Titel: | Ueber die Einwirkung des Wasserdampfes auf das Eisen und des Wasserstoffes auf das Eisenoxyd; von H. Sainte-Claire Deville. (Erste und zweite Abhandlung.) |
Fundstelle: | Band 198, Jahrgang 1870, Nr. XXXII., S. 139 |
Download: | XML |
XXXII.
Ueber die Einwirkung des Wasserdampfes auf das
Eisen und des Wasserstoffes auf das Eisenoxyd; von H. Sainte-Claire Deville. (Erste und zweite
Abhandlung.)
Im Auszug aus den Comptes rendus, t. LXX p. 1105 et 1201;
Mai und Juni 1870.
Deville, über die Einwirkung des Wasserdampfes auf das Eisen und
des Wasserstoffes auf das Eisenoxyd.
Ich habe die Einwirkung des Wasserdampfes auf metallisches Eisen einer sorgfältigen
Prüfung unterworfen. Bei den Versuchen befand sich das zu verdampfende Wasser in
einem an einem Ende verschlossenen Glasrohr, welches nahe dem verschlossenen Ende
retortenförmig umgebogen war. Das offene Ende dieses Rohres war luftdicht mit einem
Porzellanrohre in Verbindung gebracht, in welches ein mit dem zu verwendenden Eisen
angefülltes Platinschiffchen eingeführt war. An das andere Ende des Porzellanrohres
schloß sich ein als Manometer dienendes, 90 Centimeter langes, mit dem unteren Ende
in Quecksilber tauchendes Glasrohr an. Ein an das Manometerrohr seitlich
angeblasenes Rohrstück gestattete das Innere des Apparates mit einer Geißler'schen oder Sprengel'schen Luftpumpe in Verbindung zu setzen, und außerdem waren
Vorrichtungen vorhanden, um die Röhren mit einem beliebigen Gase, insbesondere mit
Wasserstoffgas, anzufüllen. Die kleine, das Wasser enthaltende Retorte tauchte
entweder in schmelzendes Eis oder in auf konstanter Temperatur erhaltenes Wasser;
immer aber war die Temperatur dieses Wassers unter der Temperatur der umgebenden
Luft, damit außerhalb der Retorte innerhalb des Apparates nirgends eine Condensation
von Wasserdampf stattfinden konnte.
Um das mit dem Eisen beschickte Porzellanrohr zu erwärmen, diente, so lange es sich
um Temperaturen unter 300°C. handelte, ein Oelbad oder besser ein
Quecksilberbad; dasselbe wurde mittelst eines Gasbrenners geheizt, dessen Speisung
durch den sich vorzüglich bewährenden Schlösing'schen
Apparat regulirt wurde. Bei Anwendung der Temperaturen von 360°, beziehentlich
440°, wurde das Porzellanrohr den Dämpfen siedenden Quecksilbers,
beziehentlich Schwefels, ausgesetzt, und bei Anwendung noch höherer Temperaturen
wurde dasselbe in Gefäße eingeschlossen, in denen Cadmium (860°C.) oder Zink
(1040°C.) verdampfte. Zur Hervorbringung noch höherer Temperaturen wurde das
Porzellanrohr der directen Wirkung der Flamme brennenden Mineralöles ausgesetzt,
dessen Zufluß mittelst graduirter Hähne regulirt wurde.Man sehe die Beschreibung des Deville' schen
Rostes oder Ofens zum Heizen mit Mineralöl, im polytechn. Journal, 1869, Bd.
CXCI S. 28. So konnte die Temperatur bis zum Schmelzpunkt des
Eisens gesteigert werden, bei welchem gute Porzellanröhren noch nicht erweichen.
Es wurde somit vollkommen reines Eisen mit Wasserdampf von bekannter Spannung
behandelt und dabei das Eisen während der Dauer eines Versuches auf einer constanten
Temperatur erhalten, wogegen die Temperatur bei verschiedenen Versuchen zwischen 150
und circa 1600°C. variiren konnte. Hierbei
gelangte ich zu folgenden Resultaten:
1) Wenn man irgend eine Gewichtsmenge von reinem Eisen der Einwirkung von Wasserdampf
aussetzt, so wird das Eisen so lange oxydirt, bis die Tension des frei gewordenen
Wasserstoffes einen constanten Werth erlangt. Diese Tension kann einen sehr kleinen
Bruchtheil des Barometerstandes ausmachen.
Da die Tension von der Menge des in Reaction befindlichen Eisens absolut unabhängig
ist, so kann man behaupten, daß die von Berthollet unter
dem Namen „Wirkung der Massen“ in die Wissenschaft eingeführte
Hypothese zur Erklärung der in Rede stehenden Erscheinung nicht dienen kann.
Ueberhaupt bin ich überzeugt, daß der Einfluß der Massen oder richtiger der
relativen Gewichtsmengen, in welchen die auf einander reagirenden Substanzen
vorhanden sind, bei Erklärung chemischer Erscheinungen absolut als nicht vorhanden
sich herausstellen wird, da er sich überall als nicht existirend erweist, wo er
durch einen präcisen Versuch zu ermitteln seyn müßte. Als im vorliegenden Falle 1
Grm. Wasser successiv mit 10, 100, 1000 Grm. fein zertheiltem, rothglühendem Eisen
in Berührung gebracht wurde, zersetzte sich nicht mehr Wasser als nöthig war, damit
die Tension des Wasserstoffes in dem ihm angewiesenen Raume denjenigen Maximalwerth
erreichte, welcher der Temperatur des Eisens entsprach. Hiernach verhält sich das
Eisen bei diesen Versuchen, wie wenn es, entsprechend den Gesetzen der Dampfbildung,
einen Dampf (Wasserstoff) entwickelte.
2) Wenn die einer gegebenen constanten Temperatur entsprechende Maximalspannung des
Wasserstoffes erreicht ist, und wenn darnach dem Apparat eine Quantität Gas rasch
entzogen wird, so sinkt der Druck innerhalb des Apparates momentan, stellt sich aber
in Folge der Zersetzung einer neuen Quantität aus der Retorte verdampfenden Wassers
bald wieder her. Preßt man umgekehrt Wasserstoff in den Apparat hinein, so daß der
Druck innerhalb desselben momentan steigt, so sinkt er doch bald wieder auf die
ursprüngliche Höhe zurück, indem durch den überschüssigen Wasserstoff eine Quantität
des gebildeten Eisenoxydes unter Rückbildung von Wasser, welches sich in der Retorte
condensirt, reducirt wird. Der in Berührung mit dem Eisen gebildete Wasserstoff
folgt also auch hier den Gesetzen der Dampfbildung, ebenso wie Wasser, welches bei
constanter Temperatur in einem variablen Raume eingeschlossen ist, und welches
verdampft, beziehentlich wieder verdichtet wird, so daß der Raum immer gesättigt
bleibt.
3) Wenn man Wasserdampf von bestimmter Spannung mit Eisen von constanter Temperatur
in Berührung bringt, so kann man den in den Apparat eingeschlossenen feuchten
Wasserstoff auf irgend welche beliebige Temperatur bringen, ohne daß der Druck im
Apparate variirt (vorausgesetzt daß man nicht eine Condensation von Wasser
veranlaßt). Wenn man z.B. den Apparat erwärmt, so daß sich die Spannung des Gases
momentan vermehrt, so condensirt sich der Wasserstoff auf dem Eisenoxyde, und seine
Tension kehrt zu dem Maximalwerth zurück, welcher der Temperatur entspricht, auf der
sich das Eisen befindet. Es stellt sich also eine vollkommene Analogie mit dem Watt'schen Gesetze heraus, und eines der wichtigsten
Gesetze der Dampfbildung erfährt eine neue Anwendung.
Man begegnet hier derselben Erscheinung, welche Debray bei
der Dissociation des kohlensauren Kalkes constatirt hat, welche Isambert bei seinen Untersuchungen über die Dissociation
ammoniakalischer Verbindungen bestätigt fand, und auf welche Lamy die Construction seines Thermometers basirt hat.Man sehe Lamy's Abhandlung über eine neue Art von
Thermometern, im polytechn. Journal Bd.
CXCV S. 525 (zweites Märzheft 1870). Ich war bei dieser
Versuchsreihe lediglich von der Ueberzeugung geleitet, daß alle Aenderungen des
Zustandes der Materien große Analogien darbieten müssen, da sie sämmtlich von einer
gemeinsamen Erscheinung, dem Frei- oder Latentwerden von Wärme, begleitet
sind.
In der bis jetzt besprochenen Versuchsreihe wurde während jedes einzelnen Versuches
sowohl die Temperatur des Eisens als auch die Spannung des Wasserdampfes constant
erhalten. Im Folgenden sollen nun die Erscheinungen dargelegt werden, welche
eintreten, wenn man das
Eisen successiv auf die Temperaturen 150, 265, 440, 860, 1040° und endlich
auf die höchste Temperatur, welche das Porzellanrohr verträgt, bringt, während
andererseits die Spannung des Wasserdampfes constant, nämlich = 4,6 Millimeter
(entsprechend der Temperatur von 0°) erhalten wird.
Bei 150° wird das Eisen entschieden angegriffen; aber die Wirkung geht so
langsam vor sich, daß exacte Messungen äußerst schwierig sind. Diese sehr langsam
fortschreitende, aber vielleicht beträchtliche Zersetzung des Wassers durch das
Eisen bei 150° vermag wohl die eigenthümliche Thatsache zu erklären, daß das Metall der in der Marine angewendeten Dampfkessel so
leicht unter dem Einflusse des destillirten Wassers leidet.
Bei 200° wird die Tension des feuchten Wasserstoffes constant, wenn sie dem
Druck einer Quecksilbersäule von 100 Millimetern entspricht; man muß jedoch mehrere
Tage ununterbrochen fort erhitzen, um zu diesem Endresultat zu gelangen.
Bei 265° fixirt sich der Maximaldruck in etwas kürzerer Zeit auf 68,8
Millimeter.
Bei 360° findet die Wasserstoff-Entwickelung so lange statt, bis das
feuchte Gas eine Spannung von 45 Millimetern erreicht hat, und zwar genügt es, die
Temperatur einige Stunden zu erhalten, um dieses Druckmaximum eintreten zu
sehen.
Bei noch höheren Temperaturen stellt sich das Spannungsmaximum noch rascher ein; die
fernere Abnahme desselben bei höheren Temperaturen ergibt sich aus folgender
Tabelle:
TemperaturdesEisens
TensiondesWasser-dampfes
Tensiondes feuchtenWasserstoffes,w.
W.w. V. = wachsendes Volum, d.h. übergehend von der Leere zum Maximum
der Spannung.
Tensiondes feuchtenWasserstoffes,a.
W.a. V. = abnehmendes Volum, d.h. beim Uebergange von einer höheren
Spannung als dem der angewendeten Temperatur entsprechenden
Spannungsmaximum.
Tensiondes trokenWasserstoffes
Gewichtdes ange-wendetenEisens
Sauerstoff,welcher demWasser
entzogenwurde
Grm.
Grm.
150
4,6
?
–
–
–
–
200
„
100,5
–
95,9
15,00
–
265
„
68,8
–
64,2
6,58
–
360
„
45,0
49,0
40,4
7,80
–
440
„
30,4
31,9
25,8
7,80
–
860
„
17,4
17,7
12,8
3,92
0,22
1040
„
13,8
13,5
9,2
11,30
0,38
1600?
„
9,7
9,7
5,1
11,30
–
Die Versuche führen also zu dem überraschenden Resultate, daß das Eisen um so weniger
Wasser zersetzt, je höher seine Temperatur ist. Nach der in der Chemie adoptirten
Redeweise würde man also sagen: die Verwandtschaft des Eisens zum Sauerstoff des
Wassers nimmt bei wachsender Temperatur ab. Ich beabsichtige in einer nächsten
Abhandlung die Schlüsse darzulegen, welche sich für die Thermochemie aus diesen
Thatsachen ergeben.
Ueber eine Temperatur von circa 1600° hinaus
konnte ich die Versuche nicht fortsetzen. Construirt man jedoch die Curve, welche
die Variationen dieser Erscheinung zur Anschauung bringt, indem man die Temperatur
des Eisens als Abscissen und die entsprechenden Spannungsmaxima des Wasserstoffes
als Ordinaten nimmt, so sieht man, daß sich die Curve regelmäßig der Abscissenachse
nähert, und daß das Eisen bei einer Temperatur, die nicht unerreichbar ist, das
Wasser nicht mehr zersetzen wird.
Endlich habe ich eine Reihe von Versuchen ausgeführt, bei welchen die Spannung des
angewendeten Wasserdampfes größer war als 4,6 Millimeter. Ein Vergleich der
Ergebnisse dieser Versuche mit denen der vorher besprochenen läßt erkennen, daß bei
constanter Temperatur des Eisens irgend eine Proportionalität zwischen den Tensionen
des Wasserstoffes und den entsprechenden Tensionen des Wasserdampfes nicht
stattfindet. Also die Massen oder relativen Mengen des Wasserstoffes und
Wasserdampfes sind nur ihren respectiven Tensionen proportional. Es findet mithin
auch hier das Berthollet'sche Gesetz der Massenwirkung
keine Bestätigung.
Weiter ergibt ein Vergleich der Resultate der verschiedenen Versuchsreihen noch
folgende Thatsache: Wasser wird bei höheren Temperaturen durch das Eisen nicht nur
unvollständiger zersetzt, als bei niederen Temperaturen, sondern wenn man die
Tension des Wasserdampfes steigert, so wächst die Tension des Wasserstoffes bei
niederen Temperaturen um so rascher.