Titel: | Werth und Schattenseiten des Martinprocesses. |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. XXXII., S. 133 |
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XXXII.
Werth und Schattenseiten des
Martinprocesses.
Werth und Schattenseiten des Martinprocesses.
Von den anfangs vermutheten und ausgesprochenen Schwächen des Martinprocesses
(unzureichende Dauer der feuerfesten Materialien, schwierige Instandhaltung der
Ventile, Klappen, Canäle und Regeneratoren, die Mitanwendung roher Erze) hat sich im
Allgemeinen nur nicht die vortheilhafte Verwendung von rohen Erzen bestätigt. Der
gefürchtete Verbrauch an feuerfestem Material hat sich an den meisten Orten so
gestellt, daß die Kosten desselben per Centner reinen
Stahl jene beim Bessemern nicht übertreffen, wohl in Folge der Erfahrung, welche das
entsprechende Verhältniß von Gas und Luft, sowie das günstige Tempo im Wechsel der
Flammenrichtung kennen lehrt. Auch das Probenehmen zum Erkennen des augenblicklichen
Zustandes der flüssigen Eisen- und Stahlmasse, sowie die Instanderhaltung der
Canäle, Regeneratoren und Steuerungsvorrichtungen bietet an sich keine
Schwierigkeit. Dagegen hat sich nicht bewährt gefunden die in Aussicht gestellte
Zulässigkeit unreiner Rohmaterialien. Zur Erzeugung eines brauchbaren Productes
bedarf man sowohl eines reinen Schmiedeeisens oder Alteisens, als auch eines guten
möglichst phosphorfreien Zusatzroheisens (meist Spiegeleisen), ganz wie beim Bessemerprocesse, und
es ist deßhalb meistens im Anschluß an die Bessemerstahlfabrication die günstigste
Existenzbedingung für den Siemens-Martin-Proceß gegeben, welcher beschränkte Wirkungskreis
mit wenigen Ausnahmen in der That derjenige ist, der zur Zeit noch dem letzteren
Proceß entsprechend gefunden wird.
Bei sehr gutem Rohmaterial ist es möglich, nach diesem Proceß ein dem Tiegelgußstahl
gleichendes Product mit geringeren Kosten für Brennstoff und Arbeitslohn zu
erzeugen, aber es ist nur die Möglichkeit und nicht die Sicherheit der
Erzeugung eines solchen guten Productes vorhanden, was in der Hauptschwäche des
Processes beruht, daß es unmöglich ist, in jedem Augenblicke die chemische Wirkung
der Flamme zu bestimmen und nach Belieben zu ändern oder beliebig lang
beizubehalten. Neutrale und reducirende Flammen würden förderlich seyn, aber es läßt
sich die Entstehung schädlicher oxydirender nicht vermeiden, welche, obgleich starke
Hitze hervorbringend, ein wandelbares Product geben, bei hartem Stahl meist
vorzüglicher als bei weichem. Zur Unterhaltung der erforderlichen Temperatur muß
immer ein kleiner Luftüberschuß in den Gasen vorhanden seyn. Wie kräftig oxydirend
derselbe wirkt, läßt sich weder durch die Sinne, noch auch auf andere Weise
wahrnehmen, als durch Analysen oder das Nehmen von Proben, wozu aber immer
mindestens 10–15 Min. Zeit erforderlich sind. Stets treten auch
unvermeidliche Schwankungen beim Schüren, Gichten und Putzen des Generators ein, so
daß man mit der Gas- und Luftzuführung, so gut dieses ohne genügende
Anhaltspunkte möglich ist, zwischen kräftig oxydirenden und neutralen Flammen
lavirt. Darnach gewährt der Martinproceß zur Zeit noch nicht die Sicherheit des
Bessemerprocesses; er ist geeigneter zur Darstellung eines harten Stahles aus gutem
Rohmaterial und vortheilhaft, wenn man von dem Producte nicht verlangt daß dasselbe
hinsichtlich Härte und Qualität stets zwischen den engsten Grenzen bleibt, sondern
seine zweckmäßige Verwendung erst durch späteres Sortiren finden kann. (Kärnthner Zeitschrift, 1871, Nr. 9.)