Titel: | Ueber die Essiggährung; von Julius v. Liebig. |
Fundstelle: | Band 196, Jahrgang 1870, Nr. CLV., S. 548 |
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CLV.
Ueber die Essiggährung; von Julius v. Liebig.Im Auszug aus des Verfassers Abhandlung „über die Gährung und die
Quelle der Muskelkraft“ in den Annalen der Chemie und Pharmacie
Bd. CLIII S. 137 (durch das polytechnische Centralblatt, 1870 S. 701).
Liebig, über die Essiggährung.
Die Essiggährung, wenn man die Bildung der Essigsäure aus Alkohol mit diesem Namen
bezeichnen will, ist vom chemischen Standpunkte aus am genauesten bekannt und
untersucht.
Hr. Pasteur hat uns belehrt,
„daß die Essigbildung ein Gährungsproceß sey und von dem Pilz Mycoderma aceti bewirkt werde.“
„Bei der Cultur der Mycoderma aceti auf
alkoholischen Flüssigkeiten, sagt Pasteur, geht der
Alkohol unter intermediärer Bildung von Aldehyd in Essigsäure über. Die
Essigmutter wirkt nur, wenn sie mit der Luft in directem Verkehr steht, nicht
wenn sie untergetaucht ist; als weitere Nahrung braucht sie Phosphate und
Eiweißkörper.“ (Polytechn. Journal, 1862, Bd. CLXV S. 299 u.
303.)
Wir haben bis jetzt geglaubt, daß die Essigsäure durch eine einfache Oxydation aus
dem Alkohol entstehe. Fein zertheiltes Platin, vermöge des an seiner Oberfläche
verdichteten Sauerstoffes, verwandelt bekanntlich Alkohol in Aldehyd und
Essigsäure.
Eine Menge organischer Materien nehmen, wie aus den Untersuchungen Schönbein's bekannt ist, mit Luft in
Berührung Sauerstoff aus derselben auf, welcher eine Zeit lang ganz wie im Platin
das Vermögen behält, andere Materien zu oxydiren. Man kann bekanntlich mit
Terpenthinöl, Aether, Aldehyd, Bittermandelöl, welche man mit Luft geschüttelt hat,
schweflige Säure in Schwefelsäure überführen und Indigtinctur ähnlich wie mit
Chlorwasser zerstören; selbst schweflige Säure und sehr viele feste organische
Materien besitzen im Zustande der Sauerstoffaufnahme bei gewöhnlicher Temperatur das
Vermögen, auf andere organische und unorganische Körper oxydirend zu wirken.
An festen organischen Substanzen, welche sich im Zustande der Verwesung oder Fäulniß
befinden, ist diese merkwürdige Eigenschaft schon vor 30 Jahren von de Saussure (Bibliotèque universelle de Genève, Februar
1834) beobachtet worden. „Wenn Dammerde oder der in verschiedenen
Bodenarten enthaltene Humus oder feuchte, in Gährung übergegangene Pflanzensamen
in einer mit Sauerstoff gefüllten Glocke verweilen, so verwandelt sich dieses
Gas allmählich in Kohlensäure.“ Dieß ist keine besonders auffällige
Thatsache, aber die folgende ist es um so mehr. „Setzt man nämlich dem
Sauerstoffgas Wasserstoffgas zu, so wird dieses Gas zu Wasser
oxydirt.“
„Für je 2 Volume Wasserstoffgas verschwindet 1 Volum
Sauerstoffgas.“
Nichts kann klarer seyn, als daß die Oxydation des Wasserstoffes in Berührung mit
verwesenden Materien und Sauerstoffgas ein rein chemischer Proceß ist, welcher durch
die Versuche von Schönbein näher erläutert und durch die
Bildung von ozonisirtem Sauerstoff oder Wasserstoffsuperoxyd erklärt worden ist. Es
ist offenbar, daß verwesende Substanzen den Sauerstoff aus der Luft zu verdichten
und in einen Zustand zu versetzen vermögen, in welchem er fähig ist, eine Verbindung
mit anderen Stoffen einzugehen, die ohne Vermittelung der Sauerstoff anziehenden
Substanzen sich bei niederen Wärmegraden nicht damit verbinden. Denkt man sich an
der Stelle des Wasserstoffes in den Versuchen von de
Saussure Weingeistdampf in Berührung mit dem verwesenden Holze oder einer
anderen ähnlich wirkenden organischen Materie, so hat man die Erklärung der
Essigsäurebildung aus Alkohol. In Folge der Oxydation seines Wasserstoffes wird der
Alkohol zuerst zu Aldehyd, welcher für sich durch weitere Sauerstoffaufnahme in
Essigsäure übergeht.
In den Essigfabriken dienen bekanntlich Hobelspäne von Holz oder auch Holzkohle in
groben Stücken als Vermittler des Oxydations-Processes. In der Essigfabrik
des Hrn. Riemerschmied in München, einer der größten und best geführten in
Deutschland, empfängt der verdünnte Alkohol während des ganzen Betriebes keinen
fremden Zusatz, und außer Luft und der Holz- oder Kohlenoberfläche ist kein
fremder Stoff hierbei wirksam; dem frisch aufzugebenden verdünnten Alkohol wird nur
etwas von dem Ablaufe der vorhergegangenen Operation, d.h. unfertiger Essig,
beigemischt.
Auf eine von ihm an Hrn. Riemerschmied gestellte Anfrage über die Mitwirkung der Mycoderma aceti an der Essigbildung erhielt der
Verfasser von demselben folgende Auskunft: „Beifolgend eine Probe von einem Buchenholzspan
aus der untersten Schicht eines Essigbilders, der ununterbrochen seit 25 Jahren nach derselben Art und Weise im Betriebe
ist.“
„Andere Späne, seit 30 Jahren verwendet, sind mir gegenwärtig
unzugänglich, lassen jedoch für die Essigbildung nichts zu wünschen übrig. So
weit sie beobachtbar sind, erscheinen sie frei von Mycoderma aceti und sind besonders in den höheren Partien des Ständers
nur mit einem Ueberzug von Unreinigkeiten bedeckt, welchen das abtropfende
Essiggut auf ihnen ablagert. Die Essigbilder von circa 1 Meter Durchmesser und 2 1/2 Meter Höhe nach Abzug der
Aufguß- und Sammelräume verarbeiten in 24 Stunden 2 3/4 bis 3,2 Liter
absoluten Alkohol.“
Aus der letzteren Angabe berechnet sich, daß ein fortdauernd arbeitender Essigbilder
in drei Tagen 1 Hektoliter Wein von 9 Procent Alkoholgehalt in Essig überführen
könnte, in einem Jahre also 120 Hektoliter Wein.
Wenn die Bildung von Essigsäure bedingt wäre durch das Wachsen und die Entwickelung
der Essigmutter, so müßte dieser Pilz sich wohl in irgend einem Verhältnisse zur
erzeugten Essigsäure vermehren, bei Anwendung von Alkohol sowohl als bei Anwendung
gegohrener Flüssigkeiten. Dieß geschieht in der That bei Verwendung von Wein und in
besonders hohem Grade bei gegohrener Biermaische, welche stickstoffhaltige Materie
und Phosphate, die Nährstoffe der Mycoderma aceti, in
reichlicher Menge enthält. Ihre Bildung ist in den Essigfabriken, welche diese
Biermaische zur Essigbildung verwenden, eine Quelle stets sich wiederholender
Störungen, da die Zwischenräume der Holzspäne oder Kohlen in den Essigbildern, durch
welche die Luft circuliren muß, allmählich durch das Ueberwuchern der Essigmutter
zuwachsen, in welchem Falle dann die Essigbildung aufhört. Aber in dem verdünnten
Alkohol, der in der Schnellessig-Fabrication zur Essigbildung dient, sind die
Nährstoffe des Essigpilzes ausgeschlossen, und es wird Essigsäure ohne Mitwirkung
desselben erzeugt. Enthält der Branntwein Amylalkohol, so entsteht gleichzeitig
Valeriansäure, welche man in dem Essig liebt.
Auf dem Holzspan, welcher 25 Jahre lang in der Riemerschmied'schen Fabrik zur Essigbildung gedient hat, war auch mit dem
Mikroskope keine Mycoderma aceti wahrnehmbar; er hatte
die braune Farbe von verwesendem Holze angenommen, aber die Structur war ganz
unverändert.
Es ist ganz unzweifelhaft, daß die Essigmutter die Oxydation des Alkohols zu Essig zu
vermitteln vermag; aber diese Wirkung beruht nicht auf einem physiologischen
Vorgange. Der Alkohol bedarf zu seinem Uebergange in Essigsäure nur Sauerstoff, welchen ihm die
Mycoderma aceti aus ihrer Substanz heraus nicht
geben kann und nicht gibt. Die Analyse der Luft, welche die Essigbilder verläßt,
beweist, daß der zur Oxydation des Alkohols dienende Sauerstoff von der Luft
genommen wird, und der einzige Antheil, welchen die Essigmutter an diesem Processe
nimmt, kann nur darin bestehen, daß durch sie diese Aufnahme vermittelt wird; sie
ist nur durch diese chemische Eigenschaft wirksam und kann als lebende Pflanze durch
eine ganze Anzahl todter Stoffe und Pflanzentheile vertreten werden.
Aus diesen bekannten und Wohl erwiesenen Thatsachen ergibt sich, daß die Essigbildung aus Alkohol nicht bedingt ist durch einen
physiologischen Proceß; die Essigsäure ist kein Product der Mycoderma aceti, sondern das Product eines
Oxydationsprocesses.
Alle Zersetzungsprocesse organischer Materien lassen sich in drei bestimmte Gruppen
ordnen. In die erste Gruppe gehört die Alkohol-, Milchsäure-,
Buttersäuregährung und die Fäulniß thierischer Substanzen; diese Processe verlaufen,
wenn sie einmal begonnen haben, ohne weitere Mitwirkung des Sauerstoffes der Luft.
Die zweite und dritte Gruppe umfaßt die Essigsäure-, Salpetersäure-
etc. Bildung, ferner die Harngährung; in beiden nimmt der Sauerstoff der Luft einen
ganz bestimmten bedingenden Antheil.
Die Eigenthümlichkeit der Harngährung oder einer Art von Harngährung ist zuerst von
Gay-Lussac beobachtet worden. Er fand, daß
frischer Harn in einem ganz damit angefüllten reinen Glasgefäße Monate lang sich
unzersetzt erhält; enthält das Glas zur Hälfte Luft und Harn, so wird der Sauerstoff
der Luft absorbirt und eine entsprechende Menge Harnstoff in Kohlensäure und
Ammoniak umgewandelt; die weitere Zersetzung hat damit eine Grenze und beginnt erst
mit der Erneuerung des Sauerstoffes wieder, bis zuletzt aller Harnstoff umgewandelt
ist. Mit der Zersetzung des Harnstoffes geht die Oxydation der gefärbten
Harnbestandtheile parallel, und es bildet sich im Harn eine kleine Menge
Essigsäure.
Das ganz Eigenthümliche in der Harngährung ist, daß zwei Processe neben einander vor
sich gehen, ein Oxydationsproceß und ein Spaltungsproceß; während ein oder mehrere
Harnbestandtheile sich oxydiren, wirken diese im und, wie es scheint, durch den Act
der Oxydation auf den Harnstoff genau so ein, wie ein Ferment (z.B. die Bierhefe)
auf Rohrzucker; der Harnstoff nimmt die Elemente des Wassers auf und spaltet sich,
wie der Zucker, ohne sonst Theil an den Oxydationsprocessen zu nehmen. Gährungen dieser Art kommen
übrigens auch bei thierischen Stoffen vor, wenn man während ihrer Fäulniß den
Zutritt der Luft nicht abschließt.
Die Gährung des Dextrins in der Bierwürze bietet eine ganz ähnliche Erscheinung dar.
Der Verfasser hat Gelegenheit gehabt, in einer großen Reihe von Versuchen, welche
Dr. Lermer in seinem
Laboratorium angestellt hat, die Beobachtungen von Musculus (polytechn. Journal Bd. CLVIII
S. 424) bestätigt zu sehen, wornach durch die Wirkung der Diastase auf
Stärkemehl nur ein Theil desselben in Zucker übergeführt wird. Beim Einmaischen von
Gerstenmalz wirkt ein großer Ueberschuß von Diastase auf das darin vorhandene
Stärkemehl ein; aber es wird im besten Falle nur die Hälfte der dem Stärkemehl
entsprechenden Zuckermenge gebildet. Aus Malz, welches, mit verdünnter Salzsäure 12
Stunden lang erhitzt, 74 Procent Zucker gab, erhielt man beim Einmaischen bis zum
Verschwinden aller Jodreaction nur 34 Procent Zucker. Eine mit Bierhefe versetzte
Dextrinlösung geht nicht in Gährung über; bei einem Zusatz von Zucker zu dieser
Mischung zersetzt sich aber ein großer Theil des Dextrins ganz wie der Zucker in
Alkohol und Kohlensäure.300 Kubikcentimeter einer Maische, welche 8,449 Grm. Zucker enthielten,
wurden mit 10 Kubikcentimetern Hefe bei + 18° C. der Gährung
überlassen; als nach sechs Tagen aller Zucker verschwunden war, wurde in der
gegohrenen Flüssigkeit der Alkohol bestimmt; es wurden 17,65 Grm. Weingeist
von 0,94 specifischem Gewicht = 6,942 Alkohol erhalten. Nach dem
Zuckergehalte hätte die Flüssigkeit nur 4,317 Grm. Alkohol liefern
sollen.
Der Einfluß der Bewegung, in welche die Zuckeratome durch die Wirkung der Hefe
versetzt wurden, auf das Dextrin, auf welches die Hefe für sich nicht wirkt, scheint
hier ganz evident zu seyn; ehe das Dextrin in Alkohol und Kohlensäure zerfiel, mußte
es in Zucker übergeführt worden seyn.Aus 385 Kubikcentimetern Bierwürze aus der Sedlmayer'schen Brauerei in München, welche 22,36 Grm. Zucker
enthielten, wurden nach der Gährung 25,72 Grm. Destillat von 0,869 spec.
Gewicht – 18,0 Grm. Alkohol erhalten. Nach dem Zuckergehalte hätten
nur 11,683 Grm. Alkohol erhalten werden sollen. Der Ueberschuß kann in
beiden Versuchen nur von dem Dextrin geliefert worden seyn.Die Menge des in der Gährung zersetzten Dextrins scheint Übrigens sehr
abhängig von der Temperatur der Jährenden Würze zu seyn. Aus 500
Kubikcentimetern derselben Würze, in dem Keller des Hrn. Sedlmayer bei + 8° C.
vergohren, wurden 13,897 Grm. Alkohol erhalten. Die Zuckermenge in der Würze
betrug 28,125 Grm., woraus 14,37 Grm. Alkohol gebildet werden können.
Außer der Bierhefe und der Essigmutter, die leicht und in Menge gesammelt und im
reinen Zustande dargestellt werden können, sind die anderen Fermente in ihren
chemischen Beziehungen kaum gekannt; es ist zu hoffen, daß bei eingehenderem Studium
ihrer Eigenthümlichkeiten ihr Einfluß auf die Bildung von Milchsäure, Buttersäure etc.
in ähnlicher Weise erklärbar seyn wird, wie die Zersetzung des Zuckers in der
Alkoholgährung oder die Bildung der Essigsäure durch Mycoderma aceti.
In unserer Quelle sind noch Beobachtungen des Verfassers über den Einfluß
verschiedener Agentien auf die Zuckergährung mitgetheilt.