Titel: | Ueber die Einwirkung der Salpetersäure auf Toluidin; von Prof. M. Ballo. |
Autor: | M. Ballo |
Fundstelle: | Band 197, Jahrgang 1870, Nr. LXIII., S. 278 |
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LXIII.
Ueber die Einwirkung der Salpetersäure auf
Toluidin; von Prof. M. Ballo.
Ballo, über Einwirkung der Salpetersäure auf Toluidin.
Die Bildungsweise der Pikrinsäure aus Anilin und des Binitronaphtols (man s. dieses
Journal Bd. CXCIV S. 504) aus Naphtylamin, ließ auch die analoge Bildung eines
Nitrokresols aus Toluidin voraussetzen. Meine in dieser Richtung angestellten
Versuche bestätigen diese Vermuthung.
Toluidin löst sich in reiner, ganz farbloser Salpetersäure von 1,35 spec. Gewicht
unter Erwärmung und die Lösung erstarrt nach dem Abkühlen zu farblosen Krystallen,
welche von der Mutterlauge getrennt, aus Alkohol oder Wasser umkrystallisirt werden
können. Man erhält so den Körper in zolllangen, glänzenden, farblosen schiefen
vierseitigen Prismen, die oft kurz sind und dann eine dem Calcit sehr ähnliche Form
annehmen. Seine wässerige, sowie alkoholische Lösung gibt mit Platinchlorid gelbe,
schuppig-krystallinische Niederschläge, welche verschiedenen Platingehalt
besitzen.Die betreffenden Zahlen gebe ich gegenwärtig noch nicht an, da ein näheres
Studium dieser Verbindung erst nach den Schulferien vorgenommen werden
kann. Die Platinverbindungen entwickeln beim Erhitzen zunächst viel Salzsäure,
gerathen dann aber plötzlich an einem Ort in's Glühen, welches sich auch nach der
Entfernung der Flamme durch die ganze zusammenhängende Masse fortpflanzt. Nach
dieser Art Selbstverbrennung bleibt reines Platin zurück.
Erhitzt man die Lösung des Toluidins in Salpetersäure einige Zeit bis zum Kochen,
aber nur so lange, als sich noch keine rothen Dämpfe
zeigen, so wird dieselbe immer mehr braun und nach dem Verdünnen mit Wasser trüb,
ohne erhebliche Mengen harziger Stoffe abgeschieden zu haben, und ohne beim Kochen
mit Wasser Stickgas zu entwickeln, zum Beweise dafür, daß Diazoverbindungen noch
nicht gebildet wurden.
Setzt man aber das Kochen der salpetersauren Lösung des Toluidins bis zum Auftreten
der rothen Dämpfe fort, so beobachtet man dieselben Erscheinungen wie bei dem
Naphtylamin: es scheidet sich an der Oberfläche der Flüssigkeit ein Kuchen aus, der
sich nach dem Verdünnen und Kochen mit Wasser unter sehr lebhafter
Stickstoffentwickelung erheblich vermehrt, während die Flüssigkeit immer heller
bräunlich wird. – Zur Analyse dieses Productes wurde nur das während der
Stickgasentwickelung ausgeschiedene angewandt und dabei Zahlen erhalten, die der Binitroverbindung
C⁷H⁵ (NO²)² OH entsprechen.
Dieses Binitrokresol scheint mit dem von den HHrn. Martius
und Wichelhaus (Berichte der deutschen chemischen
Gesellschaft, 1869 S. 206; polytechn. Journal Bd. CXCIII S. 143) untersuchten und im
Handel vorkommenden identisch zu seyn. Es bildet gelbliche Krystallnadeln, welche in
kaltem Wasser beinahe unlöslich sind, sich aber in heißem mit gelber Farbe lösen; am
leichtesten wird es von heißem Alkohol mit tiefgelber Farbe aufgenommen.
In Ammoniakwasser löst es sich leicht mit brauner Farbe und wird daraus durch Säuren
wieder abgeschieden. Es schmilzt beim Erwärmen unter Wasser und die alkoholische
Lösung wird auf Zusatz von Cyankalium tief braunroth gefärbt.
So wie früher bei der Naphtylaminreaction, ließ sich auch hier in den von dem
Binitrokresol abfiltrirten Flüssigkeiten die Gegenwart von
Ammoniaksalzen nachweisen. Dieser Umstand gab mir damals die Veranlassung
zur Erklärung dieser Reaction nach folgender Gleichung:
C¹⁰H⁷ . NH² + 3NHO³ =
C¹⁰H⁵(NO²)² . OH + (NH⁴)NO³ +
H²O.
Dem entsprechend würde die Bildung des Binitrokresols so erfolgen:
C⁷H⁷ . NH² + 3NHO³ =
C⁷H⁵(NO²)² . OH + (NH⁴)NO³ +
H²O,
endlich die der Pikrinsäure aus Anilin:
C⁶H⁵ . NH² + 4NHO³ =
C⁶H²(NO²)³ . OH + (NH⁴)NO³ +
2H²O.
Es ist nun nichts verlockender, als die Umwandlung der aromatischen Monamine in die
Nitroderivate der entsprechenden Hydroxylverbindungen zu verallgemeinern:
CnHm . NH² + x NHO³ = CnHm – (x – 1) (NO²)x–1 OH + (NH⁴) NO³ + (x
– 2) H²O.
Dieses war der Gedankengang welcher mich die Einwirkung der Salpetersäure auch auf
das Toluidin auszudehnen veranlaßte. Allein das Auftreten von Diazoderivaten bei
dieser Reaction, sowie der Umstand, daß in den bei der Einwirkung der Säure auf die
Basen zunächst gebildeten und vor dem Verdünnen mit
Wasser abgehobenen Kuchen meist nur fremde, in Alkohol beinahe unlösliche Körper
enthalten sind, läßt einen Vorgang vermuthen, welcher, obwohl ebenfalls allgemein,
anders verlaufen dürfte, als es die obigen Gleichungen verlangen. Gegenüber der
heftigen und ohne Zweifel complicirten Einwirkung der Salpetersäure auf die
genannten Basen, ist es gegenwärtig freilich schwer von bestimmten Processen zu
sprechen; aber die Annahme daß ein Theil der Basen zunächst unter Ammoniakbildung zu harzigen und anderen Producten oxydirt wird, und die partiell
reducirte Salpetersäure resp. Salpetrigsäure, die Umwandlung der übrigen Basenmenge
in eine Diazoverbindung bewirkt, welche dann bei Behandlung mit Wasser die bekannte
Zersetzung erleidet, ist zu ungezwungen und den Umständen zu angepaßt, als daß man
ihr den Vorzug vor der obigen Annahme absprechen könnte,
Wenn nun hiernach die Bildung von Binitronaphtol und Binitrokresol unter den von mir
angegebenen Umständen vom theoretischen Standpunkte jeden Anspruch auf Neuheit
verliert, so dürften diese Processe dem Praktiker gegenüber ihre Bedeutung doch
behaupten. Indem nämlich hierdurch die Anwendung der salpetrigsauren Salze –
freilich auf Kosten des einen Theiles der angewandten Basen – gänzlich
vermieden wird und der Proceß bei weitem nicht jene Aufmerksamkeit erfordert, wie
die bisher befolgten Methoden: so bleibt nur zu entscheiden übrig, welcher Umstand
kostspieliger sey, der Verlust eines Theiles der Base, oder der Verbrauch an
salpetrigsauren Salzen?
Pest, im Juli 1870.