Titel: | Ueber die Zuckergewinnung aus Melasse durch Baryt; von Dr. Georg Lunge. |
Autor: | Georg Lunge [GND] |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. XXXVIII., S. 164 |
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XXXVIII.
Ueber die Zuckergewinnung aus Melasse durch
Baryt; von Dr. Georg
Lunge.
Lunge, über Zuckergewinnung aus Melasse durch Baryt.
Die Verwerthung des krystallisirbaren Zuckers in der Melasse ist unstreitig eine der
wichtigsten Aufgaben der Technik, wenn man auch in die erste Linie das Bestreben
stellen muß, schon von vornherein so wenig als möglich Zucker am Krystallisiren zu
verhindern, dadurch daß man die Traubenzucker- und Salzmenge vermindert. Ganz
und gar läßt sich dieß selbstredend nicht bewerkstelligen, und man wird immer noch
mit der Aufgabe zu thun haben, den Zucker aus der Melasse auszuscheiden statt ihn
bloß durch Vergährung zu verwerthen. Seit längerer Zeit ist es schon bekannt, daß
eines der besten Mittel zur Zuckergewinnung aus Melasse der Aetzbaryt abgibt,
welcher mit dem Zucker eine unlösliche Verbindung bildet, die durch Kohlensäure
wieder in unlösliches Bariumcarbonat und löslichen Zucker zersetzt wird.
Ueber das Verfahren sind bisher nur spärliche Mittheilungen in die Oeffentlichkeit
gedrungen, wenn ich aus den Excerpten in Wagner's
Jahresberichten schließen darf.
Es dürfte daher vielleicht am Platze seyn, wenn ich das Verfahren beschreibe wie ich
es im Jahre 1866 im größten Maaßstabe persönlich beobachtet habe. Dasselbe weicht
nicht unerheblich von der kurzen Beschreibung ab, welche durch die Londoner
Ausstellung von 1862 in die Oeffentlichkeit kam,Polytechn. Journal Bd. CLXVII S. 398;
Wagner's Jahresbericht für 1863, S. 452. was zum Theil wenigstens auf der im Laufe der Jahre veränderten
Fabricationsweise beruhen mag.
Ich brauche wohl kaum vorauszuschicken, daß das Verfahren ganz und gar auf der von
mit im vorhergehenden Hefte dieses Journals S. 76 geschilderten Darstellung von
Aetzbaryt beruht, und ich knüpfe mithin da an, wo ich die Eindampfung in den
Vacuumpfannen beschreibe und anführe daß der nicht zum Verkauf, sondern zum
Verbrauch für Melasse bestimmte Aetzbaryt nicht ganz vollständig eingedampft,
sondern schon vorher aus den Pfannen direct nach seinem Bestimmungsorte abgelassen
wird.
Dieser ist im Erdgeschoß, wo sich auch der Hahn des Melassen-Reservoirs
befindet. Man läßt die concentrirte Barytlösung siedendheiß (denn beim Abkühlen
würde sie zu einer festen Masse erstarren) in kleine Kübel ab, in welche alsbald eine bestimmte
Menge Melasse eingelassen wird. Das Mischungsverhältniß wird nur nach dem Augenmaaße
bestimmt, läßt sich aber ziemlich scharf treffen, da die Kübel alle von gleicher
Größe sind, wie sie eben von zwei Mann ohne Mühe getragen werden können. Es ist ganz
wesentlich daß nicht der Baryt in die Melasse geschüttet werde, sondern umgekehrt.
Die Masse erscheint nach der Vermischung gelb und sehr schaumig, und erstarrt nach
wenigen Minuten zu einem Brei von dunkelgrüner Farbe. Die Kübel werden einer nach
dem anderen, sowie ihr Inhalt erstarrt ist, in eisenblechene Gefäße von etwa 3 Fuß
Weite und Höhe, nach unten sich ein wenig verjüngend, und über 100 an der Zahl,
ausgeleert. Jedes Gefäß hat einen falschen durchlöcherten Boden, welcher mit
Leinwand überspannt ist; man findet daß leinene Gewebe dem Baryt weit mehr
Widerstand leisten als alle anderen, und ist selbst die Kleidung der Arbeiter darauf
eingerichtet. Unter dem falschen Boden hat jedes Gefäß ein Ablaßrohr mit Holzhahn,
und Rinnen laufen darunter her, für eine ganze Anzahl von Gefäßen gemeinschaftlich.
Die breiige Masse wird in diesen Gefäßen längere Zeit gelassen, wobei die jetzt von
allem krystallisirbaren Zucker befreite Melasse abtropft und nach einem Reservoir
abläuft, aus welchem sie in die Gährbottiche kommt und darin ganz in der
gewöhnlichen Weise, mit Zusatz von Schwefelsäure, vergohren wird.
Die in den Eisenkästen zurückbleibende Masse von Zuckerbaryt wird mit Wasser
gewaschen bis dasselbe ganz farblos abläuft. Diese Waschwässer befreien den
Zuckerbaryt von allen fremden löslichen Salzen; selbstredend müssen sie auch noch
eine gewisse Menge Zucker (unkrystallisirbaren) enthalten; es wurde mit aber nicht
klar, ob dieser Antheil von Zucker irgend wie zu gute gemacht wird, und scheint mit
derselbe vielmehr bei der weiteren Verarbeitung verloren zu gehen.
Selbstverständlich enthalten diese Waschwässer eine große Menge Baryt, den
überschüssig zugesetzten Aetzbaryt und dessen Verunreinigungen, namentlich
Schwefelbarium, welches von dem beigemengten Schwerspath herrührt. Uebrigens kann
man Schwefelbarium auch ganz für sich allein zur Extraction des Zuckers, statt
Aetzbaryt, verwenden; dieß verursacht jedoch in der späteren Verarbeitung so viele
Schwierigkeiten, daß man trotz der viel größeren Unkosten beim Aetzbaryt stehen
bleibt. Diese baryt- und salzhaltigen Waschwässer werden mit dem
schwefelsäurehaltigen Schlempewasser vermischt, wobei sich schwefelsaurer Baryt
niederschlägt, welcher in großen Gruben gesammelt wird, aber zur Zeit meiner
Anwesenheit noch keine nützliche Verwendung gefunden hatte. Sämmtlicher Baryt wird
auf diese Weise entfernt, theils durch die freie Schwefelsäure, welche sich
natürlich dabei sättigt, und theils durch das schwefelsaure Kali, welches in
Aetzkali und mithin später in kohlensaures Kali übergeht. Die von dem schwefelsauren Baryt
getrennte Flüssigkeit geht dann in die Potasche-Siederei und wird in später
zu beschreibender Weise aufgearbeitet. Wir müssen hier auf die in den Eisenkästen
zurückbleibende Masse von ausgewaschenem Zuckerbaryt zurückkommen. Dieselbe wird in
ein anderes Local geschafft und in großen viereckigen eisernen Gefäßen, welche oben
offen sind, mit Kohlensäure behandelt, wie sie bei der Gährung der Melasse im
anstoßenden Local in enormen Mengen entwickelt wird. Das Gas strömt unter einem
gewissen Druck in die Masse ein, so daß es ein Umrühren derselben bewirkt.
Vermuthlich wird auch zu der breiförmigen Masse noch Wasser gesetzt, um die Reaction
sicherer zu machen. Die Kohlensäure verbindet sich nicht nur mit dem Aetzbaryt und
dem an Zucker gebundenen Baryt, sondern zersetzt auch den größten Theil des
Schwefelbariums unter Austreibung von Schwefelwasserstoff, welcher frei in die Luft
entweicht. Sämmtliches Schwefelbarium (welches manchmal 25 Procent der Barytsalze
bildet) wird dabei nie zersetzt, und es wird sich weiter unten ergeben, in welcher
Weise die Flüssigkeit in Folge seiner Anwesenheit behandelt werden muß.
Textabbildung Bd. 202, S. 166
Sobald die Kohlensäure hinreichend eingewirkt hat und das Gemenge wesentlich aus
einer Lösung von Zucker und präcipitirtem kohlensaurem Baryt besteht, läßt man
es zur Scheidung dieser beiden durch Apparate von folgender Einrichtung gehen:
Ein großes viereckiges, eisernes Gefäß ist durch zwei kreuzförmig zu einander
stehende Scheidewände in vier Abtheilungen getheilt. Jede Abtheilung hat am
Rande einen in die nächste reichenden Vorsprung, welcher jedoch nur 6 Zoll unter
die Oberfläche reicht; dieser Vorsprung hat unten ein Loch, welches durch einen
Pflock verschlossen werden kann, jedoch für gewöhnlich offen ist.
Textabbildung Bd. 202, S. 166
Das Gemisch von Zuckerlösung und kohlensaurem Baryt fließt
in die Abtheilung I oben ein, und wenn dieselbe voll ist, läuft ihr Inhalt durch
den Vorsprung 6 Zoll unter dem Rande nach II über. Ein großer Theil des
kohlensauren Baryts bleibt aber dabei in I. Aus II läuft wiederum das Gemisch
nach III über, aber jetzt ist das Ueberlaufende schon viel klarer, weil sich
noch mehr Barytsalz in Nr. II zu Boden gesetzt hat, und so setzt sich dieß nach
IV fort, aus welchem endlich eine nur sehr wenig trübe Lösung von Zucker
abläuft, welche nun durch längeres Stehenlassen in größeren Gefäßen völlig
geklärt und in später zu beschreibender Weise verarbeitet wird.
Der allergrößte Theil des kohlensauren Baryts findet sich als Schlamm am Boden der
vier Abtheilungen, und wird nun ausgepreßt, um ihn von der anhängenden Zuckerlösung
zu trennen. Die Pressen sind liegende, mit horizontal wirkendem Drucke und bestehen
aus einer Anzahl hohler Metallrahmen von 18 Zoll im Quadrat, in welche der Schlamm,
in Leinwandtücher eingeschlagen, gebracht wird. Ein Loch im Boden jedes Rahmens
gestattet der Zuckerlösung abzufließen. Ein Rahmen nach dem anderen wird vertical
eingesetzt bis die Presse voll ist, und alsdann die Pressung vermittelst einer
Schraube ausgeführt, deren Umdrehung durch ein zwei Fuß im Durchmesser haltendes
Handrad von Mädchen bewirkt wird. Der Zuckersaft fließt zur weiteren Verarbeitung
ab; der Preßkuchen aber wird in einem mechanischen Rührwerke mit Wasser
durchgerührt, wiederum ausgepreßt, der zweite Preßkuchen noch einmal angerührt und
ausgepreßt, und erst der dritte Preßkuchen ist so gut wie reiner kohlensaurer Baryt,
welcher nun wieder in das Ofendepartement kommt und nach der früher beschriebenen
Weise in caustischen Baryt verwandelt wird.
Wir gehen nun zur weiteren Bearbeitung des Zuckersaftes über, welcher theilweise aus
den Klärgefäßen und theilweise von den Pressen kommt. Derselbe enthält, wie schon
oben erwähnt, immer etwas Schwefelbarium, obwohl er ganz frei von kohlensaurem und
Aetzbaryt ist, welche ohnehin bei der folgenden Behandlung gleichfalls mit entfernt
werden würden. Das beste Verfahren, um den Baryt vollständig zu entfernen, ohne
wieder schädliche Salze in den Saft zu bringen, wurde erst nach längeren Versuchen
gefunden und besteht in Folgendem: Man versetzt den Saft mit einer Lösung von
Zinkvitriol in möglichst kleinem Ueberschusse, wobei sich natürlich derselbe mit dem
Schwefelbarium in schwefelsauren Baryt und Schwefelzink umsetzt, welche beide als
unlösliche Producte leicht zu entfernen sind. Dann setzt man ein wenig schwefelsaure
Thonerde zu, wodurch alles Zink als ein unlösliches Doppelsalz niederfallen soll.
Der von dem Niederschlage durch Absetzen getrennte Saft ist nun von allen
schädlichen Beimischungen gereinigt und zum Versieden fertig, welches ganz in der in
Zuckerfabriken gebräuchlichen Weise geschieht, wobei drei sehr große Vacuumpfannen
und sechs Centrifugen verwendet werden. Es werden dabei sechs verschiedene Producte
gewonnen, welche sämmtlich brauchbar sind, und das erste davon ist so rein, daß es
ohne Raffination zum Genusse gebraucht wird.
Ueber die Verarbeitung der Schlempe von
dem obigen Verfahren.
Bevor ich meine eigenen Notizen darüber mittheile, muß ich darauf aufmerksam machen
daß die Verarbeitung der Schlempe in den nordfranzösischen Fabriken in sehr
eingehender Weise von Kuhlmann in A. W. Hofmann's Bericht über die Londoner Ausstellung (p. 55 der englischen Ausgabe) beschrieben worden ist. Da
das von mit beobachtete Verfahren damit im Wesentlichen übereinstimmt, so will ich
den Leser auf die Kuhlmann'sche Beschreibung verweisen,
welche viele Einzelheiten enthält, die mit nicht mitgetheilt wurden, und mich im
Folgenden nur bei solchen technischen Details aufhalten, welche von Kuhlmann nicht angeführt, aber gerade für den Praktiker
von großem Werthe sind.
Wie im Vorstehenden bemerkt, werden bei der Melassen-Verarbeitung durch Baryt
die Waschwässer vom Zuckerbaryt zu der Schlempe gesetzt, und die Flüssigkeit wird
von dem niederfallenden schwefelsauren Baryt durch Absetzen getrennt. Sie kommt dann
zum Abdampfen in einen Flammofen von etwa 60 Fuß Länge, dessen Sohle aus vier
Abtheilungen hintereinander besteht, deren vorderste (der Feuerung zunächst
liegende) zur Entzündung und Verbrennung der eingedampften Masse dient, wie stets
gebräuchlich. Der ganze Ofen ist mit einem Gewölbe überspannt, und trägt keine Verdampfpfannen.Nach eigenen Erfahrungen scheint mit der Vortheil der Verdampfpfannen statt
des Ofengewölbes sehr zweifelhaft zu seyn. Sie entziehen den Feuergasen so
viel Wärme, daß dieselben ihre Function im Ofen selbst nicht vollständig
erfüllen, und statt der gehofften Brennmaterial-Ersparniß manchmal
gerade das Entgegengesetzte eintritt. Die auf der vordersten Sohle brennende Masse brennt mit sehr lebhafter
Flamme, und scheint viel mehr Hitze abzugeben als das Kohlenfeuer im Herde. Die zwei
hintersten Abtheilungen der Sohle sind mit rasch gehenden Schaufelrädern versehen,
welche durch die Breite des Ofens hindurchgehen und die Flüssigkeit der Flamme in
einem Sprühregen aussetzen. Dadurch, und durch möglichste Verringerung des Zuges,
erreicht man es daß die Verbrennungsgase nur 60° C. warm in den Schornstein
abziehen. Die Schlempenkohle wird in Rührbottichen aufgelöst und die Lösung in
flachen eisernen Pfannen durch Unterfeuer verdampft. Zur Feuerung dient der
Kohks-Abfall der übrigen Flammofen-Feuerungen. Während des Abdampfens
fällt Soda aus, welche man herauskrückt; bei 40° Baumé hört man auf
und läßt zum Krystallisiren ablaufen, wobei Chlorkalium anschießt. Die Mutterlauge
davon dampft man bis 50° Baumé ein, und läßt wieder krystallisiren.
Ueber das dabei anschießende Salz möge man in Kuhlmann's
Bericht nachlesen. Die jetzt fallende Mutterlauge ist noch immer 50° B. stark
und enthält wesentlich nur kohlensaures Kali. Sie wird in Flammöfen ohne
Eisenschale, nur mit Ziegelsohle, zur Trockne eingedampft und dann calcinirt. Die
Calciniröfen haben ihre Arbeitsöffnung nicht, wie sonst gewöhnlich, in der Langseite
des Ofens, sondern im Ende desselben, gegenüber der Feuerbrücke. Gerade darüber
befindet sich im Deckgewölbe der Fuchs zum Entweichen der Flamme. Die (halbrunde)
Arbeitsöffnung ist nur lose durch ein mit zwei Löchern versehenes Blech
verschlossen.
Durch einen speciellen Kunstgriff erreicht man es, die Potasche darin bis zur
schneeweißen Farbe zu calciniren, obwohl der Gehalt der Masse an Cyankalium und
Schwefelcyankalium sie ungemein dazu geneigt macht graphitähnliche Kohle im
feinvertheilten Zustande auszuscheiden, welche sehr schwer verbrennlich ist und
graue Färbung verursacht. Man hilft sich dadurch, daß man den Ofen durch Aufschütten
von Kohlenklein im Herde mit dichtem Rauche erfüllt, und denselben durch Hinwegnahme
des Bleches von der Arbeitsöffnung und die dadurch entstehende starke Luftzufuhr
plötzlich verbrennt; dabei verbrennt dann auch die fein vertheilt in der Potasche
enthaltene Kohle. Diese Operation muß mehrmals wiederholt, und die Masse dabei sehr
tüchtig umgearbeitet werden, ehe die Potasche ganz weißgebrannt ist; sie erfordert
sehr sorgfältige Regulirung des Registers, und jedenfalls bedeutende
Geschicklichkeit des Arbeiters. Die Chargen sind nicht groß, werden aber ziemlich
schnell fertig, vielleicht einmal per Stunde. Die
gewöhnliche Handelsstärke der Potasche auf welche man arbeitet, ist 80°; man
kann sie aber mit Leichtigkeit auf 95° bringen.