Titel: | Die Fabrication der Weinsäure; von Dr. M. Kurtz. |
Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. XXXIII., S. 123 |
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XXXIII.
Die Fabrication der Weinsäure; von Dr. M. Kurtz.
Kurtz, über die Fabrication der Weinsäure.
Die Darstellung der Weinsäure zerfällt in zwei Operationen: J. die Darstellung des
weinsauren Kalkes und II. die Darstellung der Weinsäure aus diesem. Das Rohmaterial
bilden der rohe Weinstein, die Weinhefe und die Rückstände von der
Seignettesalz-Fabrication und der Weinstein-Raffinerie.
I. Die Darstellung des weinsauren Kalkes. 1) Aus rohem Weinstein. Roher Weinstein (10 bis 15 Ctr., je
nach der Qualität), wird in einen großen Bottich (von circa 100 Hektoliter Inhalt), der zu 4/5 mit Wasser gefüllt ist,
eingetragen; das Wasser wird mittelst Dampf bis nahe zum Sieden erhitzt und während
der Dauer der Operation mittelst eines rührenden Rechens in Bewegung erhalten. Ist
diese Temperatur erreicht, so wird der Dampf abgesperrt, und zunächst die eine,
ungesättigte Hälfte der Säure des Weinsteines neutralisirt, wozu gepulverte Kreide
dient. Dieselbe fällt als weinsaurer Kalk aus, und das leicht lösliche neutrale
weinsaure Kali bleibt in Lösung. Kohlensäure entweicht in Strömen, weßwegen der
Arbeiter durch Ventilationsvorrichtungen einigermaßen gedeckt werden muß.
Theoretisch bedarf man zu dieser Reaction auf 18,8 Th. Weinstein 5 Th. Kreide; da
aber der rohe Weinstein höchst selten mehr als 80 Proc. saures weinsaures Kali
enthält, so erreicht die Praxis natürlich diesen Bedarf nicht. Auch darf man nicht
vollständig neutralisiren, weil sonst die vorhandene Magnesia, Thonerde, Eisenoxyd
etc., die im späteren Verlaufe der Fabrication sehr unangenehm werden könnten, mit
ausfallen. Ja bei Weinsteinen, die sehr reich an diesen Körpern und an Farbstoff
sind, thut man wohl, beim Beginn der Operation etwas Salzsäure (25 bis 50 Pfd.)
zuzusetzen, und ja nicht vollständig zu neutralisiren, da man sonst später durch das
Auftreten von Bittersalz und Alaun in den Mutterlaugen der Weinsäure unangenehm
überrascht wird.
Zur Ueberführung des neutralen weinsauren Kalis in weinsauren Kalk dient wohl meist
Gyps, da dieser wohl gewöhnlich billiger zu stehen kommt, als Chlorcalcium. Die
Menge des nöthigen Gypses läßt sich aus dem Verbrauche an Kreide berechnen; auf 5
Th. Kreide kommen 8,6 Th. Gyps. Es hindert natürlich Nichts, den Gyps schon vor oder
während der Neutralisation mit Kreide zuzusetzen; auch schadet ein Ueberschuß
nichts. Da der aus Hefe (s. unten) erhaltene weinsaure Kalk sehr rein ist und bei
seiner Verarbeitung auf Weinsäure einen sehr reinen Gyps liefert, so wird dieser als
Nebenproduct erhaltene Gyps in den Fabriken die mit Weinstein und Hefe arbeiten,
passender Weise hierzu verwendet. Die Reaction des Gypses auf das neutrale weinsaure
Kali geht ziemlich langsam von statten und erfordert, besonders wenn die Flüssigkeit
sehr concentrirt ist, einige Stunden. Um zu sehen ob die Reaction vollendet ist,
filtrirt man eine abgekühlte Probe ab und versetzt mit
Essigsäure. Entsteht der bekannte Niederschlag nicht mehr, so ist die Reaction
beendet. Ist dieses Ziel erreicht, so läßt man den Inhalt des Bottiches auf circa 50° C. abkühlen und sodann in einen anderen, zum Absetzen
des weinsauren Kalkes bestimmten ablaufen, wobei man ihn ein Sieb passiren läßt, um
die im rohen Weinstein nur zu häufig vorkommenden fremden Körper, wie Holzspäne,
Treber, Stücke geschmolzenen Schwefels etc., zurückzuhalten; nach 3 bis 4 Stunden
hat die Flüssigkeit sich auf circa 25° C.
abgekühlt und der weinsaure Kalk sich gesetzt, so daß die überstehende Lauge mit dem
Heber abgezogen und zum erstenmal ausgesüßt werden kann, wobei man den weinsauren
Kalk mittelst eines Rechens wieder aufwirbeln läßt. Ein dreimaliges Decantiren
genügt gewöhnlich, um den weinsauren Kalk hinlänglich rein für die
Weiterverarbeitung zu erhalten. In der ersten Lauge, die vom weinsauren Kalk
abgezogen wird, ist sehr viel schwefelsaures Kali enthalten, auf welches sie
verarbeitet werden könnte, wenn man eine Verwendung für dasselbe hat, und die
Abdampfkosten sich lohnen.
II. Aus Weinhefe. In dem der Mostgewinnung folgenden
Frühjahre, nach beendeter Hauptgährung, hat sich im neuen Wein ein Absatz, ungefähr
5 Proc. des Weines betragend, die Hefe (Geläger), gebildet, von welchem der Wein
abgezogen wird. Diese Hefe (flüssiges Geläger) kann noch für sich abgepreßt werden,
wodurch man ungefähr 5/8 davon als sogenannten Preßwein erhält – der z.B. in
Oesterreich-Ungarn, mit dem billigen dunkelrothen dalmatinischen Wein gefärbt
und mit der nöthigen Menge Glycerin versetzt, sehr häufig vom Publicum getrunken
wird –; circa 3/8 davon bleiben als teigartige
Hefe (gepreßtes Geläger) zurück. Früher wurde diese Hefe höchstens nur als Dünger
verwendet, wozu sie sich bei ihrem ziemlich beträchtlichen Gehalte an Kalisalzen und
Phosphaten allerdings auch eignet. Hr. E. v. Seibel zu
Liesing bei Wien hat, so viel dem Verf. bekannt ist, das Verdienst zuerst auf den
Gehalt der Hefe an weinsauren Salzen (7 bis 20 Proc.) aufmerksam gemacht und
dieselben auf Weinsäure verarbeitet zu haben, und viele Fabrikbesitzer sind ihm
gefolgt.
In den Weinsäurefabriken wird die Hefe theils gepreßt, theils ungepreßt verarbeitet,
so lange das Ablassen des Weines dauert; zur Verarbeitung während des übrigen
Theiles des Jahres wird die Hefe sehr stark gepreßt und getrocknet (trockenes
Geläger).
a) Die Verarbeitung der feuchten
Hefe. Die gepreßte sowohl als die nicht gepreßte Hefe wird zunächst
rationeller Weise auf Branntwein abgetrieben; man erhält 1 bis 4 Proc. Ausbeute, und
den resultirenden Schnaps – sogenannten Lagerbranntwein – trinken
wenigstens gewisse Menschen gern. Da dieser Lagerbranntwein ziemlich theurer als
Spiritus anderen Ursprunges (wie Kartoffel, Mais etc.) bezahlt wird, so pflegt man
dem Geläger vor dem Destilliren mindestens ebenso viel, als man Ausbeute
an Lagerbranntwein erwartet, Sprit zuzusetzen, da die Eigenschaften des
Lagerbranntweines so prägnant sind, daß man dieß ohne Schaden thun kann. Wird aber
reiner Lagerbranntwein auf Sprit rectificirt, so resultirt ein durchaus tadelloser
Sprit, der sich mehr als jeder Sprit anderen Ursprunges zur Fabrication feiner
Liqueure eignet und auch dazu verwendet wird. Das nebenher erhaltene Fuselöl von
entsetzlichem Geruche besteht (wenigstens bei ungarischer Weinhefe) aus Amylalkohol
und caprin- und caprylsaurem Amyl.
Nach Beendigung der Destillation wird die Hefe, wenn nöthig, mit Wasser verdünnt,
mittelst einer Pumpe oder eines Monte-jus in
einen großen Bottich (von circa 100 bis 150 Hektoliter
Inhalt) gehoben. Man füllt in denselben circa 50 Ctr.
Hefe, füllt mit Wasser beinahe voll nach, und gibt circa 1 Ctr. rohe Salzsäure zu,
setzt das Rührwerk in Gang und erhitzt mittelst Dampf bis nahe zum Sieden. Ist
dieser Punkt erreicht, so wird Dampf und Rührwerk abgestellt, und dem Inhalte des
Bottiches einige Stunden zum Absetzen gegönnt. Der weitaus größte Theil desselben
ist dann klar geworden; dieser Theil wird mit Hebern abgezogen, in einen zweiten
Bottich von entsprechender Größe abgelassen und nun mit gepulverter Kreide unter
fortwährendem Agitiren bis zur schwach sauren Reaction neutralisirt. Durch das sich
bildende Chlorcalcium wird alle Weinsäure niedergeschlagen. Hierauf wird die
Flüssigkeit in einen dritten Bottich abgelassen, woselbst der weinsaure Kalt sich
absetzt und gewaschen wird (s. oben). Den schlammigen Bodensatz des erst erwähnten
Bottiches preßt man mittelst Dampf oder comprimirter Luft durch Filterpressen,
ähnlich den in den Zuckerfabriken gebräuchlichen, und gewinnt so auch die hierin
enthaltene Weinsäure. Den Preßrückstand kann man auf Rebschwarz (Frankfurter
Schwarz) oder Potasche verarbeiten.
b) Die Verarbeitung der
getrockneten Hefe. Das gepreßte Geläger wird in faustgroße Stücke
zerschnitten und an der Luft getrocknet, und dient so als Material für den Herbst
und Winter, wenn kein feuchtes Geläger mehr zu haben ist. Vor seiner Bearbeitung auf
weinsauren Kalk wird es auf einer gewöhnlichen Mahlmühle zu Mehl gemahlen, was keine
Schwierigkeit hat. Von dieser gemahlenen Hefe trägt man z.B. 18 bis 25 Ctr. in einen
Bottich von 100 bis 150 Hektoliter Inhalt ein, füllt mit Wasser auf, setzt 50 bis
100 Pfd. rohe Salzsäure zu, setzt den Rechen zum Rühren in Gang und erhitzt mittelst
eingeleiteten Dampfes bis nahe zum Kochen. Ist dieser Punkt erreicht, so stellt man
das Rührwerk ab, läßt absetzen und verfährt weiter, wie unter a.
Der aus Hefe erhaltene weinsaure Kalk zeichnet sich vor dem aus Weinstein erhaltenen
wesentlich aus; er ist reiner und weißer, leichter auszuwaschen; die Weinsäure,
welche man aus ihm darstellt, ist bedeutend krystallisationsfähiger; der bei
Zersetzung mit Schwefelsäure erhaltene Gyps ist ebenfalls bedeutend weißer und in
der Hälfte Zeit auszusüßen im Vergleiche mit dem aus Weinstein erhaltenen.
Aehnlich wie die Hefe verarbeitet man die Rückstände von der Fabrication des
Seignettesalzes und der Weinstein-Raffinerien.
Es ist nicht nöthig, daß die Darstellung des weinsauren Kalkes und diejenige der
Weinsäure räumlich vereinigt seyen; im Gegentheil ist eine örtliche Trennung wegen
der Kosten des Transportes der Hefe angezeigt. Zu diesem Zwecke wird der weinsaure
Kalk gepreßt und getrocknet, da er feucht sehr rasch in butteressigsaure
(pseudopropionsaure) Gährung übergeht.
II. Die Darstellung der Weinsäure aus dem weinsauren Kalk.
Um aus dem weinsauren Kalk die Weinsäure zu erhalten, wird derselbe mit
Schwefelsäure zersetzt. Theoretisch bedarf man auf 9,4 Th. weinsauren Kalk 4,9 Th.
Schwefelsäurehydrat, in der Praxis natürlich mehr; namentlich auch aus dem Grunde,
weil nur aus ziemlich stark mineralsauren Lösungen schöne große Krystalle von
Weinsäure zu erhalten sind, während die Gegenwart geringer Mengen weinsauren Kalkes
oder schwefelsauren Kalis (von mangelhaftem Auswaschen des weinsauren Kalkes
herrührend) in der Weinsäurelauge zu ganz fatalen Krystallisationen führt. Ist der
weinsaure Kalk frisch dargestellt, so greift man nicht fehl, wenn man mit dem
Zusatze von eben so viel englischer Schwefelsäure beginnt, als man zuvor Kreide zum
Neutralisiren gebraucht hat. Man mischt in einer passenden Mulde den weinsauren Kalk
nach und nach mit der Schwefelsäure, gibt so viel als nöthig Wasser zu, um einen
rührbaren Brei zu erhalten, erhitzt mit Dampf gegen 75° C. und rührt die
Masse mit einem passend geformten Rührscheit um. Die Masse schäumt anfangs stark,
was sich aber nach kurzer Zeit legt, worauf man eine Probe abfiltrirt,
Chlorcalciumlösung (in der Praxis von 23° Baumé) zu derselben setzt
und nach Erfahrung aus der Größe des ausfallenden Gypsniederschlages den weiteren
Zusatz von Schwefelsäure bemißt. Die Schwefelsäure muß schließlich in einem gewissen
Ueberschusse vorhanden seyn. Man filtrirt sodann in hölzernen Kästen, die mit Blei,
Stroh und Filz ausgeschlagen sind, die Weinsäurelauge vom Gyps ab und dampft die
Lauge mit Dampfschlangen in Bleipfannen kochend ein, wobei sich etwas Gyps
ausscheidet. Wenn die Lauge concentrirter wird, darf man die Temperatur nicht über
70 bis 75° C. gehen lassen, weil sonst die Schwefelsäure ihre wasserentziehende, kohlende
Wirkung beginnt. Hat die Lauge 40° Baumé erreicht, so wird sie in mit
Blei gefütterte Kästen oder große Thonschalen abgezogen und der Krystallisation
überlassen. Mit Thonschalen läßt sich natürlich rascher arbeiten, da sie im dritten
Theile der Zeit auskrystallisirt sind; aber die Krystalle sind entsprechend kleiner,
was jedoch bei der noch nicht entfärbten Säure nichts zu bedeuten hat. Die
Mutterlaugen werden noch dreimal eingedampft, die vierte wird wieder als Rohmaterial
behandelt. Die erhaltenen Krystalle werden in einer kupfernen Centrifuge
geschleudert, wieder aufgelöst, mit Spodium bei 27° B. entfärbt, durch
Filtrirkörbe filtrirt, etwas Schwefelsäure zum Zwecke schöneren Krystallisirens
zugesetzt, auf 35 bis 40° B. eingedampft und wieder in die Bleikästen zum
Krystallisiren abgezogen. Man erhält so schöne, weiße (spießige) Säure. Dieselbe
wird geschleudert, getrocknet und gesiebt. Sie ist immer etwas blei- und
schwefelsäurehaltig. Zu pharmaceutischen Zwecken wird sie nochmals aufgelöst, keine
Schwefelsäure zugesetzt, auf höchstens 35° B. eingedampft und in Thonschalen
krystallisiren gelassen. Die erhaltenen Krystalle werden nicht geschleudert, sondern
nur getrocknet. Sie sind in Größe und Form wesentlich von der oben erwähnten
technischen Säure verschieden, sie zeigen weniger ausgeprägte Hemiedrie, und ihr
Gehalt an Blei und Schwefelsäure ist ziemlich reducirt. Was beim Absieben abfällt,
wird auf Quetschmühlen gepulvert und kommt als präparirte Säure in den Handel. Sie
ist meist die unreinste.
III. Raffiniren des Weinsteines. Roher Weinstein wird
gemahlen, in großen Bottichen, nach Zusatz von Salzsäure, in der nöthigen Menge
Wasser kochend aufgelöst, Spodium zugesetzt und durch Filterpressen gedrückt. Man
erhält einen Weinstein, der nach nochmaligem Umkrystallisiren als rein zu betrachten
ist. Ein Ueberschuß von Spodium ist zu vermeiden, weil die Krystalle sonst nur
spodiumgrau werden.
IV. Werthbestimmung des Weinsteines. 4,7 Gramme (1/4 des
Aequivalents) rohen Weinsteines werden abgewogen, aufgelöst und mit
Normalnatronlauge und Lackmus als Indicator titrirt; die gefundenen Kubikcentimeter
multiplicirt man mit 4, um die Procente zu erhalten. Viele rohe Weinsteine enthalten
aber bis zu 10 Proc. weinsauren Kalk, der uns beim Titriren entgeht; derselbe setzt
sich am Boden ab und ist leicht kenntlich durch seine Löslichkeit in Salzsäure. Die
meisten ungesiebten Rohweinsteinsorten des Handels sind mehr oder weniger
absichtlich gefälscht, theils mit Sand, theils mit getrockneter Hefe. Lange bevor
man die Hefe auf Weinsäure bearbeitete, bestand schon z.B. zu Altofen eine regelrechte
Fabrik, in welcher Hefe in Weinsteinkrusten ähnliche Stücke gepreßt, mit
Weinsteinpulver bestreut und getrocknet wird, um sammt und sonders den besseren
Weinsteinsorten beigemengt zu werden. (Chemisches Centralblatt, 1871, Nr. 45.)