Titel: | Bekanntmachung, betreffend allgemeine polizeiliche Bestimmungen über die Anlegung von Dampfkesseln. |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. III., S. 2 |
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III.
Bekanntmachung, betreffend allgemeine
polizeiliche Bestimmungen über die Anlegung von Dampfkesseln.
Vom 29. Mai 1871.
Allgemeine polizeiliche Bestimmungen über die Anlegung von
Dampfkesseln.
Auf Grund der Bestimmungen im §. 24 der Gewerbeordnung für den norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 hat der Bundesrath nachstehende
allgemeine polizeiliche Bestimmungen über die Anlegung von
Dampfkesseln
Für die Staaten des früheren norddeutschen Bundes. erlassen:
I. Bau der Dampfkessel.
§. 1. (Kesselwandungen.) Die vom Feuer berührten Wandungen der Dampfkessel,
der Feuerröhren und der Siederöhren dürfen nicht aus Gußeisen hergestellt werden,
sofern deren lichte Weite bei cylindrischer Gestalt 25 Centimeter, bei Kugelgestalt
30 Centimet. übersteigt.
Die Verwendung von Messingblech ist nur für Feuerröhren, deren lichte Weite 10
Centimet. nicht übersteigt, gestattet.
§. 2. (Feuerzüge.) Die um oder durch einen Dampfkessel gehenden Feuerzüge
müssen an ihrer höchsten Stelle in einem Abstand von mindestens 10 Centimet. unter
dem festgesetzten niedrigsten Wasserspiegel des Kessels liegen. Bei
Dampfschiffskesseln von 1 bis 2 Met. Breite muß der Abstand mindestens 15 Centimet.,
bei solchen von größerer Breite mindestens 25 Centimet. betragen.
Diese Bestimmungen finden keine Anwendung auf Dampfkessel welche aus Siederöhren von
weniger als 10 Centimet. Weite bestehen, sowie auf solche Feuerzüge in welchen ein
Erglühen des mit dem Dampfraum in Berührung stehenden Theiles der Wandungen nicht zu
befürchten ist. Die Gefahr des Erglühens ist in der Regel als ausgeschlossen zu
betrachten, wenn die vom Wasser bespülte Kesselfläche, welche von dem Feuer vor
Erreichung der vom Dampf bespülten Kesselfläche bestrichen wird, bei natürlichem
Luftzug mindestens zwanzigmal, bei künstlichem Luftzug mindestens vierzigmal so groß
ist, als die Fläche des Feuerrostes.
II. Ausrüstung der
Dampfkessel.
§. 3. (Speisung.) An jedem Dampfkessel muß ein Speiseventil angebracht seyn,
welches bei Abstellung der Speisevorrichtung durch den Druck des Kesselwassers
geschlossen wird.
§. 4. Jeder Dampfkessel muß mit zwei zuverlässigen Vorrichtungen zur Speisung
versehen seyn, welche nicht von derselben Betriebsvorrichtung abhängig sind, und von
denen jede für sich im Stande ist, dem Kessel die zur Speisung erforderliche
Wassermenge zuzuführen. Mehrere zu einem Betriebe
vereinigte Dampfkessel werden hierbei als ein Kessel
angesehen.
§. 5. (Wasserstandszeiger.) Jeder Dampfkessel muß mit einem Wasserstandsglase
und mit einer zweiten geeigneten Vorrichtung zur Erkennung seines Wasserstandes versehen
seyn. Jede dieser Vorrichtungen muß eine gesonderte Verbindung mit dem Inneren des
Kessels haben, es sey denn, daß die gemeinschaftliche Verbindung durch ein Rohr von
mindestens 60 Quadratcentimeter lichtem Querschnitt hergestellt ist.
§. 6. Werden Probirhähne zur Anwendung gebracht, so ist der unterste derselben
in der Ebene des festgesetzten niedrigsten Wasserstandes anzubringen. Alle
Probirhähne müssen so eingerichtet seyn, daß man behufs Entfernung von Kesselstein
in gerader Richtung hindurchstoßen kann.
§. 7..(Wasserstandsmarke.) Der für den Dampfkessel festgesetzte niedrigste
Wasserstand ist an dem Wasserstandsglase, sowie an der Kesselwandung oder dem
Kesselmauerwerk durch eine in die Augen fallende Marke zu bezeichnen.
§. 8. (Sicherheitsventil.) Jeder Dampfkessel muß mit wenigstens einem
zuverlässigen Sicherheitsventil versehen seyn.
Wenn mehrere Kessel einen gemeinsamen Dampfsammler haben, von welchem sie nicht
einzeln abgesperrt werden können, so genügen für dieselben zwei
Sicherheitsventile.
Dampfschiffs-, Locomobil- und Locomotivkessel müssen immer mindestens
zwei Sicherheitsventile haben. Bei Dampfschiffskesseln, mit Ausschluß derjenigen auf
Seeschiffen, ist dem einen Ventil eine solche Stellung zu geben, daß die
vorgeschriebene Belastung vom Verdeck aus mit Leichtigkeit untersucht werden
kann.
Die Sicherheitsventile müssen jederzeit gelüftet werden können. Sie sind höchstens so
zu belasten, daß sie bei Eintritt der für den Kessel festgesetzten Dampfspannung den
Dampf entweichen lassen.
§. 9. (Manometer.) An jedem Dampfkessel muß ein zuverlässiges Manometer
angebracht seyn, an welchem die festgesetzte höchste Dampfspannung durch eine in die
Augen fallende Marke zu bezeichnen ist.
An Dampfschiffskesseln müssen zwei dergleichen Manometer angebracht werden, von denen
sich das eine im Gesichtskreise des Kesselwärters, das andere mit Ausnahme der
Seeschiffe auf dem Verdeck an einer für die Beobachtung bequemen Stelle befindet.
Sind auf einem Dampfschiffe mehrere Kessel vorhanden, deren Dampfräume mit einander
in Verbindung stehen, so genügt es, wenn außer den an einzelnen Kesseln befindlichen
Manometern auf dem Verdeck ein Manometer angebracht ist.
§. 10. (Kesselmarke.) An jedem Dampfkessel muß die festgesetzte höchste
Dampfspannung, der Name des Fabrikanten, die laufende Fabriknummer und das Jahr der
Anfertigung in leicht erkennbarer und dauerhafter Weise angegeben seyn.
III. Prüfung der
Dampfkessel.
§. 11. (Druckprobe.) Jeder neu aufzustellende Dampfkessel muß nach seiner
letzten Zusammensetzung vor der Einmauerung oder Ummantelung unter Verschluß
sämmtlicher Oeffnungen mit Wasserdruck geprüft werden.
Die Prüfung erfolgt bei Dampfkesseln welche für eine Dampfspannung von nicht mehr als
fünf Atmosphären Ueberdruck bestimmt sind, mit dem zweifachen Betrage des
beabsichtigten Ueberdruckes, bei allen übrigen Dampfkesseln mit einem Druck welcher
den beabsichtigten Ueberdruck um fünf Atmosphären übersteigt. Unter Atmosphärendruck
wird ein Druck von einem Kilogramm auf den Quadratcentimeter verstanden.
Die Kesselwandungen müssen dem Probedruck widerstehen, ohne eine bleibende
Veränderung ihrer Form zu zeigen, und ohne undicht zu werden. Sie sind für undicht
zu erachten, wenn das Wasser bei dem höchsten Druck in anderer Form als der von
Nebel oder feinen Perlen durch die Fugen dringt.
§. 12. Wenn Dampfkessel eine Ausbesserung in der Kesselfabrik erfahren haben,
oder wenn sie behufs der Ausbesserung an der Betriebsstätte ganz bloßgelegt worden
sind, so müssen sie in gleicher Weise wie neu aufzustellende Kessel der Prüfung
mittelst Wasserdruckes unterworfen werden.
Wenn bei Kesseln mit innerem Feuerrohr ein solches Rohr und bei den nach Art der
Locomotivkessel gebauten Kesseln die Feuerbüchse behufs Ausbesserung oder Erneuerung
herausgenommen, oder wenn bei cylindrischen und Siederkesseln eine oder mehrere
Platten neu eingezogen werden, so ist nach der Ausbesserung oder Erneuerung
ebenfalls die Prüfung mittelst Wasserdruckes vorzunehmen. Der völligen Bloßlegung
des Kessels bedarf es hier nicht.
§. 13. (Prüfungsmanometer.) Der bei der Prüfung ausgeübte Druck darf nur durch
ein genügend hohes offenes Quecksilbermanometer, oder durch das von dem prüfenden
Beamten geführte amtliche Manometer festgestellt werden.
An jedem Dampfkessel muß sich eine Einrichtung befinden, welche dem prüfenden Beamten
die Anbringung des amtlichen Manometers gestattet.
IV. Aufstellung der
Dampfkessel.
§. 14. (Aufstellungsort.) Dampfkessel welche für mehr als vier Atmosphären
Ueberdruck bestimmt sind, und solche bei welchen das Product aus der feuerberührten Fläche in
Quadratmetern und der Dampfspannung in Atmosphären Ueberdruck mehr als zwanzig
beträgt, dürfen unter Räumen in welchen Menschen sich aufzuhalten pflegen, nicht
aufgestellt werden. Innerhalb solcher Räume ist ihre Aufstellung unzulässig, wenn
dieselben überwölbt oder mit fester Balkendecke versehen sind.
An jedem Dampfkessel, welcher unter Räumen in welchen Menschen sich aufzuhalten
pflegen, aufgestellt wird, muß die Feuerung so eingerichtet seyn, daß die Einwirkung
des Feuers auf den Kessel sofort gehemmt werden kann.
Dampfkessel welche aus Siederöhren von weniger als 10 Centimeter Weite bestehen, und
solche welche in Bergwerken unterirdisch oder in Schiffen aufgestellt werden,
unterliegen diesen Bestimmungen nicht.
§. 15. (Kesselmauerung.) Zwischen dem Mauerwerk, welches den Feuerraum und die
Feuerzüge feststehender Dampfkessel einschließt, und den dasselbe umgebenden Wänden
muß ein Zwischenraum von mindestens 8 Centimeter verbleiben, welcher oben abgedeckt
und an den Enden verschlossen werden darf.
V. Allgemeine Bestimmungen.
§. 16. Wenn Dampfkesselanlagen die sich zur Zeit bereits im Betriebe befinden,
den vorstehenden Bestimmungen aber nicht entsprechen, eine Veränderung der
Betriebsstätte erfahren sollen, so kann bei deren Genehmigung eine Abänderung in dem
Bau der Kessel nach Maaßgabe der §§. 1 und 2 nicht gefordert werden.
Dagegen finden im Uebrigen die vorstehenden Bestimmungen auch für solche Fälle
Anwendung.
§. 17. Die Centralbehörden der einzelnen Bundesstaaten sind befugt, in
einzelnen Fällen von der Beachtung der vorstehenden Bestimmungen zu entbinden.
§. 18. Die vorstehenden Bestimmungen finden keine Anwendung: 1) auf
Kochgefäße, in welchen mittelst Dampfes, der einem anderweitigen Dampfentwickler
entnommen ist, gekocht wird; 2) auf Dampfüberhitzer oder Behälter, in welchen Dampf,
der einem anderweitigen Dampfentwickler entnommen ist, durch Einwirkung von Feuer
besonders erhitzt wird; 3) auf Kochkessel, in welchen Dampf aus Wasser durch
Einwirkung von Feuer erzeugt wird, wofern dieselben mit der Atmosphäre durch ein
unverschließbares, in den Wasserraum hinabreichendes Standrohr von nicht über 5
Meter Höhe und mindestens 8 Centimeter Weite verbunden sind.
§. 19. In Bezug auf die Kessel in Eisenbahnlocomotiven bleiben auch ferner noch die
Bestimmungen des Bahnpolizeireglements für Eisenbahnen vom 3. Juni 1870 in
Geltung.
Berlin, den 29. Mai 1871.
Der Reichskanzler.In Vertretung:
Delbrück.