Titel: | Darstellung von Weinessig nach Pasteur's Verfahren. |
Fundstelle: | Band 201, Jahrgang 1871, Nr. XXII., S. 68 |
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XXII.
Darstellung von Weinessig nach Pasteur's Verfahren.
Aus der deutschen Industriezeitung, 1871, Nr.
24.
Breton's Verfahren zur Darstellung von Weinessig.
Der französische Gelehrte L. Pasteur hat bekanntlich die
(von anderer Seite, namentlich von Liebig, sehr stark
bestrittene) Behauptung aufgestellt, daß die Bildung von Essig aus Wein durch den
Essigpilz, Mycoderma aceti, bedingt sey, eine
mikroskopische Pflanze, welche sich im Wein von Bestandtheilen desselben nähren
könne, die im reinen Alkohol nicht vorhanden seyen, und die Eigenschaft besitze, den
Alkohol des Weines in Essig umzuwandeln. Auf Grund dieser Anschauung gab Pasteur ein neues Verfahren der Essigbereitung an,Mitgetheilt im polytechn. Journal, 1862, Bd. CLXV
S. 303. über dessen praktische Verwendung bisher wenig bekannt geworden ist.
Neuerdings wird nun mitgetheilt, daß Breton-Laugier in Orleans dasselbe im Großen anwende, und erhielt
derselbe für diese Anwendung im vorigen Jahr von der Pariser Société d' Encouragement den für Verbesserungen in der Essigfabrication
ausgesetzten Preis von 1000 Frcs. Bei dieser Preisertheilung sprach sich der
Berichterstatter, de Luynes, etwa fol gendermaßen über
das neue Verfahren aus.
In den Essigfabriken in Orleans wird der Essig nach der gewöhnlichen Methode in
Fässern von 250 Liter Inhalt hergestellt, die zur Hälfte angefüllt werden und in
langen Reihen übereinander liegen. Am vorderen Boden eines jeden Fasses befindet
sich eine Oeffnung von einigen Centimetern Durchmesser, die zum Einfüllen des Weines
und zum Eintritt der Luft dient. Die Arbeit besteht darin, daß man in den
Arbeitsräumen eine angemessene Temperatur erhält und aus den Fässern alle acht Tage
8 bis 10 Liter Essig abzieht, die durch Wein ersetzt werden. Ein Faß, sogen.
Mutterfaß, wirkt aber nur dann regelmäßig, wenn es mit vieler Sorgfalt, daher mit
vielem Zeitaufwand in Betrieb gesetzt worden ist. Zu diesem Zwecke werden nämlich in
jedes Faß zuerst 100 Liter guter, klarer Essig, dann zwei Liter Wein eingegossen;
nach acht Tagen werden wieder 2 Liter Wein zugesetzt und so wird unter größerer oder
geringerer Abänderung der Weinmenge fortgefahren, bis das Faß 180 oder 200 Liter
enthält, worauf dann zum ersten Mal so viel Essig abgezogen wird, daß der Inhalt des
Fasses auf 100 Liter vermindert wird. Erst von da an arbeitet das Mutterfaß
regelmäßig. Die Nachtheile dieser Methode bestehen darin, daß die Ingangsetzung
eines Mutterfasses eine Zeit von 3 bis 4 Monaten erfordert und das Mutterfaß
regelmäßig alle 8 Tage seinen Wein zur Umwandlung erhalten muß, wenn seine
Wirksamkeit nicht erlöschen soll, so daß man auch in nicht passender Zeit
fortarbeiten muß. Weiter ist, um ein in seiner Wirksamkeit erloschenes Mutterfaß
wieder in Gang zu setzen, ebenso viel Zeit nöthig wie für den ersten Betrieb, und
endlich läßt sich ein Mutterfaß nicht von einem Ort an einen anderen und selbst an
einem und demselben Orte nicht von einer Stelle zur anderen transportiren.
Bei dem Pasteur'schen Verfahren, wie Breton-Laugier es ausführt, fällt dagegen die Anwendung von
Mutterfässern ganz weg. Die hier angewendeten Apparate sind Bottiche von ca. 125 Liter Inhalt, die in einem auf 20 bis 25°
C. erwärmten Raum stehen und deren Formen der Art gewählt sind, daß ihrer möglichst
viele in dem Arbeitsraume untergebracht werden können. Diese Bottiche werden mit
einem Gemisch von fertigem Essig und Wein gefüllt, und auf die Oberfläche der
Flüssigkeit wird der Essigpilz ausgesäet. Dazu hebt man mittelst Holzspateln, die
zur Verhinderung des Anhaftens angenäßt sind, etwas von der Pilzschicht von der
Flüssigkeit ab, die damit bedeckt ist, taucht diese Spatel vorsichtig mit dem
äußersten Rande in die frische Flüssigkeit und schiebt den Essigpilz herunter, der
sich dann auf der Oberfläche der Flüssigkeit ausbreitet und nach 18 Stunden dieselbe
vollständig bedeckt. Mit der Entwickelung der Pflanze beginnt die Fabrication unter
gleichzeitiger ansehnlicher Wärmeentwickelung. Nach 9 bis 10, zuweilen schon in 8
Tagen ist die ganze Flüssigkeit in Essig übergegangen, wenn man eben nur diejenige
Weinmenge zusetzt, welche die Pflanze mit Rücksicht auf ihre Oberfläche umwandeln
kann. Dann hat der Pilz seine Rolle ausgespielt, er ist erschöpft; die Pilzdecke
zerreißt und fällt im Bottich zu Boden. Der Essig, welcher gleichzeitig erkaltet,
wird durch eine Oeffnung am Boden des Bottiches abgezogen; aus 100 Litern Wein
erhält man so 95 Liter Essig. Nach dem Abziehen des Essigs wird der Bottich mit
Wasser durch Abbürsten von allen Pilztheilen vollständig gereinigt und kann dann ein
neues Gemisch von Wein und Essig zur weiteren Verarbeitung aufnehmen.
Das Verfahren bietet den Vortheil, daß die Apparate sofort in Gang gesetzt werden
können; nach 10 Tagen kann man das erste Product haben und nach 12 oder 14 Tagen
abliefern. Während bei dem alten Verfahren die Anwendung geringer Weinsorten das
Mutterfaß und den gesammten darin enthaltenen Essig schädigen kann, läßt sich nach
der neuen Methode beliebig schwächerer oder stärkerer Essig ohne Nachtheil für den
Gang der Fabrication herstellen. Während ferner bei der alten Methode eine sehr
bedeutende Menge Essig nöthig ist, um eine kleine Menge Wein umzuwandeln, da ein
Mutterfaß von 100 Litern wöchentlich nur 9 Liter Essig liefert, werden nach der
neuen Methode täglich 9,5 Liter oder wöchentlich 66 Liter, also mehr als 7 Mal so
viel wie nach dem alten Verfahren producirt, so daß die Generalkosten in gleichem
Verhältniß geringer werden. Endlich kann die Production in kurzer Zeit je nach
Bedarf vergrößert oder verringert werden. Breton-Laugier bemerkte übrigens, daß, eben in Folge der raschen
Production, der erhaltene Essig nicht so alt werde, wie der nach dem alten Verfahren
dargestellte, daher sey derselbe weniger aromatisch, doch könne man ihm diese
Eigenschaft dadurch ertheilen, daß man ihn auf dem Fasse lagern lasse.