Titel: | Ueber die Gährungserscheinungen; von Heinrich Rheineck. |
Autor: | Heinrich Rheineck |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. LXIX., S. 282 |
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LXIX.
Ueber die Gährungserscheinungen; von Heinrich Rheineck.
Rheineck, über die Gährungserscheinungen.
Gährungserscheinungen sind diejenigen Fälle chemischer Verwandlung, wo zwei Körper
bei ihrer Berührung in einem stöchiometrisch nicht nachweisbaren Verhältniß ohne
Wägbares auszuwechseln oder sich mitzutheilen, verändernd auf einander einwirken.
Der eine dieser Körper, dessen Gewicht sehr vor dem des anderen zurücktritt, ist
immer ein stickstoffhaltiger Körper und meistens sind es kleine Zellen einer
Entwickelungsform verschiedener Pilze. Von Gährungserscheinungen sind aber ohne
Zweifel alle Formen des vegetirenden Pilzes begleitet. Zutreffend hat schon vor
Jahrzehenden Liebig von dieser Art von Verwandlung
gesagt, daß sich die Bewegung des einen dem anderen Körper mittheile, und wie man
sich diesen Vorgang denken kann, soll weiter unten besprochen werden. Zunächst sey
eine Beobachtung erwähnt, welche die erste Veranlassung zu meinen Ansichten über
diesen Gegenstand ist.
Wohl den meisten Chemikern ist bekannt, wie leicht gewisse Salzlösungen, z.B. das
essigsaure Natron, das oxalsaure Ammoniak und andere, flockig werden, und daß diese
Flocken die langgestreckten Zellen des Schimmelpilzes sind, ebenso daß letztere
häufig, fructificirend, die Oberfläche der Flüssigkeit mit einer Schimmeldecke
überziehen. Vor mehreren Jahren bereitete ich eine Lösung von oxalsaurem Ammoniak,
welche als Reagens dienen sollte. Das oxalsaure Ammoniak war, als gereinigtes vom
Handel bezogen, farblos, wohl krystallisirt, neutral und beinahe rein. Auf
Platinblech erhitzt, hinterblieb eine Spur Kohle, ebenso ein wenig Asche, wie es
immer bei dem käuflichen Salz, sowie der Oxalsäure der Fall ist. Das Regenwasser,
welches als Lösungsmittel diente, war gleichfalls beinahe aschenfrei und vollständig
neutral. Es war rein genug, um bei manchen gewöhnlichen Arbeiten das mangelnde
destillirte Wasser zu ersetzen. Diese Lösung war sehr wenig Haltbar. Sie war schon
nach einigen Wochen stark mit Flocken durchsetzt und mit Schimmel überzogen, roch
beim Abfiltriren nach Ammoniak und brauste mit Säuren deutlich. Sie reagirte stark
alkalisch auf Lackmus und enthielt auch noch Oxalsäure. Es war nicht zu verkennen,
daß eine Gährungserscheinung vorliege, welche die Verwandlung der Oxalsäure in
Kohlensäure verursachte. Ich will nicht verhehlen, welch' irrige Vorstellung ich mit
zuerst von der Beziehung zwischen Oxalsäurezersetzung und Pilzwachsthum machte. Das
Beispiel der Gährung eines der organischen Körper von der einfachsten Zusammensetzung, wie die
Oxalsäure, welche an der Grenze der anorganischen Verbindungen steht, schien mit den
Schlüssel zum Verständniß der Gährungserscheinungen überhaupt zu liefern.
Folgerichtig betrachtete ich zunächst die Sache vom Standpunkt der Chemiker, wie er
seit Lavoisier eingenommen wird, nämlich chemischen
Proceß und Constitution durch Gleichungen und Formeln auszudrücken, welche
Rechenschaft über die Verhältnisse des Wägbaren ablegen ohne Rücksichtnahme auf die
Ursache der Bewegung und der Ruhe. Hiernach kennen wir zwei Hauptbestandtheile,
welche den Inhalt und die Wandung der Pflanzenzelle ausmachen, und zwei Gruppen
bilden, die Kohlenhydrate und die Eiweißstoffe. Die Bildung beider kann so gedacht
werden, daß Oxalsäure im Verein mit Wasser eine Reduction erleidet, um Kohlenhydrat,
und eine noch weiter gehende, um Eiweiß zu bilden, und daß der dabei frei werdende
Sauerstoff die übrige in die Bildung nicht eingehende Oxalsäure zu Kohlensäure
oxydire. Nach den Gleichungen C²O³ + HO = O + CO² + CHO und
C²O³ + O = 2CO² würden auf die einfachste Formel des
Kohlenhydrates CHO schon 3 Aequivalente Kohlensäure kommen und auf ein Aequivalent
Zucker = C¹²H¹²O¹² also 36 Aeq.
Kohlensäure. Die Waage zeigte jedoch, daß nicht im Entferntesten ein
stöchiometrisches Verhältniß zwischen Kohlensäure und Pilzmasse bestehe, da das
Gewichtsverhältniß der ersteren zur letzteren ein viel zu großes ist. Während die
Kohlensäure (in kohlensauren Kalk verwandelt und alkalimetrisch bestimmt) mehr wie 2
Decigramme ausmachte, verschwand die Pilzmasse beinahe vollständig, da es
zweifelhaft blieb, ob sie (auf einem bei 100° C. getrockneten Filter gewogen)
2 oder 3 Milligramme betrug. Es war auch außer Pilzmasse und Oxalsäure keine weitere
organische Substanz aufzufinden. In dieser Absicht wurde die von der Pilzmasse
abfiltrirte Flüssigkeit verdampft und der Rückstand auf dem Platinmesser erhitzt. Er
zeigte eine so geringe Spur von Verkohlung, als sie das oxalsaure Ammoniak selbst
zeigt. Mit Kalkmilch abgedampft, wurde nach wiederholtem Befeuchten und
Wiedertrocknen ein völlig neutral reagirender Rückstand erhalten, welcher weder an
Wasser noch an Alkohol etwas Lösliches abgab. Gährungsproducte und Ferment können
also hier ebensowenig wie bei der Alkoholgährung einer stöchiometrischen Gleichung
genügen. Aber es war nun auch klar, daß die Oxalsäure-Kohlensäuregährung
unter Mitwirkung atmosphärischen Sauerstoffes stattfinde und in die Kategorie der
Essigsäuregährung gehöre. Damit war jedoch für die Aufklärung des Zusammenhanges
zwischen Hefepilzwachsthum und Jährendem Stoff nicht viel gewonnen. Doch gelang es
mit bald darauf, mehrere Erscheinungen der verschiedenen Gährungsarten unter einem
Gesichtspunkt zu
vereinigen und schließlich jede Art von Pflanzenwachsthum von einem allgemeinen
Standpunkt aus zu betrachten. Da nun das Wachsthum. der Gährungshefe mit inbegriffen
ist, so war für die gesuchte Erklärung der Schlüssel gefunden. Wir wissen, daß eine
wässerige Lösung von Zucker, Alkohol, Oxalsäure, Harnstoff u.a. im reinen Zustand,
bei Abschluß oder Zutritt der Luft unbegrenzte Zeit ohne Veränderung aufbewahrt
werden kann, daß aber unter sonst günstigen Umständen eine kleine Menge oder nur ein
einziges Individuum von Hefezelle hinzugebracht, sich rasch vermehrend, die bekannte
Zersetzung hervorruft. Lassen wir den Zucker, Alkohol u.s.w. hinweg, so gewahren wir
Nichts von Zellenvermehrung, wenn auch Kohlensäure zugegen ist. Eine unbedingte
Nothwendigkeit für das Leben der Hefezelle ist also die Verwandlung, man kann sagen,
das Zerfallen gewisser Substanzen, wie Zucker u. f. w., welche man gährungsfähig
nennt. Man hat bisher einen großen Unterschied zwischen Gährungserscheinungen welche
bei Abschluß des atmosphärischen Sauerstoffes stattfinden, und solchen welche dessen
Aufnahme bedingen, erblicken wollen, z.B. zwischen Alkoholgährung und
Essigsäuregährung. Aber letztere ist nur die Fortsetzung der ersteren. Daß einmal
der Sauerstoff wegbleiben kann, das anderemal mitgährt, liegt in der Natur der
gährenden Substanzen und ist unwesentlich für die Betrachtung des Pilzwachsthumes.
Die Morphologie ist hier Nebensache, mag es der Morphologe genauer nehmen: Der Pilz
zerstört den Zucker bis herab zur Kohlensäure und so auch die anderen,
wahrscheinlich alle organischen Substanzen. Die Alkoholgährung ist hierin nur ein
Schritt. Ohne Sauerstoffaufnahme aus der Atmosphäre geht es freilich nicht weiter;
aber die Alkoholgährung kann bei Luftzutritt unterbleiben und der Zucker verbrennt
nach und nach vollständig bei Schimmelbildung. Die Meinung, der Pilz athme den bei
der Essiggährung verwendeten Sauerstoff, ist bis heute unter den Physiologen gültig.
Nichts nöthigt uns, dieses anzunehmen. Ich bin der Ansicht, die oxydirt werdende
Unterlage des Pilzes empfange nicht von diesem den Sauerstoff, sondern von ihm dazu
befähigt, nehme sie ihn direct aus der Luft auf. Gerade die zahlreichen Beispiele
Sauerstoff ausschließender Gährung mögen den Beweis dafür liefern, daß die Pilze
nicht, wie es ihnen zugeschrieben wird, allen den Sauerstoff welcher in die
Verwandlung des gährenden, oder wie man hier auch sagt, verwesenden Körpers mit
eingeht, aufnehmen, daß zwar eine Sauerstoffaufnahme derselben nichts Unmögliches
ist, aber etwas Unwesentliches. Noch viel unwahrscheinlicher wird erst die Annahme,
daß der Pilz das Mittel, in welchem er lebt, und das er verändert, aufsauge. Zu
allen diesen Arbeiten fehlen ihm die Organe, welche ihn dem Thierreiche einreihen würden und auf die
Endosmose, welche deßfalls zu Hülfe gezogen wird, können wir nicht warten, wenn wir
Wein, Bier und Essig bereiten wollen. Man bedenke, wie langwierig und eigenthümlich
der Stoffwechsel für eine Pflanzenzelle wäre, Zucker einzusaugen und Alkohol nebst
Kohlensäure wieder abzugeben, Alkohol und Sauerstoff einzusaugen, und Essig wieder
abzugeben, Eiweiß und Käsestoff u.s.w. einzusaugen und deren Oxydations- oder
Fäulnißproducte, je nachdem, wieder auszugeben! Denn wenn der Zucker hinein muß,
werden es diese auch müssen.
Werfen wir nun einen Blick auf die allgemeinen Vorgänge der Pflanzenvegetation und
wir können über die Rolle, welche beide, Hefe und gährender Stoff, einander
gegenüber spielen, nicht mehr im Zweifel seyn. Sind die Pilze Pflanzen, so haben sie
auch die wesentlichen Functionen und Bedürfnisse mit den übrigen gemein. Sie sind im
Ganzen genommen, ebenso organisirt, setzen sich aus denselben Elementen zusammen,
bedürfen also derselben Nahrungsstoffe, möglicher Weise in derselben Form. Nur einer
ist ausgenommen – das Licht. Dieser Unterschied ist sehr groß; er ist zu
ungeheuer, als daß er nicht irgendwo seine Ausgleichung finden müßte. Die
zerfallenden (gährenden) organischen Stoffe sind Ersatz für das Licht. Sie als
Lichtgebilde sind im Stande das Licht zu ersetzen, weil es in ihnen als chemisch
latente Wärme niedergelegt ist. So erklären sich auf die einfachste Weise sämmtliche
Gährungserscheinungen. Das Verhältniß des gährenden Körpers zum Ferment wird ein um
so größeres seyn, je kleiner der Schritt des Zerfalles, der Schritt zum letzten
Gliede hin, der Kohlensäure nämlich, ist; eben darum, weil der Schritt von
Kohlensäure und Wasser bis herauf zu Kohlenhydrat und Eiweiß ein vielmal größerer
ist. Daß auch die Pilze, wie die grünen Pflanzen, der Kohlensäure und dem Wasser den
Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff als wägbare Bestandtheile entnehmen, ist
nicht unwahrscheinlich, unmöglich jedenfalls nicht, denn sie stehen ihnen immer zur
Verfügung. Das Pilzwachsthum bedeutet dann so gut wie das der grünen Pflanzen Aufbau
organischer Substanz. Aber der Pilz ist Räuber und Verschwender; er erzeugt nur bei
großer Zerstörung organischer Substanz, während die grünen Pflanzen an der Quelle
empfangen und sammeln. Hefe, Schimmel, sowie Hutpilz führen nach dem Gesagten ganz
das gleiche Leben. Scheinbar kehren sich die Blattorgane vom Licht ab und graben
sich in die Erde, aber dort finden sie es in einer anderen Form: die gährende,
faulende, verwesende, vermodernde organische Substanz, meist Abfälle von Pflanzen
und Thieren; oft auch dienen ihnen die Pflanzen und Thiere selbst als nährende
Unterlage und erscheinen dann in krankem Zustand. Oder anders ausgedrückt: der als fadenförmige Zelle in
der organischen Substanz lagernde Theil der Pilze, oder auch die Hefe, ist Wurzel
und Blatt zugleich, Schimmel und Hut sind die Blüthe.
Wenn wir den Vorgang des Zerfalles uns nicht in der Zelle stattfindend denken können,
so fragt es sich, was man als wahrscheinlicher annehmen kann? Daß es der Fall ist,
ist nicht nachgewiesen; wir wissen es nicht. Aber wir wissen, daß z.B. die Hefe in
der Alkoholgährung nicht in die Ferne wirkt und daß nur in der unmittelbaren Nähe
der Hefezellen die Alkohol- und Kohlensäurebildung vor sich geht. Wir können
uns wohl vorstellen, daß es bei der unmittelbaren Nähe bleibt und daß die Berührung
des Zellinhaltes, mittelst der Membran, mit der wässerigen Lösung des
gährungsfähigen Stoffes hinreichend ist, die bei dessen Zerfall verwendbar werdende
Wärme oder Kraft zu empfangen, ohne daß beide Flüssigkeiten sich zu mischen
brauchen. So wirkt das Nervensystem der Thiere auf die anderen ein durch einfache
Berührung. So löst sich ein Metall in der Lösung eines anderen auf; es zerfällt,
während das andere aufgebaut wird, selbst wenn die Lösung dasselbe an einer Stelle
berührt, wo es sich nicht löst, wenn nur andererseits die wässerigen Lösungen sich
berühren (nicht mischen). Die Anwendung davon in der Telegraphie und Galvanoplastik
ist bekannt.
Zu den Gährungserscheinungen gehören außer den besprochenen, die Spaltung genannten
Zersetzungen verschiedener Zuckerverbindungen bei Gegenwart gewisser
stickstoffhaltiger Körper, wie Diastase, Myrosin, Emulsin u.s.w. Die dabei
statthabenden qualitativen und quantitativen Verhältnisse berechtigen dazu,
dieselben hier einzureihen. Es entstehen dabei nur keine Organe und spielen somit
auch Aschenbestandtheile keine Rolle. Die besprochene Ansicht kann jedoch auch hier
zugelassen werden.
Noch mehr würde das Gebiet der Gährungserscheinungen sich erweitern, wenn es sich
bestätigen würde, daß, wie ich beobachtet zu haben glaube, eine Eisenoxydullösung,
Sauerstoff aufnehmend, das Pilzwachsthum befördert. Eine mit Schwefelsäure
angesäuerte Lösung von schwefelsaurem Eisenoxydul-Ammoniak in Brunnenwasser
hielt sich öfter länger als einen Monat ohne Veränderung. Einigemal jedoch war eine
von Tag zu Tag zunehmende Oxydation, Bildung von Flocken in der Lösung und Schimmel
auf deren Oberfläche aufgefallen.
Die Ansicht, daß die gährende Substanz der Vermittler des dem Pilze nur indirect
zukommenden Sonnenlichtes sey, habe ich schon vor drei Jahren dem Hrn. Professor Dr. Ad. Strecker brieflich
mitgetheilt und bis
jetzt wegen mangelnder Gelegenheit zu Untersuchungen in dieser Sache, die weitere
Veröffentlichung derselben unterlassen. Dieses sey mit zu bemerken erlaubt, um den
von mit oben ausgesprochenen Ansichten den Schein zu benehmen, als nahmen sie ihren
Ursprung aus der mit nur auszugsweise in dieser Zeitschrift Bd. CCI S. 69 (erstes
Juliheft 1871) vorliegenden Abhandlung von Dr. Ad. Mayer, welche mich jedoch zur Veröffentlichung der
meinigen veranlaßte. Die dort ausgesprochene Ansicht über die Beziehung der
Hefepilzernährung zur Alkoholgährung hat in einer Beziehung Aehnlichkeit mit der
meinigen. Es ist die oben gegebene Erklärungsweise der Erscheinung, daß die
chemische Veränderung oder Bewegung eines Körpers die eines anderen veranlassen
kann. Insofern beide Körper sich in ihren Lösungen nur zu berühren brauchen, ohne
daß sich die Lösungen mischen, nennt man sie mit Recht Contact- oder
katalytische Erscheinungen.
Hiernach hat die Liebig'sche (sogen. mechanische
Gährungstheorie) ihr ferneres Bestehen mit dem erläuternden Zusatz, welcher seinen
Ursprung eigentlich dem in Liebig's chemischen Briefen
gegebenen Gleichniß verdankt, wornach unser künstliches Licht (Wärme, Elektricität)
als entlehntes Sonnenlicht dargestellt ist.
Wohlbegründeten Beweisen gegen die Ansichten, welche ich hier allgemein verständlich
gehalten der Oeffentlichkeit übergebe, setze ich mit Interesse entgegen und hoffe,
daß sie als Beitrag zur Erkenntniß wichtiger Naturerscheinungen nützlich seyen.
Hagen, 15. October 1871.