Titel: | Ueber eine neue Methode zur Werthbestimmung der Anilinfarbstoffe; von Armand Müller. |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. CIX., S. 458 |
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CIX.
Ueber eine neue Methode zur Werthbestimmung der
Anilinfarbstoffe; von Armand
Müller.
Aus Reimann's Färberzeitung, 1871, Nr. 38–46.
Müller, Methode zur Werthbestimmung der
Anilinfarbstoffe.
Es dürfte in der Färberwelt schon längst das Bedürfniß gefühlt worden seyn, ein
einfaches, von Jedem ausführbares Verfahren zu kennen, mit dessen Hülfe man die Anilinpigmente, welche in enormen Quantitäten und in den
verschiedensten Nüancen sowohl, als im wechselndsten Gehalt alljährlich dargestellt
und consumirt werden, so auf ihren Gehalt an färbendem Princip sowohl als auf ihre
Nüance prüfen könnte, daß die Resultate der Untersuchung es dem Farbentechniker
ermöglichten, in kurzer Zeit, mit Bestimmtheit und direct procentisch über den
Handelswerth einer Waare ein Urtheil zu gewinnen. Diese Bedingungen aber sind bis
jetzt noch durch keine vorgeschlagene Methode erfüllt worden. Das Colorimeter, nur bei Intensitätsbestimmungen einigermaßen
befriedigende Resultate ergebend, und für den praktischen Färber etwas zu
complicirt, sowie das Probefärben lassen Demjenigen, der sich häufig mit den
Theerpigmenten beschäftigt, und dem oft die kleinsten Differenzen in Färbekraft oder
Nüance höchst unliebsam, ja geradezu nachtheilig sind, sehr viel zu wünschen
übrig.
Der Verfasser hat sich daher schon längere Zeit mit der Auffindung eines Verfahrens
beschäftigt, welches den gestellten Forderungen möglichst Rechnung tragen sollte und
gibt nun in Nachstehendem seine Resultate in einer neuen Methode, welche, sollte sie
vielleicht auch noch wesentlicher Verbesserungen bedürfen, immerhin interessant
genug ist, um vor das Forum eines größeren Publicums gebracht zu werden.
Die Basis desselben ist: Fixirung des zu untersuchenden
Farbstoffes auf einer durchsichtigen Glasplatte mittelst Collodium als dünnes
lasirendes Häutchen, behufs Vergleichung desselben mit einem ebenso behandelten
Normalpigment derselben oder einer ähnlichen Nüance.
Eine solche Schicht gibt, wenn sie nach untenstehenden Verhältnissen, die sich nach
langen Versuchsreihen als die günstigsten erwiesen haben, dargestellt wird, die
Möglichkeit an die Hand, auf's Schärfste die kleinsten Differenzen zwischen zwei
oder mehreren Farbstoffen zu erkennen.
Um nun überhaupt eine genaue Vergleichung möglich zu machen, ist es nothwendig, ein
für alle Versuche gleichbleibendes „Normalcollodium“ anzuwenden, um Schichten zu erzeugen, die
an und für sich egal sind, und genau dieselben Dimensionen bezüglich Dicke wie alle
anderen haben; denn es ist ganz klar, daß ein dickflüssiges Collodium mit derselben
Menge Farbstoff weit dunklere Schichten erzeugt, als ein mehr äther- oder
alkoholhaltiges, also dünneres. – Die Möglichkeit einer klaren Haut und
folglich einer Vergleichung hängt ferner ab von dem Verhältniß des Alkohols zur
Quantität der Collodiumwolle einerseits und andererseits von demjenigen zwischen
Alkohol und Farbstoff. Bei zu wenig Weingeist scheidet sich nämlich das Pigment
krystallisirt aus, was auch bei zu dünnem Collodium überhaupt eintritt, und die
Fläche wird undurchsichtig. Ist dagegen zu viel vorhanden, so kann, wenn das
Pyroxylin nicht sehr löslich ist, leicht eine flockenartige Ausscheidung des
Collodiums mit dem allmählichen Verdampfen des Aethers stattfinden, was die Schicht
Zur Vergleichung ebenfalls untauglich macht. Es dürfte sich vielleicht mit größerem
Vortheil an Stelle der gewöhnlichen Collodiumwolle Sutton's
Alkolen, das in absolutem Weingeist löslich ist, anwenden lassen. Da dem
Verfasser solches Material mangelte, könnten darüber keine Versuche angestellt
werden.
Das Normal-Collodium wird bereitet durch Lösen von 12 Grammen bester Schießbaumwolle (Pyroxylin) in 600 Kubikcentimeter Aether, und Zufügen von 350 Kubikcentimeter Weingeist vom spec. Gewicht 0,8156 (96 Proc. Tr.).
Man bewahrt die Solution in einem nach Art der Gay-Lussac'schen Bürette construirten Glasgefäß im Dunkeln sorgsam
auf, um jede Zersetzung oder Verdampfung von Aether und Alkohol, wodurch der Titer
der Lösung gestört würde, während und nach dem Gebrauch zu verhindern.
Zur Intensitätsbestimmung aller (spritlöslichen)
Farbstoffe, z.B. eines gelblichen, krystallisirten Fuchsins, eines Teiges oder einer
Lösung derselben Nüance, verfährt man wie folgt:
Man nimmt aus einer früheren Sendung krystallisirten Pigmentes, von der die Erfahrung
gelehrt hat, daß sie in jeder Hinsicht den Zwecken der
Färberei diente, eine kleine Probe heraus, wiegt genau 0,2 Gramm von derselben ab
und bringt sie in ein circa 120 Kubikcentimeter haltendes, und mit einem
gut eingeschliffenen Glasstöpsel verschließbares Gefäß. Hierauf läßt man etwas rasch
aus einer Gay-Lussac'schen Bürette genau 100
Kubikcentimeter Normalcollodium in dasselbe einfließen, und schüttelt, indem man das
Fläschchen mit dem Stöpsel deckt, einigemale tüchtig um. Die Lösung darf nicht durch
Wärme unterstützt werden. Sie wird nun, sobald sie beendet ist, was man mit einem
Glasspatel, den man nach Verlauf von einer halben Stunde (um Verlust zu vermeiden)
am inneren Boden des Gefäßes reibt und dann herauszieht, leicht erkennt, rasch auf
den oberen Rand einer überall gut gereinigten und klaren Glasplatte gegossen. Damit
die Schichten sich bei allen Versuchen genau gleich dick anlegen, läßt man die Tafel
zweckmäßig auf der Seite eines hölzernen Prisma's ruhen, dessen Basis, um einen
constanten Neigungswinkel (60°) gegen die Tischplatte zu erzielen, ein
gleichseitiges Dreieck bildet, und, auf den Arbeitstisch aufgeschraubt, dachartig
anzusehen ist. Zum Abfluß der im Ueberfluß aufgegossenen Mischung gräbt man längs
den beiden Seiten des Prisma's Rinnen in den Tisch ein, welche, an einzelnen Stellen
durchbohrt, die Flüssigkeit in zweckmäßig darunter befestigte Gefäße leiten.
Nachdem die Haut vollkommen angetrocknet ist, wird ein regelmäßiger Theil derselben
auf der Glasplatte reservirt, indem man das Uebrige mit einem feuchten Tuch leicht
wegwischt. – Die Normalfläche für gelbliches Fuchsin ist mit diesen
Operationen zur Vergleichung mit anderen Schichten fertig.
Auf ganz dieselbe Weise werden eventuell Normaltafeln aus krystallisirtem Violett
(Jod- und Spritviolett), Blau, Grün (nur in höchst
concentrirtem Zustand), Phosphin, Vesuvin, Nigros in den
verschiedenen Anilinbraun's, aus „La Phénicienne“ (Rothëin), Corallin,
Saffranin, Rouge coquelicot, African Red,
und aus allen anderen Anilin- und Phenylfarben, die in Weingeist löslich
sind, dargestellt. – Pikrinsäure und Dinitronaphtylsäure (Martiusgelb) können mit der
Collodiummethode nicht bestimmt werden; denn sie krystallisiren leider während des
Trocknens der Schicht aus. Eine solche Platte steht unter dem Mikroskop durch
Bildung der zierlichsten Krystallgruppen, deren Fond dann in den Newton'schen Farben glänzt, wunderschön aus, und läßt dem
staunenden Auge im Entstehungsmoment dieser Gebilde am besten einen wenn auch nur
kurzen und schwachen Einblick thun in die geheimnißvollen Werkstätten der
Naturkräfte.
Die Normalplatten halten sich im Dunkeln und von schädlichen Ausdünstungen unberührt,
lange Zeit ohne sich zu verändern; sie müssen indessen dennoch sehr sorgfältig
behandelt werden, und ziehe ich daher stets vor, den krystallisirten Normalfarbstoff
vorräthig zu halten und die Platte jedesmal vor Untersuchung eines Farbstoffes
frisch zu bereiten, d.h. wenn monatlich nur 1 bis 2
Proben zu machen sind.
Die Schichten unbrauchbar gewordener Tafeln entfernt man leicht mit einem in
concentrirte Schwefelsäure getauchten Bürstchen.
Es kommt den Consumenten von Anilinfarben häufig vor, daß eine nach Muster beorderte
Farbstoffsendung von weit geringerer Qualität ist, als man nach dem Muster hätte
erwarten sollen; ebenso differiren nicht selten größere Bezüge unter sich. Um das
fragliche Pigment zu untersuchen, wägt man von demselben genau so viel ab, als oben
bei Fuchsin angegeben, nämlich 0,2 Gramm, bringt diese Menge in ein ebenfalls 120
Kubikcentim. haltendes, gut verschließbares Glasgefäß und läßt 50 Kubikcentimeter
Normalcollodium einfließen. Bis die völlige Lösung erreicht ist, wird einigemale
tüchtig umgeschüttelt.
Es ist nun klar, daß wenn der Farbstoff denselben Gehalt hat wie der normale, es noch
50 Kubikcentimeter Normalcollodium bedarf, um eine ebenso helle Platte wie die des
letzteren zu geben; im anderen Falle wird die Zahl der Kubikcentimeter, welche bis
zur Erreichung der Normalintensität noch auslaufen müssen, plus 50 Kubikcentimeter (d.h. der Lösungsmenge) direct proportional seyn
der Intensität resp. dem Werth des Farbstoffes gegenüber demjenigen der
Normalplatte, und ihn procentisch angeben, ähnlich wie dieß bei den verschiedensten
alkalimetrischen und acidimetrischen Proben ebenfalls geschieht.
Man nimmt nach vollständiger Lösung des Farbstoffes (von oben) aus den Fläschchen,
das man ganz nahe an die Normalplatte, die auf das Prisma gelegt wurde, bringt,
möglichst rasch einen Tropfen Flüssigkeit heraus, und läßt ihn auf die Tafel, nahe
der Normalfläche, jedoch auf unbedeckten Grund fallen. Das Gefäß mit der Lösung
schließt man inzwischen zu, und vergleicht dann die Schichten mit einander nach dem
vollständigen Trocknen, was in 1 bis 2 Minuten erfolgt ist. Ist die Normalfläche
noch heller, so werden vorsichtig, aber schnell einige weitere Kubikcentimeter
hinzugebracht und auf's Neue getupft.
Sobald die Nüance der beiden Schichten genau dieselbe ist, notirt man die Zahl der
verbrauchten Kubikcentimeter Normalcollodium und hat dann, nach Zuzählung der
Lösungsmenge, die man übrigens aus derselben Bürette fließen lassen und so direct
ablesen kann, die Bestimmung vollendet.
Diese Collodiumlösung läßt bei einiger Uebung noch Differenzen von 1/2 und 1/4 Proc.
erkennen. Soll ein Teig auf seinen Gehalt geprüft werden, so wägt man ebenfalls
die bekannte Normalmenge (0,2 Gramm für je 100 Kubikcentimeter
Normal-Collodium) ab und vergleicht ihn mit der Platte aus krystallisirtem
Farbstoff; nur titrirt man statt von 50 Kubikcentimetern von 10 K. C. aus.
Wässerige oder weingeistige Lösungen werden eingedampft und wie Teige bestimmt.
Es gibt noch ein zweites Princip, nach welchem die
Collodiummethode für Gehaltsprüfungen ausgeführt werden kann, darauf basirend,
Normalplatten herzustellen, auf denen der Normalfarbstoff so aufgetragen ist, daß
Decimalreihen von Intensitäts-Nüancen zur Vergleichung und directen
procentischen Bestimmung entstehen, ohne daß es nöthig wäre, das zu untersuchende
Pigment auf die Normal-Nüance zu titriren.
Derartige Platten, deren Rückseiten zur Erlangung einer bestimmten Menge von
Decimalreihen nach einem eigenthümlichen Schema ebenfalls collodionirt werden,
verlangen indessen eine etwas zu sorgfältige Behandlung und Aufbewahrung, um der
letzten Methode eine allgemeine Anwendung zu verschaffen.
Ich beschreibe sie aus diesem Grunde nicht eingehender, trotzdem die Tafeln, einmal
hergestellt, was allerdings viel Mühe und Zeit in Anspruch nimmt, den positiven
Gehalt eines zu untersuchenden Pigmentes mit großer Sicherheit angeben.
Noch sey kurz erwähnt die Anwendung der Collodiummethode zur Nüancebestimmung eines Farbstoffes ohne Rücksicht auf dessen Gehalt.
Es leuchtet ein, daß die auf einer Glasplatte fixirte Schicht, verglichen mit einer
anderen, nicht nur eventuell eine Differenz in der Farbentiefe, sondern mit
derselben Genauigkeit auch Nüancenunterschiede anzeigt, und es ist oft für den
Fabrikanten von größter Wichtigkeit nach dieser Seite hin
ebenfalls genauen Aufschluß zu erhalten.
Schon bei der Intensitätsbestimmung wird man also über diesen Punkt wenigstens
annähernd klar werden.
Die Collodiummethode ermöglicht es jedoch, die meisten Farbstoffe nach ihren Nüancen ebenfalls in ein (relatives) Zahlensystem zu
bringen, so daß der Werth derselben auch nach dieser Hinsicht gewissermaßen quantitativ, wenn der Ausdruck erlaubt ist, bestimmt
werden kann.
Man bereitet sich Normallösungen aus krystallisirtem Fuchsin extragelblich, Reinviolett
(sprit- oder wasserlöslich), Reinblau und Grün (ebenso eventuell Braun als Cerise oder Havanna,
Phosphine u.s.w.) durch Abwägen von je 0,2 Grm. und Zusammenbringen mit 100 K. C.
Normalcollodium.
Setzt man nun die Nüance obigen Fuchsins = 1, die des Violetts = 101, des Blaus =
202, des Grüns = 303 u.s.w. so liegen jedesmal in der Mitte zweier sich hier
folgender Lösungen je 100 Uebergangsstufen, wovon jedem nicht normalen Farbstoff,
als Mischung zweier anderer betrachtet, irgend eine zugehört.
Angenommen, es sey ein bläuliches Fuchsin, krystallisirt
oder in Teigform, zu untersuchen.
Man wägt von demselben nach Bestimmung seiner Intensität
ein Aequivalent der Normalmenge (0,2 Grm.) ab, löst in 100 K. C. Collodium auf, und
macht auf einer Glasplatte einen Abguß (Nr. 1).
Hierauf werden zu 100 K. C. der
Normal-Fuchsinlösung so lange Normal-Violettsolution aus
einer Gay-Lussac'schen Bürette unter Beobachtung
der bezüglichen Vorschriften hinzugefügt, bis ein letzter Tropfen der so veränderten
Flüssigkeit eine, der Fläche Nr. 1 genau gleichgefärbte Schicht (Nr. 2) gibt.
Die verbrauchten K. C. Violettlösung sind nun, nach Zuzählung der Nüancezahl des
Normalfarbstoffes, der einfachste Ausdruck der Stellung des zu untersuchenden
Farbstoffes in der Zahlenreihe. Wenn bei obigem Beispiel die Normalfuchsinsolution
14 K. C. erfordert hätte, um eine Schicht gleich der des zu untersuchenden
Farbstoffes zu erzeugen, so würde die Nüance des letzteren = 15 seyn. Ein zweites
Fuchsin erfordere bloß 5 K. C. Violettlösung; seine Stellung in der Zahlenreihe wird
also = 6 seyn und von dem vorhergehend untersuchten um eine bestimmte Nüance, deren
relativer Ausdruck = 10 ist, nach Gelb zu abweichen.
Ist daher in der angedeuteten Weise die Nüance eines jeden Pigmentes, welches in
größerer Menge verwendet werden soll, bestimmt worden, so hat man in den bezüglichen
Resultaten einen ganz genauen Maaßstab für seine praktische Anwendbarkeit.