Titel: | Ueber die Fleischstärken der Wasserleitungsröhren; von Gustav Schmidt, Professor am deutschen Landespolytechnicum zu Prag. |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. XXII., S. 101 |
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XXII.
Ueber die Fleischstärken der
Wasserleitungsröhren; von Gustav
Schmidt, Professor am deutschen Landespolytechnicum zu Prag.
Aus dem praktischen Maschinenconstructeur, 1871, Nr.
16.
Schmidt, über die Fleischstärken der
Wasserleitungsröhren.
Nachdem die unverzeihliche Leichtfertigkeit, mit welcher man in Wien die
Fleischstärken der Wasserleitung bestimmt hat, durch Sensations-Artikel im
Wiener Tagblatt in die Oeffentlichkeit gedrungen war, fand sich der Wiener
Gemeinderath, leider viel zu spät, bemüßigt, die schon früher von vielen Seiten
erhobenen Bedenken zu berücksichtigen, und erwählte eine Expertise, welcher
dießbezügliche bestimmte Fragen zur Beantwortung vorgelegt wurden. Es ist
begreiflich, daß die Expertise bei dieser Sachlage auch nur auf die gestellten
Fragen eine möglichst kurz gehaltene Antwort gegeben hat und erst später auf
weiteres Ansuchen des Gemeinderathes einen umfassenderen „Bericht der
Wasserleitungsröhren-Experten-Commission“ vorlegte,
welcher Bericht nun im Verlag von R. v. Waldheim, Wien
1871, erschienen ist.
Die Namen der Experten bürgen für die Sachkenntniß, mit der dieser Bericht gearbeitet
ist, um so mehr muß aber das Befremden hervorgehoben werden, daß der Druck unter
welchem die Röhren stehen, bei allen Beispielen von anderen Städten detaillirt
angegeben ist, während für die neue Wiener Wasserleitung nur Seite 30 die allgemeine
Angabe zu finden ist, daß die meisten Röhrengattungen dauernd einem Druck von 6 bis
8 Atmosphären zu widerstehen haben, ohne daß die von der Expertise empfohlenen
Wandstärken für die Röhren von 9 bis 36 Zoll (0,24 bis 0,95 Met.) Durchmesser
speciell motivirt erscheinen, so daß sich der Leser des Eindruckes nicht entschlagen
kann, als ob die Expertise ihre für die großen Röhren noch immer sehr mäßigen
Angaben kaum mit voller Sicherheit vor der Oeffentlichkeit zu rechtfertigen gewagt
hätte, was sie freilich Seite 44 halb und halb selbst eingesteht mit den Worten:
„Es sind vielmehr die Wanddicken der größeren Röhren mindestens auf dasjenige Maaß zu verstärken, welches im
Experten-Bericht festgestellt wurde. Diese Verstärkung, obwohl sie hoch
bemessen scheint und für große Röhren sogar bis 50 Proc. beträgt, ist
thatsächlich nur auf das Nothwendigste beschränkt. Die Annahme der bei den
Wasserleitungen vieler anderer Städte, z.B. in Glasgow, Pest, Brünn etc.
wirklich zur
Textabbildung Bd. 202, S. 102–103
Post Nr.; Autor oder Stadt; Formel;
Burg 1846, 1. Auflage nach Geniey; Redtenbacher's Tabelle, 1. bis 5. Aufl.;
Wiener Ausführung; Reuleaux; Hagen; d'Aubuisson; Dupuits; Hütte nach Brix;
Expertise; Burg 1856, 3. Auflage nach Morin; Schmidt; Redtenbacher; Liverpool;
Cöln; Dijon; Lyon; Braunschweig; Paris; Pest; Berlin; Wiesbaden; Zürich; Bombay;
Carlsruhe; Paris; Magdeburg; Brüssel; Brünn; Glasgow; Dortmund; Stettin;
Liverpool; Lübeck; Hamburg; Kaiser Ferdinands-Wasserleitung in Wien;
Maximum des Druckes; Probedruck; Größter Durchmesser; Gußeisen; Guß und Legung;
Atmosphären; Centimet.; mittlerer Qualität; frei auf 1 oder 2 Ziegelpfeiler
gelegt; bester Qualität; vortrefflich; vorzüglich; die größeren Stränge in
Canälen; sehr sorgfältiger Guß; beste Beschaffenheit; auf eisernen Consolen in
gemauerten Canälen; englisches; sauber gegossen; außerordentlich zähe; sehr
sorgfältiger Guß; guter Guß; frei im Erdreich; belgisches; sehr gut;
vorzüglicher Guß; groß; aus Staffordshire; Jeder Strang nochmals mit 10
Atmosphären probirt
Verwendung gelangten Dimensionen, würde zu noch größeren
Verstärkungen geführt haben.
Unter die im Experten-Gutachten angegebenen (Maximal-Das Wort „Maximal“ bezieht sich wohl darauf, daß dem
liefernden Eisenwerk eine etwaige größere Wandstärke nicht vergütet
wird.) Wanddicken kann daher nicht gegangen werden, wenn der dauernde Bestand
des Röhrennetzes gesichert seyn soll.“
Wir vermissen hierbei die einzige Begründung, die man unserer Meinung nach für die
geringen Fleischstärken, welche die Expertise bei den größten Röhren bestimmte,
geltend machen kann, nämlich die außergewöhnlich sorgfältige Herstellung durch
verticalen Guß mit dem Muff nach unten, und mit äußerst genau centrirtem Kern, wie
diese Röhren von dem Eisenwerk Kladno der Prager
Eisen-Industrie-Gesellschaft nach der neuen Methode des
Hütten-Directors Jacobi geliefert werden.
Es ist jedoch nicht unsere Absicht, den Bericht zu kritisiren, sondern nur die vielen
darin enthaltenen schätzenswerthen Zahlendaten zu benutzen, um daraus rückwärts die
Formeln abzuleiten, nach welchen muthmaßlich die Röhrenstärken für die einzelnen
Städte berechnet wurden. Es ist natürlich wegen der üblichen Abrundungen der
Fleischstärken nicht möglich, die jeweilige Formel ganz genau zu reconstruiren,
jedoch sind die möglichen Fehler der Coefficienten von keinem praktischen
Belang.
In den nachfolgenden Formeln ist der Durchmesser d der
Röhren und die Fleischstärke δ in Centimetern zu
verstehen, und bedeutet n den Ueberdruck in
Atmosphären.
Des Vergleiches halber sind auch die bekannten theoretisch-empirischen Formeln
beigesetzt, denen ich die meinen Zuhörern auf Grund meiner Vergleiche und
Erfahrungen seit 1866 empfohlene Formel, Post Nr. 13, 14, einreihe.
(Siehe
Tabelle S. 102.)
Zum Vergleich folgt zunächst die nach (33) (34) berechnete und die in Glasgow
wirklich angewendete Röhrenstärke, zu welchem Behuf die Formel (34) vorerst in das
englische Maaß übertragen wird. Ist h die Druckhöhe in
Fußen engl., so ist n = h/34
und wird δ und d in
Linien gemessen, so ist:
δ = 0,00312 (h/34 + 2) d + 2,7 Linien
= 0,000092 (h + 68) d + 2,7
oder wenn δ in Linien, d aber in Zollen gemessen wird:
δ = 0,0011 (h + 68)
d + 2,7
für h ≧ 170
δ = 0,26 d
+ 2,7
für h < 170
Glasgower Röhren.
Textabbildung Bd. 202, S. 105
Durchmesser in Zollen; Druckhöhe in
Fußen; Fleischstärke in Linien; berechnet nach; ausgeführt; Fehler der Rechnung;
Summa
Diese Glasgower Formel unterscheidet sich von allen übrigen dadurch, daß sie den
Stößen durch einen Zuschlag von 2 Atmosphären Rechnung trägt, eine Methode, die,
abgesehen von der Coefficientenbestimmung), ganz rationell genannt werden kann. Auf
etwas Aehnliches kommt
man, wenn man die numerischen Resultate der in Redtenbacher's
„Maschinenbau“ Bd. II S. 372 abgeleiteten Formel für
Dampfkesselstärken einer Prüfung unterzieht. Es ergibt sich nämlich, daß diese
Formel für die Blechstärke δ bei dem
Kesseldurchmesser D und dem Ueberdruck von n Atmosphären:
δ = (1,81 + 0,495 n)/(362 – n) D
mit sehr großer Schärfe durch die empirische Formel:
δ = (0,0014 n + 0,005) D
substituirt werden kann, daß aber nach den in Oesterreich
üblichen Dimensionen die erheblich geringere Blechstärke
δ = 0,00115 (n + 3) D
als genügend erachtet wird. Wenn D
in Fußen, δ in Linien gemessen wird, so ist
hiernach die Kesselblechstärke
δ = (n + 3)/6 D
z.B. für D = 4 Fuß und n = 6 Atmosph. Ueberdruck, δ = 6 Linien. Da bei Kesseln keine so kleinen Durchmesser wie bei
Röhren vorkommen, so ist hier ein von D unabhängiges
Zusatzglied nicht nöthig.
Man rechnet also gewissermaßen die Dampfspannung um 3 Atmosphären höher als die
concessionirte Spannung und trägt hiermit den Stößen bei spontaner Dampfbildung
gebührende Rechnung.
Zum weiteren Vergleich folgt in der nachfolgenden Tabelle die Berechnung der neuen
Wiener Wasserleitungsröhren und zwar
a) nach Formel (3),
b) nach dem zum Theil ausgeführten Project,
c) nach Formel (10) für Röhren von 9 Zoll aufwärts,
d) nach dem Experten-Bericht,
e) nach der Glasgower Formel (34) für n = 8, also
δ = 0,0312 d + 0,57,
f) nach der von mit empfohlenen Formel (13) für n = 8, also
δ = 8/300 d + 0,7.
Wiener Wasserleitungsröhren.
Durchmesser d
(a)
(b)
(c)
(d)
(e)
(f)
(b)
(d)
(e)
(f)
Zoll
Centimeter
in Centimetern
in Wiener Linien
3
7,9
1,06
0,99
–
0,99
0,82
0,91
4 1/2
4 1/2
4
4 1/2
4
10,5
1,07
0,99
–
0,99
0,90
0,98
4 1/2
4 1/2
4
4 1/2
5
13,2
1,09
0,99
–
0,99
0,98
1,05
4 1/2
4 1/2
4 1/2
5
6
15,8
1,11
1,10
–
1,10
1,06
1,12
5
5
5
5
7
18,4
1,13
1,10
–
1,10
1,14
1,19
5
5
5 1/2
5 1/2
8
21,1
1,15
1,10
–
1,10
1,23
1,26
5
5
5 1/2
5 1/2
9
23,7
1,17
1,21
1,37
1,32
1,31
1,33
5 1/2
6
6
6
10
26,3
1,18
1,21
1,43
1,43
1,39
1,40
5 1/2
6 1/2
6 1/2
6 1/2
12
31,6
1,22
1,32
1,53
1,54
1,55
1,54
6
7
7
7
14
36,9
1,26
1,32
1,64
1,65
1,72
1,68
6
7 1/2
8
7 1/2
15
39,5
1,28
1,32
1,69
1,76
1,80
1,75
6
8
8 1/4
8
16
42,1
1,29
1,43
1,74
1,87
1,88
1,82
6 1/2
8 1/2
8 1/2
8
20
52,7
1,37
1,43
1,95
2,09
2,21
2,10
6 1/2
9 1/2
10
9 1/2
24
63,2
1,44
1,54
2,16
2,31
2,54
2,39
7
10 1/2
11 1/2
10 1/2
25
65,9
1,46
1,54
2,22
2,31
2,62
2,46
7
10 1/2
12
11
26
68,5
1,48
1,54
2,27
2,42
2,70
2,53
7
11
12 1/2
11 1/2
28
73,8
1,52
1,54
2,38
–
2,86
2,67
7
–
13
12
30
79,0
1,55
1,65
2,48
2,42
3,03
2,81
7 1/2
11
14
13
33
86,9
1,61
1,65
2,64
2,53
3,27
3,02
7 1/2
11 1/2
15
14
36
94,8
1,66
1,65
2,80
(2,42)
3,52
3,23
7 1/2
(11)
16
14 3/4
Dieser Vergleich zeigt, daß auch die von der Expertise als nöthig bezeichneten
Verstärkungen nur bis zu den 26 zölligen Röhren als normalmäßig angesehen werden
können, wogegen die Röhren von 28 bis 36 Zoll als noch immer schwach bestimmt
bezeichnet werden müssen. Die Fleischstärke, welche die Expertise bei diesen Röhren
bestimmte, kann nur dann als gerechtfertigt erscheinen, wenn etwa gerade diese
größten Röhren nicht unter dem Drucke von 8 Atmosphären liegen würden, was aber kaum
denkbar und leider im Experten Bericht nicht ersichtlich gemacht ist, oder aber,
wenn, wie schon oben gesagt, in Anbetracht der ganz außergewöhnlich vollkommenen
Herstellung der Röhren in Kladno eine begründete Herabminderung der berechneten
Röhrenstärke vorgenommen worden wäre. Bei den 36zölligen Röhren ist eine noch
auffallendere Herabminderung durch die Qualität des Mariazeller Gußeisens
gerechtfertigt, dessen absolute Festigkeit 2500 Kilogrm. pro Quadratcentimeter (310 Wiener Ctr. pro
Quadratzoll) beträgt, also gerade doppelt so groß ist, wie die des Gußeisens
mittlerer Qualität.
Daß die bisher gelieferten Röhren zum mindesten von 14 Zoll aufwärts wegen zu gering
berechneter Fleischstärke unbrauchbar sind, kann keinem weiteren Zweifel
unterliegen.