Titel: | Ueber Dampfkessel-Explosionen und deren Veranlassungen; von Maschinen-DirectorKirchweger in Hannover. |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. XLV., S. 197 |
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XLV.
Ueber Dampfkessel-Explosionen und deren
Veranlassungen; von Maschinen-DirectorKirchweger in Hannover.
Aus den Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereines,
1871 S. 183.
Kirchweger, über Dampfkessel-Explosionen und deren
Veranlassungen.
Ueber die Ursachen der Dampfkessel-Explosionen ist bereits eine große Zahl von
Urtheilen laut geworden, die meistens basirend auf unerwiesene Hypothesen, nur den
Erfolg haben könnten, das Bestreben zu unterdrücken, dem wirklich veranlassenden
Grunde einer Explosion fernerweit nachzuforschen, zumal wenn der Berichterstatter in
mysteriösen Erklärungen sich erging.
Dem Schreiber dieses sind auch vielfach Kesselexplosionen in ihren Endresultaten zu
Gesicht gekommen und blieb es ihm selten zweifelhaft, wo der Keim zur Explosion lag
und wie deren Effect seinen Anfang und Verlauf nahm.
Nach solchen Beobachtungen und dadurch erlangten Anschauungen, unterstützt durch
darauf hinzielende praktische Versuche, darf man sich unter Anderem erdreisten,
entschieden in Abrede zu stellen, daß das bekannte Leidenfrost'sche physikalische Phänomen selbst in geringstem Maaße bei
Kesselexplosionen sich bethätige.
Ein leicht anzustellender Versuch zeigt, daß z.B. das in eine glühend heiße Kelle von
Eisenblech eingefüllte Wasser rascher oder langsamer in Dampf verwandelt wird, je
nachdem das Eisenblech einen höheren oder geringeren Hitzegrad hat, vorausgesetzt daß die
Wassermenge nicht ein einziges Tröpfchen ist.
Weißglühhitze des Eisens gibt selbst heißem Wasser auffällig langsam die nöthige
Wärme ab, um dieses in Dampf zu verwandeln.
Naturgemäß wächst diese Zeit mit der Temperaturabnahme des Eisens, und konnte bei
derartigen größeren Versuchen keine Unregelmäßigkeit in dem Verlauf des
Verdampfungsvorganges gefunden werden; namentlich nicht die vielbehauptete Sphäroidenbildung und die dieser folgen sollende
plötzliche Massenverdampfung. Mit Entschiedenheit ist daher zu behaupten, daß eine
plötzliche Verwandlung von Wasser in Dampf namentlich in geschlossenen Räumen nicht
stattfindet, hierzu Zeit und zwar verhältnißmäßig viel Zeit erforderlich ist.
Die in früherer Zeit verbreitete Meinung, daß das Wasser im Kessel an den glühend
gewordenen Wänden zersetzt, durch Mischung mit Luft in Knallgas verwandelt und dann in derselben Art entzündet, d.h. wieder zu
Wasser vereinigt werden könne, dürfte einen wissenschaftlichen Widerspruch erfahren;
denn derselbe Wärmevermittler, welcher in dem einen Moment das Wasser in seine
Elemente, Wasserstoff und Sauerstoff zerlegte, kann unmöglich im nächsten Augenblick
die Wiedervereinigung dieser Elemente bewirken.
Diese hier erwähnten, lange Zeit in gutem Glauben hingenommenen physikalischen
Hypothesen scheinen allmählich außer Cours zu kommen; dagegen bemüht man sich
anderweite Erscheinungen aufzutischen, um damit die Kesselexplosionen erklärlich zu
machen.
So erregte in neuerer Zeit die Behauptung eines Siedeverzuges in kochendem Wasser nicht geringes Aufsehen.
Die Erscheinung eines Siedeverzuges soll vorzugsweise eintreten wenn in dem kochenden
Wasser vollständige Ruhe herrscht; während bei demnächst wieder eintretender
Wassercirculation, die aufgespeicherte Wärme das Wasser plötzlich in Dampf
verwandeln soll.
Verunreinigung des Wassers durch erdige Bestandtheile, Salze, Oel u. dergl. soll
ebenfalls den Siedeverzug herbeiführen.
Diese Erscheinung des vermeintlichen Siedeverzuges wird man mindestens in Zweifel
stellen dürfen, so lange nicht entsprechende Versuchsresultate mit zugehörigen
Zahlenwerthen vorliegen. Solche sind zwar in Aussicht gestellt lassen aber etwas
lange auf sich warten und werden vielleicht in das Meer der Vergessenheit
hinabsinken.
Die Bedingungen welche man der Erscheinung des Siedeverzuges unterschieben will, sind
in keinem anderen Falle so vollständig und vielseitig vorhanden, als beim
Locomotivenbetriebe und doch hat man von derartigen Erscheinungen in diesem Fache
weder etwas gehört noch je gesehen, während die Gründe zu
Locomotivkessel-Explosionen stets nachweislich in Constructions- oder
Materialfehlern sich fanden.
Man wird also wohl daran thun, die Siedeverzugs-Erscheinung bis nach erfolgter
Klarstellung vorläufig auf sich beruhen zu lassen.
Eine andere, noch viel weniger wahrscheinliche Erklärungs-Annahme durchkreist
jetzt die Dampfkesselwelt.
Dieser Theorie nach entständen in einem Kessel mächtige Stöße dadurch, daß man den Dampf schnell durch eine große Oeffnung
entweichen läßt. Die dadurch naturgemäß eintretende Spannungsverminderung gäbe Anlaß
zu plötzlicher Verdampfung einer großen Wassermasse und eben diese wiederum die
ungeheuersten Stöße, denen das Kesselmaterial nicht zu
widerstehen vermöge. Große Sicherheitsventile seyen daher sehr gefährlich, wie denn
auch ein in der Kesselwand entstandener Bruch oder Riß erst dadurch gefahrbringend
werde und zu einer Explosion führe, daß nach der Entweichung von Dampf die Spannung
im Kessel abnimmt und nun das plötzlich in Dampf sich verwandelnde Wasser die
famosen zerstörenden Stöße und Explosionswirkungen hervorbringt.
Naiver läßt sich wohl kaum eine Erklärung geben. Man übersieht hierbei die
physikalische Thatsache, daß die Dampfspannung stets genau dem obwaltenden
Wärmegrade der Wassermasse entspricht, aus welcher letzteren der Dampf sich
entwickelte. Wenn nun rasch durch Ablassen von Dampf die Spannung im Dampfraume
vermindert wird, so entwickelt sich alsbald, nicht urplötzlich, aus dem relativ
überwärmten Wasser wieder Dampf, wozu von der in letzterem aufgespeicherten Wärme
ein Quantum entnommen und eben deßhalb die ursprüngliche Dampfspannung nicht
erreicht wird, viel weniger noch über diese hinaus eine Pressung im Kessel plötzlich
entstehen kann.
Wie der Begriff „Stoß“ hierbei aufzufassen ist, hat man zu
erläutern unterlassen und dürfte es schwer halten, denselben wissenschaftlich als
den gefährlichen Explosionsfactor zu legitimiren.
Die Erfahrung lehrt jeden Augenblick, daß durch schnelle Abführung von Dampf aus
einem Kessel die Spannung in diesem sofort sinkt, und wenn die Entnahme fortdauert,
nimmermehr eine Steigerung, wohl aber ein continuirliches Sinken der Dampfspannung
im Kessel entsteht, vorausgesetzt daß von Außen dem letzteren nicht ein
entsprechendes Wärmequantum zum Ersatz wieder zugeführt wird.
Daß nun ein verminderter Dampfdruck nicht den Effect für eine Kessel-Explosion
haben kann wie höhere Spannung, liegt auf der Hand und darf man sich deßhalb über
eben erörterte vermeintliche Explosionsursache ganz beruhigt halten, mögen dabei
auch noch andere Erscheinungen vorkommen, welche in unrichtiger Erklärung, die
geheimnißvollen „Stöße“ zu constatiren, benutzt werden.
Nicht in Abrede ist zu stellen, daß durch plötzliches Oeffnen des
Dampf-Absperrventiles leicht Wasser aus dem Kessel vom ausströmenden Dampfe
mit fortgerissen wird und verderblich für die zugehörige Dampfmaschine werden kann.
Dagegen wird diese Erscheinung niemals nachtheilig für den Kessel selbst seyn.
Letztere entspringt lediglich aus dem Umstande, daß die eintretende
Spannungsverminderung der schnellen Neubildung von Dampf auf Kosten der im Wasser
vorhandenen größeren Wärmemenge Vorschub leistet, und ein heftiges Aufkochen
eintritt.
Nicht in dunklen Hypothesen suche man die Erklärung für Kesselexplosionen, vielmehr
und vorzugsweise in ungenügender Stärke des
Kesselmateriales, wie andererseits in
Constructionsmängeln der Dampferzeuger; nicht minder aber auch in vernachlässigter Bedienung der Kessel.
Der erstere und letztere Punkt ist nach erfolgter Explosion leicht zu constatiren,
während dagegen die Constructionsmängel oder Fehler sich oft der Kontrolle
entziehen.
Schreiber dieses besichtigte gelegentlich die Fragmente eines mit Vehemenz
explodirten Kessels, an welchem das 3 Fuß im Durchmesser haltende Feuerrohr für
Innenfeuerung zusammengedrückt war und bei diesem Vorgange zerriß. Die Bleche
zeigten keine Spur von vorhergegangenem Erglühen, wohl aber fand sich, daß die
Rohröffnung in der vorderen Stirnwand des Kessels nicht kreisrund, sondern um 1 1/2
Zoll eiförmig oval war. Welcher Umstand diese Unförmlichkeit bei der Herstellung des
Kessels veranlaßt haben mochte, mag dahin gestellt seyn; es knüpfte sich daran aber
das Factum, daß auch das Rohr selbst diesen ovalen Querschnitt, wenn auch nur
theilweise, annehmen mußte und war augenscheinlich das Zusammenpressen des Rohres
naturgemäß in der Richtung der kleinen Achse erfolgt.
Es konnte allerdings die Frage aufgeworfen werden, woher auf einmal der plötzliche
Zusammenbruch gekommen sey, da der fragliche Kessel jahrelang schon im Gebrauche war
und eine erhebliche Abnutzung der Bleche an den Bruchstellen nicht bemerkt wurde?
Darauf ist zu antworten, daß nur ein vollkommen kreisrundes Rohr durch den
allseitigen Druck des Dampfes in seiner Kreisform nicht alterirt, dagegen ein
solches von ovalem Querschnitt durch zunehmenden Druck mehr und mehr flach gedrückt
wird. Mit der Zu- und Abnahme des Dampfdruckes (wir wollen hier von der
unerheblichen Mitwirkung der einseitigen Wasserdruckhöhe absehen) wurde daher jenes
Rohr so zu sagen jeden Augenblick im Querschnitt verändert und das Blech in sich
hin- und hergebogen bis dessen Molecüle verschoben mehr oder minder den
Zusammenhang d.h. das Material seine Festigkeit verlor.
Daß durch Hin – und Herbiegen Eisen, Stahl und sonstiges Material seine
Festigkeit allmählich verliert d.h. zerbricht, ist eine bekannte Thatsache und hängt
es dabei wesentlich von der Intensität der angewendeten Kraft, wie andererseits von
der Größe des Biegungswinkels ab, ob der Bruch früher oder später erfolgen wird.
Diese Thatsache bildet einen der wichtigsten Factoren bei den
Dampfkesselexplosions-Erscheinungen, wird aber bei den Erklärungen
solcher Unfälle nicht genügend in Rücksicht gezogen.
Sie macht sich geltend bei allen geraden, wie unregelmäßig gekrümmten, nicht genau
kreisrunden, röhrenförmigen Kesselflächen und bedingt sorgfältige Verankerungen und
Verstärkungen, durch welche jedoch das Biegungsbestreben niemals aufgehoben
wird.
In ihrer Wirkung finden wir sie häufig wieder bei Explosionen großer Cornwallkessel,
in welchen Fällen meistens die Stirnflächen (Endböden) dem Dampfdrucke weichen, da
deren Eckverbindungen, im Winkeleisen oder an der Umbördelung der Blechplatten,
anscheinend ältere Bruchfehler hatten, welche letztere aber erst durch das
continuirliche Hin- und Herbiegen der Stirnplatten entstanden.
Im Gebiete meiner Erfahrungen explodirte unter anderen ein Locomotivkessel im Dienste
mit großem Effect, obgleich derselbe kurze Zeit zuvor einer officiellen Druckprobe
mit ungleich höherer Pressung unterzogen war und für den Moment des Unfalles
keinerlei veranlassende Unregelmäßigkeit aufgefunden werden konnte.
Lediglich jene Hin- und Herbiegung der
Kesselwandung an einer für solche Biegung qualificirten Stelle führte den
Bruch resp. Explosion herbei.
Eine andere, bei manchen Locomotivkesseln auffällig vorkommende Erscheinung findet
durch diese Thatsache ihre Erklärung in folgender Art.
Es zeigt sich nämlich in den Langkesseln von Locomotiven, deren Blechplatten in
Längsnähten zusammengefügt sind, welche wie üblich nach unten gelegt wurden, entlang
der Naht gewöhnlich eine starke Vertiefung im Blech, frei von Kesselsteinansatz,
augenscheinlich durch Oxydation des Eisens entstanden. Der Kessel hat in solchem
Falle nicht völlige Kreisform im Querschnitt, sondern es bildet die Blechstärke mit
den Enden übereinandergelegt, eine Spirale, die durch den inneren Dampfdruck dem Kreise möglichst
nahe gebracht wird und wodurch dann die Biegung der Bleche zunächst der unrunden
Stelle neben der Naht erfolgen muß.
Die weitere Folge ist sodann, daß diese Biegung den Ansatz von Kesselstein an den
betreffenden Stellen eben sowohl verhindert als eine schützende Rostkruste, und kann
daher die Oxydation des Bleches hier nur gefördert werden.
Diese überraschende Erscheinung fand sich besonders auffallend an Vorsig'schen Locomotivkesseln aus den 40er Jahren, wobei
man den Langkesseln einen stark elliptischen Querschnitt gegeben hatte.
Selbst an anderen Stellen der Locomotivkessel macht sich dieselbe Erscheinung
bemerklich und namentlich z.B. da, wo der Langkessel durch von außen angenietete
Stützen getragen wird. Man kann hier gewöhnlich innerlich die Stelle der Stützfläche
markirt finden und besonders um die Nietköpfe herum jene Oxydationsgruben nach der
Richtung hin bemerken, wo die Verbiegung des Bleches am meisten möglich war.
Dergleichen Erscheinungen finden sich im Inneren der Locomotivkessel auch noch an
verschiedenen anderen Stellen und ist die Entstehung solcher Defecte zweifellos jener continuirlichen Blechverbiegung zuzuschreiben, die
am Ende in Bruch und Explosion ausarten kann. Wenn damit manche Zweifel über die
Veranlassung von Kesselexplosionen gehoben werden dürften, so ist doch für den
Kesselbesitzer daraus wenig Trost zu schöpfen und wird derselbe seine Schuldigkeit
thun, wenn er unausgesetzt für gewissenhaft gute Bedienung seines Kessels sorgt.
Den Kesselfabrikanten wird es dagegen obliegen, unter Berücksichtigung des
Vorstehenden sachgemäße solide Constructionen zu gewissenhaft guter Ausführung zu
bringen.
Dieß sind die Bedingungen, unter denen die Kesselexplosions-Unfälle bis auf
ein Minimum zurückgeführt werden dürften.