Titel: | Ueber Dynamit-Patronen; von P. Guyot, Genieofficier. |
Fundstelle: | Band 202, Jahrgang 1871, Nr. CXI., S. 468 |
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CXI.
Ueber Dynamit-Patronen; von P. Guyot,
Genieofficier.
Aus den Comptes rendus, t. LXXII p. 688; Juni
1871.
Guyot, über Dynamit-Patronen.
In Frankreich wird der Dynamit in Kisten von 25 bis 30 Kilogrm. Gewicht, welche
cylindrische, 10 Centimet. lange, durchschnittlich 71 Gramme schwere Patronen
enthalten, an den Staat geliefert und in der gleichen Verpackung auch in den Handel
gebracht. Die Patronen sind aus starkem grauem Papier angefertigt. Ich hatte
Gelegenheit, bezüglich des in diese Form gebrachten Dynamits eine Erscheinung zu
constatiren, welche bisher noch nicht untersucht worden, aber sehr wichtig ist, da
sie zu schweren Unfällen Anlaß geben kann. Bewahrt man derartige Patronen einzeln
oder in Haufen längere Zeit auf, so wird das die Hülle des Dynamits bildende Papier
allmählich ölig und der gebildete Fleck breitet sich sogar auf die zunächst
befindlichen Gegenstände aus. Vor mehreren Monaten legte ich sorgfältig in Papier
eingewickelte Dynamitpatronen in einen Pappkasten und ließ diesen mit seinem Inhalte
ruhig stehen; als ich vor einigen Tagen zu Versuchen, womit ich jetzt beschäftigt
bin, ein neues Quantum des Sprengmittels benöthigte, fand ich, daß das Papier und
die Pappe ganz naß waren und sich fettig anfühlten. Auf glühende Kohlen gebracht,
detonirte dieses Papier; es explodirte auch, als ich einem Stückchen davon auf einem
Amboß mit einem Hammer einen Schlag gab.
Die erwähnten Flecken rühren von Nitroglycerin her,
welches vom Papier in Folge einer Capillarwirkung aufgenommen wird; möglicherweise
kann daher nach Verlauf einer gewissen Zeit, besonders wenn genug Papier vorhanden
ist, der Fall eintreten, daß in den Patronen Nichts weiter zurückbleibt, als die zur
Verhinderung der Explosion des Nitroglycerins, mit anderen Worten zur Darstellung
des Dynamits jenem zugesetzte träge Substanz. Man kann sich hiervon leicht
überzeugen, wenn man etwas Dynamit in ein Uhrglas bringt und mit einem Streifen
Fließ- oder Filtrirpapier bedeckt; nach Verlauf einiger Tage gibt das Pulver
an Alkohol Nichts mehr ab – ein offenbarer Beweis daß das Nitroglycerin
verschwunden ist. Diese Thatsache ist wichtig, denn möglicherweise können sich ja
auch die zum Aufbewahren der Dynamitpatronen dienenden Kisten, welche längere Zeit
in einem Magazine gestanden, mit Nitroglycerin imprägnirt haben, welches bei der
geringsten Temperaturveränderung explodiren und schwere Unglücksfälle veranlassen
kann.
Bekanntlich liefern die Dynamitfabriken Patronen, welche nach Wunsch des Käufers
bestimmte Procente Nitroglycerin enthalten; um die Patronen auf diesen Gehalt zu
prüfen, behandelt man eine gegebene Gewichtsmenge des Dynamits mit absolutem
Alkohol, bis dieser der Probe Nichts mehr entzieht; der Rückstand wird hierauf
getrocknet und dann gewogen. Zur Gegenprobe läßt man den Alkohol abdunsten und
bestimmt das Gewicht des zurückgebliebenen Nitroglycerins. Die erhaltenen Zahlen
werden auf Procente berechnet. Wenn man daher Dynamit von einem bestimmten
Nitroglyceringehalte erhalten hat, so kann es vorkommen daß die Analyse einen weit
geringeren Gehalt ergibt, in welchem Falle die Differenz von der Absorption des
Nitroglycerins durch das zur Hülle verwendete Papier herrührt.
Die beiden im Vorstehenden mitgetheilten Thatsachen machen es höchst wünschenswerth,
daß die Dynamitfabrikanten das Patronenpapier durch ein nicht poröses Material zu
ersetzen suchen, welches sich aber doch aufrollen und ohne große Mühe in die
gewünschte Form bringen läßt.
Möglicherweise, z.B. beim Laden eines Bohrloches, kann auch, selbst bei Anwendung
eines hölzernen Stampfers, eine Explosion erfolgen, welche nicht von dem Stoße des
Stampfers auf den Dynamit, sondern auf das vom Papier absorbirte Nitroglycerin
herrührt.
––––––––––
In einer späteren an die (französische) Akademie gerichteten Mittheilung (Comptes rendus, t. LXXIII p.
206, Juli 1871) bemerkt Guyot:
In meiner früheren Mittheilung sprach ich den Wunsch aus, daß das zur Anfertigung der
Dynamitpatronen bisher verwendete Papier durch ein nicht poröses Material ersetzt
werden möge, von welchem kein Nitroglycerin aus dem Dynamit absorbirt werden kann.
In dieser Beziehung schrieb mit Hr. A. Hoffer im Namen
des Directors der Dynamitfabrik zu Paulille Folgendes:
„Die Fabrication des Dynamits ist in Frankreich neu; sie ist hauptsächlich
unternommen worden, um den Bedürfnissen des Augenblickes Genüge zu leisten, und
unter Verhältnissen welche dem Aufschwunge und der Entwickelung eines so
difficilen Industriezweiges nur sehr wenig günstig waren. Erst seit zwei Monaten
konnte die Anfertigung, Verpackung und Lieferung der Producte in präciser Weise
geregelt werden. Die Patronen, welche von dem Genieofficier Guyot untersucht wurden, waren für den Krieg, in
größter Eile, aus Materialien angefertigt welche gerade zur Hand waren. Zu den
Hülsen war gewöhnliches getheertes Packpapier verwendet; sie waren ohne Maschine hergestellt
worden. Die Arbeiterin, deren Hände mit Dynamit beschmutzt waren, falzte und
rollte das Papier, füllte die Hülfe und warf dann ihre Patrone auf einen Haufen
fertiger, gleichfalls beschmutzter, so daß die schon an sich sehr schmutzige
Hülse innen und außen mit Dynamit in Berührung war und sich schließlich mehr
oder weniger stark mit Nitroglycerin tränken mußte. Darin lag ein Uebelstand,
aber keine Gefahr; denn dieses selbst zu Dynamit gewordene Papier hätte nach und
nach auf 180°C. erhitzt werden müssen, um explodiren zu können. Hätte man
es an einem Ende plötzlich angezündet, so würde es ruhig abgebrannt seyn. Durch
einen hölzernen Stampfer hätte es nicht zum Detoniren gebracht werden können;
die Richtigkeit dieser Behauptung wird durch die Versuche der bekannten Chemiker
Bolley, Kundt und Pestalozzi
Der von dieser schweizerischen Commission erstattete Bericht über ihre
Untersuchungen zur Ermittelung der Gefährlichkeit des Dynamits ist im
polytechn. Journal, 1869, Bd. CXCIII S. 490 mitgetheilt. bestätigt. Zum Beweise für die geringe Gefährlichkeit dieses fettigen
Ansehens des Papieres führen wir die ununterbrochene, tägliche und von keinem
Unglücksfalle begleitete Benutzung der in Rede stehenden Patronen von Seiten der
verschiedenen Geniecorps, sowohl im Kriege gegen Deutschland, als auch bei der
Unterdrückung des Aufstandes der Commune in Paris, an. Uebrigens wurde jenes
Papier lediglich in Folge der Unmöglichkeit verwendet, anderes herbeizuschaffen;
seit zwei Monaten ist dasselbe durch ein Pergament ersetzt worden, welches keine
absorbirenden Eigenschaften besitzt und bei mehrjähriger Berührung mit Dynamit
trocken bleibt; in dieser Verpackung wird derselbe jetzt in den Handel
gebracht.“
Die von mit in meiner vorhergehenden Mittheilung ausgesprochenen Befürchtungen
bestehen also nicht mehr und ich muß, um unparteiisch zu sehn, das, was Hr. Hoffer bezüglich der täglichen und von keinem Unfalle
begleitet gewesenen Verwendung jener Patronen im Kriege gegen Deutschland sagt,
selbst bestätigen. Bei dem 25. Armeecorps, welchem ich damals angehörte, ist kein
Unglücksfall vorgekommen und doch wurden die Patronenkisten mehremals auf Wagen
transportirt, deren Stöße sehr merklich waren. Die Patronen waren in dem zu meiner
Untersuchung gekommenen Falle in gewöhnliches, an sich sehr poröses, wenn auch nicht
ungeleimtes Papier verpackt und eingeschnürt, und dann in einen Behälter aus ebenso
poröser Pappe gelegt worden; diese Materialien, mit Einschluß der Patronenhülse,
mußten daher nothwendig das Glycerin des Dynamits absorbiren.