Titel: | Ueber reine Carbolsäure; von Professor Church. |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. LXVIII., S. 280 |
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LXVIII.
Ueber reine Carbolsäure; von Professor Church.
Aus Chemical News, vol. XXIV p. 173; October
1871.
Church, über reine Carbolsäure.
Schon seit 1856 beschäftigte ich mich viel mit Versuchen über die praktische
hygienische Anwendung der Carbolsäure, namentlich über ihre Benutzung in der
Zahnheilkunde und als Mittel gegen Leiden des Schlundes, sowie auch zum
Desinficiren. Der Werth der Carbolsäure für die Medicin steht so fest, daß ich mich
bei diesem Punkte nicht aufzuhalten brauche. Gegen diese Substanz wird aber der
Einwand geltend gemacht, daß selbst die besten Sorten des im Handel vorkommenden
Präparates selten von einem leuchtgasartigen oder naphtalinähnlichen Geruche frei
sind, welcher, obgleich der Carbolsäure an sich gänzlich fremd, von der Benutzung
derselben in manchen Kreisen zurückhält. Vor etwa elf Jahren, als ich für einen
Zahnarzt, bei dem ich das Mittel eingeführt hatte, chemisch reine Carbolsäure
bereitete, ermittelte ich folgende sehr einfache Methode zur Darstellung des reinen
Präparates.
Ein Pfund der besten im Handel vorkommenden Carbolsäure (ich benutze Calvert's weiße krystallisirte Säure) wird in 20 Pfund
kaltes destillirtes Wasser gebracht, wobei man darauf zu achten hat, daß nicht sämmtliche Säure in Lösung geht. Bei Anwendung
eines guten Präparates bleiben nach von Zeit zu Zeit wiederholtem Umschütteln zwei
bis drei Unzen der
Säure auf dem Boden des benutzten Gefäßes zurück, – genug um alle
Verunreinigungen darin anzusammeln. Bei Benutzung einer Säure von schlechter
Qualität muß man weniger Wasser oder mehr Säure anwenden. Die erhaltene wässerige
Lösung wird mit einem Heber abgezogen und nöthigenfalls durch schwedisches Papier
filtrirt, bis man sie vollkommen klar erhält; dann wird sie in einen hohen Cylinder
gegossen, mit gepulvertem reinem Kochsalz versetzt und so lange umgerührt, bis sich
von diesem nichts mehr löst. Nach ruhigem Stehen schwimmt der größte Theil der
Carbolsäure als eine gelbe ölige Schicht auf der Salzlösung und braucht nun bloß
mittelst eines Hebers oder einer Pipette abgehoben zu werden, worauf sie zur
Benutzung fertig ist. Da sie fünf Procent und mehr Wasser enthält, so krystallisirt
sie in der Regel nicht; man kann aber ihre Krystallisation bewerkstelligen, wenn man
sie in eine Retorte bringt und aus derselben mit etwas Kalk destillirt. Der bis
ungefähr 185° C. übergegangene Antheil zeigt bei gewöhnlichen Temperaturen
kaum einen Geruch, höchstens riecht diese Säure schwach nach Geraniumblättern, und
ich habe diese merkwürdige Eigenschaft benutzt, um den der absolut reinen
Carbolsäure eigenthümlichen schwachen Geruch zu maskiren, indem ich derselben per Unzenmaaß vier Tropfen französischen Geraniumöles
zufügte; durch diesen Zusatz wird überdieß die reine krystallisirte Säure
verflüssigt.
Das beschriebene Verfahren ist allerdings mit einem beträchtlichen Verlust an
Material verbunden; man kann aber die zurückbleibende Salzlösung der Destillation
unterwerfen und dadurch einen zweiten Antheil reiner Carbolsäure gewinnen, welche
ein sehr angenehmes und wirksames Desinfections- und Desordorisationsmittel
für den Hausgebrauch bildet.
Die reine Carbolsäure wird in 230 Theilen Wasser gelöst als Gurgelwasser, in 25
Theilen Wasser gelöst zum Auspinseln des Schlundes angewendet; mit 50 Theilen Wasser
verdünnt, wird sie mittelst eines Zerstäubers als Carbolsäureregen benutzt. Mit
Olivenöl oder einem anderen fetten Oele (1:25) oder mit Glycerin vermischt, läßt sie
sich zum Verbinden von Wunden und Geschwüren benutzen.