Titel: | Das aptirte Zündnadelgewehr. |
Fundstelle: | Band 196, Jahrgang 1870, Nr. CXIX., S. 426 |
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CXIX.
Das aptirte Zündnadelgewehr.
Aus der allgemeinen Militär-Zeitung, 1870, Nr.
16.
Ueber das aptirte Zündnadelgewehr.
In der (in Darmstadt erscheinenden) „allgemeinen
Militär-Zeitung“ waren in der letzten Zeit mehrere Notizen
über beabsichtigte Aptirungen des Zündnadelgewehres und über die stattgehabten
Massenprüfungen der verschiedenen in Aussicht genommenen Constructionen für die
Abänderungen mitgetheilt worden.
Diese Versuche sind nunmehr beendigt und ihr Ergebniß hat die Sanction Sr. Majestät
des Königs von Preußen erhalten. Hiernach erfahren die Waffen und die Munition
folgende Abänderungen:
Die Luftkammer, in welcher das Nadelrohr sitzt, wird – nachdem das letztere,
soweit es in dieselbe reicht, abgeschnitten worden – durch einen Cylinder
vollständig ausgefüllt. Dieser Cylinder erhält in seiner Achse die Bohrung für die
verlängerte Zündnadel, reicht bis zu der Fläche in welcher sich der Kammermund an
den Rohrmund anschließt, und ist in dieser Lage festgelöthet. Der gasdichte Abschluß
wird durch eine Buffervorrichtung, analog dem Chassepot-Gummiring mit Stahlplatte hergestellt. Da nunmehr durch diese
Aptirung ein festes Anpressen des Rohr- und Kammermundes zum Zweck des
Gasabschlusses nicht mehr erforderlich ist, so fallen auch die beiden schiefen
Flächen der Hülse und der Kammerwarze und damit ebenfalls das feste Zuschlagen der
Kammer weg. Die Kammer ist zum Verschließen der Waffe einfach nur vorzuschieben und
leicht umzulegen, so daß für diese Handhabung ein Griff, also Zeit und Kraft erspart
ist. Die Patrone erhält ein um rund zehn Gramme erleichtertes Langblei – 21
Grm. gegenüber 31 Grm. des alten Geschosses – und den verstärkten Zündspiegel
(beide analog den kurhessischen und bückeburgischen Versuchen im Jahr 1864). In dem Boden der
Papierpatronenhülse ist ein gefettetes Tuchplättchen eingelegt, welches den
gasdichten Abschluß, den die Construction der Waffe ergibt, noch erhöht und die
Reinigung der Zündnadel bewirkt. Der in seinen Wänden durch das kleinere
Geschoßkaliber (12 gegen 13,6 Millimet. des alten Langbleies) verstärkte Spiegel ist
etwas verkürzt. Das Gewicht der Ladung ist 4,9 bis 5 Grm. geblieben. Das Gewicht der
neuen Patrone ist rund 32 Grm., während die seitherige Patrone 40 Grm. wiegt. Das
nicht zu vermehrende Munitionsgewicht des Mannes von 3 Kilogr. repräsentirt 75 alte
und 95 neue Patronen: Zahlen, wie sie die kleinen Kaliber, insbesondere das Chassepot-Gewehr, ergeben. Von den neuen Patronen
gehen 14–15, von den alten 12–13 auf das Pfund (1/2 Kilogr.).
Die ballistische Leistung der aptirten Waffe wird wesentlich erhöht durch eine
bedeutendere Rasanz der Bahn, den schwächsten Punkt der gegenwärtigen Waffe. Die
Gewichtsverhältnisse des Geschosses gegenüber dem Gewichte der Ladung und der Waffe
haben sich zu Gunsten der Grundlage der rasanten Bahnen, nämlich der großen
fortschreitenden Bewegung, wesentlich verbessert, während die Belastung der
Einheitsfläche des Querschnittes etwas geringer geworden ist. Die Ladung beträgt zum
wachsenden Vortheil der Leistung 25 Procent des Geschoßgewichtes, – ein
enormer Betrag, wie er für die Rundkugel früher gültig war. Die Waffe ist 250 mal
schwerer als das Geschoß. Die Einheitsfläche des Querschnittes von 113
Quadratmillimeter ist dagegen nur mit 0,19 Grm. Blei belastet. Die relativ sehr
bedeutende Ladung begründet sonach eine große Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses,
welche noch durch den Umstand erhöht wird, daß das Geschoß nur einen sehr geringen
Betrag des Gewichtes der Waffe repräsentirt (1/250). Eine weitere Steigerung dieser
günstigen Verhältnisse findet nicht statt, weil das relativ leichte Geschoß nicht
genug Blei auf den Quadratmillimeter des Querschnittes bringt. Ein Ausnutzen,
besseres Verwerthen der durch die bedeutende Ladung begründeten und die relativ
schwere Waffe erhöhten Geschwindigkeit ist somit nicht der Fall. Bei der
gegenwärtigen Munition hat die Einheitsfläche des Querschnittes von 146,36
Quadratmillimeter die bedeutendere Belastung von 0,213 Grm. Blei. Die
Gewichtsverhältnisse des Geschosses zu dem Gewicht der Ladung wie der Waffe waren
entschieden geringer, indem die Ladung nur 16 Procent des Geschoßgewichtes und die
Waffe nur 160 Geschosse repräsentirte.
Die Einzelleistung der Waffe erfährt durch die umgestaltete Munition nach dem
Vorstehenden eine erhebliche Steigerung, ebenso wie die Gesammtleistung durch eine größere
Feuergeschwindigkeit in Folge der Aptirung der Waffe erhöht wurde. Das nach dem
Schuß im Rohr sitzen bleibende Tuchplättchen des Bodens der Patronenhülse wird mit
der nächsten Patrone vorgeschoben und mit dem Schuß aus dem Rohr gefegt. Derartige
vor dem Geschoß hergeschobene Körper sind überhaupt von nachtheiligem Einfluß auf
die Präcision. Bei der Spiegelführung des Langbleigeschosses influirt neben dieser
Art von Führung auch noch die mehr oder weniger normale Trennung von Geschoß und
Spiegel auf die Präcision; die Tuchplatte gibt ein weiteres Moment, welches für die
präcise Führung im Rohr gerade nicht von Vortheil ist.
Der Gebrauch der Waffe ist für den Schützen und seine Resultate angenehmer geworden,
weil bei der nun relativ so bedeutend schweren Waffe (250 Geschosse) von einem
Rückstoß wohl kaum mehr die Rede seyn kann, da sich die Arbeitsleistung der Gase im
umgekehrten Verhältniß der Gewichte auf Geschoß und Waffe vertheilt. Die demnächst
zu erzielenden ballistischen Leistungen der Waffe werden die Ansichten des Majors v.
Ploennies, welche er über
die Resultate einer Zündnadelmunition, wie sie nunmehr heute geschaffen werden soll,
bereits im Jahre 1865 in seinem Werke über „das
Zündnadelgewehr“ niedergelegt hat, bestätigen. Wenn auch die Führung
der Geschosse durch den Zündspiegel Nachtheile und Unbequemlichkeiten erzeugt, so
ist der Zündspiegel doch für die Waffen Preußens von enormem Werth gewesen. Durch
den Zündspiegel war es thunlich, dem Zündnadelgewehr großen Kalibers von 15,43
Millimet. in dem Langblei ein Geschoß mittleren Kalibers von 13,6 Millimet. zu
geben, welches die günstigen Bedingungen zur beharrlichen Ueberwindung des
atmosphärischen Widerstandes darbietet und das so erhebliche Leistungen ergab. Mit
der Annahme der Hinterlader in den übrigen europäischen Staaten seit dem Jahre 1866
erfolgte auch nach dem Vorgehen der Schweiz der Uebergang zum kleinen Kaliber von
10–11 Millimet. und dadurch eine bedeutende Steigerung der Einzelleistungen
der Waffen. Preußen konnte trotz der relativen guten Gesammt-Resultate seiner
Waffe nicht zurückbleiben und mußte suchen, auf dieselbe die Einzelleistung der
kleinen Kaliber, wo möglich ohne Aenderung in der Handhabung der Waffe und mit den
geringsten Kosten, zu übertragen. So mußte denn der Langbleizündspiegel nochmals als
sinnreicher Nothbehelf wie früher dienen, um ein Geschoß kleinen Kalibers (12
Millimet.) aus dem alten Rohre großen Kalibers (15,43 Millimet.) zu verwenden, und
auf diese Weise der alten Waffe annährend die Vortheile des kleinen Kalibers und der
verbesserten Hinterladungsmechanismen zu gewähren, sich mithin wieder auf die Höhe
der Technik zu bringen.
Die erste deutsche Hinterladungswaffe, welche im Jahr 1841 schon als Bewaffnung der
Infanterie für kriegstauglich erkannt wurde, tritt somit in ihre dritte Phase und
wird auch in dieser wie seither ihren langbewährten und erprobten Ruf zu bewahren
wissen.