Titel: | Vorschlag zur möglichsten Verhütung von Explosionen bei der Bearbeitung explosiver Stoffe, insbesondere des Knallquecksilbers, zu Zündmassen; von Dr. Ph. Neumann. |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. LXV., S. 272 |
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LXV.
Vorschlag zur möglichsten Verhütung von
Explosionen bei der Bearbeitung explosiver Stoffe, insbesondere des Knallquecksilbers,
zu Zündmassen; von Dr. Ph. Neumann.Aus des Verfassers Abhandlung: „Das Knallquecksilber, seine Fabrication
und Verarbeitung zu Zündsätzen“ von Ph. Neumann im bayerischen Industrie- und
Gewerbeblatt, 1871 S. 250.
Neumann, Vorschlag zur Verhütung von Explosionen bei dem Körnen und
Mischen des Knallquecksilbers.
Der Zweck, welchem die Verwendung des Knallquecksilbers als Zündmasse dienen soll,
bedingt große Empfindlichkeit der Masse. Diese Bedingung und die Nothwendigkeit von
Mischung und Körnung
machen die Herstellung des Zündsatzes und der Zündvorrichtung unzertrennlich von
großer Gefahr, die selbst durch die Summe aller nur denkbaren, bisher angewendeten
Vorsichtsmaßregeln nicht völlig beseitigt werden konnte.
Eine Verbesserung der seitherigen Sachlage wird aber nur erreicht, wenn die an die
Zündmasse zu stellenden Bedingungen durch veränderte Fabrication nicht
beeinträchtigt werden. Ein Fabricat, das nach allen Richtungen befriedigen soll, muß
neben der völlig hinreichenden Empfindlichkeit eine möglichst geringe Neigung zur
Zersetzung bieten und möglichst gefahrlose Fabrication zulassen.
Ich habe mich wiederholt damit beschäftigt, der Lösung dieser Aufgabe näher zu
treten, und führe aus meinen Versuchen Folgendes an. Ich sagte mit, es sey schon ein
Schritt vorwärts, wenn man Substanzen kenne, die sich für einen den unerläßlichen
Anforderungen entsprechenden Zündsatz eignen, deren Herstellung gefahrlos ist, und
die sich ganz ohne die Gefahr der Zersetzung so lange vereinzelt oder im
ungefährlichen Gemisch aufbewahren lassen, bis ihre Zubereitung für die Herstellung
der Zündmasse resp. der Zündvorrichtung erforderlich ist. Dann bliebe nur noch die
etwaige Gefahr der letzten Operation zu beseitigen.
Ich fand unter vielen anderen Mischungen ganz besonders in dem Kupfercyanür und dem
chlorsauren Kali solche Körper. Ich habe die Mischung meines Präparates über ein
Jahr lang offen stehen gelassen und fand weder irgend eine Spur von Zersetzung, noch
eine Verminderung der Explosionskraft. Letztere hat zwar die der knallsauren Salze
nicht erreicht, trat derselben aber sehr nahe.
Von den Zündhütchen, welche ich mit meinem Präparate herstellte, versagte kein
einziges, und es käme nur noch auf den Versuch an:
1) ob die Explosionskraft der Mischung ausreichend ist, oder – wenn nicht
–
2) ob die Explosionskraft ohne Beeinträchtigung der sonstigen guten Eigenschaften der
Mischung sich durch chemische oder mechanische Zusätze erhöhen läßt.
Ich behalte mit vor, meine Versuche fortzusetzen, und dabei die in nachstehender
Mittheilung entwickelte Idee über die Behandlung von Knallquecksilber und ähnlichen
Präparaten bei den gefährlichsten Operationen ihrer Darstellung als Zündmasse in
Ausführung zu bringen.
Man kann die Wirkung der mit einer chemischen Zersetzung verbundenen Explosion des
Knallquecksilbers auf zwei Punkte zurückführen:
1) auf die Veränderung des Aggregatzustandes der Körper, welche aus dem festen
Zustande augenblicklich oder wenigstens mit
außerordentlicher Schnelligkeit, in den gasförmigen übergehen und dadurch einen
bedeutend größeren Raum einnehmen, als vorher;
2) auf die hohe Temperatur, welche durch die bei der Zersetzung frei werdende Wärme
entsteht.
Durch beide Ursachen zusammen, wird die Wirkung bedeutend verstärkt. Die Explosion
ist um so heftiger und tritt um so zerstörender auf, je momentaner die Zersetzung
vor sich geht, je größer die Gasentwickelung und je intensiver die entwickelte Wärme ist.
Als Entstehungs-Ursache der Explosionen ist die Wärme zu betrachten. Bei den
so ungemein explosiven Körpern: Knallsilber, Knallquecksilber, Schießbaumwolle etc.
etc. genügt es, daß durch Ritzen, Stoß, Schlag oder Reiben des kleinsten Theiles der
Materie die dadurch hervorgebrachte Wärme diesen
kleinsten Theil zur Explosion bringt, welche sich sofort und ohne anderweite
Veranlassung bei gewöhnlichem Luftdruck auf die Gesammtmasse des vorhandenen Körpers
fortpflanzt. – Ein anderes Verhalten findet dagegen nach den Experimenten Bianchi's und Heeren's im
luftverdünnten Raume statt.
BianchiComptes rendus, t. LV p. 97; polytechn. Journal, 1863, Bd. CLXIX S. 235 theilt folgende Beobachtungen mit:
1) Jagd-, Kriegs- und Sprengpulver, sowohl gekörnt, wie auch als
Pulverkuchen, in einen verhältnißmäßig großen leeren Raum gebracht und plötzlich einer Hitze von mehr als 2000° Cels.
ausgesetzt, verbrennt nur langsam und nicht mit der Lebhaftigkeit, wie an der
Luft.
2) Die Verbrennung der Schießbaumwolle im leeren Raum geht nur schichtenweise vor
sich. Bei dieser Verbrennung ist selbst in der größten Dunkelheit keine
Lichterscheinung zu bemerken.
3) Die Producte der Verbrennung sind nicht dieselben, wie die bei der Verbrennung an
der Luft.
4) Die Verbrennung des Pulvers geht auch vor sich in Stickstoffgas, Kohlensäuregas
und anderen zur Unterhaltung der Verbrennung nicht geeigneten Gasarten.
HeerenPolytechn. Journal, 1866, Bd. CLXXX S. 286. hatte in früheren Versuchen die Bemerkung gemacht, daß Pulver in
luftverdünntem Raume nicht zur Entzündung gebracht werden könne, und stand darin im
Widerspruch mit den Beobachtungen Bianchi's. Es stellte
sich jedoch bald heraus, daß das Abweichende der Resultate nur aus der
Verschiedenheit der Experimente hervorging. – Heeren brachte nämlich einen glühenden Platindraht mit dem Pulver von Oben
in Berührung. Bianchi dagegen erhitzte das in einem
Körbchen von Platindraht befindliche Pulver, von unten
herauf durch einen galvanischen Strom, wobei nach und nach das ganze Pulver
zur Verbrennung kam. Dasselbe Resultat erhielt auch Heeren, nachdem er auf die Verschiedenheit in den Experimenten aufmerksam
geworden war. Wenn er nämlich den glühenden Platindraht mit Schießpulver in
Berührung brachte, so verbrannten nur diejenigen Pulverkörner, welche zunächst der
Berührung ausgesetzt waren, jedoch ohne die Entzündung der Gesammtmasse bewirken zu
können. Senkte er nun allmählich den Draht durch die ganze Pulvermenge, so
verbrannte auch allmählich die ganze Menge.
Angewendeter Eisendraht kam jedesmal nach Schließung des Stromes zum Schmelzen und bewirkte dadurch die Unterbrechung des
Stromes, weßhalb Heeren es vorzog nur Platindraht
anzuwenden.
Aus dem Angeführten geht hervor, daß Pulver in einem luftverdünnten Raume nicht zur
Explosion gebracht werden kann, denn ein kräftigeres Zündungsmittel, als
schmelzendes Eisen dürfte wohl kaum existiren.
Bei den erwähnten Versuchen hatte sich herausgestellt, daß eine vollständige
Luftleere nicht nothwendig sey, sondern daß eine 168fache Verdünnung genüge.
Heeren machte außerdem noch Versuche mit Körpern, welche
eine bei weitem größere Explosivkraft besitzen als Schießpulver, nämlich mit dem
weißen Pulver von Augendre (chlorsaures Kali,
Blutlaugensalz und Zucker), mit Knallquecksilber und Knallsilber.
Diejenigen Theilchen der beiden ersteren Körper, welche mit dem glühenden Platindraht
in Berührung kamen, wurden ohne Feuererscheinung weggeschleudert und ohne daß die
Gesammtmasse entzündet wurde. Knallsilber dagegen kam
beim Berühren des glühenden Drahtes mit schwacher Lichterscheinung langsam zur
Verbrennung, ohne jedoch eine Explosion zu veranlassen.
Heeren spricht sich über das Resultat seiner Versuche mit
folgenden Worten aus:
„Als Erklärung dieser sonderbaren Erscheinung nehme ich an, daß in Folge
des mangelnden oder doch nur höchst unbedeutenden Widerstandes der umgebenden
Luft, die aus dem explodirenden Körper entweichenden Gase, welche sonst durch ihre hohe Temperatur die Entzündung auf die benachbarten
Theilchen übertragen, sich so schnell auszudehnen vermögen, daß sie bis
unter die Entzündungs-Temperatur der benachbarten Theilchen
erkalten; wie ja bekanntlich jeder luftförmige Körper durch Ausdehnung
eine Temperatur-Erniedrigung erleidet. Nimmt man aber diese Erklärung als
richtig an, so folgt daraus, daß schon ein Unterschied von Einer Atmosphäre
Druck einen enormen Einfluß auf die Temperatur der entweichenden Gase ausübt.
Wenn also ein explosiver Körper, z.B. Schießpulver, in einem geschlossenen Raume
verbrennt, in welchem die Gase auf sich selbst, den bisherigen Berechnungen nach
über 4000 Atmosphären Druck ausüben, so muß hierbei die Temperatur einen Grad
erreichen, der sich wohl jeder Berechnung entzieht.“
Gestützt auf diese Resultate möchte ich bei der Knallquecksilberfabrication, welcher
schon das Leben und die Gesundheit so vieler Arbeiter zum Opfer geworden sind,
dringend empfehlen, von diesem Hülfsmittel, welches die Physik uns bietet, Gebrauch
zu machen. Ich schlage daher vor, die gefährlichen Operationen
des Körnens und Mischens von Knallquecksilber im luftverdünnten Raume
vorzunehmen. Lasse man sich nicht durch mechanische Schwierigkeiten
abschrecken; die Mechanik ist schon über so viele technische Schwierigkeiten
siegreich hinweggeschritten, daß ich ihr meinen Vorschlag mit vollem Vertrauen zur
praktischen Ausführung übergebe.