Titel: | Ueber die Phenolfarbstoffe; von Adolph Baeyer. |
Fundstelle: | Band 201, Jahrgang 1871, Nr. LXXXIX., S. 358 |
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LXXXIX.
Ueber die Phenolfarbstoffe; von Adolph Baeyer.
Baeyer, über die Phenolfarbstoffe.
In diesem Bande des polytechn. Journals S. 149 (zweites
Juliheft 1871) theilten wir mit, daß Ad. Baeyer eine neue
Classe von Farbstoffen, das Gallëin, Fluorescëin etc., gefunden habe, deren
Darstellung die Reaction von Pyrogallussäure mit Phtalsäureanhydrid zu Grunde liegt.
Baeyer sprach damals die Ansicht aus, daß hierbei die
Phtalsäure nicht mit zur Bildung des Gallëins verwendet werde, sondern nur
wasserentziehend und vielleicht oxydirend wirke. Bei weiterer Fortführung seiner
Versuche hat er nun aber, wie er in der chemischen Gesellschaft in Berlin mittheilte
(Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin, 1871, Nr. 12), gefunden
daß die Phtalsäure nicht bloß wasserentziehend wirkt, sondern daß sie selbst mit in
das Molecül eintritt. Da nun einerseits alle Phenole und andererseits eine große
Reihe organischer Säuren und Aldehyde dasselbe Verhalten zu einander zeigen, so
ergibt sich, daß die Zahl der auf diese Weise entstehenden Körper eine beinahe
unbegrenzte ist. Die Phenole verbinden sich mit einer Reihe mehrbasischer Säuren und
mit dem Bittermandelöl unter Wasseraustritt, wenn man das Gemisch entweder für sich
allein oder unter Zusatz von Glycerin oder von Schwefelsäure erhitzt. Die dabei
entstehenden Verbindungen sind keine Aetherarten; einige davon sind indifferente
Substanzen, andere sind in Kali löslich und zwar mit intensiver Farbe, die durch
Reduction verschwindet. Die farbigen Körper mögen mit der Endung — in, die
reducirten mit — ëin bezeichnet und die indifferenten als Anhydride der
ersteren betrachtet werden. Einige von den in Kali mit Färbung löslichen Körpern
geben, mit Schwefelsäure stark erhitzt, neue gefärbte Körper, die sich von der
ersten Classe, soweit sie bis jetzt untersucht sind, dadurch unterscheiden, daß sie
in alkalischer Lösung zwar reducirt, aber nicht entfärbt werden.
Phenol. Phtalsäureanhydrid wirkt beim Erhitzen bis zum
Kochen nicht auf Phenol ein; bei höherer Temperatur bildet sich zuerst eine kleine
Menge einer in Kali mit violetter Farbe löslichen Substanz, bei 300 bis 400°
C. endlich werden daneben indifferente Verbindungen erzeugt. Es gelingt indessen,
die Reaction in demselben Sinne, in dem sie begonnen, weiter zu führen, wenn man
beim Erhitzen etwas concentrirte Schwefelsäure zusetzt. Bei mehrstündigem Erwärmen
auf 120 bis 130°
eines Gemenges von 10 Thln. Phenol, 5 Thln. Phtalsäureanhydrid und 4 Thln.
concentrirter Schwefelsäure erhält man eine rothe Masse, die nach dem Auskochen mit
Wasser ein Harz liefert, das sich, mit Benzol ausgekocht, in ein
gelblich-weißes Pulver verwandelt. In Kali gelöst und mit Salzsäure gefällt,
wird es als flockiger harzartiger Niederschlag von beinahe weißer Farbe erhalten,
der körnig zusammensinkt. Bei 100° getrocknet, zeigte der Körper die
Zusammensetzung C20H14O4 Erhitzt man dieses
Phtalëin mit Zinkstaub und Kalilauge, so entfärbt sich die Flüssigkeit beinahe
sofort und Salzsäure scheidet daraus das Phtalin des Phenols in weißen Körnern ab.
Das Phtalin besitzt die Zusammensetzung C20H14O4. Es löst sich in Kalilauge ohne Färbung und
diese Lösung färbt sich an der Luft nur langsam, wahrscheinlich unter Rückbildung
von Phtalëin. Dieses letztere bildet sich auch daraus beim Erhitzen an der Luft,
wobei es erst ohne Färbung schmilzt und nachher roth wird.
Mellithsäure und Pyromellithsäure wirken ähnlich wie die Phtalsäure auf Phenol ein,
am interessantesten ist aber die Wirkung der Oxalsäure, welche bekanntlich
Veranlassung zur Entstehung der Rosolsäure gibt. Dale und
Schorlemmer haben kürzlichBerichte der deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin, 187l, Nr.
11. aus der rohen Rosolsäure das Aurin isolirt und demselben eine
Formel mit 24 Atomen Kohlenstoff beigelegt. Nach den Thatsachen welche jetzt
vorliegen, ist es aber viel wahrscheinlicher, daß dieser Körper 25 Atome enthält,
weil sonst die Elemente der Oxalsäure nicht füglich eine Rolle bei der Bildung der
Rosolsäure spielen könnten; die Ergebnisse der Analyse stimmen sehr wohl mit diesen
Formeln überein:
Aurin
C
25
H
20
O
8
anstatt
C
24
H
18
O
8
Aurin mit Krystallwasser
C
25
H
24
O
10
anstatt
C
24
H
22
O
10
Leukoaurin
C
25
H
20
O
4
anstatt
C
24
H
20
O
4
αNaphtol verbindet sich noch leichter mit Säuren
als das Phenol und gibt zum Theil ausgezeichnet schön krystallisirende Verbindungen.
Die betreffenden Untersuchungen hat Julian Grabowski
ausgeführt. Kocht man Naphtol und Phtalsäureanhydrid, so färbt sich die Flüssigkeit
dunkelgrün und es entweicht ziemlich viel Wasser. Die erkaltete Masse hinterläßt
beim Ausziehen mit Alkohol eine weiße Substanz, die aus heißem Benzol in prachtvoll
glasglänzenden, schwach gelblich gefärbten Krystallen auskrystallisirt. In Kalilauge
ist die Substanz nicht löslich; mit alkoholischem Kali erhitzt, verwandelt sie sich
in einen grünen Körper.
Die Analyse führt zu der Formel C28H16O3; man fann den Körper vorläufig als Anhydrid des
Phtalëins des Naphtols bezeichnen. Mit Schwefelsäure erhitzt, gibt dieses Anhydrid
einen schönen rothen Körper, der aber kein Farbstoff ist und große Aehnlichkeit mit
der Carminaphte von Laurent besitzt. Er scheint die
Zusammensetzung C28H18O8 zu haben und ist
also ein Oxydationsproduct. Beim Erhitzen verkohlt er zum Theil und gibt ein
Sublimat von Phtalsäureanhydrid und von einem dem Alizarin ähnlich sehenden, sich
aber ganz anders verhaltenden Körper.
Naphtol mit Oxalsäure und Schwefelsäure auf 120 bis 130° erhitzt, verhält sich
ganz ähnlich Außer einer grünen, in Kali löslichen Substanz bildet sich eine
indifferente weiße, die aus Benzol in Warzen krystallisirt und ein Gemenge
verschiedener Körper zu seyn scheint. Mellith- und Pyromellithsäure geben bei
schwachem Erhitzen Substanzen, die in Kali mit grüner Farbe löslich sind, in höherer
Temperatur indifferente Körper.
Phtalsäurechlorid, mit Naphtol auf 100° erwärmt, gibt einen indifferenten,
einen in Kali mit blauer und einen mit grüner Farbe löslichen Körper. Unter diesen
letzteren ist höchst wahrscheinlich das eigentliche Phtalëin des Naphtols zu
suchen.
Resorcin. Erhitzt man Resorcin mit Phtalsäureanhydrid auf
195°, so entsteht das Phtalëin des Resorcins (Fluorescëin). Das Phtalëin
krystallisirt aus Alkohol in kleinen, dunkelbraunen, zu Krusten vereinigten
Krystallen; in Kali gelöst und durch Säuren gefällt, erscheint es als ziegelrothes
Pulver. Das gefällte zeigt die Zusammensetzung C20H14O6 aus Alkohol krystallisirte C20H12O5. In alkalischer
Lösung wird es durch Zinkstaub in das farblose Phtalin übergeführt. Mit
Schwefelsäure stark erhitzt, gibt es nach Wasserzusatz einen rothen Körper, der sich
in Alkalien mit blauer, durch Zinkstaub roth werdender Farbe löst. Mit dieser rothen
reducirten Flüssigkeit kann man, wie mit der Indigküpe, blau färben, die Farbe ist
aber weder schön noch ächt. Im Ganzen zeigt diese Substanz große Aehnlichkeit mit
Lackmus. Mellithsäure, Pyromellithsäure und Phtalsäurealdehyd geben dem Phtalëin
ähnlliche Substanzen.
Hydrochinon, mit Phtalsäure und Schwefelsäure erhitzt,
gibt ein rothes Phtalëin, das in Kali mit violetter Farbe löslich ist. Mit Eisenoxyd
und Thonerde gebeizten Zeug färbt es ungefähr wie Rothholz.
Brenzcatechin. Erhitzt man Brenzcatechin mit
Phtalsäureanhydrid und Schwefelsäure, so bekommt man auf Wasserzusatz eine grünliche
Flüssigkeit, die mit Kali eine schnell verschwindende blaue Färbung zeigt. Diese noch nicht näher
untersuchte Substanz scheint daher dem Blauholz ähnlich zu seyn.
Pyrogallussäure. Dem Gallëin, welches durch Einwirkung des
Phtalsäureanhydrid auf Pyrogallussäure entsteht, hat Baeyer in seiner ersten bezüglichen Mittheilung die Formel C18H14O7 gegeben, irre
geführt durch die Eigenschaft der Substanz, mit Alkohol eine krystallisirte
Verbindung zu geben. Beim Erhitzen eines aus Alkohol umkrystallisirten Gallëins
findet nämlich stets ein Verlust statt, der mit den Resultaten der Analyse nicht
übereinstimmt. Als nun das Gallëin ohne Anwendung von Alkohol in einer concentrirten
Pyrogallussäurelösung gelöst und durch Wasser gefällt wurde, zeigte es die
Zusammensetzung C20H14O8 und verlor beim
Trocknen bei 180° 4,8 Proc. Wasser. Bei 180° getrocknet gab es die
Zusammensetzung C20H12O7. Das Gallëin ist
also nichts anderes als das Phtalëin der Pyrogallussäure und entsteht so:
C8H4O3+2C6H6O3=C20H12O7+2H2O
Das Gallin hat die Zusammensetzung C20H18O7. Diese Formel findet ihre Bestätigung dadurch,
daß das Gallëin bei der Oxydation mit Salpetersäure neben Oxalsäure reichliche
Mengen von Phtalsäure liefert. Das Cörulëin ist C20H10O7. Man hat also folgende Reihe:
Gallin;
C
20
H
18
O
7
Gallëin;
C
20
H
12
O
7
Cörulëin;
C
20
H
10
O
7
Da das Gallëin Phtalsäure enthält, so können die anderen Säuren, welche eine ähnliche
Reaction mit Pyrogallussäure geben, unmöglich dieselbe Substanz liefern. Und in der
That hat sich denn auch gezeigt, daß z. B. die Pyromellithsäureverbindung
verschieden davon ist, obgleich ihr Färbevermögen ganz mit dem des Gallëins
übereinstimmt Eine große Anzahl organischer Säuren geben übrigens mit
Pyrogallussäure ähnliche Farbstoffe, die aber meistens weniger gute Eigenschaften
besitzen und entweder harzig oder leicht löslich in Wasser sind. So liefert z. B.
Bernsteinsäureanhydrid, mit Pyrogallussäure geschmolzen, einen ähnlichen, aber
unreinen Farbstoff; bei Anwendung von Oxalsäure muß man Glycerin zusetzen, die
Flüssigkeit färbt sich dann beim Erhitzen schön roth. Auch andere organische
Substanzen, wie Bittermandelöl, Aceton etc. lassen sich, wie es scheint, nach
derselben Methode mit der Pyrogallussäure verbinden.
Phloroglucin. Phloroglucin, aus Morin dargestellt, gibt
bei Zusatz von Schwefelsäure mit Phtalsäureanhydrid einen gelben, Morin einen rothen
Körper.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die besprochene Reaction bei allen Phenolen und
wahrscheinlich anch bei allen ähnlichen Körpern stattfindet. Bei den bisher
untersuchten Verbindungen kann man die Bestandtheile in zwei Gruppen theilen, in die
Phenole einerseits und andererseits in die Gruppen welche jene zusammenhalten. Die
Gegenwart der Phenole ist offenbar der Grund, weßhalb die Körper gefärbt sind, da
die Natur des zusammenhaltenden Körpers in der Regel die Farbe wenig, oder gar nicht
verändert. Man kann daher die Phenole als den chromogenen (farbeerzeugenden)
Bestandtheil und die Säuren etc. als die Bindesubstanz bezeichnen, und darnach alle
Verbindungen in folgende Tabelle einordnen:
Textabbildung Bd. 201, S. 362
Bindesubstanz.; Chromogener
Bestandtheil; Phenol; Naphtol; Resorcin; Pyrogallussäureetc.; Phtalsäure;
Phtalëin des Phenols; —; Fluorescëin; Gallëin; Bersteinsäure;; —;
Malin's Substanz; —; Kohlensäure;
Rosolsäure; —; Euxanthon; —; etc
Ein großer Theil der natürlichen Farbstoffe und besonders die Holzfarbstoffe, werden
gewiß ihren Platz in dieser Tabelle finden und die Synthese derselben dürfte kaum
noch Schwierigkeiten darbieten, wenn die Natur der Bindesubstanz und des chromogenen
Bestandtheiles festgestellt ist. Die Untersuchung des letzteren ist in den meisten
Fällen durch Schmelzen mit Kali oder Behandlung mit Salpetersäure ausführbar; das
Studium der Bindesubstanz wird wohl aber größere Schwierigkeiten machen, da in den
natürlichen Farbstoffen wenig beständige Gruppen aus der Zucker- oder
Pflanzensäurefamilie diese Rolle zu spielen scheinen. Auch die Familie des
Rosanilins wird sich bei genauerer Untersuchung wohl dieser Classe von Farbstoffen
anschließen, da das Methyl des Toluidins in ihnen die Rolle der Bindesubstanz zu
spielen und der Stickstoff ebenso Farbe erzeugend zu wirken scheint, wie der
Sauerstoff in den Phenolfarbstoffen. Die Umstände, unter denen das Rosanilin und die
Phenolfarbstoffe gebildet werden, sind ja auch einander ganz ähnlich, nur daß bei
den einen Wasserstoff, bei den anderen Wasser entzogen wird.
Jedenfalls ist durch diese Methode ein ungeheures Feld für die Synthese gewonnen,
welche nicht nur Farbstoffe in unbegrenzter Zahl, sondern auch andere Substanzen zu
liefern verspricht, die, wie die von Hlasiwetz
untersuchten Harze, beim Schmelzen mit Kali Phenole geben. (Deutsche Industriezeitung,
1871, Nr. 33.)