Titel: | Ueber die Erzeugung der galvanischen Elektricität in der elektrischen Kette und das Verhalten derselben zum chemischen Proceß; von K. Rheineck. |
Autor: | K. Rheineck |
Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. XII., S. 42 |
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XII.
Ueber die Erzeugung der galvanischen Elektricität
in der elektrischen Kette und das Verhalten derselben zum chemischen Proceß; von K. Rheineck.
Rheineck, über das Verhalten der galvanischen Elektricität zum
chemischen Proceß.
Die Anwendung der Berührungselektricität, welche bald nach Galvani's Entdeckung eine hohe wissenschaftliche und technische Ausbildung
erlangt hat, ist für die Volkswirthschaft schon von großer Bedeutung geworden, wie
die Telegraphie beweist, und noch ist nicht abzusehen, welch' wichtige Rolle der
Galvanismus außerdem spielen wird.
Nach den Wirkungen des elektrischen Stromes sind diese Anwendungen in zwei Abtheilungen zu bringen.
Entweder ist ein chemischer Proceß beabsichtigt oder eine mechanische Wirkung.
Letztere Wirkung findet hauptsächlich Anwendung in der Telegraphie und nur wenig zu
elektromotorischen Maschinen. Es soll hier nur von den Anwendungen die Rede seyn,
welche auf den chemischen Eigenschaften des elektrischen Stromes beruhen, und von
der Quelle desselben. Der elektrische Strom kann zur Einleitung vieler chemischen
Processe dienen und das größte technische Interesse hierin hat die
Galvanoplastik.
Ich habe während meiner praktischen Laufbahn Gelegenheit gehabt, Galvanoplastik im
Großen zu betreiben. Es wurden kupferne und eiserne Gegenstände (Druckwalzen)
galvanisch mit dicken Schichten Kupfer überzogen, welche die Festigkeit und
Zähigkeit des gewöhnlichen Kupfers hatten und für die Arbeiten des Graveurs geeignet
waren. Es ist jedoch im Folgenden keineswegs meine Absicht, Apparate und praktische
Handgriffe zu beschreiben oder in dieser Hinsicht gemachte Erfahrungen mitzutheilen,
sondern, was von höherem Interesse und Nutzen nicht nur für die Wissenschaft ist,
sondern auch für diejenigen welche sich praktisch mit galvanischen Processen
abgeben, das Verständniß der Vorgänge in den betreffenden Apparaten, den
elektrischen Ketten, darzulegen, wie es sich mir ergeben hat durch Zurückführung und
Vergleichung des Zusammengesetzten mit dem Einfachen.
Wenn man in der Absicht, für die Zwecke der Galvanoplastik Versuche anzustellen, die
wissenschaftlichen Schriften und Lehrbücher der Physik und Chemie zu Rathe zieht,
vermißt man immer noch die gehörige Klarheit über den theoretischen Theil dieses
Gegenstandes, nämlich was die Beziehungen des elektrischen Stromes zum chemischen
Proceß anbelangt. Niemand wird läugnen, daß eben die Erkenntniß des Wesens einer
Naturerscheinung die Anwendung derselben ungemein unterstützt und im Fortschreiten
fördert, wenn auch dadurch empirische Versuche nicht erspart werden. Ich finde es
daher geeignet, in dieser Zeitschrift Mittheilung darüber zu machen.
Dieser Theil der Physik und Chemie hat das Schicksal, wegen der ausgezeichneten
physikalischen Eigenschaften des elektrischen Stromes, vorzugsweise den Physikern,
welche sich nicht viel mit Chemie abgeben können, anheim gefallen zu seyn und die
Chemiker glauben ein physikalisches Experiment zu machen, wenn sie einmal den
elektrischen Strom zur Einleitung eines chemischen Processes anwenden. Dieser
Umstand, in Verbindung mit der heutigen chemischen Forschung, welche immer noch
hauptsächlich auf die Gewichtsverhältnisse und Anordnung des wägbaren Stoffes
gerichtet ist, mag an der noch bestehenden Mangelhaftigkeit der Ansichten über die Beziehungen zwischen
Berührungselektricität und chemischem Proceß Schuld seyn. Die eigenthümliche
Erscheinung des Galvanismus oder des elektrisch-chemischen Processes bildet
ein wahres Verbindungsglied zwischen Physik und Chemie. Auch hat schon längst Liebig in seinen „chemischen
Briefen“ darauf hingewiesen, daß und in wie fern die Wärme und ihre
anderen Formen, Licht und Elektricität, in das Gebiet der Chemie gehören. Ja man
kann wohl sagen, sie bilden die Grundlage der Chemie, da
sie allein die Hebel sind, welche die chemische Bewegung oder Veränderung des
wägbaren Stoffes zu Stande bringen. – Mit dem Ausdruck
„elektrisch-chemischer Proceß“ sind solche chemische
Vorgänge oder Verwandlungen zu bezeichnen, welche sowohl durch den elektrischen
Strom veranlaßt werden, als auch dessen Entstehung veranlassen.
Die Grundlage oder den Ausgangspunkt für den elektrisch-chemischen Proceß
bilden die Metalle; man kann sagen, dieselben sind die
Mutterstoffe des elektrischen Stromes. Der elektrische Strom wirkt verändernd auf
viele wässerige Lösungen, namentlich auf die der Säuren und Salze, und diejenigen dieser Lösungen erzeugen mit den Metallen den
elektrischen Strom, welche in Berührung mit denselben eine chemische Verwandlung
verursachen. Das Wesentliche dabei ist das Vermögen der Metalle, und
einiger anderer Körper, in die Ferne zu wirken, d.h. die
befreite Elektricität in die Ferne, an den Ort ihrer Bestimmung zu tragen und eine
andere Wirkung in die Ferne bei den Flüssigkeiten
hervorzurufen.
Elektrische Kette nennt man die Vorrichtung, in welcher die Umstände so herbeigeführt
sind, daß ein Metall, indem es sich auflöst, die chemische Verwandlung einer
Flüssigkeit bewirkt, sowie alsdann diese in der Ferne vor sich
gehende Verwandlung ihrerseits dergestalt auf das Metall zurückwirkt, daß die
Lösung desselben ermöglicht wird. Aus der großen Reihe der Metalle sind es
nur wenige, welche beim Galvanismus praktisch verwendet werden; hauptsächlich ist es
das Zink. Auf das Zink wirken sehr viele Körper ein, beinahe alle Säuren und sehr
viele Metallsalze. In den ersteren löst sich das Zink auf unter Entwickelung von
Wasserstoffgas, in den letzteren unter Abscheidung eines Metalles. Der letztere
Vorgang bildet die Grundlage für die Galvanoplastik. Unter den vielen elektrischen
Ketten, welche mit dem Zink zusammengesetzt werden können, ist es zweckmäßig für die
folgende Betrachtung eine der einfachsten und leicht verständlichsten auszuwählen.
Eine solche ist der kleine, einfache galvanoplastische Apparat, wie er verwendet
wird, um kleine Gegenstände, z.B. Münzen mit einer Kupferschicht zu überziehen, in
der Absicht, sie abzubilden. Die augenfälligste Erscheinung des in diesem Apparate
vor sich gehenden Processes ist, wenn man vorläufig noch von dem Näheren absieht,
daß sich metallisches Kupfer abscheidet, während gleichzeitig
Zink sich löst, gerade so, als wenn das Zink unmittelbar in die
Kupferlösung tauchte. Selbst die Gewichtsverhältnisse der bei dieser chemischen
Veränderung spielenden Metalle stehen dort wie hier in dem Verhältniß ihrer
Aequivalentgewichte, so daß auf je 32 1/2 Thle. Zink, welches sich gelöst hat, 32
Thle. metallisch ausgeschiedenes Kupfer kommen. Wendet man sich alsdann zur
Einrichtung des einfachen galvanoplastischen Apparates, so bemerkt man im
Allgemeinen, daß die Einwirkung des sich lösenden Metalles auf
die reagirende Flüssigkeit (hier Kupfervitriollösung) auf Umwegen stattfindet oder daß die Berührung beider Körper eine mittelbare ist. Diese Berührung ist durch zwei Verbindungsmittel von wesentlich verschiedener Natur vermittelt. Man hat sie Leiter genannt, und
ihnen die Eigenschaft zugeschrieben, die Elektricität zu leiten. Metall ist das eine und eine wässerige Lösung das andere. Höchst wichtig für die Bedeutung dieser zwei
Vermittler ist der Umstand, daß sie einander nicht ersetzen können, sondern sich gegenseitig dergestalt bedingen, daß die Unterbrechung der
einen Leitung auch die andere aufhebt, sowie die ganze Thätigkeit des
Apparates. Schon aus der völlig verschiedenen Natur dieser Leiter und namentlich der
letzterwähnten Thatsache ist abzuleiten, daß beiden eine ganz
verschiedene Bedeutung und Function zukommen muß. Sie müssen im Verein dasselbe bewirken, was die unmittelbare Berührung des sich lösenden Metalles mit dem Reagens oder
Lösungsmittel thut. Ist es nun eine wesentliche Bedingung, daß die zwei Reagentien
(Metall und Lösungsmittel) in die Ferne wirken, so liegt
es nahe, daß die metallische Leitung, wenigstens an dem das Lösungsmittel berührenden Ende, von verschiedener
Natur mit dem sich lösenden Metall seyn muß. Es muß ein Metall seyn,
welches von diesem Lösungsmittel nicht angegriffen wird oder auch ein anderer die
Elektricität leitender Körper. Denn jeder durch die unmittelbare Berührung beider
Reagentien stattfindende chemische Proceß macht die Wirkung in
die Ferne entbehrlich, so daß der elektrische Strom theilweise oder auch
vollständig unterbleiben kann. Es scheint jetzt schon für die Betrachtung der
Vorgänge in der elektrischen Kette etwas Zufälliges und Unwesentliches zu seyn, daß
man genöthigt ist, für die Einrichtung derselben zweierlei Metalle anzuwenden.
Ebensowenig scheint eine Ursache vorzuliegen zur Annahme einer Theorie, wornach die
Berührung zweier Metalle, welche gleichzeitig in eine
„erregende“ Flüssigkeit tauchen, dergestalt in ein
Verhältniß der Polarisation zu einander treten, daß von jedem eine elektrische
Flüssigkeit von entgegengesetzten Eigenschaften und in entgegengesetzter Richtung
ausströmt. Im Sinne dieser Theorie hat man das reagirende, sich lösende Metall, hier
das Zink, das elektropositive Metall, auch Element genannt, das andere, welches sich
nicht löst, sondern nur elektrisch erregt wird und leitet, das elektronegative
Element oder Metall. Allein schon in dem Umstand, daß aus der ganzen Reihe der
Metalle, welche wir kennen, irgend ein Paar herausgenommen, in diesem gegenseitigen
Verhältniß steht, liegt etwas Bedenkliches für diese Theorie. Der Gegensatz, welcher
in den Metallen zu liegen scheint, wird nur ein relativer, und je weiter die zwei
Metalle in der elektrischen Spannungsreihe auseinanderliegen, desto größer wird der
scheinbare Gegensatz. Es ist aber nur zufällig, daß, je energischer das
Lösungsmittel ist, ein desto weniger energisches Metall als Leiter gewählt werden
muß, damit er nicht von ihm angegriffen wird. Der eigentliche
Gegensatz liegt wohl in beiden reagirenden Körpern, dem sich lösenden Metall nämlich und dem Lösungsmittel. Eher hat es den Anschein, daß in der großen Reihe der
Metalle, anfangend am elektropositivsten, in abnehmender Weise bis hin zu dem
elektronegativsten, eine Kraft von gewissem Wirkungswerth
vorgestellt ist. In diesem Sinne geordnet, hat man die Reihe der Metalle die
elektrische Spannungsreihe genannt, und es wird sich im Weiteren zeigen, wie
dieselbe aufgefaßt werden kann.
Aehnlich verhält es sich mit dem flüssigen Leiter oder der erregenden Flüssigkeit.
Aus denselben Gründen wie beim metallischen Leiter, hat man es für die Zwecke der
elektrischen Kette geeignet erfunden, den flüssigen Leiter aus zweierlei
Flüssigkeiten bestehen zu lassen, und beinahe mit demselben Recht, wie den Metallen,
könnte man ihnen einen Zustand der Polarisation zuschreiben. Man wählt die beiden
Flüssigkeiten von verschiedener Natur. Die das sich lösende Metall berührende soll
unter gewöhnlichen Umständen nicht lösend auf dasselbe einwirken, damit nicht schon
an der Oberfläche dieses Metalles der ganze chemische Proceß vor sich gehe, d.h. Auflösen desselben und Bildung des sogenannten
Reductionsproductes, im gegebenen Beispiel also Bildung des
niederzuschlagenden Metalles. In dem Maaße als dieses geschehen würde, fiele die Veranlassung zur Wirkung in die Ferne weg oder der
elektrische Strom, im anderen Sinne ausgedrückt, würde vermindert werden oder
vollständig aufhören.
Nach Allem diesem hat es endlich den Schein, als sey der Gegensatz oder der Zustand der
Polarisation eigentlich dem sich lösenden Metall und der erregenden Flüssigkeit,
welche auf zwei Wegen mit demselben in leitender
Verbindung steht, zuzuschreiben. Aber es findet hier kein anderer Gegensatz oder
Polarisation statt, als welche den chemischen Reagentien überhaupt zukommt.
Aus den entwickelten Grundsätzen und dem Verhalten eines Metalles, z.B. Zink zu
anderen Körpern, Säuren und Salzen, ergibt es sich, wie eine elektrische Kette
zusammenzusetzen ist. Taucht ein Stück Zink in die Lösung eines Metallsalzes, so
wird es unverändert bleiben, wenn die metallische Grundlage dieses Salzes Zink oder
irgend ein in der elektrischen Spannungsreihe dem Zink voranstehendes Metall ist; es
wird dagegen aufgelöst werden, wenn die metallische Grundlage des Salzes ein in der
elektrischen Spannungsreihe dem Zink nachstehendes Metall ist, z.B. Zinn, Cadmium,
Kupfer, Blei, Quecksilber und die edlen Metalle. Taucht das Zink in die Lösung
irgend einer Säure, so löst es sich unter Wasserstoffgasentwickelung. Der
Wasserstoff verhält sich wie ein Metall, welches in der elektrischen Spannungsreihe
nach dem Zink zu stehen kommt, aber vor dem Kupfer, Blei und den folgenden, weil
diese mit keiner Säure Wasserstoff zu entwickeln vermögen. Die Säuren können darnach
als die Salze des Wasserstoffes betrachtet werden. Während das Zink sich in einem
Metallsalz auflöst, scheidet sich dafür aus letzterem das Metall als solches ab.
Eine Kette, zusammengesetzt aus Zink und der Salzlösung eines in der Reihe nach dem
Zink stehenden Metalles, z.B. Kupfer, hat den Zweck, das Kupfer anstatt an der
Oberfläche des Zinkes an irgend einem anderen Orte des Apparates niederzuschlagen.
In einem Glasgefäße befindet sich eine Lösung von Zinkvitriol, Glaubersalz oder
Bittersalz u.s.w. Eine Kupfervitriollösung befindet sich in einem anderen Gefäße,
welches vermittelst feiner Poren die Communication mit einer anderen Flüssigkeit
gestattet, ohne daß rasche Mischung stattfinden kann, z.B. einer nicht glasirten
Thonzelle. Stellt man letzteres Gefäß in das erstere, so ist der flüssige Leiter
vorgerichtet. Ein Stück Zink taucht nun in die äußere Salzlösung, und berührt
dasselbe mittelst eines angelötheten Kupferdrahtes die Kupfervitriollösung; auch die
metallische Leitung ist hergestellt und jetzt ist der Apparat in Gang. Das Kupfer
setzt sich an dem in die Kupferlösung tauchenden Ende des leitenden Kupferdrahtes
ab, oder an irgend einem daran befestigten leitenden oder leitend gemachten
Gegenstand. Von der Größe der Oberflächen des Zinkes und des Leiters, sowie von der
Concentration der Kupferlösung hängt der raschere oder langsamere Gang des Processes
ab, bezüglich der Bildung einer lockeren oder festen Kupferschicht. Der Proceß ist
beendigt, sobald eines
der reagirenden Glieder der Kette erschöpft oder verschwunden ist, das Zink oder die
Kupferlösung. Um letztere stets im Zustand der Sättigung zu erhalten, hängt man in
passender Weise Krystalle von Kupfervitriol hinein. In derselben Weise können andere
Metalle, welche in der Reihe nach dem Zink kommen, aus ihren Salzen niedergeschlagen
werden, wenn man durch sie den Kupfervitriol ersetzt.
Man hat sich, in der weiteren Ausführung der Theorie über den
elektrisch-chemischen Proceß, vorgestellt daß die erregte positive
Elektricität des Zinkes durch das leitende Metall überströme zum negativen Element
und umgekehrt die negative des letzteren auf demselben Weg zum positiven Element. Ob
man nun annimmt, daß beide Elektricitäten weiter durch die Flüssigkeiten strömen und
wieder zurückkehren, also circuliren, oder daß sie, an dem ihrem Ursprunge
entgegengesetzten Orte angelangt, für die Einleitung des chemischen Processes
verwendet werden, ist gleichgültig und es ist kein Verständniß der Vorgänge daraus
abzuleiten, am allerwenigsten aus der ersten Annahme. Besser geht es, wenn man es
bei einem einzigen Strome, dem der positiven Elektricität bewenden läßt. Das
„Warum?“ wird erst recht klar werden, wenn man das
Verhalten einer in die Kette eingeschalteten wässerigen Lösung betrachtet.
Untersucht man den flüssigen Inhalt des Apparates, so findet man, daß die Neutralität
der Salzlösungen nicht verändert worden ist nach Beendigung oder Unterbrechung des
Processes während welchem sich auch kein Gas entwickelt hat. Es ist keine andere
Vorstellung hierüber möglich, als die, welche man sich längst gemacht hat, nämlich
daß durch das Ausweichen der metallischen Grundlage in den in wässeriger Lösung
äußerst leicht beweglichen Salzatomen, welches mit der Kupferausscheidung endigt,
das Zink Platz in der Säure findet, sich zu lösen. Ist man nun über diese Function
des wässerigen Leiters klar, so fragt es sich nur, kommt ihm noch eine weitere zu,
etwa die der Elektricitätsleitung? Ferner, sind zweierlei elektrische Ströme oder
nur ein einziger anzunehmen? Schon der Umstand, daß ohne den metallischen Leiter der
chemische Proceß gar nicht stattfinden kann, läßt vermuthen, daß, wenn die
Elektricität etwa eine für den Vorgang des chemischen Processes nöthige Arbeitsleistung vollbringt, den Flüssigkeiten die
Function der Elektricitätsleitung nicht zukommt. Vollgültig wird aber der Beweis
erst, wenn man die Bedeutung des elektrischen Stromes richtig erfaßt hat. Was
endlich die letzte Frage betrifft, so hat man keine Ursache, sich den Vorgang in der
geschlossenen elektrischen Kette so umständlich zu erklären, als es die Annahme der
zwei elektrischen Flüssigkeiten bedingt; man reicht mit der Annahme eines einzigen
Stromes vollkommen aus.
Wenn man, um den Apparat, in welchem der elektrisch-chemische Proceß vor sich
geht, d.h. die elektrische Kette, auf die einfachste Form zurückzuführen, den
metallischen Leiter immer kürzer werden läßt, bis er endlich verschwindet und ebenso
den flüssigen, die das Zink umgebende Salzlösung, so bekommt man die einfachste Form
des Apparates. Man hat jetzt nur noch eine Kupfervitriollösung, in welche ein Stück
Zink taucht. Die Salzlösung thut immer noch den gleichen Dienst, das Zink ist nun
lösendes Metall und Leiter in einem Stück, die Elektricität legt den kürzesten Weg
zurück, kurz es geht immer noch der gleiche chemische Proceß vor sich, wie in der
Kette. Wo ist der Unterschied, wo die Grenze zwischen elektrisch-chemischem
und einfachem chemischem Proceß, zwischen einer elektrischen Kette aus Zink und
Kupfervitriol bestehend, und einer Kupfervitriollösung in welche ein Stück Zink
taucht und indem es sich löst, metallisches Kupfer abscheidet?
Was in diesem Falle der Vereinfachung der Kette die beiden elektrischen Flüssigkeiten
anlangt, so wird der Weg den sie zurücklegen, immer kürzer bis er in der einfachsten
Form vollständig wegfällt. Somit wäre im ersten Moment
der Berührung des Zinkes mit dem Kupfervitriol die Quelle der
negativen Elektricität in dem abzuscheidenden Kupfer erst zu schaffen und
folgerichtig wäre in diesem Moment auch keine positive
Elektricität vorhanden. Bei gleichem chemischem Proceß und gleichen
chemischen Producten ginge also hier ein ganz anderer
Proceß vor sich als in der elektrische Kette genannten Vorrichtung, wenn
auch nur einen Moment! Sobald sich ein Atom Zink gelöst und dafür ein Atom Kupfer an
demselben angesetzt hat, ist der einfache chemische Proceß vorbei, es ist ein ganz
anderer an seine Stelle getreten, der elektrisch-chemische. In der That ist schon wieder eine elektrische Kette
entstanden: die Kupferschicht ist locker, breitet sich in der Kupferlösung
immer mehr aus in Form dendritischer Krystalle, an welchen letzteren als an einem
vom Zink, welches sich löst, entfernten Orte sich
immerfort Kupfer ansetzt. Es gibt aber keine Widersprüche in der Natur, wie:
Elektricität wird entwickelt durch den chemischen Proceß, oder nicht; der chemische
Proceß wird eingeleitet durch Elektricität, oder nicht. Chemischer Proceß und elektrisch-chemischer Proceß sind
gleichbedeutend. Man braucht sich nur den Vorgang der Metallausscheidung
durch ein Metall klar zu machen, um dieses einzusehen. In dieser Absicht erlaube ich
mir, an die Auseinandersetzungen in dem im Jahrg. 1871 dieses Journals, Bd. CCII S.
282 von mir erschienenen Aufsatz über die Gährungserscheinungen zu erinnern. Es
liegt dort, wie bei der Metallausscheidung, ein ganz ähnlicher Fall vor, wo ein Körper durch seinen Zerfall für den Aufbau eines anderen
die nöthige Arbeit leistet. In einer Hinsicht, nämlich des ursächlichen
Zusammenhanges der Metallauflösung mit der Metallbildung und Abscheidung einerseits, sowie des Zuckerzerfalles, in der Alkoholgährung zum Beispiel, mit
dem Hefepilzwachsthum andererseits, sind sogar beiderlei
Erscheinungen einander gleich. Sie gehen weit auseinander bezüglich des Austausches des wägbaren Stoffes. Während bei den
Gährungserscheinungen ein solcher nicht stattfindet,
sondern nur die chemisch latente Wärme oder eine Arbeitsleistung vom zerfallenden Körper auf die sich im Pilze aufbauende
organische Substanz übertragen wird, geschieht bei der Einwirkung von
Metallen auf Metallsalze Beides: Austausch des Wägbaren nach
stöchiometrischen Verhältnissen und Uebertragung bei der Auflösung eines
Metalles verwendbar werdender chemisch latenter Wärme auf das zu bildende
Metall. Aber nur qualitativ findet diese Analogie der Arbeitsleistung
statt. Es ist kein Zweifel, daß beim Zerfall des Zuckers die ganze Arbeitsleistung,
welche in der Gleichung C¹²H¹²O¹² =
2CO² + 2C⁴H⁶O² vorgestellt ist, für das Wachsthum der
Hefezelle verwendet wird, während aus Gründen der unabänderlichen stöchiometrischen
Verhältnisse ein Theil der Arbeitsleistung des sich lösenden Zinkes als freie Wärme
verloren geht, da sich eben nichts Anderes bilden kann, als Zinkvitriol und Kupfer
nach der Gleichung Zn + CuSO⁴ = ZnSO⁴ + Cu. Wärme muß dabei frei werden, weil der Bestand des
Kupfers weit weniger davon erfordert als der des Zinkes. Man überzeugt sich
davon am leichtesten, wenn man in eine Kupfervitriollösung Zinkstaub (fein
zertheiltes metallisches Zink aus den Zinkhütten) gibt; bei rascher
Kupferausscheidung findet eine beträchtliche Erwärmung des Gemisches statt. In den
chemischen Formeln ist dieses Verhalten nicht berücksichtigt und in dieser Hinsicht
gelten obige Gleichungen eigentlich nicht, denn man hat nun mit vollem Recht
C¹²H¹²O¹² > 2CO² +
2C⁴H⁶O² und Zn + CuSO⁴ > ZnSO⁴ + Cu. Und es ist
einleuchtend, daß nur die Differenz (Zn + CuSO⁴)
– (ZnSO⁴ + Cu) zu mechanischen Nutzeffecten für die Telegraphie und
die elektromotorischen Maschinen benutzt werden kann, vielleicht auch weniger. Ein Mehrverbrauch ist eine Unmöglichkeit, da in dem
Maaße, als dem sich bildenden Kupfer die zu seinem Bestande nöthige Wärme abginge,
die Abscheidung desselben kleiner würde, aber auch ebenso die Auflösung des Zinkes
und endlich auch aus letzterem Grunde der elektrische Strom selbst.
Nach diesen Entwickelungen ist der elektrische Strom die
frei
oder verwendbar gewordene chemisch latente Wärme eines sich lösenden oder
zerfallenden Metalles und es ist eine höchst merkwürdige Eigenschaft der
Metalle und einiger anderen Körper, dieselbe als strömende Elektricität an ihren
Bestimmungsort zu leiten. Das Metall ist der Weg für das Unwägbare, das Wasser der
für das Wägbare in der elektrischen Kette.
Elberfeld, im Januar 1872.
(Die Fortsetzung folgt.)