Titel: | Zur Fabrication von Aetzbaryt und Schwefelbarium; von Dr. Georg Lunge. |
Autor: | Georg Lunge [GND] |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. XIV., S. 76 |
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XIV.
Zur Fabrication von Aetzbaryt und Schwefelbarium;
von Dr. Georg Lunge.
Lunge, über Fabrikation von Aetzbaryt und
Schwefelbarium.
Im Laufe der letzten Jahre ist eine Reihe von Arbeiten über die Darstellung von Aetzbaryt erschienen, namentlich von Lenoir,Wagner's Jahresbericht für 1867, S. 256.
Riviére,Polytechn. Journal Bd. CLXXXIII S.
291; Wagner's Jahresbericht für 1867,
S. 260.
Nicklès
Polytechn. Journal Bd. CXCV S. 143;
Wagner's Jahresbericht für 1869, S. 274. und Rosenstiehl.Polytechn. Journal Bd. CXCVIII S. 64;
Wagner's Jahresbericht für 1870, S. 223. Jedem, welcher mit der Baryt-Industrie zu thun hat, wird das Studium
aller dieser, zum Theil ungemein sinnreichen und gut ausgearbeiteten Vorschläge
nicht erst zu empfehlen seyn. Es geht jedoch nicht recht deutlich aus den mit
vorliegenden Berichten hervor, ob irgend einer der beschriebenen Vorschläge nicht
nur in großem Maaßstabe probirt worden ist, sondern, was viel wichtiger ist, zu
einem dauernden Fabrikbetriebe geführt hat. In Ermangelung solcher Auskunft kann ich es
nicht für unangemessen halten, das Verfahren zur Fabrication von Aetzbaryt und
Schwefelbarium zu beschreiben, welches ich vor einigen Jahren in einer
nordfranzösischen Fabrik beobachtet habe, wo der Aetzbaryt zur
Extraction von Zucker aus Melasse verwendet wurde. Wenn auf der einen Seite
das zu beschreibende Verfahren in vielen Stücken primitiver erscheint als diejenigen
von Nicklès und Rosenstiehl, so hat es auf der anderen Seite den Vorzug, Jahre lang im
großen Fabrikbetriebe ausgeführt worden zu seyn. Was ich zu beschreiben habe, habe
ich aber nicht im Laboratorium, sondern in der Fabrik gesehen. Allerdings ist das
Verfahren in seiner Anwendung ein beschränktes, weil die Darstellung von Aetzbaryt
auf die Verwendung von kohlensaurem Baryt beruht, welcher ja so viel seltener als
schwefelsaurer in der Natur vorkommt.
Neben dem Witherit von Hexham in Northumberland ist in der gedachten Fabrik freilich
noch eine reichhaltige Quelle von kohlensaurem Baryt vorhanden, in demjenigen
welcher bei der Verwendung des Aetzbaryts zur Extraction des Rohrzuckers aus der
Melasse abfällt, wenn der Zuckerbaryt durch Kohlensäure zersetzt wird. Dieser
künstliche kohlensaure Baryt ist natürlich viel leichter wieder in Aetzbaryt zu
verwandeln, als das Naturproduct. Die Operation beruht einfach auf dem Erhitzen
eines Gemenges von kohlensaurem Baryt mit 60 Proc. Kohlenklein zur Weißgluth, und
zwar in folgender Weise.
Die Glühöfen sind einigermaßen wie Sodaöfen construirt, und zwar ganz und gar aus
Chamotteziegeln erbaut, mit einer Wandstärke von 1 1/2 Ziegeln und der üblichen
Schienen-Verankerung. Die Feuerung ist ähnlich derjenigen von Puddelöfen,
nämlich ein an der Schmalseite des Ofens befindlicher Aschenfall, wo die Roste
gereinigt werden können, mit Einfeuerung durch eine seitliche, hoch gelegene
Schüröffnung. Die Rostfläche mag etwa 2 Fuß breit und 5 Fuß lang seyn, und die
Kohlenschicht liegt etwa 2 Fuß tief, um ein möglichst reducirendes Feuer zu
erlangen; mit Gasfeuerung ließe sich dieses jedenfalls viel sicherer bewirken. Die
Länge des ganzen Ofens ist etwa 18 Fuß, seine Breite 9 Fuß; je zwei Oefen sind
rückwärts zusammengebaut, so daß ihre Roste in derselben Richtung liegen, dagegen
die Schürlöcher und Arbeitsthüren an einander gegenüberliegenden Seiten. Jeder Ofen
hat nur ein Bett aber zwei Arbeitsöffnungen, welche durch Thüren von Chamotteplatten
in eisernen Rahmen, keineswegs luftdicht verschlossen werden. Das Gewölbe ist
ziemlich flach, und senkt sich nicht sehr stark nach hinten ab; das Feuer geht noch
unter dicht dahinter angebrachte Dampfkessel. Je zwei Oefen werden nur von einem
Arbeiter bedient.
Die Chargen bestehen aus je 300 Kilogrm. kohlensaurem Baryt, und 200 Kil.
Kohlenklein. Die Bearbeitung im Ofen dauert 6 Stunden, und das Resultat, nämlich das
Aetzendmachen des Baryts, hängt ganz wesentlich von der Geschicklichkeit des
Arbeiters ab, welcher sowohl eine sehr starke Weißgluth im Ofen erhalten als auch
die Mischung sehr fleißig durcheinander arbeiten muß. Jede Charge wird
alkalimetrisch auf ihren Gehalt an Aetzbaryt geprüft und der Arbeiter nach dem
Resultate bezahlt. Die Hitze ist entschieden viel größer als im Sodaofen, und das
inwendige Ofengemäuer wird natürlich dabei stark angegriffen, doch waren die Oefen
nicht in Eisenplatten gebunden (abgesehen von 10 Zoll breiten Widerlagsplatten für
das Gewölbe), und sahen trotzdem auswendig sämmtlich gut erhalten aus; die Hitze ist
also augenscheinlich keine solche daß sie erhebliche technische Schwierigkeiten
bietet. Die Anwendung von Wasserdampf, welche von mehreren Seiten (z. B von Jacquelain) als die Causticirung sehr befördernd gerühmt
wird, wurde in der gedachten Fabrik durchaus verschmäht, und von deren Besitzer
behauptet daß sie völlig unpraktisch sey.
Wenn die Masse im Ofen hinreichend fertig geworden ist, wird sie herausgezogen und in
mit Deckeln versehenen eisernen Cylindern erkalten gelassen. Hierauf kommt sie zur
Auslaugung, welches ein ziemlich complicirter und schwieriger Proceß ist. Die
Laugerei befindet sich in mehreren Etagen eines hohen Gebäudes, und die Masse wird
durch ein Paternosterwerk auf den höchsten Boden gehoben. Dort kommt sie in einen
gußeisernen Cylinder (Nr. I), 3 Fuß hoch und 4 Fuß weit, mit Rührwerk und
Dampfleitung, welcher mit der Lauge aus Nr. II gespeist wird. Nachdem sie dort
einige Zeit unter Erhitzung und unausgesetztem Rühren verweilt hat, läßt man den
ganzen Inhalt des Cylinders Nr. I in ein tiefer stehendes Klärgefäß laufen, wo sich
die klare Lauge und der Schlamm sondern. Die erstere kommt zum Eindampfen, der
letztere kommt in einen wieder tiefer befindlichen Cylinder Nr. II, welcher ganz wie
Nr. I eingerichtet ist, und wird dort mit Lauge von Nr. III durchgerührt. Wenn dieß
vorbei ist, geht er nach einem neuen Klärgefäß, von wo die klare Lauge nach dem
Rührcylinder Nr. I, und der Schlamm nach einem wieder tiefer liegenden Rührcylinder
Nr. III kommt; in dem letzteren wird er endlich mit frischem Wasser und Dampf
behandelt und erschöpft. Man ist aber noch nicht fertig damit, denn, wie auch Rosenstiehl neuerdings gezeigt hat, es ist noch immer
eine ziemliche Menge von Baryt in solchem Rückstande enthalten, welche theils gar
nicht reducirt und theils nicht auszulaugen ist: der Auslaugungs-Rückstand
wird daher getrocknet, und als Zuschlag in den Glühöfen gebraucht. Die Cylinder, Klärgefäße, Pumpen,
Rinnen u.s.w. füllen ein hohes und geräumiges Local aus, und contrastiren sehr stark
mit der Einfachheit der jetzt allgemein gebräuchlichen Soda-Laugerei nach Shanks; es wurde mit aber von dem Besitzer der Fabrik
versichert, daß diese Umständlichkeit nicht zu umgehen sey; wenn man es auch nur
einen Augenblick unterlasse, die Masse in den Cylindern zu erhitzen und umzurühren,
so erstarre sie sehr leicht zu einem steinharten Körper, welcher gar nicht mehr zu
bewältigen sey. Dieß kann sich jedoch wohl nur auf den höchsten Cylinder beziehen,
wo die stärkste Lauge entsteht. Im Uebrigen ist es klar, daß das gewöhnliche
Soda-Laugungsverfahren, mit seinem voluminösen und porösen Rückstand, hier
nicht am Platze wäre.
Das Eindampfen der concentrirten Laugungsflüssigkeit erfolgt in zwei Vacuumpfannen,
welche ganz ähnlich wie diejenigen für den Zuckersaft gebaut sind – etwa 5
Fuß weit und 6 Fuß hoch, mit Guckfenstern, Ueberspritzcylindern etc. Das Vacuum wird
durch eine nasse Pumpe (Einspritzen) hervorgebracht; sein Zweck ist selbstredend
der, den Baryt vor der Kohlensäure der Luft zu schützen. Ein Wasserstandsrohr am
unteren Ende dient zugleich zum Probeziehen; durch geeignete Stellung der
Absperrhähne kann man mit Leichtigkeit eine Probe erhalten ohne das Vacuum zu
stören, und mit dem Aräometer prüfen ob die Concentration hinreichend vorgeschritten
ist. Der Grad derselben ist verschieden, je nachdem man den Aetzbaryt für den
Versandt oder für den augenblicklichen Gebrauch in der Fabrik selbst zur Extraction
der Melasse herstellen will, und natürlich ein höherer im ersten Falle.
Schwefelbarium wird in Oefen ganz derselben Construction
wie für Aetzbaryt dargestellt, aber die Arbeit geht ungemein viel leichter und
schneller vor sich. Man macht in 24 Stunden je 12 bis 14 Chargen fertig, jede zu 300
Kilogrm. Bariumsulfat mit Rückständen von den Fabrikoperationen. Die Menge der Kohle
ist wechselnd je nach ihrer Beschaffenheit, etwa 200 Kil. per Charge. Fette Kohlen sind nicht immer so gut zur Arbeit tauglich als
magere; selbst bei Anwendung von fetter Kohle darf man die Masse nicht backen
lassen, weil die Reduction sonst eine sehr unvollkommene ist. Es hängt eben auch
wieder Alles von sehr fleißigem Durcharbeiten ab. Bei gut gelungener Arbeit findet
man leicht 80 Proc. des Bariumsulfates reducirt; wenn hinwiederum der Arbeiter
nachlässig gewesen ist, vielleicht nur 20 Proc. Aus den 500 Kil. Beschickung soll
man etwa 300 Kil. Masse erhalten, also eben so viel als die ursprünglich angewendete
Menge Sulfat, und die Masse soll etwa 60 Proc. alkalimetrischen Titer zeigen.
(Bekanntlich halten die Franzosen noch immer an den unrationellen Graden von Descroizilles fest, wovon 93 = 100 kohlensaurem Natron.) Die Auslaugung der Masse geschieht ganz in derselben Weise wie sie beim Aetzbaryt beschrieben worden
ist, und es ist auch dieselbe Gefahr eines plötzlichen Erstarrens der ganzen Masse vorhanden.
Merkwürdig ist es, daß die Anwendung des in großer Menge in jener Fabrik abfallenden künstlichen Bariumsulfates zur Herstellung
von Schwefelbarium mißglückte, weil dasselbe zu leicht war, und mit dem Zuge großentheils aus dem Ofen fortgerissen wurde.
Für unüberwindlich möchte ich diese Schwierigkeit nicht halten.