Titel: | Ueber eine neue Classe von Farbstoffen; von Adolph Baeyer. |
Fundstelle: | Band 201, Jahrgang 1871, Nr. XLII., S. 150 |
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XLII.
Ueber eine neue Classe von Farbstoffen; von
Adolph
Baeyer.
Aus den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft zu
Berlin, 1871, Nr. 8 u. 10.
Baeyer, über eine neue Classe von Farbstoffen.
Erhitzt man Pyrogallussäure mit Phtalsäure oder besser mit Phtalsäureanhydrid, so
färbt sich die anfangs farblose Flüssigkeit roth und wird nach kurzer Zeit beinahe
undurchsichtig. Die Schmelze löst sich in heißem Wasser zu einer dunkelrothen
Flüssigkeit, die beim Erkalten kleine, körnige Krystalle eines neuen Farbstoffes,
den Baeyer Gallëin nennt, absetzt. Zur Darstellung im
größeren Maaßstab hat es sich zweckmäßig gezeigt, 1 Thl. Phtalsäureanhydrit mit 2
Thln. Pyrogallussäure einige Stunden auf 190 bis 200° C. bis zum Dickwerden
der Masse zu erhitzen. Man löst die Schmelze dann in heißem Alkohol, filtrirt und
verdünnt mit Wasser, wobei sich ein sehr reichlicher, aus beinahe reinem Gallëin
bestehender Niederschlag abscheidet, der nur noch einmal aus heißem verdünnten
Alkohol umkrystallisirt zu werden braucht. Der ganze Vorgang hat im Aeußeren die
größte Aehnlichkeit mit der Bildung des Anilinroth.
Das Gallëin ist in auffallendem Licht braunroth, in durchfallendem blau, beim
Eintrocknen einer Lösung zeigt es einen grüngelben Metallglanz. Beim Erhitzen
verkohlt es ohne begleitende Erscheinungen; in heißem Wasser ist es mit rother Farbe
schwer löslich, in kaltem beinahe unlöslich, in Alkohol leicht löslich mit
dunkelrother Farbe; in Aether ist es schwer löslich, ohne demselben eine Färbung zu
ertheilen. Kalilauge löst es zu einer prachtvoll blauen Flüssigkeit, die nach
einiger Zeit mißfarbig wird, Ammoniak mit violetter Farbe. Mit Thonerde und
Eisenoxyd gebeizter
Zeug färbt sich damit ähnlich wie mit Rothholz, nur etwas blauer, an. Die Farben
stehen in der Mitte zwischen denen des Rothholzes und Blauholzes, in Beständigkeit
und Schönheit gleichen sie aber ersteren mehr. Vergleicht man die Eigenschaften des
Gallëins mit denen des Hämatëins, so zeigt sich die größte Uebereinstimmung. Beide
verkohlen ohne Sublimat, beide lösen sich in Kalilauge mit blauer, bald schmutzig
werdender Farbe, in Ammoniak mit violetter. Gallëin wird auf synthetischem Wege aus
Pyrogallussäure erhalten, Hämatëin gibt beim Schmelzen mit Kalihydrat
Pyrogallussäure. Wie das Hämatëin endlich durch Reductionsmittel in Hämatoxylin
übergeführt wird, welches durch Oxydationsmittel von Neuem Hämatëin gibt, so
verwandelt sich auch das Gallëin in einer sauren Reductionsflüssigkeit in das
farblose Gallin, einen schön krystallisirenden Körper,
der mit Ammoniak übergossen, in Gallëin übergeht.
Nach Allem ist es kaum zweifelhaft, daß das Gallëin wirklich zu der Familie der
Farbstoffe des Roth- und Blauholzes gehört und daß es der erste künstlich
dargestellte Farbstoff dieser Gruppe ist.
Die Natur der Reaction, bei der das Gallëin gebildet wird, muß erst durch weitere
Versuche ausgeklärt werden. Bemerkenswerth ist in dieser Beziehung der Umstand, daß
außer der Phtalsäure auch Trimesin-, Pyromellith-, Prehnitsäure und
Bittermandelöl beim Schmelzen mit Pyrogallussäure Gallëin geben, während Terephtal,
Benzoe-, Oxal- und Bernsteinsäure ohne Wirkung sind. Jedenfalls ist
hierdurch die Möglichkeit ausgeschlossen, daß die Phtalsäure mit zur Bildung des
Gallëins verwendet wird, und es kann daher die Reaction nur auf Wasserentziehung und
vielleicht auf Oxydation beruhen. Andere wasserentziehende und oxydirende Mittel,
wie Schwefelsäure, Chlorzink, Arsensäure, Nitrobenzol, gaben beim Schmelzen mit
Pyrogallussäure wohl rothbraun bis schwarz aussehende farbstoffähnliche Substanzen,
aber kein Gallëin.
Bei der Analyse ergab das Gallëin Zahlen, die genau mit der Zusammensetzung C18H14O7 übereinstimmen und
die also die Entstehung der Substanz nach folgender Gleichung wahrscheinlich
machen:
Textabbildung Bd. 201, S. 150
Kocht man Gallëin mit viel Wasser unter Zusatz von Zink und verdünnter Schwefelsäure,
so verwandelt sich nach einiger Zeit die dunkle Farbe der Flüssigkeit in eine
Hellrothgelbe. Nach dem Abfiltriren von etwas gebildetem Harz ist die Flüssigkeit
ganz klar, trübt sich aber beim Erkalten durch Abscheidung von Oeltropfen, die nach
einiger Zeit krystallinisch erstarren. Nach mehreren Tagen ist eine beträchtliche
Menge von großen
braunrothen Krystallen entstanden, welche aus mit Gallëin verunreinigtem Gallin
bestehen. Uebergießt man die Krystalle mit trockenem Aether, so lösen sie sich mit
großer Leichtigkeit, nach wenigen Minuten scheiden sich indessen aus der dunklen
Flüssigkeit große, glänzende, farblose Krystalle ab, die nur noch schwierig in
Aether zu lösen sind, leider aber an der Luft sofort porzellanartig werden und zu
einem röthlichen Pulver zerfallen. Noch besser als Aether eignet sich eine wässerige
Lösung von Pyrogallussäure zum Umkrystallisiren des Gallins. Es löst sich nämlich
darin in der Wärme mit großer Leichtigkeit und krystallisirt beim Erkalten sofort in
schönen glänzenden Rhomboedern und Prismen, die beinahe ganz farblos sind, weil das
Gallëin durch die Pyrogallussäure in Lösung erhalten wird. Die Analyse stimmt
ungefähr mit der Formel C18H16O6 überein. Das
Gallëin färbt sich sofort in wässeriger Lösung als auch in fester Form sehr leicht
roth und ist unbeständiger als das Hämatoxylin, mit dem es sonst die größte
Aehnlichkeit besitzt. Es ist in kaltem Wasser schwer, in heißem leichter löslich und
scheidet sich daraus beim schnellen Abkühlen in Oeltropfen, die krystallinisch
erstarren, beim langsamen Erkalten in großen Krystallen ab; in Alkohol ist es sehr
leicht löslich. Das Zerfallen und Trübwerden der Krystalle erinnert an das Verhalten
des Hämatoxylins, ebenso der Geschmack, der zuerst angenehm, hinterher adstringirend
ist. Gebeizten Zeug färbt es wie Gallëin.
Erhitzt man Gallëin mit 20 Thln. concentrirter Schwefelsäure auf 200°C., so
verwandelt sich die rothbraune Farbe der Lösung nach einiger Zeit in eine
grünlichbraune. Nach Beendigung der Reaction, die daran erkannt wird, daß eine
Probe, mit Wasser erwärmt, dunkle Flocken bildet, ohne die Flüssigkeit zu färben,
gießt man die Masse in viel Wasser und wäscht den sehr voluminösen, beinahe
schwarzen Niederschlag mit heißem Wasser aus. Dieser besteht aus reinem Cörulëin und trocknet beim Erwärmen im Wasserbad zu einer
spröden, bläulich schwarzen Masse ein, welche beim Drücken etwas Metallglanz
annimmt. Bei 180°C. getrocknet gab das Cörulein Zahlen, die sich mit der
Formel C18H10O6 vereinigen lassen
und auf folgende Gleichung führen:
Textabbildung Bd. 201, S. 151
Das Cörulëin verkohlt beim Erhitzen unter Bildung eines äußerst geringen farblosen
Sublimats; beim Erhitzen mit Zinkstaub gibt es eine kleine Menge eines festen,
gelben, dem Chrysen ähnlichen Kohlenwasserstoffes. Es löst sich in heißer
concentrirter Schwefelsäure mit olivenbrauner Farbe und krystallisirt beim Erkalten
daraus in harten Warzen. In Wasser, Alkohol und Aether löst es sich äußerst wenig,
in Essigsäure leichter
mit schmutzig grüner Farbe. In heißem Anilin ist es dagegen leicht und mit
prachtvoll indigblauer Farbe löslich, die bei Zusatz von etwas Alkohol oder
Essigsäure bestehen bleibt. Bei größerer Verdünnung scheiden sich blaue Flocken ab.
Eine solche mit Essigsäure schwach angesäuerte Lösung färbt Wolle indigblau. Das
Cörulëin löst sich in Alkalien mit schön grüner Farbe, die sich an der Luft nicht
verändert; mit den Erden gibt es grüne Lacke. Mit Thonerde gebeizter Zeug kann damit
grün, mit Eisenoxyd gebeizter braun gefärbt werden; die Farben vertragen das Seifen
sehr gut und scheinen an Beständigkeit mit den Krappfarben zu wetteifern.
Durch Reductionsmittel wird das Cörulëin in Cörulin
übergeführt, welches sich mit gelber Farbe in Aether löst und in dieser Lösung eine
schön grüne Fluorescenz zeigt. Das Cörulin scheint übrigens auch direct aus dem
Reductionsproduct des Gallëins, aus dem Gallin, erhalten zu werden, da dieses beim
ganz gelinden Erwärmen mit concentrirter Schwefelsäure eine rothe Masse gibt, die
nach dem Auflösen in Wasser und Schütteln mit Aether dieselbe Fluorescenz zeigt.
Hiernach ist es wahrscheinlich, daß auch bei der Bildung des Cörulëins aus dem
Gallëin eine ganz einfache, nicht tiefgreifende Reaction stattfindet. Am leichtesten
wird das Cörulëin durch Ammoniak und Zinkstaub reducirt; die grüne Flüssigkeit färbt
sich beim Erwärmen gelbroth, oxydirt sich aber an der Oberfläche sofort wieder, so
daß die rothe Flüssigkeit mit grünen Blasen bedeckt wird.
Die Chinesen besitzen einen grünen Pflanzenfarbstoff, das Lo-Kao, der in
vielen Beziehungen dem Cörulëin ähnlich sieht. Er ist auch blau, gibt einen grünen
Thonerdelack und reducirt sich mit Ammoniak und Zinkstaub leicht zu einer
dunkelrothen Flüssigkeit, die an der Luft wieder grün wird.
Wenn der Unterschied in der Färbung der reducirten Substanz es auch wahrscheinlich
macht, daß das Lo-Kao nicht mit dem Cörulëin identisch ist, so ist es diesem
doch so ähnlich, daß man hier eine Verwandtschaft vermuthen kann, wie die des
Gallëins mit dem Farbstoff des Blauholzes. Ob auch derartige Beziehungen zu den
anderen grünen Pflanzenfarbstoffen und besonders zu dem Chlorophyll existiren, kann
erst durch weitere Untersuchungen festgestellt werden.
Aehnlich wie auf Pyrogallussäure wirkt Phtalsäureanhydrid auch auf Resorcin. Die beim
Erhitzen der beiden Substanzen gewonnene gelbrothe Masse löst sich in Alkohol;
Wasser scheidet daraus das Fluorescëin in gelben Flocken
ab.
Bringt man diese Substanz mit Ammoniak zusammen, so bildet sich eine rothe Lösung, welche die
prachtvollste grüne Fluorescenz zeigt, die auch bei sehr starker Verdünnung noch
sichtbar bleibt. Das Fluorescëin färbt Seide und Wolle ohne Mordant schön gelb.
Ammoniak und Zinkstaub führen es in das Fluorescin über,
welches durch Ehromsäure wieder in Fluorescëin verwandelt werden kann. (Deutsche
Industriezeitung, 1871, Nr. 29.)