Titel: | Untersuchungen über die Bildung des Anilinroths; von Rosenstiehl. |
Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. XIV., S. 52 |
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XIV.
Untersuchungen über die Bildung des Anilinroths;
von Rosenstiehl.
Aus dem Bulletin de la
Société industrielle de Mulhouse, 1871, t. XLI p.
217.
Rosenstiehl, über die Bildung des Anilinroths.
Als ich mich vor einigen Jahren mit Untersuchungen über die Bildung des
AnilinrothsMitgetheilt im polytechn. Journal Bd. CLXXXIX S. 393, Bd. CXC S. 57, Bd. CXCI
S. 483, Bd. CXCIII S. 315. beschäftigte, beobachtete ich mehrere Thatsachen, welche ich nicht
veröffentlichte, weil damals noch ein dieselben verknüpfendes Band fehlte. Nun bin
ich aber in Stand gesetzt, dieselben in rationeller Weise zu gruppiren, wodurch
meine früheren Beobachtungen vervollständigt werden.
Man weiß jetzt, daß zur Bildung des Fuchsins drei Alkaloide sich eignen, nämlich das
Anilin und die beiden Toluidine. Diese Alkaloide vermögen, zu je zweien vereinigt, rothe, in
Bezug auf ihre physischen Eigenschaften einander identische, in chemischer Hinsicht
aber bloß isomere Farbstoffe zu bilden.
Dagegen ist es bis jetzt nicht gelungen, eines dieser drei Alkaloide für sich allein
angewandt und der gewöhnlichen Behandlung unterworfen, in
„Anilinroth“ umzuwandeln. Dieß ist in Kürze der
gegenwärtige Standpunkt unserer Kenntnisse über diesen Gegenstand.
Der letztere Satz wird jedoch durch meine neuen Beobachtungen modificirt. Allerdings
kann das Anilin, für sich allein, ebenso wenig in
Rosanilin umgewandelt werden, wie das Toluidin für sich allein; anders verhält es sich jedoch
mit dem Pseudotoluidin. Schon vor drei Jahren fand ich,
daß das Pseudotoluidin beim Erhitzen mit Arsensäure Anilin gibt; diese Reaction
erfolgt unter den Umständen wo ein Gemisch von Anilin und Pseudotoluidin sich in
Roth umwandelt; es muß daher ein Zeitpunkt eintreten, wo das gebildete Anilin und
das noch nicht umgewandelte Pseudotoluidin in den zur Erzeugung der rothen Substanz
geeigneten Verhältnissen zugegen sind. Der erste Versuch, dieß experimentell
nachzuweisen, gab ein negatives Resultat;Polytechn. Journal, 1869, Bd. CXCI S. 484. als ich aber später Gelegenheit hatte, auf diesen Versuch zurückzukommen,
fand ich daß sich bei längerer Fortsetzung desselben wirklich ein rother Farbstoff
bildete, welcher mit der von mir als „Pseudorosanilin“
beschriebenen Substanz identisch ist.
Die Ausbeute an diesem Farbstoffe beträgt etwa 12 Procent; die Versuche wurden mit
fünf Proben von sehr reinem Alkaloid gemacht, welche nach eben so vielen
verschiedenen Methoden dargestellt waren. Die Bildung eines dem Rosanilin isomeren
Körpers, für welche das Pseudotoluidin alle Elemente liefert, ist eine
unzweifelhafte Thatsache; die Arsensäure, bei hoher Temperatur angewendet, ist aber
nicht das einzige Agens, durch welches das Pseudotoluidin in Farbstoff umgewandelt
werden kann. Auch die atmosphärische Luft vermag diese Umwandlung bei gewöhnlicher
Temperatur zu bewirken.
Es ist eine bekannte Thatsache, daß die Anilin- und Toluidinsalze sich an der
Luft rosenroth färben. Als ich vor drei Jahren die Anilin- und Toluidinsalze
darstellte, welche mir als Material zu meinen vergleichenden Untersuchungen über
diese Alkaloide dienten, beobachtete ich daß diese Rosafarbe sich nur dann
entwickelt, wenn kleine Mengen von Pseudotoluidin zugegen sind.
Sind die Toluidinsalze ganz rein, so färben sie sich nur sehr langsam und bloß gelb;
ebenso verhalten sich die Anilinsalze, welche eine grünlichgraue Färbung annehmen.
Auf die freien Alkaloide wirkt die atmosphärische Luft in ähnlicher Weise. Sättigt
man reines, selbst frisch destillirtes Pseudotoluidin vorsichtig mit einer Säure, so
färbt sich die Flüssigkeit in dem Augenblicke wo vollständige Sättigung eingetreten
ist, intensiv fuchsinroth. Dieselbe Erscheinung zeigt sich, wenn man Anilin oder
Toluidin, welche eine geringe Menge Pseudotoluidin enthalten, in derselben Weise
behandelt. Nach meiner Beobachtung erscheint die Färbung besonders schön, wenn man
zum Sättigen des Alkaloids verdünnte Essigsäure und nicht etwa stärkere Säuren, wie
Schwefel- oder Salzsäure anwendet; mit diesen letzteren tritt die Färbung
genau im Momente der Neutralisirung ein, verschwindet aber auf Zusatz eines weiteren
Tropfens Säure sofort und an ihrer Stelle erscheint eine matte bräunlichgelbe
Färbung. Diese Eigenschaft des Farbstoffes, in Folge des Zusatzes eines
Säureüberschusses in Gelb überzugehen, ist für das Fuchsin charakteristisch.
Bei diesen Versuchen ist es unmöglich, die rothe Substanz zur näheren Untersuchung zu
isoliren; diese Substanzen besitzen bekanntlich ein so starkes Färbungsvermögen, daß
schon unwägbare Mengen hinreichen, um eine sichtbare Wirkung hervorzubringen.
Die Schwierigkeit läßt sich aber durch einen sehr einfachen Kunstgriff beseitigen.
Man tränkt einen Baumwollzeug mit der schwachen Lösung eines Pseudotoluidinsalzes
und hängt ihn an die Luft; nach einigen Stunden färbt sich der Zeug rosenroth und
diese Färbung nimmt bis zum anderen Morgen an Intensität zu. Hierauf spült man den
Zeug in reinem Wasser, welches die löslichen secundären Producte, sowie das nicht
umgewandelte Salz beseitigt, während der Farbstoff auf der Faser fixirt bleibt. Man
kann dann, ohne ihn durch ein Lösungsmittel abzuziehen, constatiren daß er alle
Eigenschaften eines Rosanilinsalzes besitzt; ich habe diese charakteristischen
Eigenschaften in der nachfolgenden kleinen Tabelle vergleichend
zusammengestellt:
Eigenschaften
derRosanilinsalze.
Eigenschaften des
aufBaumwollgewebe ausPseudotoluidin
entstandenenrosenrothen Farbstoffes.
1. Die verdünnte Lösung der Salze
istrosenroth und theilt diese Färbung denmit ihr imprägnirten
Stoffen mit.
Der Stoff ist rosenroth gefärbt.
2. Diese Lösungen werden in Folgeder
Bildung der Base, welche farblos ist,durch die caustischen Alkalien
entfärbt.
Wird ein Tropfen Aetznatron auf den
Stoffgebracht, so entfärbt sich derselbe an derbetreffenden
Stelle.
3. Sättigt man die Flüssigkeit
genaumit einer Säure, so erscheint dieursprüngliche Farbe
wieder.
Spült man den Stoff in schwach
angesäuertemWasser, so tritt die rosenrothe Färbung
wiederauf.
4. Durch concentrirte Säuren wird
dieLösung in Folge der Bildung einesdreifachsauren Salzes
bräunlichgelbgefärbt.
Ein Tropfen Salzsäure, auf den rothen
Stoffgebracht, erzeugt einen gelben Fleck, welchermit dem
rosenrothen Grunde lebhaft contrastirt.
5. Verdünnt man die gelbe Lösung
mitWasser, so erscheint in Folge des Zerfallensdes erwähnten
Salzes die rosenrothe Färbungwieder.
Wird der gelbe Fleck mit vielem
Wassergewaschen, so verschwindet er und dierosenrothe Färbung
erscheint wieder.
6. Wird die Lösung mit
reducirendenKörpern, z.B. mit Zinkpulver (Zinkstaub)gekocht, so
entfärbt sie sich unter Bildungvon Leukanilin.
Zinkpulver, in Wasser vertheilt
welchesmit Traganthgummi verdickt ist, auf den Stoffaufgedruckt,
entfärbt denselben. Man erhältauf diese Weise einen weißen Aetzdruck
aufrosenrothem Grunde.
Die vorstehenden Eigenschaften, in Verbindung mit der Identität der Rohstoffe, sind
für die Natur des rothen Farbstoffes entscheidend: derselbe ist das Pseudorosanilin. Zu diesen letzteren Versuchen wurde ich
durch meine Nachforschung über die Ursachen eines Uebelstandes veranlaßt, welcher
bei der Darstellung des Anilinschwarz häufig eintritt. In dem Falle welcher meine
Aufmerksamkeit besonders erregte, waren Abschnitte von verschiedenen Baumwollstoffen
an einander geklebt, dann mittelst der Walze mit einer Farbe für Anilinschwarz
bedruckt und zur Entwickelung des Schwarz in einer heißen Kammer aufgehängt worden;
mehrere dieser Zeugstückchen, welche vorher vollkommen weiß gewesen waren, zeigten
sich nach dem Aufhängen in der heißen Kammer mehr oder weniger intensiv rosenroth
gefärbt; andere waren weih geblieben, und zwar wechselten die weißen Stückchen mit
den gefärbten in sehr unregelmäßiger Weise ab. Diese Vertheilung der Erscheinung
führt zu dem Schlusse, daß bei der Bildung der rosenfarbigen Substanz das Gewebe
selbst eine Rolle gespielt haben muß, und sofort drängte sich mir die zweifache
Frage auf: 1) welche rosenrothe Substanz bildet sich in den nicht mit Schwarz
bedruckten Theilen des Gewebes, und 2) welche Substanz ist in dem Gewebe vorhanden
und begünstigt die Bildung der rosenrothen Substanz? Die erstere Frage hat mich
nicht lange aufgehalten; die Rosafärbung hatte die größte Analogie mit derjenigen
des Rosanilins und der ihm isomeren Farbstoffe, und die Proben welche ich vorher
beschrieb, haben die Richtigkeit dieser Anschauung sehr bald bestätigt.
Es bleibt nun noch die zweite Frage zu beantworten.
Da die rosenrothe Substanz ein Pseudorosaninsalz ist, so muß der den Baumwollzeug
imprägnirende Körper ein Pseudotoluidinsalz gewesen seyn. Dieß ist nun zu beweisen.
Wenn man in eine heiße Kammer eintritt, in welcher Anilinschwarz entwickelt wird, so
fällt der starke Geruch in derselben auf, welcher die Gegenwart von freien, aus den
Geweben sich entwickelnden Alkaloiden in der Atmosphäre dieses Raumes anzeigt. Unter
diesen Alkaloiden befindet sich auch unvermeidlich Pseudotoluidin, da solches in dem für Schwarz angewendeten Anilin
enthalten ist. Diese Dämpfe imprägniren das Gewebe, können sich aber in demselben
nur dann fixiren, wenn der Stoff die zur Bildung eines Salzes erforderliche Säure
enthält.
Dieser letztere Punkt hat sich durch zahlreiche Versuche als begründet
herausgestellt. Ich wählte einen Stoff, der sich beim Aufhängen in der heißen Kammer
nicht färbte, imprägnirte die eine Hälfte desselben mit einer ein Tausendtel
Salzsäure enthaltenden Lösung und ließ auf das ganze Stückchen nach dem
vollständigen Trocknen eine Farbe für Schwarz drucken. Nachdem hierauf das Schwarz
entwickelt worden war, zeigte sich der mit Säure getränkte Theil intensiv rosenroth
gefärbt, während der nicht imprägnirte Theil weiß geblieben war. Um diesen Versuch
noch auffallender zu machen, kann man das angesäuerte Wasser durch Zusatz von einem
Procent Säure verstärken und auf verschiedene Baumwollstoffe Streifen drucken. Hängt
man nun diese Proben mit Stücken auf, welche in Schwarz bedruckt sind, so bildet
sich ein ziemlich lebhaftes, von dem weißen Grunde deutlich abstechendes Rosa. Die
Säure, mit welcher das Gewebe imprägnirt ist, zieht die Pseudotoluidindämpfe an und
fixirt sie; in Folge der Einwirkung der Luft auf das entstandene, über eine große
Fläche verbreitete Salz entwickelt sich das Pseudorosanilin. Um den directen
Nachweis zu liefern, daß der Vorgang wirklich in der angegebenen Weise stattfindet,
hing ich mit angesäuertem Wasser bedruckte Probestückchen in einem Raume auf, in
dessen Atmosphäre keine Alkaloiddämpfe enthalten waren, und verflüchtigte in
demselben eine kleine Menge Alkaloid; nach Verlauf einiger Stunden hatte sich die
rosenrothe Färbung entwickelt.
Die in Rede stehende Erscheinung wird also durch die Gegenwart freier Säure in dem
Gewebe veranlaßt. Ein Säuregehalt in gebleichten Stoffen kann uns nicht verwundern,
denn die Schlußoperation beim Bleichprocesse besteht in der Behandlung mit
angesäuertem Wasser und die Menge der im Gewebe zurückbleibenden Säure hängt von der
auf das letzte Auswaschen verwendeten Sorgfalt ab. Abgesehen von dieser Ursache,
welche wohl die wesentlichste ist, können die Zeuge in den Kattundruckereien in
manchen Fällen Säure, namentlich Essigsäure, anziehen. Viele meiner Collegen, mit
denen ich die im Vorstehenden mitgetheilten Versuche besprach, sagten mir daß sie
das Auftreten der Erscheinung häufig beobachtet haben, wenn Essigsäuredämpfe von
sich gebende Stücke neben anderen mit Anilinschwarz bedruckten aufgehängt waren.
Nachdem die Ursache nachgewiesen worden, ist auch das Heilmittel angezeigt; jede
Operation, durch welche die Säure neutralisirt wird, führt zum Ziele. Auch in dieser
Hinsicht ist die industrielle Praxis, wie in so vielen anderen Fällen, der Erklärung
der Erscheinung vorgekommen. Gustav Schaeffer hat nämlich
beobachtet, daß diese Färbung bei einem Stoffe nicht mehr auftritt, welcher behufs
des Krappfärbens einem längeren Passiren durch heißes Wasser, welchem Kreide, Natronwasserglas, Seife
oder irgend eine andere alkalische Substanz zugesetzt wurde, unterzogen worden
ist.
Nach dem Vorstehenden sind also die Bedingungen unter denen die in Rede stehende
Erscheinung auftritt, ganz bestimmte; man kann dieselbe nach Belieben hervorrufen
oder verhindern.
Ich komme jetzt zu einer Modification der Erscheinung, deren Erklärung sehr schwierig
ist und bei deren Ergründung mir die chemische Analyse ihre Mitwirkung versagt hat.
Beim Aufdrucken von angesäuertem Wasser auf verschiedene Baumwollstoffe beobachtete
ich, daß unter übrigens ganz gleichen Verhältnissen Färbungen auftraten, welche
sowohl in Bezug auf Intensität als auf Nüance von einander abwichen. Die
Cretonnes,Ein sehr starker Baumwollzeug aus der Normandie. welche ich zu meinen Versuchen verwendete, gaben mir das reinste und
intensivste Rosa; die Satins (Atlas) färbten sich blasser rosa und die Calico's
nahmen ein mit Gelb oder Braun gemischtes Rosenroth an. Diese Form der Erscheinung
beweist, daß bei derselben die Substanz des Stoffes selbst in's Spiel kommt. Es
fragt sich nun, ob wir es hier mit einem fremdartigen Körper zu thun haben, welcher
ungeachtet der kräftigen Einwirkung der Bleichoperationen an der Baumwolle haften
geblieben, oder ob die Erscheinung von der reinen Pflanzenfaser selbst herrührt,
deren verschiedene Organisation sich durch ihre Wirkung auf den Farbstoff
kundgibt?
Auf diese letztere Erklärung verfiel ich in Wahrheit anfänglich nicht; ich wußte
zwar, daß Baumwollsorten von verschiedenem Ursprunge beim Färben eine sehr ungleiche
Ausgiebigkeit zeigen; ich selbst hatte aber noch kein Beispiel davon beobachtet; ich
forschte daher nach, welche der gebleichten Faser zufällig anhaftende Substanz die
Bildung des rosenrothen Farbstoffes möglicherweise durch ihre Gegenwart begünstigen
oder verhindern könne. Ich imprägnirte die verschiedenen Gewebe mit den in der rohen
Baumwolle enthaltenen Stoffen, wie Fetten, harzigen, stickstoffhaltigen Körpern,
sowie mit den Chemikalien welche beim Bleichen mit derselben in Berührung kommen.
Speciell experimentirte ich mit Colophoniumseife, deren Harz ich durch verschiedene
Verfahrungsarten fixirte. Die Resultate welche ich erhielt, waren sämmtlich
negativer Art, weßhalb ich hier auf die Einzelheiten dieser Versuche nicht näher
eingehe, sondern nur einen derselben anführe, welchen ich als überzeugend betrachte.
Gustav Schaeffer stellte mir Proben von roher Baumwolle,
sowie von Baumwollstoff zur Verfügung, welche nach jeder Operation des
Bleichprocesses von den Stücken abgeschnitten worden waren; ich hatte damit also die ganze Sammlung
der in der Gespinnstfaser enthaltenen und vor und bei dem Weben in dieselbe
eingeführten Stoffe. Das angesäuerte Wasser, welches ich auf alle diese Proben
drucken ließ, brachte auf denselben, als sie wie zur Entwickelung des Schwarz in
einem warmen Raume aufgehängt wurden, dieselbe Färbung hervor. Ich glaube daher
nicht, daß die verschiedene Ausgiebigkeit welche man bei verschiedenen Stoffen
beobachtet, von einer fremdartigen Substanz herrührt; sie ist von der Baumwolle
selbst bedingt.
Es bleibt nun noch ein Punkt zu untersuchen, welcher namentlich in wissenschaftlicher
Beziehung von Interesse ist. Ist die Hauptrolle bei der Bildung des Pseudorosanilins
bei gewöhnlicher Temperatur, wirklich dem Pseudotoluidin zuzuschreiben? Diese
Ueberzeugung habe ich weiter oben ausgesprochen; ich muß dieselbe nun
rechtfertigen.
Ich druckte auf Cretonne Streifen mit verdickten Auflösungen der
chlorwasserstoffsauren Salze der drei Alkaloide (aus deren Gemenge die im Handel
vorkommenden Aniline bestehen). Die zu diesen Versuchen benutzten Salze waren
dieselben wie die welche mir im Jahre 1868 zur Bestimmung der für diese Alkaloide
charakteristischen Farbenreactionen gedient hatten;Polytechn. Journal Bd. CXC S. 57. auf ihre Darstellung war eine besondere Sorgfalt verwendet worden.
Die Toluidinstreifen färbten sich gelb; das Pseudotoluidin gab die rosenrothe
Färbung, durch welche es charakterisirt wird. Was das Anilin betrifft, so färbte es
sich zu meiner Verwunderung wie das Pseudotoluidin. Die Färbung war ganz die gleiche
und der Farbstoff besaß alle Eigenschaften des Pseudorosanilins. Bekanntlich gibt
Anilin für sich allein bei Anwendung der gewöhnlichen Verfahrungsarten kein Roth und
es läßt sich auch nicht wohl begreifen, daß es Roth zu geben vermag, wenn man seine
Zusammensetzung und diejenige seines Farbstoffes in Betracht zieht. Ich nahm daher
auch keinen Anstand, die erwähnte Färbung der Gegenwart einer im Anilinsalze
zurückgebliebenen geringen Menge Pseudotoluidin zuzuschreiben. Ich unterwarf den
noch in meinem Besitze befindlichen Rest von Anilinsalz (Oxalsäuresalz) viermal
hinter einander einer gestörten Umkrystallisirung, in der Hoffnung, es auf diese
Weise reinigen zu können; dann wandelte ich es in chlorwasserstoffsaures Salz um,
und imprägnirte mit der Lösung desselben Proben von Cretonne; die Rosafärbung
entwickelte sich. Nun machte ich einen Versuch mit aus Indigo dargestelltem Anilin,
welches allgemein als reines Präparat gilt. Aber wider meine Erwartung
entwickelte sich auch bei diesem Versuche die rosenrothe Färbung und zwar mit einer
solchen Intensität, daß, wenn man dieselbe einem Gehalte an Pseudotoluidin
zuschreiben wollte, von letzterem nicht bloße Spuren, sondern wenigstens einige
Tausendtheile zugegen seyn müßten. Es ist auch wirklich nicht schwierig, die
Gegenwart von Pseudotoluidin im Indiganilin nachzuweisen. Hierzu braucht man nur die
beim Destilliren zuletzt übergehenden Antheile mit Wasser zu schütteln und diese
wässerige Lösung mit Aether, Chlorkalk und dann mit angesäuertem Wasser zu
behandeln, worauf die Flüssigkeit die für das Pseudotoluidin charakteristische
prachtvolle Färbung zeigt. Da diese Thatsache in Hinsicht auf die chemische
Constitution des Pseudotoluidins sehr interessant ist, so war mir ihre Bestätigung
von Wichtigkeit. Hr. Perrey, Professor der Chemie an der
Ecole supérieure des sciences in Mülhausen,
hatte die Freundlichkeit, unter sorgfältiger Beobachtung der zur Verhütung von
Irrthum erforderlichen Maßregeln eine Quantität Indiganilin darzustellen; in diesem
Präparate, sowie in einer in der Sammlung jener Lehranstalt seit Jahren aufbewahrten
Probe fand ich einen Gehalt an Pseudotoluidin. Da die Thatsache dadurch außer
Zweifel gestellt war, so suchte ich dieses Anilin zu reinigen, indem ich dazu die
verschiedene Löslichkeit der Oxalsäuresalze beider Alkaloide in Aether benutzte. Ich
verwandelte 22 Gramme Indiganilin in Oxalsäuresalz, löste dieses in einer geringen
Menge kochenden Alkohols und fällte durch 500 Grm. Aether. Diese Operation
wiederholte ich viermal; zuletzt verblieben zwölf Gramme oxalsaures Anilin, welches,
in chlorwasserstoffsaures Salz umgewandelt, auf Baumwollzeug eine noch deutlich
unterscheidbare Rosafärbung gab, die jedoch eine geringere Intensität hatte als die
vorher beobachtete. Es ist mir demnach schließlich nicht gelungen, ein Anilin zu
erhalten welches die Färbung nicht veranlaßt; aber nach dem im Vorstehenden
Mitgetheilten sowie nach Allem was über diesen Gegenstand bis jetzt bekannt ist,
nehme ich an daß das reine Anilin keine Färbung geben würde.
Die beschriebene Farbenerscheinung scheint die empfindlichste Reaction des
Pseudotoluidins zu seyn; ihre Empfindlichkeitsgrenze ist mir aber unbekannt. Es sey
mir gestattet, sie mit derjenigen der Spectralanalyse zu vergleichen; wenn man dieß
zulässig erachtet, so begreift man daß es unmöglich ist, mittelst wiederholter
Umkrystallisirungen ein Product darzustellen, welches keine Reaction auf
Pseudotoluidin mehr gibt. Bekanntlich ist es unmöglich, ein Gemenge von
Natron- und Kalisalzen durch Umkrystallisiren so zu trennen, daß das Kalisalz
die charakteristische gelbe Natronlinie nicht mehr zeigt; die Reinheit der reinsten
Producte ist nur eine
relative: die absolute Reinheit bildet eine Grenze welche die fortschreitende
Wissenschaft unablässig zu erreichen strebt.
Die in diesem Aufsatze mitgetheilten Thatsachen lassen sich in folgende Sätze
zusammenfassen:
1) Pseudotoluidin, für sich allein mit Arsensäure bei
170° C. erhitzt, wandelt sich theilweise in Pseudorosanilin um.
2) Dieselbe Umwandlung findet bei gewöhnlicher Temperatur statt, wenn Pseudotoluidin
für sich oder wenn seine Salze der Einwirkung der Luft ausgesetzt werden.
3) Dieses Verhalten bildet die empfindlichste Farbenreaction des Pseudotoluidins; sie
wird durch die Gegenwart von Toluidin so wenig, wie durch die von Anilin
gehindert.
4) Die Bildung von Pseudorosanilin auf den Zeugen kommt bei der Fabrication von
Anilinschwarz häufig vor; sie bildet einen unangenehmen Uebelstand.
5) Durch trockene Destillation des Indigo's mit einem Alkali erhält man ein Gemenge
von Anilin und Pseudotoluidin.