 1870, Nr. XCIX., S. 365 |
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XCIX.
Untersuchungen über die Eigenschaften explosiver
Körper; von F. A.
Abel.
Nach den Comptes rendus, 1869, t. LXIX p.
105.
Abel, über die Eigenschaften explosiver Körper.
Der Verfasser weist zunächst auf eine Reihe bekannter Erscheinungen hin, welche
zeigen, daß die Geschwindigkeit und Heftigkeit, mit welcher ein explosiver Körper
detonirt, je nach den Umständen unter welchen die Explosion erfolgt, wesentlich
variiren kann.
Wird z.B. Schießbaumwolle, welche frei an der Luft liegt, durch eine Wärmequelle von
wenigstens 135° C. entzündet, so erfolgt das Abbrennen rasch, fast momentan,
und unter den Verbrennungsproducten treten die Oxyde des Stickstoffes in
beträchtlicher Menge auf. Die Geschwindigkeit der Explosion wird vermindert, wenn
die Schießbaumwolle in Form nicht gedrehter oder gedrehter Fäden, in Form eines
Gewebes oder in Form von Papier angewendet wird, und zwar um so mehr, je stärker die
Drehung des Fadens, je dichter das Gewebe ist. Noch langsamer erfolgt das Abbrennen,
wenn die Schießbaumwolle durch Zusammenpressen in eine compacte, feste Masse verwandelt ist. Man kann
selbst die Geschwindigkeit des Abbrennens so weit vermindern, daß eine Art
Verglimmen ohne Flammenerscheinung eintritt, wenn man eine geringe Quantität
Schießbaumwolle in Form feiner Fäden oder in Form einer durch Zusammenpressen
compact gemachten Masse einer Temperatur aussetzt, welche zwar ausreicht, die
Zersetzung einzuleiten, aber nicht genügt, um die Zersetzungsproducte (Wasserstoff,
Kohlenoxyd etc.) zu entzünden. Entzündet man Schießbaumwolle im luftverdünnten
Raume, so erfolgt die Zersetzung um so langsamer und unvollständiger, je
vollständiger die Luftleere ist.
Wird im Gegentheil die Entwickelung der Verbrennungsgase dadurch verzögert, daß die
Schießbaumwolle vor dem Abbrennen in eine Umhüllung von Papier oder dergleichen oder
in einen unvollkommen verschlossenen Behälter eingeschlossen wird, so hat kein
Wärmeverlust statt, so lange die Gase sich nicht einen Ausweg durch die Umhüllung
verschafft haben, und es erfolgt eine um so vollständigere Zersetzung der
Schießbaumwolle und eine um so heftigere Explosion, je länger die Gase
zurückgehalten wurden.
Ebenso verhalten sich andere explosive Körper unter dem Einflusse äußerer Umstände
verschieden, wenn auch die Verschiedenheit des Verhaltens oft weniger auffällig ist.
Im hohen Grade tritt dieselbe jedoch beim Chlorstickstoff hervor. Dieser detonirt
nur schwach, so lange er nicht von der Atmosphäre abgeschlossen ist; wenn er in der
Regel für den furchtbarsten aller detonirenden Körper gilt, so scheint dieß nur
daher zu rühren, daß man ihn immer unter einer Wasserschicht zur Explosion brachte.
Bringt man 3 bis 4 Tropfen Chlorstickstoff (etwa 0,14 Grm.) auf ein Uhrglas, bedeckt
ihn mit einer sehr dünnen Wasserschicht, und bringt ihn mit ein wenig Terpenthinöl
in Berührung, so erfolgt eine so heftige Explosion, daß das Glas so zu sagen in
Staub verwandelt wird. Wiederholt man den Versuch mit der gleichen Menge
Chlorstickstoff, ohne diesen jedoch mit einer Wasserschicht zu bedecken, so bleibt
das Uhrglas fast immer unversehrt. Werden etwa 4 Grm. Chlorstickstoff ohne Wasser
auf ein Uhrglas gegeben, wird dieses auf einen soliden Cylinder von
Papier-maché gestellt, und darnach die Explosion bewirkt, so ist
dieselbe verhältnißmäßig schwach; das Uhrglas zerbricht zwar, aber der Cylinder
bleibt unverändert auf seiner Stelle stehen, während er vollständig zerstört wird,
wenn man bei Wiederholung des Versuches die 4 Grm. Chlorstickstoff mit einer sehr
dünnen Wasserschicht bedeckt. Offenbar wird hier die Intensität der explosiven Kraft
durch den Widerstand welchen die Wasserschicht bietet, vermehrt, und spielt hier die
dünne Wasserschicht dieselbe Rolle wie eine dicke Umhüllung mit Papier oder Metallblech bei der
Explosion von Schießbaumwolle, Pulver oder dergl.
Nitroglycerin brennt, wenn man es an freier Luft erhitzt, allmählich ohne Explosion
ab, detonirt aber bekanntlich äußerst heftig in Folge eines Schlages oder Stoßes. Es
kommt indessen, wenn man auf einen Amboß ausgegossenes Nitroglycerin mit einem
Hammer schlägt, allein derjenige Theil des Nitroglycerins zur Explosion, welcher
zwischen den genau auf einander Wagenden Flächen liegt, da bei der Wirkung des
Hammers auf den Amboß ein Theil der Flüssigkeit so gut isolirt wird, daß die
augenblickliche Zersetzung dieses Theiles sich nicht fortpflanzen kann, und die
Explosion der benachbarten, mit der Luft in Berührung bleibenden Theilchen nicht
herbeigeführt wird.
Ließ man mittelst eines Ruhmkorff'schen Apparates zwischen
zwei Polen, welche die Oberfläche einer Quantität Nitroglycerin berührten, eine
Reihe elektrischer Funken überspringen (beim Eintauchen der Pole in die Flüssigkeit
verhinderte die isolirende Wirkung der letzteren das Ueberspringen der Funken), so
gerieth die Oberfläche in schwache BewegungBewewegung, schwärzte sich, und nach 30 Secunden trat Explosion ein.
Ebenso kann man Nitroglycerin an freier Luft durch die Detonation einer geringen
Menge Pulver oder eines anderen explosiven Körpers zur Explosion bringen. Es ist
unzweifelhaft, daß in diesem Falle die Explosion des Glycerins nicht durch die
während der ersten schwachen Detonation entwickelte Wärme herbeigeführt wird,
sondern durch eine mechanische Wirkung der ersten Detonation. Dieß ergibt sich z.B.
aus folgender Betrachtung. Nitroglycerin kann bei Anwendung gewisser
Vorsichtsmaßregeln ohne zu explodiren auf 193° C. erwärmt werden, während
Schießpulver sich schon bei 150° entzündet. Trotzdem ist die Menge des
Knallquecksilbers, welche erforderlich ist, um Nitroglycerin an freier Luft zur
Explosion zu bringen, nur etwa 1/5 so groß, als diejenige welche zur Entzündung des
gewöhnlichen Schießpulvers nothwendig ist. Offenbar müßte umgekehrt Schießpulver
durch eine geringere Menge Knallquecksilber zu entzünden seyn, wenn die
Fortpflanzung der Explosion wesentlich durch die Wärmeentwickelung bedingt wäre.
Bezüglich der Beurtheilung der Ursache, welche die Detonation von einem Körper auf
den anderen überträgt, scheinen folgende Thatsachen beachtenswerth.
Körper, welche weniger heftig als Knallquecksilber explodiren, z.B. Gemenge von
chlorsaurem und pikrinsaurem Kali, und andere Körper welche in ihrer Wirkung dem
Knallquecksilber nahe stehen, können die Explosion von Schießbaumwolle, wenn diese
sich an freier Luft befindet, nicht herbeiführen, selbst wenn man von solchen Körpern
zehn Mal mehr nimmt, als vom Knallquecksilber nöthig seyn würde, und gleich viel, ob
man sie in Umhüllungen einschließt oder nicht.
Nitroglycerin hingegen, welches auch durch Schlag leichter zur Explosion zu bringen
ist als Schießbaumwolle, explodirt unter der Einwirkung von Körpern welche minder
heftig als Knallquecksilber detoniren. Von letzterem braucht man unter sonst
gleichen Umständen nur etwa halb so viel, um Nitroglycerin, als um Schießbaumwolle
zum Explodiren zu bringen.
Wird die Heftigkeit der Detonation des Knallquecksilbers dadurch vermehrt, daß man es
in eine sehr feste Hülle einschließt, so genügt eine geringere Menge desselben, um
die Explosion von Schießbaumwolle zu veranlassen, als wenn es nicht eingeschlossen
oder von einer wenig Widerstand bietenden Hülle umgeben ist.
Soll Schießbaumwolle durch einen detonirenden Körper zur Explosion gebracht werden,
so muß man sie, um die Explosion zu erleichtern oder sicher zu machen, in Form einer
compacten, dichten Masse anwenden, damit der molecularen Umlagerung ein größerer
Widerstand entgegengesetzt werde.
Nach dem eben Besprochenen sollte man erwarten, daß Knallsilber, welches unter
gleichen Umständen noch plötzlicher detonirt als Knallquecksilber, auch leichter
eine Explosion der Schießbaumwolle herbeiführen werde als letzteres. Der Versuch
bestätigt dieß nicht. Knallsilber und Knallquecksilber verhalten sich gegenüber der
Schießbaumwolle nur etwa gleich; von beiden müssen etwa 0,3 Grm. verwendet werden,
um letztere zur Explosion zu bringen, und bei Anwendung dieser geringen Mengen
müssen beide in Weißblech eingewickelt in unmittelbare Berührung mit der
Schießbaumwolle gebracht werden. Eine gleiche Menge Knallsilber, in dünnes
Messingblech eingewickelt, bringt die Explosion der Schießbaumwolle nicht
hervor.
Durch die Detonation von Jodstickstoff konnte Schießbaumwolle nicht zur Explosion
gebracht werden, selbst wenn 6,5 Grm. desselben verwendet wurden.
Bei Versuchen mit Chlorstickstoff mußten 3,25 Grm. in Anwendung genommen und derselbe
unter eine Schicht Wasser gebracht werden, um die Explosion von Schießbaumwolle
herbeizuführen; doch gelang es bei Wiederholung des Versuches nicht immer, durch
diese Menge die Explosion der Schießbaumwolle zu veranlassen. Man braucht also von
Chlorstickstoff jedenfalls mehr als von Knallquecksilber, was überraschen muß, da
die Explosion des ersteren, wie auch die des hier wirkungslosen Jodstickstoffes, jedenfalls eine
plötzlichere ist als die des Knallquecksilbers und Knallsilbers, und die bei der
Explosion von 3,25 Grm. Chlorstickstoff entwickelte mechanische Kraft unzweifelhaft
wesentlich größer ist als die bei der Explosion von 0,3 Grm. Knallquecksilber
entwickelte.
Ebenso gelingt es nicht, durch die Detonation von Nitroglycerin, welche mindestens
eine gleiche Kraft entwickelt als die des knallsauren Silbers oder Quecksilbers, die
Explosion von Schießbaumwolle herbeizuführen, selbst wenn man an Nitroglycerin das
65fache der Knallquecksilbermenge anwendet, welche die Explosion der Schießbaumwolle
sicher bewirken würde.
Diese und andere ähnliche Erscheinungen sucht der Verfasser auf folgende Weise zu
erklären:
Eine Explosion ist immer von Schwingungen begleitet. Findet nun Synchronismus statt
zwischen diesen und denjenigen Schwingungen welche ein in der Nähe placirter und im
Zustande hoher chemischer Spannung befindlicher Körper veranlassen würde, wenn er
explodirte, so haben die Schwingungen eine natürliche Neigung sich in dem letzteren
Körper zu reproduciren, und dieß ist die Ursache, welche das Mitexplodiren des
letzteren bedingt oder die zerstörende Wirkung der mechanischen Kraft unterstützt.
Wenn hingegen die Schwingungen verschiedenen Charakter haben, so findet die durch
die Explosion des ersten Körpers hervorgebrachte mechanische Kraft nur eine geringe
Unterstützung. Man muß daher, um die Explosion des zweiten Körpers herbeizuführen,
den ersteren in viel beträchtlicherer Menge anwenden, mit anderen Worten, die erste
Explosion muß eine viel heftigere seyn. Der Verfasser denkt sich den Vorgang ähnlich
wie bei der Fortpflanzung der Schallwellen; gewisse Töne rufen in einzelnen Körpern
synchrone Schwingungen hervor und sind dagegen auf andere ohne Wirkung.
So erklärt es sich, daß sich die Explosion mancher Substanzen, z.B. des
Nitroglycerins und der Schießbaumwolle, ohne merkliches Zeitintervall auf andere
vollkommen abgeschlossene Massen überträgt, und daß z.B. in Pulverfabriken bei
eintretenden Explosionen öfter in getrennten Gebäuden anscheinend ganz gleichzeitig
Explosion erfolgte. Auf explosive Körper von gleicher chemischer Zusammensetzung
werden sich solche die chemische Zersetzung bedingende Schwingungen und wird sich
somit die Explosion natürlich am leichtesten übertragen.
Die plötzliche Wirkung einer selbst relativ geringen mechanischen Kraft bewirkt die
heftige Explosion des Nitroglycerins. Auch wird letztere Substanz, welche selbst bei
Anwendung bedeutender Quantitäten die Explosion von Schießbaumwolle nicht bewirkt, sehr leicht
unter der Einwirkung explodirender Schießbaumwolle zum Detoniren gebracht.
Schließlich bestätigt der Verfasser, daß Schießbaumwolle, wenn sie durch einfache
Wirkung der Wärme, also mittelst eines gewöhnlichen Zünders, zur Explosion gebracht
wird, etwa den fünffachen Effect hervorbringt als eine gleiche Menge gewöhnlichen
Schießpulvers, daß hingegen ihre Wirkung der zehn- bis zwölffachen des
Schießpulvers gleich kommt, wenn ihre Explosion mit Hülfe eines explodirenden
Zünders bewirkt wird. Die Wirkung der mit Hülfe detonirender Zünder herbeigeführten
Explosion der Schießbaumwolle soll übrigens, z.B. bei Sprengarbeiten, dieselbe seyn,
wenn das mit der Schießbaumwolle beschickte Bohrloch ganz unverschlossen bleibt oder
höchstens mit Sand oder Erde ausgefüllt wird, so daß bei Anwendung von
Schießbaumwolle und detonirender Zünder ein sehr gefährlicher Theil der
Sprengarbeit, nämlich das vollkommen dichte Verstopfen des mit dem Sprengmittel
beschickten Bohrloches, ganz in Wegfall kommen kann, während derselbe bei Anwendung
gewöhnlicher Zünder unerläßlich ist. Auch ist es bei Benutzung detonirender Zünder,
wenn man unter Wasser arbeitet, nicht nöthig, die Schießbaumwolle in
widerstandsfähige Metallhüllen zu bringen, was immer unbequem ist; es genügt, sie in
wasserdichten Zeug oder in ein dünnwandiges Glasgefäß einzuschließen.
Wird Schießbaumwolle durch Wärme entzündet, so entsteht eine große Flamme, welche von
der Verbrennung des Kohlenoxydgases herrührt; erfolgt die Entzündung aber durch
einen detonirenden Körper, so entsteht, wenigstens wenn man mit geringen Mengen
operirt, nur ein schwacher, bei Tage kaum wahrnehmbarer Schein von kurzer Dauer. Es
scheint in diesem Falle die Umwandlung des festen Körpers in gasförmige Producte so
plötzlich zu erfolgen, daß die gebildeten brennbaren Gase sich nicht entzünden
können.