Titel: | Ueber den schädlichen und giftigen Einfluß der Theerfarben; von Dr. Herm. Eulenberg und Dr. Herm. Vohl zu Cöln. |
Autor: | Hermann Eulenberg [GND] |
Fundstelle: | Band 197, Jahrgang 1870, Nr. XVIII., S. 62 |
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XVIII.
Ueber den schädlichen und giftigen Einfluß der
Theerfarben; von Dr. Herm. Eulenberg und Dr. Herm. Vohl zu Cöln.
Eulenberg und Vohl, über den schädlichen und giftigen Einfluß der
Anilinfarbstoffe und der Phenylfarben.
Die Darstellung und Verwendung der Theerproducte erfordert gegenwärtig in
medicinal- und sanitätspolizeilicher Beziehung die größte Aufmerksamkeit.
Unter denselben sind diejenigen am wichtigsten, welche in der Färberei Anwendung
finden. Die Giftigkeit der Theerfarben ist zwar vielfach
besprochen worden; die Ansichten hierüber sind jedoch sehr widersprechend, indem auf
der einen Seite die Giftigkeit dieser Farben durch Erfahrung und Experiment
nachgewiesen und auf der anderen Seite geradezu geleugnet wird. Höchst
wahrscheinlich haben die betreffenden Beobachter nicht immer dieselbe Substanz vor sich gehabt. Manche
Farben können auf dieselbe Weise bereitet worden seyn und
haben dennoch eine ganz verschiedene Wirkung auf den thierischen Organismus, weil
während der Darstellung Manipulationsfehler unterliefen oder weil bei ihrer
Application auf die Stoffe giftige Substanzen zur Anwendung kamen. Bei der Prüfung
dieser Farben muß man deßhalb allen Umständen und Ursachen, welche ihre Giftigkeit
bedingen, Rechnung tragen. Es ist in dieser Beziehung durchaus nothwendig, stets die
Beantwortung folgender Fragen den Untersuchungen zu Grunde zu legen:
1) Ist der Farbstoff aus Substanzen dargestellt worden, welche an
und für sich schädlich oder giftig sind?
2) Ist in dem Farbstoff bei der Reinigung ein gewisser Antheil
dieser schädlichen Substanzen zurückgeblieben? (Manipulationsfehler.)
3) Wirkt der chemisch reine Farbstoff an und für sich schädlich
auf den Thierkörper ein?
4) Erfordert die Application dieser Farben Beizen, welche
gesundheitsschädliche Stoffe enthalten und auf der Faser des zu färbenden
Stoffes zurückbleiben? (Applicationsmethode.)
Es ist selbstverständlich, daß in manchen Fällen auch mehrere
Ursachen gemeinschaftlich schädlich einwirken können.
Die Anilinderivate, resp. die
Anilinfarbstoffe.
Das Anilin ist schon längst als ein Gift anerkannt worden,
und es ist daher leicht erklärlich, daß die Farbstoffe welche aus diesem Körper
dargestellt werden und an und für sich nicht giftig sind, durch den Gehalt an
Mutterstoff giftige Eigenschaften besitzen können. Alle Anilinfarben welche noch
unverändertes Anilin enthalten, vermögen deßhalb eine Anilinvergiftung
hervorzurufen. Auf diese Weise sind häufig das Rosanilin,
Azalëin, Magentaroth und Fuchsin als
giftige Farbstoffe bezeichnet worden, wenn sie dem Thierkörper einverleibt ein
Krankheitsbild hervorriefen, welches in ihrer Verunreinigung mit Anilin seinen Grund
hatte. Der von Bergmann mitgetheilte Fall,Prager Vierteljahresschrift, 1865, Bd. IV S. 110. in welchem ein Färbermeister einen kräftigen Zug aus einer mit einer
concentrirten Lösung von Magentaroth gefüllten Flasche
gethan hatte, bot alle Erscheinungen einer Anilinvergiftung dar, wozu namentlich die
livide, cyanotische Hautfarbe, die dunkelviolette Schleimhaut der Lippen und
Mundhöhle, der vermehrte Puls, die oberflächliche und beschleunigte Respiration, der Schauder über
den ganzen Körper, das Zittern an Händen und Füßen, die Eingenommenheit des Kopfes,
das Gefühl der Zusammenschnürung der Brust, die Athemnoth und die lebhaften
Zuckungen der Hände und Füße gehören.
Abgesehen davon, daß die chemische Analyse keine Spur von Arsen in dieser Farbe nachwies, spricht auch kein einziges Symptom für
eine Arsenvergiftung. Ebenso wenig ist es aber auch die Anilinfarbe an und für sich, welche hier giftig eingewirkt hatte; vielmehr
ist es nur der Antheil an Anilin, welcher bei der
Darstellung von Magentaroth in diesem zurückgeblieben war und bei der inneren
Aufnahme der alkoholischen Lösung des Farbstoffes die oben genannten Erscheinungen
hervorgerufen hatte.
Sind die aus dem Anilin durch irgend eine Reaction
erhaltenen Farbstoffe gleichsam in einem amorphen Zustande, sind sie in Teigform
(en pâte) oder in Lösung, so kann man fast
immer mit mehr oder weniger Gewißheit auf eine Verunreinigung der Farbe durch die
erwähnte Bildungs- und Muttersubstanz schließen. Befinden sich dagegen die
Farben in einem trockenen und krystallinischen Zustande, so ist schon viel eher auf
eine Reinheit derselben zu schließen, obgleich auch in diesem Falle derartige
Verunreinigungen nicht vollständig ausgeschlossen sind.
Zur Bereitung der Farben aus dem Anilin kommen bekanntlich kräftige Oxydationsmittel
zur Anwendung, wovon viele den stärksten Giften zuzuzählen sind. Dahin gehören die
Arsensäure, das salpetersaure
Quecksilberoxydul und -Oxyd, sowie das
Quecksilberchlorid, ferner die ebenfalls mehr oder
minder giftigen Körper, wie Chlorzinn, Chlorzink,
Antimonoxyd, das Antimonchlorid, Bleihyperoxyd
etc.
Selbstverständlich müssen die resultirten Farben, wenn sie noch einen Gehalt an
diesen Körpern zeigen, bei ihrer Einwirkung auf den thierischen Organismus ein
Krankheitsbild erzeugen, welches der Wirkung dieser verschiedenen Substanzen
entspricht. Man würde aber einen großen Fehler begehen, wenn man die Ursache der
Vergiftung dem reinen Farbstoff zuschreiben wollte, während nur das beigemengte und
nicht gehörig ausgewaschene Metallgift es ist, welches die gefährlichen
Erscheinungen bedingt und namentlich die Arbeiter der Anilinfarben-Fabriken der Gefahr einer Vergiftung aussetzt.
Ist neben der metallischen Verunreinigung auch noch von der Muttersubstanz in der
Farbe enthalten, so ist bei einer zufälligen Vergiftung das Krankheitsbild noch
complicirter, und es gehört in manchen Fällen eine große Beobachtungsgabe und Erfahrung dazu, um den
betreffenden Krankheitsfall richtig beurtheilen zu können.
Viele in der Literatur mitgetheilte Fälle von derartigen Vergiftungen beweisen, daß
man nicht überall den strengen und nothwendigen Unterschied zwischen den
verschiedenen giftigen Substanzen, welche unter solchen Umständen einwirken können,
gemacht hat.
Was die eben aufgestellte dritte Frage betrifft, so kann man bezüglich der aus dem
Anilin dargestellten Farbstoffe es als gewiß annehmen, daß sie niemals an und für sich giftig wirken. Sie können nur durch die an sie
gebundenen Säuren, wenn letztere giftig sind, einen
schädlichen Einfluß auf den Organismus ausüben, wenn sie auf irgend eine Weise
demselben einverleibt werden.
Bekanntlich sind die Anilinfarben Verbindungen
verschiedener aus dem Anilin entstandener Basen mit Salzsäure,
Essigsäure, Arsensäure, arseniger Säure, Pikrinsäure etc. Letztere Säure
ist es vorzugsweise, welche in neuerer Zeit häufig mit den verschiedenen Farben
verbunden wird. Hierher gehören das mit Pikrinsäure
verbundene Anilingrün (Jodanilingrün nach Hofmann), sowie die
verschiedenen orangerothen Farbstoffe, welche aus pikrinsaurem
Rosanilin und Mauvanilin bestehen.
Bei einer zufälligen Vergiftung mit diesen Farbstoffen müssen die
Krankheitserscheinungen nothwendigerweise mit einer Pikrinsäurevergiftung
übereinstimmen.
Was die vierte Frage betrifft, so bedürfen viele aus dem Anilin dargestellten Farben
zu ihrer Befestigung auf Baumwolle und Wolle besonderer Beizmittel, und es hat sich unter diesen
leider das arseniksaure Natron vorzugsweise geltend
gemacht, da die Stoffe, welche unter Mitwirkung dieses Salzes gefärbt werden,
brillanter und feuriger sind, als diejenigen bei denen andere Beizmittel angewandt
worden sind. Solche Stoffe sind stets arsenhaltig und
können bei ihrer Bearbeitung zu Kleidungsstücken mannichfachen Schaden erzeugen.
Manche Farben können alle genannten Mängel besitzen. Andererseits vermögen die
Farben verschiedener Fabriken, welche übrigens die gleiche Fabricationsmethode
anwenden, sehr verschiedene Vergiftungssymptome hervorzurufen. Nimmt man z.B. an,
daß ein grün gefärbter Stoff durch Beizen mit arsensaurem
Natron und nachheriges Ausfärben mit pikrinsaurem
Jodanilingrün seine Färbung erhalten hat, so kann er bei einer Einwirkung
auf den Organismus ein Krankheitsbild erzeugen, welches theils der Pikrinsäure, theils dem Arsen
zugeschrieben werden muß. Würde dagegen ein Wollenstoff,
welcher ebenfalls vorher mit arsensaurem Natron behandelt worden ist, hernach mit anilinhaltigem Rosanilin oder Mauvanilin ausgefärbt, so könnten die
schädlichen Einwirkungen welche ein solcher Stoff auf irgend eine Weise erzeugt, nur
auf das Arsen und Anilin
zurückgeführt werden.
Abgesehen von der möglichen schädlichen Einwirkung solcher Stoffe beim Bearbeiten
derselben zu Kleidungsstoffen und selbst beim Tragen derselben, können auch Kinder
durch Kauen und Saugen an denselben sich Schaden zufügen. Um alsdann ein richtiges
Urtheil über die Ursachen der nachtheiligen Einflüsse zu erlangen, ist es durchaus
erforderlich, den Stoff selbst einer genauen chemischen Analyse zu unterwerfen,
wobei Wohl zu beachten ist, daß sich das Arsen als Arseniksäure hierbei vorfindet.
Von der größten Wichtigkeit ist es fernerhin, die ganze Aufmerksamkeit auf die
Thatsache hinzulenken, daß statt der reinen Anilinfarben
gegenwärtig auch die mit Farbe geschwängerten Rückstände aus
den Anilinfarben-Fabriken zur Darstellung geringer Farbennuancen
benutzt werden. So werden z.B. die Farbenrückstände und Waschwässer des Anilinroths, welche vorzugsweise aus arseniger Säure
neben geringen Mengen Arsensäure, aus Anilin und Farbstoff bestehen, in jüngster
Zeit sehr vielfach zum Färben geringer wollener und gemischter Stoffe benutzt. Die
Farben welche damit erzeugt werden, sind verhältnißmäßig billig und brillant, und
zwar ist die letztere Eigenschaft wiederum lediglich durch die Anwesenheit des
Arsens bedingt, welches hier als Beize eingewirkt hat.
Derartige arsenikalische Rückstände werden auch in der Weise noch ausgenutzt, daß man
dieselben mit rauchender Salzsäure kalt extrahirt, wobei
die arsenige Säure größtentheils ungelöst bleibt, und den stark sauren Auszug mit
kohlensaurem Natron neutralisirt, wodurch der Farbstoff gefällt, resp. concentrirt
wird.
Diese Art von Farben kommt meistens in Teigform vor und kann nie arsenfrei seyn. Diese rothe arsenikalische Farbenmasse wird auch nicht
selten zur Darstellung von Tapetenfarben benutzt, indem
entweder Thonerdehydrat oder sonstige Farbkörper mit derselben vermischt werden.
Derartige Tapeten können in Folge des Verstaubens ein Krankheitsbild hervorrufen,
welches man mit Unrecht der Anilinfarbe zuschreiben würde. Es ist deßhalb sehr zu
beachten, daß man gegenwärtig nicht bloß den grünen, mit
arsenikalischen Kupferfarben bedruckten Tapeten eine sanitäts-polizeiliche
Aufmerksamkeit zu schenken hat.
Gerade wegen der Billigkeit dieser Farbmasse findet sie gegenwärtig die
verschiedenste und ausgebreitetste Verwendung. So findet man namentlich
hölzerne Spielsachen, besonders kleine Flöten und
Schalmeien, welche die Kinder in den Mund nehmen, damit gefärbt. Auch die rothe
Farbe der Phosphorzündhölzchen, nicht der Zündmasse,
sondern des Holzes stammt häufig von diesen arsenikalischen Rückständen her. Es ist
fast unmöglich, alle verschiedenen Gegenstände aufzuführen, welche mit dieser rothen
Farbe colorirt sind. Je niedriger die damit gefärbten Gegenstände im Preise stehen,
desto eher kann man schon von vornherein die Vermuthung aufstellen, daß ihre rothe
Farbe aus dieser schädlichen Quelle geschöpft ist. Sogar Conditorwaaren, Bonbons, Drops etc., welche auf Jahrmärkten verkauft
werden, sind bisweilen mit diesem arsenikalischen Roth gefärbt.
Die transparenten, aus Kautschuk angefertigten
Gegenstände, welche theils als Spielzeug, theils als Saugstöpsel benutzt werden und
roth gefärbt sind, verdienen insofern alle Beachtung, als das Imprägniren dieser
Kautschukwaaren mit einer weingeistigen Lösung von
Anilinfarbe geschieht, welche nie frei von Anilin ist und auch arsenikalisch seyn kann.
Durch Kauen und Saugen an diesen Gegenständen kann das Anilin resp. Arsen wieder vom
Kautschuk abgegeben werden, so daß mannichfache Störungen der Gesundheit die
unausbleiblichen Folgen seyn müssen.
Nebenbei mag hier noch erwähnt werden, daß auch Murexid
zum Färben der Kautschukwaaren benutzt wird. Nach der Methode von Light sollen die Kautschukwaaren, ehe sie in das
Murexidfarbebad gelangen, vorher in einer Sublimatlösung
gebeizt werden. Es ist nicht fraglich, daß auch bei dieser Methode Vergiftungen
vorkommen können, wenn es sich um Kinderspielzeug, Saugstöpsel etc. handelt.
Arsenikalisches Anilingrün mit
Pikrinsäure.
In der neuesten Zeit sind wollene und gemischte Stoffe in Mode gekommen, welche
prächtig blaugrün gefärbt und mit schwarzen Streifen versehen sind. Sowohl das
brillante Aeußere dieser Stoffe, als auch ihre Billigkeit macht sie sehr gesucht,
weßhalb ihr Consum ein enormer ist. Werden diese Stoffe, welche bisher aus dem
Königreich Sachsen bezogen werden, mit verdünnter Salzsäure behandelt, so
verschwindet die grüne Farbe sofort und man erhält eine grünlichgelbe Lösung. Die
schwarzen Streifen verändern sich und werden zuletzt purpurroth; ein Beweis daß sie
von Holzfarbe herrühren. Bringt man einen Theil dieser Flüssigkeit, deren Säure
theilweise mit Ammoniak abgestumpft worden ist, mit Chlorkalk zusammen, so
entwickelt sich der charakteristische und furchtbar stechende Geruch nach Chloropikrin. Ein anderer Theil der Flüssigkeit liefert mit essigsaurem
Kali versetzt bei einiger Concentration feine gelbe Nadeln von pikrinsaurem Kali. Beide Reactionen sprechen für die Gegenwart der Pikrinsäure. Ein dritter Theil des salzsauren Auszuges
wurde mit metallischem Kupfer in der Siedhitze behandelt. Das Metall erhielt einen
grauen metallischen Ueberzug, welcher beim Erhitzen über der Weingeistlampe sich
unter Verbreitung des charakteristischen Arsengeruches verflüchtigte. Es muß
wiederholt darauf aufmerksam gemacht werden, daß bei den gefärbten Gespinnststoffen
das Arsen meistens in der Form von Arseniksäure vorkommt,
weßhalb der Arsengehalt bei geringen Mengen leicht übersehen werden kann. Außerdem
muß das Kochen der Flüssigkeit mit metallischem Kupfer längere Zeit, wenigstens 15
Minuten lang fortgesetzt werden, ehe die Reaction erscheint. Es muß nämlich zuerst
die Arseniksäure durch das metallische Kupfer zur arsenigen Säure reducirt werden, worauf sich erst durch
weitere Reduction der letzteren das Kupfer mit metallischem
Arsen überzieht. Ein anderer Nachweis des Arsens, z.B. als Arsenwasserstoff
oder Schwefelarsen, ist beim Eintritt der erwähnten Reaction mit Kupfer
überflüssig.
Nähterinnen, welche sich mit der Bearbeitung dieser Stoffe beschäftigen, bekommen
jedesmal ein leichtes Eczem an den Händen, namentlich an den Fingern, welches mit
Jucken verbunden ist und nach einigen Tagen in eine Abschilferung der Epidermis
übergeht. In einem Falle schwoll auch das Gesicht an. Die Anschwellung zeigte sich
besonders an den Augen, an der Nase und am Munde, und war mit einer geringen Röthe
und Jucken verbunden.
Die Affection des Gesichtes kann entweder durch Uebertragung des reizenden Staubes
mittelst der Hände bei zufälligem Jucken und Wischen im Gesicht oder auch durch
directes Bestäuben des Gesichtes beim Auseinanderreißen dieser Stoffe, wobei
letztere gewöhnlich in der Nähe des Gesichtes gehalten werden, bewirkt worden seyn.
Das Allgemeinbefinden ist dabei nicht gestört. Die Hautaffection schwindet bald,
wenn man mit dem Nähen dieser Stoffe aufhört.
In der jüngsten Zeit hat Dr. Weickert zu LeipzigSchmidt's Jahrbuch, 1869, Nr. 10 S. 107.
„einen Fall von localer Vergiftung durch arsenfreies Anilingrün“ mitgetheilt, welcher sich bei einer
Frau ereignete, die ein schwarz und grün gestreiftes wollenes Kleid in Arbeit hatte.
Zuerst entzündete sich bei derselben der 4. Finger der rechten Hand, an welchem sich
ein Einschnitt befand, welcher durch das Durchziehen des Fadens beim Wichsen
desselben bewirkt worden
war. Der Finger wurde roth und bedeckte sich mit Blasen. In gleicher Weise erkrankte
der 3. und 5. Finger, dann der 2. und zuletzt der Daumen. Bei fortgesetzter Arbeit
erkrankte auch der Handrücken und die Hohlhand. Ueberall bildeten sich Blasen von
verschiedener Größe, welche zum Theil platzten und eiterige Flüssigkeit entleerten,
zum Theil vertrockneten und Krusten von verschiedener Dicke und Färbung bildeten.
Späterhin erkrankte auch die linke Hand und der rechte Unterarm, wo sich nur kleine Bläschen bildeten, welche auf rothem Grunde
saßen. Ebenso fing das Gesicht und der freiliegende Theil des Halses an, sich zu
röthen und abzuschuppen. Beim Gebrauch der geeigneten Mittel heilte die
Krankheit binnen ein paar Wochen.
Weickert behauptet, daß der fragliche Stoff bei der
chemischen Analyse keinen Gehalt an Arsen oder Pikrinsäure ergeben hätte. Nach der
äußeren Beschreibung stimmt er mit dem Wollenstoff, welchen wir untersuchten,
vollständig überein. Auch bei unserem Stoffe war die schwarze Farbe gewöhnliches
Blauholzschwarz.
Ferner stimmt das Exanthem, welches Weickert an der linken
Hand und am rechten Unterarm, sowie im Gesicht seiner Patientin beobachtet hat, in
jeder Beziehung mit den Erscheinungen überein, welche unser Wollenstoff bei der
betreffenden Nähterin hervorgerufen hatte.
Daß im Weickert'schen Falle die äußere Reizung am 4.
Finger der rechten Hand einen höheren Grad und einen größeren Umfang erreichte, mag
wohl in der Schnittwunde, welche sich an diesem Finger vorfand und direct den
schädlichen Staub aufnahm, begründet gewesen seyn. Jedenfalls muß es auffallend
bleiben, daß der fragliche Stoff arsenfrei gewesen seyn
soll. Vielleicht hat auch der mangelnde Nachweis des Arsens in der Nichtbeachtung
der oben erwähnten Cautelen seinen Grund. Ueber die Anwesenheit der Pikrinsäure in
dem uns vorgelegenen Wollenstoff konnte nach den erhaltenen Reactionen nicht der
geringste Zweifel obwalten, so daß wir auf Grund unserer Beobachtungen vor dem grün
gefärbten und mit schwarzen Streifen versehenen Wollenstoff, welcher aus Sachsen
bezogen wird, warnen müssen.
Nebenbei sey hier erwähnt, daß auch ein Grün auf wollenen
und gemischten Stoffen vorkommt, welches stark arsenikalisch ist, ohne daß es
Schweinfurtergrün enthält. Besonders kommt ein glänzender und glatter, vorzugsweise
aus Alpaka bestehender Stoff im Handel vor, welcher weißlich-seegrüne
Streifen hat, die aus arseniksaurem Chromoxyd
bestehen.
Die Phenylfarben.
Den Anilinfarbstoffen reiht sich die Gruppe der Phenylfarben an, wozu vorzüglich die Rosolsäure, das Corallin und das Azulin gehören. Auch hier müssen die oben angeführten
Fragen ganz besonders in Betracht gezogen werden, widrigenfalls der größte Wirrwar
und die widersprechendsten Ansichten entstehen.
1) Obgleich die Rosolsäure (C⁵H⁴O oder
C¹ºH⁹O² als solche eine vollständig unschädliche
Substanz ist und kleinen Meerschweinchen in einer Gabe von 1 Grm. ohne den
geringsten Schaden beigebracht werden kann, so ist sie dennoch vielfach für giftig
angesehen worden. Andererseits kann man nicht leugnen, daß man durch die innere und
äußere Application der Rosolsäure Vergiftungserscheinungen hervorrufen kann. In
solchen Fällen ist es aber stets nur die Phenylsäure,
welche noch dem Farbstoff anhängt und die nachtheilige Wirkung erzeugt.
Die Darstellung der Rosolsäure geschieht nämlich im Großen in der Weise, daß man 3
Th. Phenylsäure, 2 Th. Oxalsäure und 4 Th. Schwefelsäure 4–5 Stunden lang in
einer Retorte bis auf 140° C. erhitzt. Während der Dauer der Reaction treten
Kohlenoxyd und Kohlensäure massenhaft, sowie Dämpfe der Phenylsäure auf. Die teigig
verdickte rothbraune Masse muß nun in kaltes Wasser gegossen werden, um die
überschüssige Schwefelsäure und Phenylschwefelsäure zu entfernen. Setzt man das
Waschen nicht so lange fort, bis alle freie Säure verschwunden ist, so behält die
Rosolsäure stets den Geruch nach Phenylsäure. Im Handel kommt fast gar keine
Rosolsäure vor, welche nicht durch diesen Mutterstoff verunreinigt ist. Die
Giftigkeit der Rosolsäure ist somit lediglich von ihrem Gehalt an Phenylsäure abhängig.
Der größte Theil der Rosolsäure wird nicht direct zum Färben, sondern zur Darstellung
von Corallin benutzt.
2) Das Corallin oder Paeonin
kommt entweder als eine rothbraune Masse oder als ein Pulver mit cantharidengrünem
Reflex im Handel vor. In Alkohol, Aether, Glycerin, fetten Oelen und alkalischem
Wasser ist es mit scharlachrother Farbe löslich. Es wird dargestellt, indem man
Rosolsäure mit Ammoniak in geschlossenen Gefäßen bis auf 150° C. erhitzt und
schließlich durch Salzsäure fällt.
Seitdem Tardieu
Tardieu und Roussin,
Annales d'Hyg. publ., April 1869. durch Erkrankungsfälle und Vergiftungsversuche mit Thieren die Giftigkeit
des Corallins nachgewiesen hat, sind neuerdings diesen Erfahrungen ganz
widersprechende Ansichten über die Wirkung des Corallins mitgetheilt worden.
Daß durch das Tragen von mit Corallin gefärbten Strümpfen ein Blasenausschlag an den
Füßen erzeugt werden kann, hat Tardieu durch die
Mittheilung von 8 Erkrankungsfällen unzweifelhaft bewiesen. Er ist nur den
bestimmten Nachweis schuldig geblieben, ob die Ursache nur im Farbstoff an und für
sich oder in anderen fremden Bestandtheilen zu suchen ist; namentlich hat er nicht
genau genug den Beweis geliefert, daß in dem fraglichen Farbstoff kein Metall und
besonders kein Arsen enthalten war. Ueberhaupt scheint er nur in dem ersten von ihm selbst beobachteten Falle den Farbstoff
auf einen Arsengehalt geprüft zu haben.
Bei den Vergiftungsversuchen wendeten Tardieu und Roussin die
subcutane Injection an, wozu eine alkoholische Lösung des Corallins benutzt
wurde.
Obgleich Weickert mit Recht darauf aufmerksam macht, daß
man durch directe Zufuhr von 80–85 gradigem Alkohol in's Blut die Thiere zu
tödten vermag, so haben diese Versuche jedoch den Beweis geliefert, daß der
Farbstoff aus den Strümpfen viel rascher tödtete, als ein von Persoz bezogenes Corallin.Persoz hat bekanntlich die Derivate der
Rosolsäure, Corallin und Azulin zuerst dargestellt. Auch blieb ein Kaninchen gesund, nachdem es 12 Tage lang mit Corallin,
welches unter Möhren gemischt wurde, gefüttert worden war.
Landrin, Babaut und Bourgougnon
Comptes rendus, t. LXVIII No. 26. ziehen aus ihren Versuchen mit Thieren den Schluß, daß Corallin nicht
schädlich einwirkt, weder wenn es in alkoholischer Lösung oder als Pulver
eingegeben, noch wenn es subcutan injicirt wird.
Diese Schlüsse wurden von Guyot bestätigt. Er fand, daß
Corallin auch in großer Dosis nicht giftig ist und auch dann nicht giftig wirkt,
wenn es in unmittelbare Berührung mit dem Blute gebracht wird. Man könne das
Corallin dreist in der Färberei anwenden, und zwar ebensowohl für sich allein, als
abwechselnd mit Anilinviolett. Es dürfe aber nicht hierzu verwendet werden, wenn ihm
giftige Substanzen beigemengt wären.Comptes rendus, t. LXIX p. 388, August 1869; polytechn. Journal Bd. CXCIV S. 79.
Wir stimmen mit Guyot vollständig überein, daß das reine
Corallin gar keine giftigen Eigenschaften besitzt. Wir haben Kaninchen 1 Grm. reines
Corallin auf einmal beigebracht, ohne die geringste Störung im Wohlbefinden der
Thiere darnach zu bemerken. Trotzdem können aber Fälle vorkommen, in welchen ein mit
Verunreinigung versehenes Corallin wirklich schädliche und giftige Wirkungen zeigt.
Jedenfalls geht Weickert zu weit, wenn er auf Grund
seiner Untersuchungen über die Ungiftigkeit des Corallins die Unschädlichkeit desselben im Allgemeinen annimmt.A. a. O. S. 113.
Wenn man die oben angeführten vier Fragen in Betracht zieht, so ist es leicht
ersichtlich, daß auch das Corallin aus verschiedenen
Ursachen verunreinigt vorkommen kann.
Wie schon erwähnt worden, wird das Corallin durch Behandeln der Rosolsäure mit
Ammoniak unter erhöhtem Drucke und bei erhöhter Temperatur dargestellt. Bei dieser
Einwirkung kann die Möglichkeit der Anilinbildung aus der
in der Rosolsäure enthaltenen Phenylsäure durch die Einwirkung von Ammoniak nicht in
Abrede gestellt werden. Anilin ist bekanntlich Phenylamid. Selbstverständlich wird die Menge des gebildeten Anilins lediglich
durch die Quantität der vorhandenen Phenylsäure bestimmt. Jedenfalls ist ein Anilingehalt im Corallin leicht ermöglicht. Ein
anilinhaltiges Corallin kann, wenn es zum Färben benutzt wird, möglicherweise auf
die damit beschäftigten Arbeiter durch die Entwickelung von Anilindampf schädlich einwirken. Auf die damit gefärbten Stoffe hat der
Anilingehalt bezüglich einer Einwirkung auf die Haut keine Wirkung.
Selbstverständlich wird aber ein anilinhaltiges Corallin bei Vergiftungsversuchen
oder bei einer zufälligen inneren Aufnahme desselben ein wirkliches Krankheitsbild
erzeugen, wenn der Gehalt an Anilin hinreichend groß ist, um eine Wirkung zu äußern.
Das Corallin kann aber auch Phenylsäure, welche von der
Rosolsäure herrührt, enthalten. Die mit einem phenylsäurehaltigen Corallin gefärbten
Stoffe können auf die Haut reizend einwirken. Es bilden sich aber nach unseren
Erfahrungen in einem solchen Falle keine Bläschen, sondern Papeln, kleine Püstelchen
und Furunkeln, wenn bei längerem Tragen der Stoffe auf bloßer Haut die Phenylsäure
lange genug einzuwirken vermag. Beim Bearbeiten dieser Stoffe zu Kleidungsstücken
kann sich dieser schädliche Einfluß nicht äußern. In dieser Beziehung ist die
Thatsache, daß zur Befestigung des Corallins auf Wolle und gemischte Stoffe wiederum
das arseniksaure Natron als Beize benutzt wird, von der größten Wichtigkeit, wodurch
auch die Beobachtung, daß der aus solchen Stoffen ausgezogene Farbstoff schädlicher
wirkt, als das Corallin selbst, eine hinreichende Erklärung findet. Das Arsen bleibt bei diesem Verfahren an der Faser haften und
erzeugt beim Tragen der betreffenden Stoffe die mit Bläschenbildung und späterer
Abschuppung verbundene
Hautreizung. Nothwendigerweise ist alsdann auch der aus der Gespinnstfaser
ausgezogene Farbstoff arsenhaltig. Es finden sich somit
in dieser Beziehung beim Corallin ganz dieselben
Verhältnisse, wie bei den Anilinfarben. Die
Verschiedenheit der Beobachtungen hinsichtlich der Wirkung des Corallins kann nur
dann richtig beurtheilt werden, wenn man den Farbstoff selbst, welcher auf irgend
eine Weise auf den Organismus eingewirkt hat, vor sich hat und einer chemischen
Analyse mit der gehörigen Sachkenntniß unterwirft.
Man würde aber unrecht handeln, wenn man als allgemeinen
Grundsatz aufstellen wollte: das Corallin ist
unschädlich und ungiftig.
Nirgends sind die medicinal-polizeilichen Maaßregeln nothwendiger, als im
Gebiete der Farbstoffe und ganz speciell bei den Anilin- und
Phenylfarbstoffen. So lange das Arsen nicht durch ein anderes, ebenso wirksames und
billiges Mittel ersetzt werden kann, wird man demselben stets und unter den
verschiedensten Verbindungen in der Farbetechnik begegnen. Es bleibt in dieser
Beziehung kein anderes wirksames Mittel übrig, als den Verkauf aller Stoffe, welche
mit arsenhaltigen Farben behandelt worden sind, zu verbieten. Dieses Verbot müßte
sich aber nicht auf einzelne Regierungsbezirke, sondern auf ganze Ländercomplexe
erstrecken. Nirgends ist eine internationale Verständigung nothwendiger, als bei der
Verwendung der giftigen Stoffe. Bei den jetzigen Bestrebungen für öffentliche
Gesundheitspflege sollte man solche schädliche Einflüsse, welche im Verborgenen und
desto sicherer wirken, mit derselben Schärfe und nachhaltigen Ueberwachung
verfolgen. Die Gifte, welche den Hausgeräthen, den Tapeten und Kleidungsstoffen
anhaften, berühren uns mehr oder weniger in jedem Augenblicke. Die Wiederholung auch
geringer, aber schädlicher Einwirkungen, häuft sich mit jedem Tage in ihren Folgen,
bis sich schließlich ein Krankheitsbild entwickelt, dessen Ursprung oft erst spät
entdeckt wird.
3) Das Azulin ist ein blauer Farbstoff, welcher in Wasser
unlöslich, in Alkohol und Aether und auch in concentrirter Schwefelsäure löslich
ist. Man stellt dasselbe durch Erhitzen eines Gemisches von Anilin und Corallin oder
Rosolsäure dar. Man steigert die Temperatur bis auf 180° C. und unterhält
dieselbe mehrere Stunden.
Azulin kann als Verunreinigung unzersetztes Anilin und vom
Corallin her Phenylsäure enthalten; die früher
aufgeworfenen Fragen müssen somit auch bei diesem Farbstoff beantwortet werden. Nur
ein verunreinigtes Azulin kann bei einer etwaigen Einwirkung desselben auf den
Organismus ein den Verunreinigungen entsprechendes Krankheitsbild erzeugen. Reines Azulin ist vollkommen unschädlich. Beim Färben mit Azulin gebraucht
man meistens nur Alaun als Beize.
4) Corallingelb ist dieselbe Substanz wie das rothe
Corallin, nur ist sein Farbeton mehr orangeroth. Da bei seiner Darstellung dieselben
Substanzen wie beim rothen Corallin angewendet werden und nur eine Abänderung in der
Manipulation selbst, verschiedene Temperatur, Dauer der Einwirkung etc. dabei
stattfindet, so treten dieselben Verunreinigungen beim Corallingelb wie beim rothen
Corallin auf.
5) Gelber Farbstoff von Fol. Die größte Beachtung verdient
ein von Fol
Répertoire de chimie appliquée, t.
IV p. 176; polytechnisches Centralblatt, 1869 S.
1166. dargestellter gelber Farbstoff, welcher eine Säure ist und mit Nasen rothe
Verbindungen eingeht. Zu seiner Darstellung erhitzt man 5 Th. Phenylsäure mit 3 Th.
getrockneter und fein gepulverter Arseniksäure 12 Stunden lang in einem offenen
eisernen Kessel bis auf 100°. Nach dieser Zeit steigert man die Temperatur 6
Stunden lang auf 125°. Wenn die Masse sich aufbläst und teigartig geworden
ist, fügt man 10 Th. käufliche Essigsäure von 7° Baumé hinzu. Man löst
die Schmelze in vielem Wasser, filtrirt sie durch ein Tuch und setzt Kochsalz im
Ueberschuß hinzu. Der Farbstoff wird dadurch in Flocken niedergeschlagen. Zur
Reinigung bindet man die Säure an Baryt und zersetzt das Barytsalz mit
Schwefelsäure. Der reine Farbstoff scheidet sich in braunrothen, lebhaft glänzenden
Blättchen aus. Er löst sich leicht in kaltem und warmem Wasser, in Aether, Alkohol
und Holzgeist auf. Nur in Benzol ist er unlöslich. Bei Gegenwart von kohlensauren
und caustischen alkalischen Erden färbt er Wolle und Seide vom dunkelsten Roth bis zum zartesten Hellroth. Für
sich allein färbt er gelb in den verschiedensten Nüancen.
Auch wird dieser Farbstoff häufig mit Rosolsäure und
anderen Farbstoffen versetzt, um braune Nüancen hervorzurufen.
Es ist leicht ersichtlich, daß dieser Farbstoff noch mit Arsenverbindungen verunreinigt seyn kann. Ebenso leicht wird er noch
überflüssige Phenylsäure enthalten. Werden mit einem
derartig verunreinigten Farbstoff Strümpfe oder Jacken gefärbt, so müssen die
verschiedensten Hautreizungen entstehen, wenn solche Stoffe auf der bloßen Haut
getragen werden. Abgesehen davon, daß die Darstellung dieses Farbstoffes von
sanitäts-polizeilicher Wichtigkeit ist, ist er auch an und für sich giftig,
da der Entdecker selbst ihn als ein Oxydationsproduct der
Phenylsäure ansieht.Die Dämpfe der erwärmten Phenyl- oder Karbolsäure wirken bei längerer
Einwirkung und hinreichender Concentration tödtlich auf Thiere ein. Ein
starkes Kaninchen, welches 15 Minuten lang denselben ausgesetzt
wurde, starb 8 Minuten nach dem Experiment unter Zuckungen und spasmodischer
Herz- und Respirationsthätigkeit. Der Tod erfolgt durch Bildung von
Capillarembolien, wodurch zunächst der kleine Kreislauf gestört und
aufgehoben wird. Bekannt ist die Eigenschaft der Phenylsäure, albuminöse
Gebilde überhaupt zu coaguliren. Ihre Einwirkung auf alle Schleimhäute ist
eine höchst irritirende. Ganz besonders werden die Augen angegriffen. Ein
starkes Kaninchen, welches 3 Stunden in einem Glaskasten verweilte, in
welchem 60 Grm. Phenylsäure in einer Schale zur Verdunstung kamen, wurde von
einer vollständigen Ophthalmoblenorrhoe befallen, welche ein Ektropium zur
Folge hatte. Die Cornea war erodirt und opalisirt. Erst nach 10 Tagen trat
Heilung ein. Die Phenylsäure unterscheidet sich in dieser Beziehung vom
Kreosot ganz bedeutend. Ein Meerschweinchen verweilte eine halbe Stunde in
den dichten Dämpfen von Kreosot, welches aus Buchentheer, bereitet war. Es
bildete sich hierdurch nur eine Reizung der Bronchien mit Schleimrasseln
aus. Die Augen blieben ganz intact. Auch das
Allgemeinbefinden erlitt keine weitere Störung; nur das Schleimrasseln in
den Bronchien hielt mehrere Tage an.
Da der Fol'sche Farbstoff so viele Gefahren in sich
schließt, so sollte er eigentlich ganz aus der Technik verdrängt werden und zwar um
so mehr, da I. Roth im Jahre 1863 ein Phenylbraun
entdeckt hat, welches durch Behandeln der Phenylsäure mit einem Gemisch von
Salpeter- und Schwefelsäure dargestellt wird und ohne Beizmittel zum Färben
der schönsten Nüancen in Braun und Gelb benutzt werden kann. Der Farbstoff stellt
eine braune, in Wasser unlösliche Substanz dar. Sowohl hinsichtlich der
Bereitungsweise, wenn dieselbe unter den gehörigen Vorsichtsmaßregeln geschieht, als
auch hinsichtlich seiner Einwirkung auf den thierischen Organismus ist das
Phenylbraun unschädlich.
6) Die Pikrinsäure, die nitrirte Phenylsäure wird durch
Behandeln des Phenylsäurehydrats mit Salpetersäure dargestellt. Sie gehört
unstreitig zu den Phenylfarben. Da bei ihrer Darstellung sich neben der Pikrinsäure
auch stets Oxalsäure bildet, so ist die rohe Pikrinsäure
stets oxalsäurehaltig. Beim Umkrystallisiren schießt die Pikrinsäure ziemlich rein
an, da die Löslichkeitsverhältnisse der Pikrin- und Oxalsäure sehr
verschieden sind. Weder eine von der Bereitungsweise herstammende Verunreinigung mit
geringen Mengen von Oxalsäure, noch ihre Befestigung auf Stoffe erhöht ihre
schädlichen Eigenschaften. Da sie schon an und für sich die Beize abgibt, so bedarf
sie keines anderen Beizmittels. Sie ist aber an und für sich ein stark wirkendes
Gift. Ein Meerschweinchen, welches 20 Minuten lang den Dämpfen von Pikrinsäure
ausgesetzt wurde, starb 2 1/2 Stunden nach dem Experiment. Ein junges
Meerschweinchen starb nach einer subcutanen Injection von 0,015 Grm. in wässeriger
Lösung binnen 11 Tagen. Bei einem starken Kaninchen, welchem 0,2 Grm. Pikrinsäure
innerlich gegeben wurde, trat der Tod nach 3 Stunden ein. Eine Taube, welche 0,1 Grm. erhielt, starb
nach 4 Stunden unter den fürchterlichsten Convulsionen.
Die Anwendung der Pikrinsäure sowohl in der Färberei, als auch in der Ernst-
und Lustfeuerwerkerei ist eine sehr große. In jüngster Zeit wird Seide nach dem Beizen mit Pikrinsäure durch ein Bleibad
genommen, wodurch sich schwerlösliches pikrinsaures
Bleioxyd auf die Seide niederschlägt. Man erstrebt dadurch eine
Gewichtszunahme, was man in der Färberei als „Schweren“ der
Seide bezeichnet. Früher war nur das Schweren der schwarzen Seide möglich. Die Einführung der Pikrinsäure in die Färberei
ermöglicht aber ein Schweren aller seidenen Stoffe, bei denen die Pikrinsäure in
Anwendung kommt, mag es sich um Gelb und Grün in den verschiedenen Nüancen oder um Hellbraun, Orange und Hochroth
handeln; ein Umstand, welcher namentlich bezüglich des Gebrauches der Nähseide von
sanitäts-polizeilicher Wichtigkeit ist.
7) Die Pikraminsäure, ein Derivat der Pikrinsäure, wird
durch Einwirkung reducirender Mittel (Schwefelwasserstoff und Schwefelammonium) auf
Pikrinsäure oder durch Einwirkung der Salpetersäure auf Aloë succotrina dargestellt. Sie stellt granatrothe, sehr glänzende
Nadeln dar, welche gepulvert orangeroth erscheinen. Sie ist im Wasser noch schwerer
löslich als Pikrinsäure. Durch die Darstellung kann ihre Giftigkeit nicht erhöht
werden; aber sie kann noch unveränderte Pikrinsäure enthalten, wodurch ihre
Giftigkeit vermehrt wird.
Bei ihrer Application auf Stoffe gebraucht man neben Eisen und Kupfer bisweilen auch
arseniksaures Natron, was man bei den mit dieser
Säure gefärbten Stoffen zu beachten hat.
Bezüglich der Einwirkung der Pikraminsäure auf den
thierischen Organismus ist die Thatsache höchst interessant, daß sie in größeren
Gaben nur Durchfall erzeugt; bei kleinen und lange fortgesetzten Gaben tritt jedoch
schließlich eine vollständige Pikrinsäurevergiftung ein,
indem sich aus der Pikraminsäure Pikrinsäure regenerirt.
Auf welche Weise dieser Vorgang stattfindet, läßt sich noch nicht erklären. Eine
Taube erhielt am ersten Tage 0,05 Grm., am zweiten Tage 0,1 Grm., am dritten Tage
0,15 Grm. und am vierten Tage 0,2 Grm. Pikraminsäure. Freßlust und allgemeines
Verhalten blieb ungestört. Höchstens konnte man einige Zuckungen, welche den Körper
leicht erschütterten, bemerken. Am 5. Tage trat nach einer abermaligen Gabe von 0,2
Grm. verminderte Freßlust und Erbrechen ein. Letzteres wiederholte sich aber nicht.
Am 6. Tage erhielt sie nochmals 0,2 Grm., so daß die gesammte Menge der
beigebrachten Pikraminsäure 0,9 Grm. betrug. Drei Stunden nach der letzten Gabe zeigten sich
Schwanken, Würgen, Schütteln und Convulsionen. Durch letztere wurde sie stets, was
auch bei der Pikrinsäurevergiftung der Fall ist, rücklings geschleudert. Die
heftigsten Krämpfe dieser Art hielten 8 Stunden lang an, worauf der Tod in der
Rückenlage unter starkem Tetanus eintrat. Bei der Section ergab die chemische
Analyse im Magen, in der Leber und im Kropfe einen ganz deutlichen Gehalt an Pikrinsäure, abgesehen davon, daß auch der übrige
Leichenbefund, wozu namentlich das von geronnenem und wenig flüssigem Blute
strotzende Herz, sowie die vorherrschend ausgesprochene Koagulation des Blutes in
den Venen gehört, mit dem bei der Pikrinsäurevergiftung übereinstimmte.
Aus allen diesen Thatsachen geht zur Genüge hervor, wie wichtig die Lehre von den
Theerfarben für die Medicinal- und Sanitäts-Polizei ist.