Titel: | Ueber die Entwickelung von Organismen in Brunnenwässern, nach Dr. Heisch und Professor Frankland. |
Fundstelle: | Band 199, Jahrgang 1871, Nr. CXXXIV., S. 502 |
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CXXXIV.
Ueber die Entwickelung von Organismen in
Brunnenwässern, nach Dr. Heisch und Professor Frankland.
Aus den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft zu
Berlin, 1871, Nr. 3.
Ueber die Entwickelung von Organismen in
Brunnenwässern.
In einem der Chemical Society zu London vorgelegten
Berichte theilte Professor Frankland die Resultate von einigen Experimenten mit, die er über
die „Entwickelung von Organismen in Brunnenwässern“ angestellt
hat. Im Juni vergangenen Jahres brachte Dr. Heisch zur Kenntniß der Gesellschaft die von ihm gemachte
Beobachtung, der zufolge die in Cloakenwässern enthaltenen Organismen in eine
Zuckerlösung gebracht, eine Art von Gährung hervorrufen, unter gleichzeitiger
Bildung von reicher Fungus-Vegetation. Diese Erscheinung schlug Hr. Heisch als passendes Mittel zur
Entdeckung von organisirter Materie im Trinkwasser vor. Hr. Frankland hat diese Erscheinung in seinen
zahlreichen Experimenten vollkommen bestätigt gesunden. Allein im Laufe dieser
Untersuchungen stieß er auf einige Reactionen, die ihn zu einer Modification der von
Dr. Heisch
ausgesprochenen Ansicht führten. Drainagewasser, gesammelt auf Romford Sewage Farm, welches mit Cloakenflüssigkeit
irrigirt wird, gab mit Zuckerlösung vermischt, keine Gährungsreaction, trotzdem
dieses Wasser in 100 Theilen 0,23 organischen Stickstoff, 0,04 Ammoniak, 1,14
Stickstoff an Sauerstoff gebunden, im Ganzen 1,41 Stickstoff und überdieß 0,84
organischen Kohlenstoff enthielt. Ein anderer Versuch zeigte sich noch auffallender
in dieser Hinsicht. Während eine Wasserprobe, genommen von einer unreinen Cisterne
in einem Abtritte, mit der Zuckerprobe keine Gährung erzeugte, entstand in einem
anderen Wasser, das von einem reingehaltenen Reservoir stammte und durch Thierkohle filtrirt, dann
mit einer passenden Zuckerlösung versetzt worden war, in kurzer Zeit eine prächtige
Fungus-Vegetation. Die eben erwähnten Fälle leiteten Dr. Frankland auf die Vermuthung, daß die
Gegenwart von Phosphaten in den untersuchten Flüssigkeiten wohl von Einfluß sey auf
die Entwicklung von Fungus oder sonstigen Organismen, denn es ist bekannt, daß
Wasser Spuren von phosphorsaurem Kalk aus Thierkohle löst, und die Vermuthung ward
bestärkt dadurch, daß das Drainagewasser von Romford
Farm keine entdeckbare Menge von Phosphorsäure enthielt. Die Hypothese der
Abhängigkeit der Bildung von Organismen von Phosphorsäure ward durch eine Reihe
directer Versuche bestätigt gefunden. In Zuckerlösungen welche Spuren von
Cloakenflüssigkeit enthielten, und die für viele Tage klar und unverändert blieben,
entstanden beinahe alsogleich Zellengebilde und Vibrionen, wenn denselben geringe
Spuren eines phosphorsauren Salzes, oder Eiweises, oder Thierkohle zugesetzt wurden.
Ein weiterer Punkt von Interesse war zu erfahren, ob wohl in allen Fällen die Keime
der sich bildenden Organismen dem Wasser selbst angehörig seyen, oder ob nicht
zuweilen selbe aus der Atmosphäre stammten. Zu den nach dieser Richtung hin
angestellten Experimenten nahm Hr. Frankland destillirtes Wasser, das er vor der Destillation viele
Stunden mit caustischem Natron und übermangansaurem Kali gekocht hatte. Das Ergebniß
dieser Experimente war, daß eine oft auch nur momentane Berührung mit der
atmosphärischen Luft genügend ist, um Keime in die vorher von denselben freien
Wässer einzuführen. Bemerkenswerth ist, daß nach Dr.
Frankland's Beobachtungen
die durch die Keime der Atmosphäre in Zuckerlösungen hervorgebrachten Organismen
nahezu identisch sind mit jenen, welche durch von Cloaken stammende Keime erzeugt
werden. Der Umstand, daß die Entwickelung von Zellengebilden von der Gegenwart von
Phosphor in irgend einer Gestalt abhängig ist, wird von Hrn. Frankland als eine höchst delicate Reaction für
Phosphor vorgeschlagen. Der geschickteste Analytiker dürfte schwerlich im Stande
seyn, in 60 Grammen Wasser jene Menge von Phosphorsäure, welche durch den Zusatz
eines Tropfens verdünnter Eiweißlösung in dasselbe eingeführt worden, zu entdecken;
allein jene atmosphärischen Keime finden dieselbe aus, bemächtigen sich derselben
und offenbaren durch ihre Entwickelung deren Vorhandenseyn.
Aus allen erwähnten Beobachtungen zieht Hr. Frankland die folgenden Schlüsse:
Trinkwasser, gemischt mit Cloakenstoffen, Eiweiß, Harn, oder in Berührung gebracht
mit Thierkohle, entwickelt nach Zusatz geringer Mengen Zuckers bei geeigneter
Temperatur eine Fungoïd-Vegetation.
Die Keime der Organismen existiren in der Atmosphäre, und jedes Wasser enthält
dieselben nach momentaner Berührung mit der Luft.
Die Entwickelung dieser Keime kann ohne die Gegenwart von Phosphorsäure, oder einem
phosphorsauren Salze, oder Phosphor in irgend welcher Verbindung, nicht stattfinden.
In Wasser, wie immer verunreinigt mit organischen Keimen, wenn sonst frei von
Phosphor, gedeihen dieselben nicht. Diese unerläßliche Bedingung für das Entstehen
der niedrigsten Organismen veranlaßt Hrn. Frankland den bekannten Ausspruch „ohne Phosphor kein
Gedanke“ in „ohne Phosphor gar kein Leben“
umzuwandeln.
In der auf diesen Vortrag gefolgten Discussion bemerkte Dr. Heisch, daß seine Experimente in zwei
wichtigen Punkten von den eben mitgetheilten abweichen. Er habe Filtration durch
wohlgelüftete Thierkohle hinreichend gefunden für die Entfernung der Keime aus dem
Wasser; die hierauf bezüglichen Beobachtungen erstreckten sich auf einen Zeitraum
von drei Jahren, innerhalb dessen er von Woche zu Woche große Quantitäten durch
Thierkohle filtrirten Wassers untersucht habe, und niemals auf
Fungus-Entwickelung bei Zuckerzusatz gestoßen wäre. Betreffs der großen
Aehnlichkeit welche die Zellengebilde, hervorgerufen durch Cloakenstoff, mit jenen
durch Eiweiß erzeugten nach Professor Frankland's Wahrnehmung besitzen sollen, sieht Dr. Heisch sich gezwungen,
gerade das Entgegengesetzte zu behaupten, – die Zellen seyen sehr verschieden
von einander, und der Unterschied in der Entwickelung der zwei Arten wird noch
erhöht durch den Umstand, daß in einem Falle – wenn die Keime von der Cloake
stammen – im Verlaufe der gährungsartigen Thätigkeit ein starker Geruch nach
Buttersäure sich bemerklich macht, während im anderen Falle dieß nicht wahrzunehmen
ist.
Die Verschiedenheit in den Resultaten, erhalten mit durch Thierkohle filtrirtem
Wasser, erklärt Hr. Warrington
durch den Umstand, daß bekanntermaßen Thierkohle, so lange sie noch frisch ist,
Phosphorsalze an das durch dieselbe gehende Wasser abgebe, daß dieß aber nach
einiger Zeit nicht mehr der Fall ist. Seitdem nun durch Hrn. Frankland's Untersuchungen die unumgängliche
Nothwendigkeit der Gegenwart von Phosphaten für die Entwickelung von Organismen
erwiesen ist, wird die Differenz in den Ergebnissen der HHrn. Frankland und Heisch leicht erklärt.
R. Gerstl.