Titel: Ueber die Anilin- oder Theerfarben; von W. H. Perkin.
Fundstelle: Band 198, Jahrgang 1870, Nr. CIV., S. 430
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CIV. Ueber die Anilin- oder Theerfarben; von W. H. Perkin. Nach Chemical News, Juli 1870, S. 17 u. 29; aus dem polytechnischen Centralblatt 1870 S. 1344. Mit Abbildungen auf Tab. VI. Perkin, über der Anilin- oder Theerfarben. Unter der vorstehenden Ueberschrift gibt Perkin in einer durch mehrere Nummern der Chemical News sich hindurch ziehenden Abhandlung eine Zusammenstellung der Eigenschaften der Bestandtheile des Steinkohlentheeres und der Methoden ihrer Gewinnung, sowie ihrer weiteren Verarbeitung und Verwendung. Mit Uebergehung dessen, was den Lesern dieser Zeitschrift bekannt seyn dürfte, möge aus dieser Abhandlung hier zunächst Dasjenige Erwähnung finden, was der Verf. über die Gewinnung von Nitrobenzol aus Benzol mittheilt: Nitrobenzol wurde anfangs durch Einwirkung von rauchender Salpetersäure auf Benzol dargestellt. Einerseits setzte jedoch die Heftigkeit der hierbei eintretenden Reaction der im größeren Maaßstabe betriebenen Fabrication wesentliche Schwierigkeiten entgegen, und andererseits erlangte die rauchende Salpetersäure von 1,5 spec. Gewicht einen so hohen Preis, daß ihre Verwendung unmöglich wurde. Man brachte daher statt ihrer zwei Mischungen in Anwendung, nämlich eine Mischung von Natronsalpeter und Schwefelsäure und eine Mischung von gewöhnlicher Salpetersäure (1,3 spec. Gewicht) und Schwefelsäure. Die erstere Mischung erhielt zunächst den Vorzug. Der zur Fabrication von Nitrobenzol zuerst angewendete Apparat ist durch Fig. 19 der bezüglichen Abbildungen dargestellt. Er besteht aus einem weiten, gußeisernen, mit einem Rührer b versehenen Cylinder a; derselbe wird durch einen Deckel c; mit Hülfe eines Querbalkens d und mittelst Schrauben verschlossen. Er faßt 30 bis 40 Gallons und ist mit zwei Ansatzröhren e, e versehen, durch deren eine die Beschickung mit Benzol und Schwefelsäure mittelst eines Heberrohres erfolgt, während durch die andere die salpetrigen Dämpfe abgeführt werden. Die letztere Ansatzröhre steht mit einem steinernen Kühlrohr in Verbindung, in welchem sich das verflüchtigte Benzol condensirt. Das salpetersaure Natron wird in den Cylinder gebracht, ehe man den Deckel auflutirt. Bevor man mit der Fabrication vertraut war, traten öfter Explosionen ein, welche glücklicher Weise keinen großen Schaden anrichteten; dieselben wurden dadurch herbeigeführt, daß durch die Einwirkung der Schwefelsäure auf das Nitrat, bevor noch die Bildung von Nitrobenzol begonnen hatte, eine zu große Menge Salpetersäure frei gemacht wurde, so daß die Reaction sogleich mit außerordentlicher Heftigkeit, welche zur Explosion führte, begann. Bald lernte man diesem Uebelstande in erfolgreicher Weise entgegen zu wirken. Gegenwärtig wird in England der beschriebene Cylinder durch den in Fig. 20 und 21 dargestellten Apparat verdrängt. Derselbe besteht in großen, 4 1/2 Fuß tiefen und eben so weiten, gußeisernen Kesseln a, a, a, die reihenweise aufgestellt und mit Rührern versehen sind. Letztere tragen Zahnräder und werden durch eine Treibwelle in Bewegung gesetzt. Fig. 21 zeigt einen Kessel mit Rührer im vergrößerten Verticaldurchschnitt. Die gußeisernen Deckel der Kessel bestehen aus zwei Stücken b und b' von ungleicher Größe, welche mit hohem Rand versehen sind, um durch Wasser gekühlt werden zu können. Dadurch wird das Ueberdestilliren des Benzols verhindert. Die verticale Welle des Rührers c geht durch das größere Stück b des Deckels, und da die Stopfbüchsen der Einwirkung der Säuren nicht widerstehen, so ist hier ein hydraulischer Verschluß d angebracht; es dient aber als Sperrflüssigkeit nicht Wasser, welches die salpetrigen Dämpfe absorbiren würde, sondern Nitrobenzol. Ein auf denselben Deckeltheil aufgesetztes gußeisernes Rohr e führt die salpetrigen Dämpfe ab. Dasselbe wird zur vollständigen Verdichtung der Benzoldämpfe gekühlt. Andere engere Rohre dienen zur Einführung der Reagentien. Eine überdieß in dem kleineren Theile b' des Deckels befindliche größere Oeffnung f gestattet den von Zeit zu Zeit nothwendig werdenden größeren Zusatz der Materialien. Am Boden jedes Kessels befindet sich ein Ablaßrohr g. Man kann in diesem Apparate ein Gemenge von Schwefelsäure und Nitrat verarbeiten, vorausgesetzt daß beide in solchem Verhältnisse angewendet werden, daß ein saures Sulfat entsteht, welches sich zu Ende der Operation im flüssigen Zustande befindet und deßhalb durch das Rohr g abfließen kann. – Gegenwärtig verwendet man jedoch gewöhnlich ein Gemenge von starker Salpetersäure und Schwefelsäure. In diesem Falle führt man zunächst sämmtliches Benzol in den Kessel ein, setzt den Rührer in Thätigkeit und läßt darnach die Säuren durch die erwähnten engen Röhren vorsichtig einfließen; wobei man Sorge trägt, nicht zu viel Salpetersäure zuzugeben, bevor die rothen Dämpfe erscheinen. Ist das erforderliche Quantum Säure zugesetzt und die Reaction vollkommen beendigt, so läßt man das Product ab. Zuerst fließt ein Gemisch von Schwefelsäure und Salpetersäure, darnach das Nitrobenzol aus. Letzteres wird zunächst mit Wasser, dann bis zur vollständig neutralen Reaction mit schwacher Sodalösung gewaschen. Sollte es noch unverändertes Benzol enthalten, so destillirt man dasselbe durch Dampf ab. Auf dem Continent scheint die Fabrication von Nitrobenzol nicht mit Erfolg betrieben worden zu seyn. Der Umstand, daß man daselbst mit Steinzeuggefäßen arbeitete, deren Verwendung gefährlich und ungeeignet ist, mag die Ursache gewesen seyn. Erst in neuester Zeit scheint man mit Hülfe der in England gemachten Erfahrungen auch auf dem Continent dahin gelangt zu seyn, Nitrobenzol zu einem mäßigen Preise darzustellen. Der Verf. theilt ferner über die Umwandlung des Nitrobenzols in Anilin Folgendes mit: Dieselbe wird bekanntlich nach Bechamp's Verfahren durch Einwirkung von metallischem Eisen und Essigsäure auf Nitrobenzol bewirkt. Zur Ausführung des Processes im Großen bediente man sich ursprünglich ähnlicher Cylinder, wie der anfangs bei der Darstellung des Nitrobenzols angewendeten, deren einer in Fig. 19 dargestellt ist. Der über einer kleinen Feuerung befindliche Cylinder wurde zunächst mit Eisendrehspänen beschickt, und der Deckel luftdicht aufgesetzt. Man setzte dann den Rührer in Thätigkeit und führte durch das eine Ansatzrohr e mittelst eines Heberrohres Nitrobenzol und Essigsäure ein, und zwar, um die Reaction nicht zu heftig werden zu lassen, nach und nach in kleinen Portionen, während das andere Ansatzrohr mit einem gußeisernen Kühlrohr in Verbindung stand. Nachdem alles Material eingetragen war, wurde die bereits überdestillirte Flüssigkeit in den Cylinder zurückgegeben, hierauf unter dem Cylinder Feuer angemacht und das gebildete Anilin überdestillirt. In neuerer Zeit hat man die directe Feuerung beseitigt und bewirkt die Destillation unter hohem Druck oder mittelst überhitzten Wasserdampfes. Fig. 22 zeigt den dabei jetzt angewendeten Apparat. In einem aufrecht stehenden cylindrischen Gefäße befindet sich ein durch Zahnräder und Treibwelle in Umdrehung zu setzender Rührer, dessen vertical stehende Achse a der Länge nach durchbohrt ist. Durch diese Achse wird dem Apparate der Dampf zugeführt; zu diesem Zwecke schließt sich an das obere Ende der Achse das unter rechtem Winkel gebogene Dampfzuleitungsrohr c, b an, während der Dampf am unteren Ende der Achse bei d in die den Apparat anfüllenden Producte eintritt. Das Anilin wird so verflüchtigt und zugleich mit dem Wasserdampf durch das Rohr e einer Kühlschlange zugeführt. Das überdestillirte Anilin wird meist unter Zusatz von etwas Kalk oder Soda rectificirt. Der Kalkzusatz soll die Zersetzung des meist als Nebenproduct gebildeten Acetanilids bewirken. Hierauf bespricht der Verf. die Darstellung des unter dem Namen „Mauve“ oder „Anilinpurpur“ bekannten Anilinfarbstoffes. Zunächst werden Anilin und Schwefelsäure in dem zur Bildung von Anilinsulfat erforderlichen Verhältniß in einer Kufe mit Wasser gekocht, bis vollständige Lösung eingetreten ist. Hierauf löst man in einer zweiten geräumigen Kufe zweifach-chromsaures Kali. Nach dem Erkalten werden beide Lösungen in einem dritten Gefäße gemischt und einen bis zwei Tage stehen gelassen. Hierbei bildet sich eine reichliche Menge eines feinen schwarzen Niederschlages, den man auf flachen Filtern sammelt, mit Wasser gut auswäscht und trocknet. Dieser dem Ansehen nach wenig versprechende kohlschwarze Niederschlag enthält neben dem Mauve verschiedene Producte, unter denen namentlich ein brauner, harziger Körper, der von den meisten Lösungsmitteln des Farbstoffes ebenfalls aufgenommen wird, Schwierigkeiten verursacht. Anfangs suchte man zunächst diesen harzigen Körper durch Digeriren mit Steinkohlentheer-Naphta und darnach den Farbstoff mittelst Holzgeist auszuziehen. Die Lösung in Holzgeist lieferte dann beim Abdestilliren des letzteren den Anilinpurpur oder Mauve als eine schmelzbare, bronzefarbige Masse. Die Digestion mußte bei der Kostbarkeit der Lösungsmittel unter Druck in geschlossenen Gefäßen oder in mit Condensationsgefäßen verbundenen Apparaten ausgeführt werden, und dabei bot die Dichtung der Apparate große Schwierigkeiten dar. Nachdem in dieser Beziehung viel experimentirt worden ist, behandelt man jetzt den schwarzen Niederschlag, statt mit starkem, mit schwachem Holzgeist, welcher den Farbstoff vollständig, aber nur geringe Mengen des harzigen Körpers löst, und somit ist die Verwendung der Steinkohlentheer-Naphta überflüssig geworden. Von der Lösung des Farbstoffes in schwachem Holzgeist destillirt man den letzteren ab, wobei ersterer in wässeriger Lösung zurückbleibt, aus welcher man ihn nach dem Filtriren mit caustischem Natron niederschlägt. Er wird hierauf abfiltrirt, mit Wasser gewaschen und entweder in Teigform oder seltener getrocknet in den Handel gebracht. Der feste Mauve löst sich sehr leicht in Weingeist, in geringer Menge auch in Wasser; die wässerige Lösung bildet beim Erkalten eine Art von Gallerte. Der beschriebene Proceß der Bildung des Mauve ist ein Oxydationsproceß, und man hat später das ursprünglich verwendete chromsaure Kali durch verschiedene andere Oxydationsmittel, als Bleisuperoxyd, Mangansuperoxyd, übermangansaures Kali, Chlorkalk, rothes Blutlaugensalz, Kupferchlorid etc., zu ersetzen gesucht; die Erfahrung hat aber gelehrt, daß das chromsaure Kali vor allen anderen Oxydationsmitteln den Vorzug verdient; nächst demselben scheint sich das von Dale und Caro verwendete Kupferchlorid am besten zu bewähren. Leider ist die Ausbeute sehr gering. 100 Pfd. Steinkohlen liefern: Theer 10 Pfd. 12      Unzen Theernaphta  –    „   8 1/2     „ Benzol  –    „   2 3/4     „ Nitrobenzol  –    „   4 1/4     „ Anilin  –    „   2 1/4     „ Mauve  –    „      1/4     „ doch entschädigt die außerordentliche Intensität des Farbstoffes für die geringe Ausbeute; ein Theil Mauve vermag das 630,000fache seines Gewichtes an Wasser (1 Grain 9 Gallons) noch deutlich zu färben. Der Verf. verspricht weitere Mittheilungen über die Fabrication der Anilinfarbstoffe.

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