Titel: | Versuche über die Wirksamkeit des Süvern'schen Desinfectionsmittels. |
Fundstelle: | Band 197, Jahrgang 1870, Nr. XX., S. 82 |
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XX.
Versuche über die Wirksamkeit des Süvern'schen Desinfectionsmittels.
Ueber die Wirksamkeit des Süvern'schen
Desinfectionsmittels.
Die Frage nach den besten Mitteln, die menschlichen Abfälle unschädlich zu machen,
ist für viele Städte, welche sich bisher noch nicht für das eine oder andere
Verfahren entschieden haben, eine brennende, und es wird zu deren Entscheidung von
vielen Seiten das Experiment zu Hülfe genommen. So wurde in Berlin eine Reihe von
Versuchen zur Prüfung der Wirksamkeit von Desinfectionsmitteln angestellt, über
welche wir hier den Bericht des Hrn. Hausmann
wiedergeben, welcher die unter Leitung des Hrn. Virchow
im pathologischen Institut zu Berlin angestellten Versuche betrifft.
Die Süvern'sche MasseMan s. Dr. Grouven's
Bericht über die Zubereitung der Süvern'schen
Desinfectionsmasse, im polytechn. Journal, 1868, Bd. CLXXXVII S.
439. besteht aus Kalk, Chlormagnesium, Steinkohlentheer und Wasser. Die zu den
Versuchen benutzten Mischungen enthielten stets auf 240 Th. Wasser 100 Th. Kalk, 70,
40 oder 10 Th. Chlormagnesium und 18, 12 oder 6 Th. Theer. Es war die Aufgabe, die
Wirksamkeit dieser Masse und ihrer einzelnen Bestandtheile auf den Inhalt der
Abzugscanäle zu prüfen. In dieser Absicht wurde zunächst das nicht desinficirte
Canalwasser mit dem durch die Süvern'sche Masse
desinficirten verglichen.
Das nicht desinficirte Canalwasser bildete eine sehr trübe, grünlichgrau gefärbte
Flüssigkeit von außerordentlich üblem Geruche. Der mehr oder minder reichliche
Bodensatz war von schwarzer Farbe und bestand aus humificirten Pflanzenresten, Sand,
verschiedenen Küchenabfällen etc. An der Oberfläche der Flüssigkeit schwammen
Partikel von Holz, Stroh, Baumrinde und andere zufällige Gegenstände.
Die mikroskopische Untersuchung zeigte in einer großen Menge zu verschiedenen Zeiten
geschöpfter Proben regelmäßig einen gewissen Gehalt an organisirten Wesen.
Infusorien waren stets vorhanden, während höher organisirte Thiere niemals zur
Beobachtung kamen; nur selten wurden einige Rotatorien gesehen. Aus der Classe der
Algen waren die Diatomeen nur sparsam vertreten. Auch chlorophyllhaltige Algen waren
selten. Etwas häufiger waren einige der Gattung Protococcus angehörige Palmellaceen.
Ganz constant fanden sich Oscillarineen, meist sehr Basis aus Gelatine besteht;
hierzu ist das von Bourgogne gelieferte Präparat das
geeignetste. Man drückt diese Klebflüssigkeit mit den Fingern in die Fasern hinein
und wiederholt diese Behandlung mit dem anderen Ende des Bündels, indem man besorgt
ist das Klebmittel durch wiederholtes Zusammendrehen und Wiederaufdrehen der Fasern
gleichmäßig in allen Theilen derselben zu vertheilen; dabei muß man möglichst
vermeiden, die Fäserchen aus ihrer parallelen Lage zu bringen. Nach etwa zwölf
Stunden, wenn das Bündel trocken geworden ist, befestigt man es in einem Feilkloben,
dessen Backen mit einer cylindrischen Vertiefung versehen sind und macht mit einem
Rasirmesser rechtwinkelig zur Achse möglichst dünne Schnitte, die man auf einer
Glasplatte auffängt.
Nachdem Hr. Vétillart jeden der genannten
Faserstoffe unter das Mikroskop gebracht und seine Structur beobachtet hat, bringt
er sie in die bereits erwähnte Jodlösung, worauf blaue, violette oder gelbe
Färbungen zum Vorschein kommen.
Die von ihm erhaltenen Resultate sind nachstehende.
Flachs.
A. Die Fasern (Filamente) des
Leines oder Flachses, welche dem unbewaffneten Auge als einfach erscheinen, bestehen
in Wirklichkeit aus bündelweis vereinigten Fäserchen
(Fibrillen).
Diese letzteren lassen sich mittelst einer Nadel leicht von einander trennen.
Ihre Länge beträgt 1 bis 6 Centimet. und darüber; sie haben einen gleichmäßigen
Durchmesser und sind an den Enden zugespitzt; in der Mitte sind sie mit einem sehr
feinen Canale versehen.
Sie sind glatt; die beim Zerknittern oder Reiben entstehenden Falten bilden Streifen,
welche sich gewöhnlich kreuzen. Die Fasern vom unteren Ende des Stengels sind platt
und gestreift.
Durch Jod und Schwefelsäure werden die Flachsfasern blau,
zuweilen auch weinhefefarbig gefärbt; der Canal färbt sich gelb, weil er Körnchen
einschließt, welche diese Eigenschaft besitzen.
B. Die Querschnitte der
Flachsfaser bilden Polygone, welche nur schwach an einander haften; dieselben färben
sich auf Zusatz von Jod und Schwefelsäure blau, in der
Mitte gelb.
In Folge des geringen Anhaftens der Flachsfäserchen an einander, sowie ihres
gleichmäßigen Durchmessers und ihrer glatten Oberfläche läßt sich der gehechelte
Flachs zu Garnen von hohen Nummern verspinnen zahlreich. Die Pilze waren nur durch Hefeformen und einige
andere vertreten. Der Zahl nach am reichlichsten waren die sogenannten Schizomyceten
vertreten; besonders häufig, jeden Tropfen der Flüssigkeit belebend, zeigten sich
Batterien. Außerdem fanden sich einzellige Vibrionen mit meist kreisender Bewegung,
kleine Stäbchen mit nicht deutlicher Gliederung und schlängelnder Bewegung und
kleine, fast punktförmig erscheinende ruhende Zellen.
Die desinficirten Abflußwässer wurden in sechs Proben untersucht, welche zu
verschiedenen Tagesstunden und an verschiedenen Tagen der Woche geschöpft waren.
Die Proben waren sämmtlich klar und farblos, und rochen vorherrschend nach
Steinkohlentheer. Nach einiger Zeit bildete sich in ihnen ein gelblich-weißer
Bodensatz und an der Oberfläche ein zartes Oberhäutchen, aus Krystallen von
kohlensaurem Kalk – in Arragonitform – bestehend.
Die organisirten und nicht organisirten Verunreinigungen des Canalwassers fehlten in den Abflußwässern gänzlich. Die Flüssigkeiten
waren sehr stark alkalisch, vorzüglich durch einen Gehalt an Kalk. Das Oberhäutchen,
welches durch Einwirkung der atmosphärischen Kohlensäure entstand, sank allmählich
zu Boden, bildete sich aber auf's Neue wieder. Durch diesen Vorgang wurden die aus
der Luft zugeführten Vibrionen und anderen Organismen in den Bodensatz mit hinab
gezogen. So konnten die Abflußwässer meist 8 bis 10 Tage aufbewahrt werden, ohne daß
sich in ihnen Zersetzungs-Organismen entwickelt hätten. Nach längerer Zeit,
besonders bei warmer Witterung, zeigten sich allerdings reichliche Mengen von
Batterien. Durch sorgfältigen Verschluß gegen die atmosphärische Luft gelang es
aber, die Flüssigkeit weit länger vollkommen rein zu erhalten.
Der Kalkgehalt des Süvern'schen Mittels ist offenbar von
der größten Wichtigkeit für die Zerstörung und Verhinderung des organischen Lebens.
Der Kalk bewirkt nämlich bei der Desinfection einen Niederschlag im Canalwasser und
begräbt sämmtliche Organismen im Bodensatz. Diese Wirkung des Kalkes wurde noch
näher erwiesen durch folgende, mit den einzelnen Bestandtheilen der Süvern'schen Masse ausgeführte Versuche:
Zunächst wurden zu 200 Grm. Canalwasser 20 Grm. Chlormagnesium gesetzt. Die
Flüssigkeit blieb trübe, und die mikroskopische Untersuchung zeigte weder sogleich,
noch an den folgenden Tagen die geringste Einwirkung auf die in der Flüssigkeit
enthaltenen Organismen. Ebenso wenig günstig war der Zusatz von 10 Grm. Theer zu 100
Grm. Canalwasser.
Auch hier blieb die Flüssigkeit trübe. Anfangs zeigte die mikroskopische
Untersuchung, daß selbst auf die größeren Infusorien keine Einwirkung stattgefunden
hatte. Nach einigen Tagen fanden sich zwar diese getödtet und auch die Oscillarien
hatten ihre Bewegungen eingestellt; aber die niederen Infusorien lebten noch und die
Batterien zeigten noch lebhafte Bewegungen. Eine Verbindung der beiden Substanzen
war in gleicher Weise erfolglos.
Anders verhielt sich jedoch das Canalwasser, wenn zu 400 Grm. desselben 10 Grm. einer
Kalklösung (100 Kalk auf 240 Wasser) gesetzt wurden. Es entstand nämlich nun
sogleich ein starker, scharf markirter Bodensatz von schmutzig-weißer Farbe,
über welchem sich die Flüssigkeit wasserhell klärte. Während die Klärung erfolgte,
entstand ein starker Geruch nach Ammoniak; an der Oberfläche bildete sich bald ein
Häutchen von kohlensaurem Kalk. Eine bald angestellte mikroskopische Untersuchung
ergab, daß die Flüssigkeit vollkommen rein von jeder Art thierischer und
Pflanzlicher Organismen war. Im Bodensatz fanden sich die oben beschriebenen
Pflanzen und Thiere, theils in sehr geschrumpftem Zustande, alle ohne Bewegung.
Sechs Tage lang konnte bei der täglichen Untersuchung keine wesentliche Veränderung
wahrgenommen werden. Erst am zehnten Tage begann eine reichliche Entwickelung von
Batterien, welche von da an zunahmen. Pilze und Algen, sowie Infusorien wurden auch
nach längerer Zeit nicht bemerkt.
Wurde dem Kalk noch Chlormagnesium zugesetzt, so blieben die Erscheinungen die eben
beschriebenen; nur wurde bei der Klärung keine Ammoniak-Entwickelung bemerkt.
Ein Zusatz von Theer zum Kalk hingegen konnte die Ammoniak-Entwickelung nicht
hindern; die Flüssigkeit wurde von ihren Organismen befreit, wie bei Anwendung von
Kalk allein; der Theer hatte aber zur Folge, daß die Entwickelung der Organismen in
der Flüssigkeit fünf Wochen lang verhindert wurde.
Diese Versuche beweisen, daß der Kalk allein eine vollkommene Klärung des
Cloaken-Inhaltes bewirkt, jede Art organischen Lebens tödtet und seine
Entwickelung auf eine Zeit von etwa 10 Tagen verhindert. Ein starker Geruch nach
Ammoniak, welcher sich bei der Desinfection mit bloßem Kalk entwickelt, wird durch
Zusatz von Chlormagnesium vermieden. Der Zusatz von Theer endlich bewirkt, daß die
Entwickelung von Zersetzungs-Organismen auf verhältnißmäßig längere Zeit
verhindert wird.
Zur Ermittelung der relativen Menge der Desinfectionsmasse, welche zur vollkommenen
Desinfection einer bestimmten Quantität Canalwasser nothwendig ist, angestellte
Versuche ergaben, daß im Durchschnitt auf 1000 Gewichtstheile Canalwasser 10
Gewichtstheile der Süvern'schen Mischung erforderlich waren.
Proben mit verschieden zusammengesetzten Mischungen zeigten, daß, wenn das
Chlormagnesium gänzlich fehlte, keine so vollständige Klärung der Flüssigkeit
eintrat; doch waren schon 10 Th. Chlormagnesium auf 100 Th. Kalk ausreichend. 6 Th.
Theer in der Mischung genügten immer, um die Entwickelung von Vibrionen und anderen
Organismen auf lange Zeit zu verhindern.
Bei den relativ hohen Preisen des Chlormagnesiums und des Theeres wäre es
wünschenswerth, diese beiden Substanzen gänzlich entbehren zu können. Das
Chlormagnesium ist aber ein dringend nothwendiger Bestandtheil des Süvern'schen Mittels. Es fixirt das Ammoniak und
verhindert so den üblen Geruch und erhält dem Bodensatz eine große Menge sonst
verloren gehenden Stickstoffes.
Ganz anders verhält es sich mit dem Theer. Wir sahen schon oben, daß der Kalk allein
auf eine Reihe von Tagen eine vollkommene Tödtung der Zersetzungs-Organismen
bewirkt und deren Neubildung hindert. In Fällen wo man kein Interesse daran hat, das
desinficirte Abflußwasser lange in Cisternen aufzubewahren, sondern wo dasselbe bald
in einen Fluß geleitet werden kann, ist der Theer volkommen überflüssig, ja für den
zurückbleibenden Dünger schädlich. (Virchow's Archiv,
October 1869.)
Nachtrag.Feldbau-Versuche mit dem Rückstande des nach dem Süvern'schen Verfahren
desinficirten Cloakenwassers von Berlin.
Der zu den Feldbau-Versuchen mit dem Rückstande des nach
dem Süvern'schen Verfahren gereinigten Cloakenwassers der
Königsgrätzerstraße zu Berlin verwandte Boden ist ein gleichmäßiger lehmiger Sand
des Rittergutes Lichtenberg, welcher in den letzten 4 Jahren Leindotter, Rübsen,
Raps, Weißweizen, und zwar 1868 15 Scheffel Weißweizen pro Morgen, letzteren ohne Dünger getragen hatte, während der Boden seit
13 Jahren wesentlich mit Mineralien und gekochten Stoffen bedüngt wurde.
Derselbe wurde zu den Versuchen dreimal gepflügt, dreimal
gekrümmert und dadurch rein und gut vorbereitet.
Am 17. und 18. Juni 1869 wurde der im breiigen Zustande von der
Berliner Feuerwehr gelieferte, theerig riechende, schmutzig graue, circa 50 Proc. Wasser haltende Rückstand gewogen, nach
Mischung mit trockener, von den resp. Versuchsbeeten entnommener Erde mittelst der
Hand ausgestreut, untergepflügt, das Land abgeeggt und mit 1/2 Metzen Leindotter pro Morgen in 8 Zoll Entfernung bedrillt.
Die Versuchsbeete waren so angelegt, daß ein gedüngtes mit einem
ungedüngten Beete von 1/2 Morgen Größe wechselte.
Auf den preußischen Morgen berechnet, wurden angewendet: 3, 6, 9,
12, 15 und resp. 90 Ctr. Rückstand pro Morgen.
Der Dotter auf den ungedüngten Versuchsbeeten ging rascher auf und
wuchs anfangs freudiger, zuletzt waren bei der für die späte Einsaat günstigen
Witterung alle Versuchsbeete gut und für das Auge gleichmäßig bestanden.
Die am 22. September 1869 beendeten Feldbau-Versuche
ergaben folgendes Resultat:
Pro Morgen
Leindotter pro
Morgen
KörnerPfd.
SpreuPfd.
StrohPfd.
ungedüngt
gab Ertrag
618
345
828
–––––
–––––––––
––––––––
3 Ctr. Rückstand
„
„
600
372
780
6
„ „
„
„
612
312
810
9
„ „
„
„
570
330
840
12
„ „
„
„
561
333
750
15
„ „
„
„
615
363
740
90
„ „
„
„
516
327
960
–––––
–––––––––
––––––––
zusammen
3474
2037
4880
durchschnittlich
579
389 1/2
813 2/3
–––––
–––––––––
––––––––
ungedüngt mehrpro
Morgen
39
5
1/2
14
1/3
Daraus ergibt sich, daß die Düngung mit dem Rückstande von dem
nach dem Süvern'schen Verfahren gereinigten Berliner
Cloakenwasser unter den gegebenen Verhältnissen bei Anwendung von 3 bis 15 Ctr.
Rückstand pro Morgen ohne günstigen Erfolg, bei
Anwendung von 90 Ctr. pro Morgen nachtheilig für die
Körnerbildung, günstig für die Strohbildung des Leindotters war.
Der Düngerwerth der Masse ist Angesichts der schwierigen
Handhabung und Vertheilung und seiner physikalischen Fehler, nämlich seiner starken
Volumenveränderung, Durchlässigkeit und Hitzigkeit für Sommerfrucht im Sandboden
nicht erfindlich.
Die chemischen Verbindungen des Rückstandes erscheinen schwer
löslich und der Vegetation zuerst feindlich. Etwas mehr Erfolg läßt sich von der
Düngung zu Winterfrüchten wegen der längeren, nässeren und kühleren Vegetationszeit
derselben erwarten. Dergleichen Feldbau-Versuche sind hier im Gange.
Einen nennenswerthen Handelswerth
dürfte der Rückstand nicht erlangen, weil sein Düngerwerth nach obigen Versuchen
nicht einmal den schwierigen Transport der breiigen, quecksilberartigen Masse aus
der nahen Stadt Berlin lohnt. Roeder. (Amtliches
Vereinsblatt der landwirthschaftlichen Provincial-Vereine für die Mark
Brandenburg etc.)