Titel: | Capitän Liernur über sein Canalisationssystem. |
Fundstelle: | Band 199, Jahrgang 1871, Nr. CXI., S. 418 |
Download: | XML |
CXI.
Capitän Liernur über sein
Canalisationssystem.
Unter Vorzeigung eines Modelles
vorgetragen vom Verfasser in der deutschen chemischen Gesellschaft zu
Berlin.
Liernur, über sein Canalisationssystem.
Die üblen Folgen und Schattenseiten des Schwemmsystemes zeigen mehr und mehr die
Nothwendigkeit einer gesonderten Abfuhr der Fäcalmassen aus Städten, hauptsächlich,
da eine Entfernung sämmtlichen städtischen Unrathes mittelst Wasser ein Volumen
Canalinhalt producirt, dessen richtige Behandlung überall die städtischen Behörden
in die größten Verlegenheiten gebracht hat. Es hat sich nämlich herausgestellt, daß
bei dessen Anwendung keine andere Wahl übrig bleibt, als Flußverpestung oder
Wiesenüberrieselung, daß letztere jedoch in den meisten Fällen durch
Localverhältnisse nicht ausführbar ist und in keinem Falle durch die erzielte
landwirthschaftliche Ernte die Kosten der Anlagen deckt. Man kann nicht sagen, daß
die Landwirthschaft irgend einen Vortheil dabei genieße, und der äußerst geringe
Ertrag wird ausschließlich auf Kosten der Städter erzielt. Auch ist in diesem Falle
Wasser wohl das möglichst theuere Transportmittel; denn man kann nicht, wie in einem
Schifffahrtscanal, das nämliche Wasser zum Transport Tausender von Tonnen benutzen,
sondern muß für jedes Pfund Unrath 4 bis 500 Pfunde neues Wasser herbeischaffen;
dieses muß erst in eine Stadt hinein- und später wieder herausgepumpt werden,
erfordert somit kostspielige Anlagen und riesenhafte Capitalien. Außerdem ist es
jetzt bekannt, daß bei gemauerten Canälen, welche faulende organische Substanzen
abführen, eine Bodenvergiftung unvermeidlich, sowie auch eine Entweichung der in
denselben entwickelten gesundheitschädlichen Gase nicht zu verhindern ist. Ferner
hat dieses System den Mißstand, daß es den Gebrauch von Waterclosets bedingt, welche
Einrichtung sowohl durch die unumgänglichen, wiederholten Reparaturen als auch durch
die Kosten des dafür nöthigen Wassers, für den größten Theil einer städtischen
Bevölkerung viel zu theuer ist.
Alles dieß sind allgemein bekannte Thatsachen, welche jeder, der unparteiisch die
Sache untersucht hat, anerkennt; allein die bis jetzt zur Abhülfe vorgeschlagenen
verschiedenen Verfahren, wie Tonnen-Abfuhr mit Desinfection etc., haben sich
alle als unpraktisch erwiesen. Eine Desinfection nämlich wird bald vergessen oder
unterlassen, und das Fortschaffen der Tonnen, sowie das damit nothwendig verbundene
Eindringen von Arbeitern in die Häuser, ist eine unausstehliche Last.
Ich glaube in dem von mir vorgeschlagenen System das Mittel für eine gesonderte
Abfuhr der Fäcalmassen gefunden zu haben, ohne daß es mit einer der Schattenseiten
eines Tonnen- oder Desinfectionsverfahrens behaftet ist. Im großen Ganzen ist
es eine eiserne Röhrenleitung, mittelst welcher die Aborte tagtäglich geleert
werden, ohne daß man bei dieser Operation von den Einwohnern abhängig ist oder
diesen lästig fällt.
Im Allgemeinen wird unter dem Pflaster bei Kreuzpunkten von Straßen ein luftdichtes
eisernes Reservoir gelegt; Hauptröhren, in der Mitte der Straßen gelegen, münden in
dieses Reservoir ein, und von dem Hauptrohre zweigen sich Seitenröhren rechts und
links nach den einzelnen Häusern ab, wo sie mit den Aborten in Verbindung gebracht
werden. In jedem Hauptrohre, dicht bei dem Reservoir, befindet sich ein luftdicht
schließender Hahn. Einmal binnen 24 Stunden wird in dem Reservoir mittelst einer
durch Dampf getriebenen Luftpumpe ein Vacuum hergestellt. Nachdem alsdann der Hahn
geöffnet ist, werden sämmtliche Fäcalien aus den verschiedenen mit dem Hauptrohr in
Verbindung stehenden Aborten in das Reservoir getrieben. Um dieß allgemein erreichte
Resultat praktisch möglich zu machen, sind aber specielle Einrichtungen
erforderlich. Eine der ersten ist die der Längenprofile der Röhren. Es ist nämlich
nicht möglich, eine breiartige Flüssigkeit durch Luftdruck in einem langen Rohr
fortzubewegen, ohne daß dieselbe bald auseinander bricht, sich in große Tropfen
verwandelt und bald niedergeschlagen wird. Die Luft strömt dann über die Kothmasse
hin, ohne die geforderte Arbeit geleistet zu haben. Es ist aber sehr gut praktisch
möglich, mittelst Luftdruck eine flüssige Masse in einem aufrechtstehenden Rohre in
die Höhe zu heben. Wenn man nun das obere Ende dieses Steigrohres mit einem anderen
verbindet, welches Gefälle genug hat, um die Flüssigkeit durch eigene Schwere weiter
fließen zu lassen, so ist die Möglichkeit einer horizontalen Fortbewegung sofort
gegeben. Die Röhren werden daher wellenförmig in ihren Profilen gelegt, wobei in
jeder Welle das Steigrohr eine Höhe von etwa 2 Fuß hat, während die Länge der
schiefen Ebene etwa 50 Fuß beträgt; man hat also ein Gefälle von 1 zu 25, welches
sich für die fragliche dünne Breimasse als genügend erwiesen hat, und man hat eine
Fortbewegung von 50 Fuß in der Richtung nach dem Reservoir einfach dadurch erreicht,
daß man die Stoffe 2 Fuß in die Höhe gehoben hat. An dem Fuß jeder schiefen Ebene
ist natürlich wieder ein neues Steigrohr angebracht, wo die Stoffe sich wieder
ansammeln und also einen neuen Pfropfen für die Benutzung des Luftdruckes
bilden.
Eine andere specielle Einrichtung besteht in der Art und Weise der Verbindung
zwischen den Seitenröhren und dem Hauptrohr. Dieselbe geschieht mittelst sogenannter
Trägheits- oder Retardationsklappen, welche Ventile sind, die mittelst eines
Gewichtes gegen das Ende der Seitenrohre angedrückt werden und letzteres von dem
Hauptrohr abgeschlossen halten. Sie sind auf einem Scharnier der Art beweglich, daß
sie sich durch die Spannung der Luft in dem Seitenrohr nach dem Hauptrohr öffnen,
nachdem in letzterem ein Vacuum hergestellt ist. Das Gewicht, welches die Klappe
gegen das Seitenrohr preßt, hat den Zweck, durch die Zeit, welche zu seiner Hebung
nöthig ist, eine genügende Verzögerung in der Bewegung
der Klappe zu bewirken, bis über die ganze Länge des Hauptrohres eine gleichmäßige
Luftverdünnung erfolgt ist. Die Gewichte aller Klappen bei dem nämlichen Hauptrohr
werden vollkommen gleich gemacht.
Mit dieser Einrichtung ist das erzielte Resultat folgendes:
Wenn der Hahn im Hauptrohr geöffnet wird, strömt zunächst die in demselben enthaltene
Luft in das Reservoir; dieß geschieht in Folge ihrer großen Beweglichkeit, sowie
ihrer specifischen Leichtigkeit, mit einer derartigen Geschwindigkeit, daß, bis die
Klappen sich zu bewegen anfangen, jede für sich selbst, unabhängig von allen
anderen, für einen Augenblick mit demselben
luftverdünnten Raum in Verbindung gebracht ist. In den Seitenrohren nun, deren
Aborte Fäcalmassen enthalten, erfolgt dadurch eine Luftverdünnung, welche einen
entsprechenden Druck zur Fortbewegung der Masse verfügbar stellt, während bei
Seitenröhren, deren Aborte leer sind (resp. die Häuser unbewohnt), nur Luft in das
Hauptrohr strömt. Selbstredend wird das Vacuum bald zerstört, allein die Maschine
zur Erzeugung einer neuen Bewegkraft ist noch gegenwärtig. Sobald der Maschinist auf
dem Vacuometer die Zerstörung des Vacuums gewahrt, schließt er den Hahn und läßt die
Luftpumpe ein neues Vacuum erzeugen. Während dieser Arbeit, welche nur 1 bis 2
Minuten erfordert, hat zugleich die Fäcalmasse Gelegenheit die oben beschriebene
schiefe Ebene herunter zu fließen und sich für eine neue Fortbewegung anzusammeln.
Die Operation ist sodann eine Succession von pneumatischen Stößen, welche in
Zwischenräumen von 1 bis 2 Minuten erfolgen. Durch die ganze Combination ist es
möglich geworden die Aborte eines von 12 bis 1800 Menschen bewohnten Häusercomplexes
innerhalb etwa 6 bis 8 Minuten in dem Centralreservoir zu sammeln und dieß trotzdem
daß mehrere Häuser unbewohnt sind.
Ich werde nun die Wirkung eines derart eingerichteten Röhrennetzes an dem
(aufgestellten) Modelle zu illustriren versuchen.
Das Hauptrohr des Modelles hat drei Seitenröhren von etwa sechs Fuß Länge, an deren
Enden kleine Syphons angebracht sind, welche die Aborte repräsentiren. Nachdem sie alle drei mit
Wasser gefüllt sind, sieht man, wie sie sich alle zu gleicher Zeit mit
außerordentlicher Schnelligkeit entleeren. Die Röhren sind von Glas, etwa 3/4 Zoll
im Durchmesser, und die Trägheitsklappen sind an beiden Seiten mit Glasscheiben
versehen, so daß man die Wirkung der Ventile und die Bewegung der Flüssigkeit in den
wellenförmigen Röhren genau beobachten kann.
Ist nun bloß ein Abort gefüllt und werden die leeren
Seitenröhren gänzlich von ihren Klappen abgenommen, so daß die Atmosphäre einströmen
kann, ohne durch Friction an den Rohrwandungen in ihrer Schnelligkeit gehindert zu
werden, so erfolgt dennoch die Entleerung des einzelnen Abortes mit der größten
Vollkommenheit. Es zeigt dieser Versuch in eclatanter Weise den Nutzen der
Klappen.
Sobald die Fäcalmasse sich einmal in dem Reservoir befindet, ist die weitere
Operation eine höchst einfache. Ein sogenannter Tenderwagen, welcher einen Kessel
gewöhnlicher Form trägt, und ebenfalls mittelst der Maschine luftleer gemacht wird,
wird mittelst eines Spiralschlauches mit dem Saugrohr des Reservoirs, welches bis an
den Boden des letzteren reicht, verbunden; durch Oeffnen eines am Tender
angebrachten Hahnes wird die Fäcalmasse sodann in den Kessel aufgesaugt.
Nachdem der Wagen gefüllt ist, wird derselbe nach dem Umfüllungsgebäude abgefahren,
in welchem ein Apparat zur geruchlosen Umfüllung des Düngers in Fässer zum Transport
nach den Feldern aufgestellt ist. Derselbe besteht aus einem Kessel, der groß genug
ist, den Inhalt mehrerer Wagen aufzunehmen, was ebenfalls auf pneumatischen Wege
bewerkstelligt wird. Aus diesem Kessel wird der Dünger abgezapft und zwar mittelst
besonders eingerichteter Zapfhähne, welche zulassen, daß, während der flüssige
Dünger durch einen Schlauch in das Faß fließt, die verdrängte Luft durch einen
anderen kleinen Schlauch in den Kessel entweicht. Die Zapfhähne passen vollkommen in
die Spundlöcher der Fässer, so daß die Operation eine vollständig geruchlose ist. Da
nun der Kessel über einer Verladepritsche aufgestellt ist, deren Höhe mit der
gewöhnlicher Leiterwagen übereinstimmt, so ist der weitere Transport nach Bahnhöfen
oder nach dem Lande ein sehr leichter geworden.
Es ist weiter zu bemerken, daß durch die heftige Art der Fortbewegung des Kothes in
den Röhren derselbe in eine ganz homogene Masse, die sehr flüssig ist, verwandelt
wird, welche Form für Compostbereitung oder Vertheilung auf dem Acker
außerordentlich günstig ist.
In Bezug auf den Kostenpunkt theile ich mit, daß durch die sämmtlichen Betriebskosten und Verzinsung
des Anlage-Capitals, die Kosten eines Centners Dünger sich auf 6 bis 6 1/2
Sgr. stellen.
Da nun der durchschnittliche Stickstoffgehalt frischer Fäcalstoffe wenigstens 0,9
Procent beträgt, so ist es leicht ersichtlich, daß das Verfahren ein sich selbst
rentirendes ist; denn Stickstoff hat immer für den Landwirth mindestens einen Werth
von 10 Sgr. per Pfund und da der Centner 0,9 Pfund
enthält, ist der Landwirth immer bereit, auch mindestens 5 bis 7 Sgr. zu zahlen und
außerdem für den Transport nach dem Lande selbst zu sorgen.
Um der Gefahr des Einfrierens der Fäcalien in den Röhren zu begegnen, müssen letztere
unter die locale Frosttiefe gelegt werden; dem Einfrieren in den Aborten selbst wird
dadurch vorgebeugt, daß erstens kein kaltes Wasser, wie bei den Waterclosets,
zugesetzt und so die Wärme dadurch nicht reducirt wird, und zweitens, daß durch eine
besondere Syphoneinrichtung die etwa abgekühlte Flüssigkeit von jeder weiteren
Berührung mit kalter Luft abgeschlossen ist. Uebrigens hat die Einrichtung während
zweier strengen Winter sich in Prag vollkommen bewährt und ein Einfrieren hat nie
stattgefunden. (Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin, 1871, Nr.
2.)