Titel: | Ueber die Nahrungsmittel während der Pariser Belagerung des Jahres 1870; von A. Payen. |
Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. LVI., S. 227 |
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LVI.
Ueber die Nahrungsmittel während der Pariser
Belagerung des Jahres 1870; von A. Payen.Payen hatte die Absicht, diese Abhandlung in der
Sitzung der Pariser Akademie vom 15. Mai 1871 vorzutragen; derselbe starb am 13.
Mai und wurde die Schrift durch seine Familie Herrn Chevreul übergeben, welcher davon wörtliche Mittheilung machte.
Payen, über die Nahrungsmittel während der Pariser
Belagerung.
I.
Im Augenblick wo zahlreiche Armeen, gebildet aus allen mobilisirten Classen
Deutschlands, unser Land überschwemmten und Paris einzuschließen drohten, glaubten
die Anführer des schon seit langer Zeit vorbereiteten Einbruches, daß eine Stadt von zwei Millionen Einwohnern sich kaum für einige Wochen
verproviantiren könne und daß sie sich in kurzer Zeit wegen Hungersnoth übergeben
müsse. Wie kommt es denn nun, daß trotz des plötzlichen Angriffes, schon mehr als
hundert Tage verflossen sind, ohne daß es an Lebensmitteln gefehlt hat?
Der Gesundheitsrath des Seine-Departements wurde zuerst beauftragt, die
geeigneten Vorsichtsmaßregeln vorzuschlagen, um der Gefahr vorzubeugen, welche durch
die innerhalb der Wälle entstehende Anhäufung von Abfällen, Schlamm, Unrath und
Dünger, die jeden Tag aus den Straßen, Hallen, Ställen dort hingeschafft werden,
drohte. Diese ungeheure Ansammlung von Ueberresten war natürlich in der letzten Zeit
sehr vermehrt worden, in Folge der plötzlichen Einführung von 5000 Ochsen und
150,000 Hämmeln, deren man zur Verproviantirung bedurfte, und die meistens in
schlecht gelegenen und in der Eile errichteten Umzäunungen untergebracht wurden.
Mußte man nicht fürchten, daß die an gewissen Stellen in der Nähe von Paris sich
anhäufenden thierischen und vegetabilischen Stoffe, dort einen Herd von
Ausdünstungen bilden würden, gleich denen welche jedes Jahr in den Dombes, Landes,
der Sologne und in der Ebene von Rom, sowie in den Sümpfen des Ganges, ansteckende
Fieber und andere örtliche Krankheiten herbeiführen?
Nach genauer Prüfung der verschiedenen bedrohten Punkte gab man die Versicherung, daß
unter Einhaltung gewisser Vorsichtsmaßregeln, eine solche Gefahr kaum zu befürchten
sey, selbst wenn die ungeheuren Haufen von verwesenden Stoffen in der Nähe einen
ekelhaften Geruch verbreiten würden. Aus folgenden Umständen schloß man, daß solche
Haufen unschädlich sind,
sogar wenn sie während einer mehrere Jahre dauernden Verwesung übelriechende Gase
und Dünste, die ekelhaft aber nicht gesundheitsgefährlich sind, verbreiten.
Jedermann weiß, daß ein Theil des Pariser Kothes seit undenklichen Zeiten alle Jahre
nach dem Gebiete von Argenteuil gebracht wird, um die Weinberge und
Feigenpflanzungen zu befruchten. Auf einer etwas mehr als einen Kilometer großen
Fläche werden dort längs der Straße die Kothhaufen bis zu drei Meter Höhe
aufgeworfen. Dieser Unrath entwickelt bei seiner Verwesung fortwährend
ammoniakalische und schwefelhaltige Gase, welche durch die hohe Temperatur noch
vermehrt werden; doch selbst während der größten Hitze, wenn der ekelhafte Geruch
schon in einiger Entfernung unerträglich scheint, entstehen keine besonderen
Krankheiten und das allgemeine Wohlbefinden ist dadurch nicht beeinträchtigt.
Den Grund finden wir darin, daß bei der soeben angegebenen Fäulniß kein Zusammenfluß
von stagnirendem Wasser stattfindet, welcher die Sumpffieber begleitet. Letztere
brechen immer bei Annäherung des Herbstes aus, wenn die Verdunstung des nassen
Bodens an der Oberfläche die Gährungsstoffe bloßlegt, welche vom Wasser
zurückblieben. Wie verschieden auch die alten und neuen Theorien über die Natur
dieser ungesunden Ausdünstungen sind, welche man als Ursache der Malaria betrachtet,
so stehen doch diese Thatsachen fest und, sobald man die Ursache, oder die Umstände
welche sie hervorrufen, beseitigt, hört die Wirkung auf oder kommt gar nicht zum
Vorschein.
Mithin, um die Ungesundheit der Luft in der Umgebung mehr oder weniger umfangreicher,
in Fäulniß begriffener Anhäufungen von Abfällen zu verhindern, ist es vor allen
Dingen nothwendig zu vermeiden, daß das Regenwasser Sümpfe oder stehende Pfützen
bildet, in welchen sich die angesammelten organischen Stoffe absetzen können; man
muß deßhalb für einen leichten Abfluß nach den Flüssen oder Abhängen, oder in den
leichten sandigen Untergrund sorgen; zum Mindesten während der Dauer der Belagerung.
– Dieß waren die zu beobachtenden Vorschriften, um die Interessen der
öffentlichen Wohlfahrt wahrzunehmen.
II.
Ehe wir diesen Gegenstand verlassen, erlauben wir uns den Ereignissen vorzugreifen,
um eine andere getroffene Maßregel von allgemeinem Interesse mitzutheilen.
Unter den fäulnißfähigen Stoffen, welche nach günstig gelegenen Plätzen geschafft und
dort aufgehäuft werden sollten, war natürlich auch der Mist aus den Ställen gemeint;
durch die Uebereinkunft mit Unternehmern sah man sich genöthigt, ihnen das Recht, von dem sie
bisher Gebrauch gemacht hatten, zu geben, über diese Substanzen auch während der
Belagerung zu verfügen. Dieß war bereits schon während eines Monates geschehen, als
man sich aus öffentlichem und nicht weniger dringendem Interesse genöthigt fand,
wieder frei über den Dünger verfügen zu können. Der Grund war folgender: Herr Joigneaux, einer unserer hervorragenden
landwirthschaftlichen Schriftsteller und Herr Laizier,
einer unserer geschicktesten Gärtner, unterstützt von den Repräsentanten der
landwirthschaftlichen Presse, hatten Alles aufgeboten, um eine fruchtbare Idee zur
Geltung zu bringen. Sie schlugen der Regierung vor, die 200 Hektaren freien Landes,
welche zwischen der Stadt und den Festungswerken liegen, für die Herbstcultur zu
benutzen, um mit Hülfe von Frühsaat, die durch unzählige Glasfenster geschützt
werden mußte, junge Kohl- und Cichorien-Pflanzen zu ziehen, welche im
Winter als Salat oder Gemüse verzehrt werden könnten. Dieser nützliche Vorschlag kam
gerade recht, denn durch die Pflanzennahrung wurde dem schlechten Einfluß
vorgebeugt, welchen das gesalzene Fleisch auf die Entwickelung des Scorbuts
ausübt.
Sogleich wurde die Arbeit begonnen; schon nach vierzehn Tagen ging der Same auf und
obgleich die Jahreszeit rauher war, als gewöhnlich, konnte man auf die Frühgemüse
sicher rechnen.
Wir erlauben uns zu bemerken, daß bis zu der Zeit wo der ausnahmsweise kalte Winter
uns überraschte, es nicht an gesunder Pflanzennahrung fehlte, und zwar haben wir es
den ungeheuren Anstrengungen der zahlreichen Gemüsegärtner zu verdanken, welche sich
in Paris, in der Umgegend und sogar in der Nähe der vertheidigten Forts
niedergelassen hatten. Noch nie hatte man zu dieser Jahreszeit eine solche Masse von
Lebensmitteln dieser Art gesehen. Es gab Kohl, Rosenkohl, Sellerie, Blumenkohl und
besonders viel gelbe, rothe und weiße Rüben, welche ursprünglich für die Milchkühe
bestimmt waren, deren gewöhnlich 24,000 bis 28,000 in Paris und der Umgegend
gehalten wurden. Der größte Theil dieses Proviantes konnte später, als die Zahl der
Kühe auf 4800 reducirt worden war, als Nahrungsmittel für die Menschen verwendet
werden. Die nützliche Zuckerrübe leistete auch ganz neue Dienste, denn nicht allein
der Zucker, sondern auch die stickstoff- und salzhaltigen Bestandtheile waren
uns sehr zuträglich, da sie die geringe Abwechselung der Kost, welche die Belagerung
mit sich zog, stärkender und heilsamer machte.
Nach den Aussagen der Aerzte und erfahrener Seeleute ist die Pflanzennahrung das
beste Mittel gegen den Scorbut. Die Zubereitung der Rüben für diesen Zweck ist sehr
einfach. Der Bäcker läßt sie im Ofen backen, nachdem das Brod herausgenommen ist,
dann werden sie in feine Scheibchen geschnitten, um sie den anderen Speisen
beizumischen, wie z.B. dem pot-an-feu und
den Gemüsen, die man sich nicht so leicht verschaffen kann, welche aber durch ihr
Aroma und ihren piquanten Geschmack, die nicht Jedem angenehme Süße der Rüben zu
würzen vermögen.
Nach dieser kleinen Abschweifung, welche uns nicht uninteressant schien und nöthig,
um eine Idee von der Gartencultur in Paris zu geben, kommen wir auf die
beunruhigenden Ereignisse zurück, die sich in den ersten Tagen der Belagerung
zutrugen.
III.
Von den 500 Ochsen und den 4500 bis 5000 Hammeln, welche jeden Tag geschlachtet
wurden, erhielten wir ungefähr 12,000 Liter Blut. Vor der Belagerung war das Blut
immer in besondere Fabriken vor die Stadt gebracht worden; dort wurde es durch
Eintrocknen bis auf 1/10 seines Gewichtes reducirt und dann in Pulverform den
Landwirthen als guter Dünger überliefert. Diese ganze Operation mußte während der
Belagerung unterbleiben. Da die Düngerfabrication aus getrocknetem Blut in Paris
selbst, wegen des garstigen Geruches den sie in der Nähe der Fabriken verbreitet,
nicht stattfinden konnte, so machte man Versuche, die plötzliche Fäulniß des
flüssigen Blutes zu verhindern, als Herr Riche, ein
geschickter Chemiker, vorschlug alles Blut aus den Schlachthäusern zur
Wurstfabrication zu verwenden. Es fand sich glücklicher Weise ein sehr geschickter
und intelligenter Industrieller, welcher die Idee glücklich durchführte.
Diese erste Unternehmung zog mehrere andere nach sich, die nicht weniger gut
gelangen. Viele Abfälle, welche vor der Belagerung unbeachtet geblieben, oder den
jetzt meistens in Ruhestand versetzten Fabriken überliefert worden waren, benutzte
man, um unsere Nahrungsmittel zu vermehren. Die Sehnen und Hautabfälle der Ochsen,
Kälber und Hämmel, welche man gewöhnlich den Gelatine- und Leimfabrikanten
überließ, wurden gleich den Hammelsfüßen als Speise verwendet; die Eingeweide der
Ochsen, Kühe und Kälber, welche man gewöhnlich auf den Mist warf, und die der
Hämmel, welche zur Saitenfabrication dienten, wurden ohne Unterschied zu
Wurstfüllung oder Wurstdärmen verwendet. Als die Schafe und Rinder fast alle
verzehrt waren, ging es an die Pferde, da diese aus Mangel an Futter geschlachtet
werden mußten; in Folge davon fanden die von ihnen abstammenden und in gewöhnlichen
Zeiten gar nicht benutzten Abfälle die gleiche Verwendung wie die von Ochsen, Kühen, Schafen, Kälbern
und Hammeln, so daß schließlich die leicht in Fäulniß übergehenden Stoffe, welche,
wie unsere Feinde meinten, in kurzer Zeit die Luft verpesten und den Keim zu
tödtlichen Krankheiten in unsere Wohnungen bringen würden, uns eine neue Quelle von
vegetabilischer oder thierischer, tonischer, gesunder und kräftiger Nahrung
gaben.
IV.
Unter die glücklichen Neuerungen, welche die Pariser Belagerung mit sich brachte, muß
man auch die sehr ausgedehnte Verwendung des Pferdefleisches
zur allgemeinen Ernährung zählen, sowie die wissenschaftliche Kenntniß
gewisser Abfallsproducte der Pferde, deren Eigenschaften die der analogen Producte
von Rindern und Schafen weit übertreffen.
Man war übrigens bei uns schon lange daran gewöhnt, die Verzehrung des
Pferdefleisches gesund zu finden; aus zahlreichen Schriften unserer Gelehrten wußte
man, daß das Essen von Pferdefleisch bei den Alten Sitte war und sich bei einzelnen
Völkern bis auf unsere Tage erhalten hat. Im Interesse der Armen wurde es und zwar
mit ausgezeichnetem Erfolg von dem berühmten Militärchirurgen Larrey eingeführt, nachdem es viele Jahre hindurch in den Schriften, z.B.
von Isidore Geoffroy Saint-Hilaire, empfohlen
worden war. Herr Decroix, ein geschickter, thätiger und
ausdauernder Thierarzt, nahm mit lobenswerthem Eifer die Idee von Neuem auf, und
führte sie glücklich durch. Herr de Quatrefages, Mitglied
der Akademie der Wissenschaften, ließ im Namen der Thierschutzgesellschaft seine
wirksame Unterstützung zu Theil werden. Diese Gesellschaft sah darin ohne Zweifel
ein Mittel um den Pferden, in den Jahren wo ihre Arbeitsfähigkeit abnimmt, einen
Werth zu verleihen, der sie vor schlechter Behandlung und ungenügender Nahrung
beschützen mußte. Der Pferdebesitzer war dadurch veranlaßt, sein Pferd zu schonen,
um es, wenn es zur Arbeit untauglich geworden war, noch gut verkaufen zu können.
Nach dem Gutachten des Gesundheitsrathes hatte die Administration erlaubt, in Paris
und mehreren Provinzialstädten Metzgereien zu errichten, welche besonders zum
Schlachten und Verkauf von Pferdefleisch bestimmt seyen. Die halb so theuer als das
Rindfleisch verkauften Producte fanden viele Käufer, so daß man sich genöthigt sah,
die Zahl dieser Metzgereien zu vermehren. Die Verwendung des Pferdefleisches fing an
sich in Frankreich zu verbreiten als durch die Belagerung der Hauptstadt und die
dringende Nothwendigkeit, welche sie mit sich brachte, der Augenblick noch schneller
herbei kam, wo Alle noch herrschenden Vorurtheile zerstört werden sollten. Von da
an wurde die Wahrheit von Niemand mehr bezweifelt und ohne Widerrede folgende
Thatsachen anerkannt, welche durch Männer der Wissenschaft festgestellt waren und
die Jeder selbst erproben konnte.
Man fand, daß unter den Pferden die Stuten das beste Fleisch geben, dann kommen die
Wallache, während die von den Hengsten erhaltenen Stücke den geringsten Werth haben.
Diejenigen Stücke, welche von gesunden Thieren kommen, sind besser und liefern mehr
eßbares Fleisch als die von alten, mageren oder kranken Thieren. Unter gleichen
Bedingungen geben die in gesundem Zustande geschlachteten Pferde um 10 Procent
besseres Fleisch als das Rindvieh.
Im Vergleiche zu anderem Schlachtvieh haben sich verschiedene bemerkenswerthe
Vortheile zu Gunsten der von den Pferdeschlächtereien
gelieferten Producte herausgestellt.
1) Was das Einsalzen anbetrifft, so sagt Herr Lesens, der
Vorstand der betreffenden Anstalten für die Marine, in Cherbourg (jetzt in den
Schlächtereien von Grenelle, um für die Verproviantirung von Paris zu sorgen), daß
das Hammelfleisch durch den Einfluß des Meersalzes eine solche Masse von Saft
verliert, daß eine faserige, geschmacklose Masse zurückbleibt, während sich das
Pferde- und Rindfleisch sehr gut zum Einsalzen eignet.
2) In Bezug auf die Nahrhaftigkeit steht fest, daß einige Partien des Fleisches und
der Knochen der Pferde fettige Substanzen enthalten, welche bald flüssig wie
Olivenöl, bald fest wie Butter und meistens geruchlos sind, oder nur ein leichtes
angenehmes Aroma haben, was man mit dem Geruche reifer Aepfel vergleichen könnte.
Diese schon seit einiger Zeit in Paris geschätzten Substanzen sind als Ersatz für
Butter und Olivenöl, welche bald ausgingen, verwendbar und wurden auch wirklich zur
Bereitung der Speisen benutzt.
Einige Details über die Natur dieser Fettstoffe, ihren
Sitz im Körper der Pferde und über die einfachen Mittel sie zu gewinnen, dürften
hier am Platze seyn.
Die fetthaltigen Gewebe, welche diese Substanzen in stickstoffhaltigen Zellen
enthalten, sind in verschiedener Menge, je nachdem das Thier fett oder mager ist,
zwischen den Muskeln vertheilt und finden sich in größerer Masse im Gekröse und im
Netzgewebe. Man kann leicht mit der Hand diese Fettgewebe herausnehmen, und um die
fettige Substanz daraus zu gewinnen, muß man sie zerschneiden oder klein hacken.
Wenn man die Sache im Großen betreibt, so ist es noch besser, die Gewebe zwischen
geriffelten Walzen zu zermalmen, damit die Zellen besser zerrissen werden. Beim Erhitzen bis zu
100° C. fließt das flüssige Fett ab, während das Gewebe zusammenschrumpft und
dadurch das Ausfließen befördert. Diese Arbeit ist bei den Producten des Pferdes
leichter ausführbar, weil die fettige Substanz viel leichter schmelzbar ist, als bei
den Ochsen und Hämmeln. Auch die Knochen dieser drei Thiergattungen enthalten fette
Substanzen; erstens in ihren Höhlungen und zwar im Mark, welches aus einem
fetthaltigen Zellengewebe besteht, und zweitens in ähnlichen Zellen, welche von den
schwammigen Theilen der Knochen des ganzen Körpers eingeschlossen werden. Man
gewinnt diese Fette, indem man mit Hülfe der Säge das Ende der Knochen abschneidet,
den Markcanal in siedendes Wasser taucht, damit das Mark herausgeht, und die
schwammigen Theile in Stücke zerhackt, sie in's Wasser wirft, wodurch das in
zahlreichen Höhlungen verborgene Fett flüssig gemacht wird.
Aus dieser Arbeit hatte sich in Frankreich seit Anfang dieses Jahrhunderts ein
eigener Industriezweig, das Knochenschmelzen genannt, entwickelt; diese Industrie
ernährte in Paris und der Umgegend mehr als 3000 Arbeiter; Männer, Frauen und Kinder
waren besonders in der Nacht mit dem Auflesen von Leinwand-, Papier-,
Metall-, Glas- und anderen Abfällen beschäftigt, um sie in die
Papierfabriken, Schmelzhütten, Glashütten und Seifenfabriken zu liefern. In diesen
letzteren wurde fast alles aus den Knochen gewonnene Fett benutzt, welches nur halb
so theuer kam als das in den Schmelzereien gewonnene oder aus Rußland eingeführte
Unschlitt von Ochsen oder Hammelfett.
Da während der Belagerung alle diese Fettsubstanzen als Nahrungsmittel gebraucht
wurden, so stiegen sie auf das Fünffache im Werth. Die Producte welche mit sehr viel
Sorgfalt aus dem Gewebe und den Knochen der Pferde gewonnen werden, schätzte man am
meisten, sowohl ihres angenehmen Geschmackes als ihres höheren Preises wegen; sie
können, ohne einer besonderen Reinigung zu bedürfen, zur Bereitung der feinsten
Speisen dienen, und ersetzen ohne Nachtheil die Butter und das Olivenöl. Wäre das
Pferdefett in weniger unzureichender Menge vorhanden, so würde sich seine Verwendung
zu gerösteten Brodschnitten schnell verbreiten und der auf dem Lande so beliebten
Zubereitung mit Gänsefett in keiner Weise nachstehen.
In anderer Weise verhalten sich Ochsen- und Hammelfett. Diese consistenteren
Fette behielten einen leichten Geruch bei, der ihre Abkunft verrieth; einem
geschickten thätigen Geschäftsmanne, Herrn Dordron, den
wir schon erwähnt haben, gelang es durch Behandlung in warmen alkalischen Bädern die
kleine Quantität Fettsäure, welche in diesen Fetten einen kleinen Unschlittgeschmack
zurückließ, zu entfernen.
Das fast geruchlose Product wurde unter dem Namen „Pariser Butter“ verkauft. Dieses neue Nahrungsmittel wurde
seines Namens würdiger, als die durch wissenschaftliche Schriften unterrichteten
Kaufleute, die geruchlosen, halbflüssigen, oder nur wenig consistenten fetten
Substanzen von Pferden und Eseln dem gereinigten Ochsen- und Hammelfett
beimischten, welche letztere allein angewendet zu fest und unangenehm sind.
Die erlangten Erfolge haben neuerdings einen noch wichtigeren Vorschlag von Seite
eines geschickten chemischen Fabrikanten hervorgerufen. Er erinnerte sich, daß die
fetten flüchtigen Säuren die eigentliche Quelle aller unangenehmen, widerlichen
Gerüche sind, welche das zur Lichterfabrication bestimmte Unschlitt, sowie die alten
Oele an sich haben, und schlug vor, das Verfahren der Köchinnen nachzuahmen, die dem
Fett einen schlechten Beigeschmack dadurch nehmen, daß sie es bis zum richtigen
Punkt (etwa 215–225° C.) erhitzen und dann eine Zwiebel oder Kartoffel
hineinwerfen. Um den gleichen Zweck zu erreichen, rieth er, das Fett, welches
desinficirt werden sollte, nachdem es bis zur selben Temperatur erhitzt worden sey,
mit feinen Tropfen Wassers zu bespritzen. In beiden Fällen nimmt der sich
entwickelnde Wasserdampf die flüchtigen unangenehm riechenden Säuren mit sich fort.
Durch eine derartige Operation könnte man der Erfahrung dieses Fabrikanten gemäß bei
der Ausführung im Großen den Parisern eine Menge neuer als Nahrungsmittel dienender
Fette überliefern und zwar dadurch, daß man die 15–16 Millionen Kilogramme
Unschlitt und Rüböl reinigen und statt derselben nur Stearin und Petroleum zur
Beleuchtung verwenden würde.
V.
Unter den verschiedenen Vorräthen, welche eine ganz andere Verwendung fanden als man
voraussehen konnte, ist besonders ein Product nennenswerth, welches unter dem Namen
„getrocknetes Eiweiß“
aufbewahrt wurde. Dasselbe wird durch langsames Eintrocknen des Eiweißes erhalten,
welches dadurch 5/6 seines Gewichtes verliert, durchsichtige, gelbliche, mit Hellem
Horn vergleichbare Blättchen bildet, sich lange Zeit aufbewahren läßt, ohne sich zu
verändern, und in unsere Industriestädte, sowie in das Ausland, für die
Kattundruckerei verschickt wird. Da man es während der Belagerung zu diesem Zweck
nicht verwenden konnte, so blieb diese Substanz, zu deren Bereitung man nicht
weniger als 8 Millionen Eier gebraucht hatte, unbenutzt, bis Herr Barral auf den Gedanken kam, man könne sie als
Nahrungsmittel verwenden, indem er bemerkte, daß bei dem vorher angegebenen
Verfahren das Eiweiß löslich bleibt, sich im sechsfachen Gewichte Wasser auflöst und
dann dem Eiweiß im normalen Zustand sehr ähnlich ist; daß 10 Gramme dieses
Productes, wenn man sie 12 Stunden in Berührung mit 60 Grammen kalten Wassers läßt,
durch Umschütteln sich darin auflösen und bei verschiedenen Speisebereitungen drei
Eiweiß ersetzen, die 33 Centimes kosten, oder 11 Centimes das Ei. (Ein gewöhnliches
Ei kostete damals wenigstens 10 Mal mehr.)
So sah man in Paris noch eine Menge anderer schon lange angehäufter Materialien
auftauchen, welche ungeheure Niederlagen und unerwartete Vorräthe bildeten, und die
einen wesentlichen Theil zur Dauer, ja man kann sagen zur Erneuerung unserer
Nahrungsmittel beitrugen.
Waren die Hunderttausende von Kilogrammen feinster Stärke,
die man zu einem ganz anderen Zweck aus den Kartoffelknollen abgeschieden hatte, und
die man nach einer neuen Methode in vor den Bomben geschützten Kellern aufbewahrte,
nicht auch eines dieser unerwarteten Versorgungsmittel? Dieselben, wie andere
ähnliche stärkemehlhaltige Substanzen, sollten zur Vermehrung der verfügbaren
Brodmenge dienen, während es ursprünglich beabsichtigt war, sie für die Bierbauer,
Conditoren und Liqueurfabrikanten in Syrup zu verwandeln. Wenn man bei der Brodbereitung gleichzeitig mit acht bis zehn Proc.
Kartoffelstärke, vier bis fünf Proc. Mehl aus Hülsenfrüchten zumischte, so würden
nicht nur die stärkemehlhaltigen Substanzen vermehrt, sondern auch die
stickstoff- und fetthaltigen keineswegs vermindert werden, so daß der
Nahrungswerth des Brodes sich gleich bliebe.
Dieselbe Verwendung fand die stärkemehlhaltige Substanz von sehr reinem und
angenehmem Geschmack, welche unter dem Namen Tapioka aus
Brasilien in den Handel kommt, und vom internationalen Verkehr in so großen Massen
geliefert wird, daß sie trotz ihrer häufigen Anwendung bis zu Ende der Belagerung
noch bei fast allen Kaufleuten zu haben war.
Ebenso erhielten wir auf dem Handelsweg die reichen noch nicht erschöpften Vorräthe
an ausgezeichneten Conserven von australischen Ochsen. Fleisch nach Appert'scher Art zubereitet, sowie die ungeheuren Massen
Käses aus Holland und Gruyères, die zweimal erschöpft schienen, aber später
bei besserer Bezahlung wieder zum Vorschein kamen, und endlich auf dem
Requisitionswege auch vorhanden blieben.
Unter den tonischen Nahrungsmitteln, mit denen wir reichlich versehen waren, ist noch
der Wein zu nennen, der mit Brod genossen, allein genügen könnte, um die Bevölkerung
zu ernähren und ihre Kräfte zu erhalten.
VI.
Mehrere in Paris sehr ausgedehnt vertretene Industriezweige trugen auch direct oder
indirect dazu bei, die Ernährung von Paris zu unterstützen. Unter den wichtigsten
müssen wir die Zuckerraffinerien nennen, welche zu verschiedenen Zeiten die
Zuckerindustrie mit Erfindungen und Verbesserungen bereichert haben, wie die
Anwendung der Knochenkohle zur Entfärbung und Reinigung des Syrupes. Eine der
größten Zuckerraffinerien in Paris verarbeitet in gewöhnlichen Zeiten täglich
130,000 Kilogrm. Rüben- und Colonialzucker; ihre Arbeitsmethode ist so
vollkommen, daß die Producte der Fabrik als weißer Hutzucker erster Qualität und als
unkrystallisirbarer Syrup (Melasse) daraus
hervorgehen.
Diese beiden Producte der Zuckerraffinerien haben bis zuletzt reichlich zur directen
Ernährung gedient und außerdem eine bedeutende Fabrication zweier gesunder und
billiger Nahrungsmittel unterhalten, welche keine sehr beträchtliche Erhöhung der
Preise erlitten; nämlich 1) der Schokolate, eines der angenehmsten Nahrungsmittel,
welches den Geschmack und die Nahrhaftigkeit verschiedener, wenig wohlschmeckender
Speisen verbessern kann, wie z.B. des in Wasser gekochten Reises und des
Bohnenmehles; 2) eines anderen Nahrungsmittels, welches bei der öffentlichen
Ernährung von unbestreitbarem Nutzen ist und womit unsere Kaufleute reichlich
versehen waren, nämlich der Lebkuchen, welche gewöhnlich, wegen ihrer nahrhaften
Bestandtheile und ihres billigen Preises, sehr geschätzt sind.
Die Melasse der Raffinerien hat außerdem als Rohmaterial für eine neue Industrie
gedient, welche die Entfärbung des unkrystallisirbaren Syrupes mit der Verzuckerung
des Stärkemehles der Kartoffeln verband, und dadurch dem Handel weißeren und
schöneren Syrup lieferte.
In gleicher Weise kamen die zuckerhaltigen, direct oder indirect aus den Raffinerien
erhaltenen Producte der Fabrication von Confitüren zu Hülfe. Diese Industrie ist so
verbessert und beträchtlich vergrößert worden, daß eine der Fabriken, welche auf der
Ausstellung zu Paris und Havre 1867 den ersten Preis erhielt, jedes Jahr zwei
Millionen Kilogramme Confitüren in den Handel bringt. Der Vorrath an diesen und
anderen Producten ermöglichte den fortlaufenden Consum an Confitüren, der sich
während der Belagerung sogar noch erhöhte.
Die zweite Quelle einer großen Menge zuckerhaltiger Nahrungsmittel dieser Art ist bei
uns in den Producten zu suchen, welche gewöhnlich für die eleganten Reunionen, Bälle
und Soiréen fabricirt werden, zu denen wir mit so vielem Vergnügen alle Jahre
die Fremden einladen, welche ihrerseits gern unsere Gastfreundschaft annehmen. Unglücklicherweise
sollten sich weder Franzosen noch Fremde im Laufe dieses Jahres zu derartigen
gesellschaftlichen Zusammenkünften vereinigen. Es mußten deßhalb diese Fruchtsäfte,
Syrupe, eingemachten oder conservirten Früchte, welche ursprünglich für andere
Zwecke bestimmt waren, eine andere Verwendung finden. Alle diese, in Paris so
vorzüglich hergestellten Producte haben dazu gedient, den Genuß des Brodes
abwechselnder, angenehmer und gesunder zu machen.
Die Umwandlungen welche die Fruchtsäfte und Fruchtsyrupe erlitten, riefen eine neue
Industrie von Gelées hervor, indem man anstatt der pflanzlichen
Gelées, die thierische Gelatine, welche in schmalen durchsichtigen Blättern
fabricirt wird, zu Hülfe nahm. Die damit ohne Zweifel etwas nahrhafteren
Gelées wurden vom Publicum gern gekauft, besonders die mit Johannisbeersaft
versetzten. Da ihr verhältnißmäßig niedriger Preis einigen Verdacht aufkommen ließ,
so wurde der Gesundheitsrath der Seine befragt; derselbe erklärte, daß die neuen
billigen Gelées im Allgemeinen gesund seyen und als Zugabe zum Brod dasselbe
schmackhafter machen.
VII.
Dieser zufällige Umstand führte unter anderen die allgemeine Aufmerksamkeit auf den
Nutzen welchen man aus der Gelatine sowie den
fleischigen, sehnigen oder knochigen organischen Geweben, denen sie ihren Ursprung
durch einfaches Auskochen mit Wasser verdankt, ziehen kann. Bei dieser Gelegenheit
kam die Frage der Gelatine von Neuem vor die Akademie der Wissenschaften, die sich
bereits früher 10 Jahre lang damit beschäftigt hatte und Hr. Chevreul, eines der Mitglieder der Special-Commission, trug in
mehreren Sitzungen die vollständige und höchst interessante Geschichte der so lange
Zeit hindurch verhandelten Frage vor.Comptes rendus des l'académie des
sciences, vom 26. December 1870.
Ein kurzer Abriß dieser Geschichte, welcher die im Allgemeinen wenig beachteten
Thatsachen deutlich hervorhebt, und die Schlußfolgerungen erkennen läßt, über welche
die Physiologen und Chemiker gegenwärtig einig sind, wird hier füglich seine Stelle
finden dürfen.
Denis Papin, durch seine Beobachtungen über die Anwendung
des Dampfes zum Betrieb von Maschinen bekannt geworden, zeigte von 1686–1682,
daß man die Gelatine aus den Knochen ausziehen könne, indem man die letzteren im
Wasser einer 100° C. überschreitenden Temperatur unterwirft.
1758 zog Hérissant die kalkhaltige Substanz aus den
Knochen mit Hülfe von Säuren aus.
Changeux, gegen 1775, wenn auch von einer in ihrer
Allgemeinheit hingestellten unrichtigen Voraussetzung ausgehend, machte die wichtige
Beobachtung, daß man aus den vorher gepulverten Knochen, durch kochendes Wasser
unter dem einfachen Atmosphären-Druck eine schmackhafte Gelatine, ohne
Anwendung eines Papin'schen Digestors, ausziehen
könne.
Proust, früheres Mitglied des Instituts, beleuchtete die
Frage deutlich im Jahre 1791; indem er der eigentliche Erfinder der Bouillon aus
Knochen ist, zeigte er nach vielen unberechtigten Ueberschätzungen, daß diese
Flüssigkeit der Fleischbouillon wesentlich nachsteht.
Cadet de Vaux, der die übertrieben günstigen Ideen über
die Knochenbouillon theilte, stellte einen Versuch an, welcher indessen bezüglich
der nährenden Eigenschaften der Gelatine nicht stichhaltig ist. Er setzte einem
Hunde einerseits Suppe, andererseits zugleich eine Schüssel mit Knochen vor;
letztere allein wurden aufgezehrt, während das Thier die Suppe nicht berührte. Cadet de Vaux erklärte die Frage als durch den Hund
entschieden. Wir müssen hingegen bemerken, daß die Knochen nicht die fertig
gebildete Gelatine enthalten wie er glaubte, sondern das stickstoffhaltige Gewebe
aus welchem sie unter dem Einfluß des kochenden Wassers entsteht, so daß in
Wirklichkeit der Hund dieses Gewebe und nicht die Gelatine allein verzehrte.
In der That wandte Darcet dieses organische Gewebe zuerst
als Nahrungsmittel an; leider zog er späterhin die gelatinose Lösung vor, welche aus
den Knochen durch Hülfe von Wasser und Dampf unter einem über eine Atmosphäre
hinausreichenden Drucke leichter zu erhalten ist. Es ist sodann durch die Versuche
der Physiologen und Chemiker, welche den lebhaftesten Antheil an der Lösung der
Frage genommen haben (Chevreul, Dumas, Edwards dem
älteren, Milne-Edwards, Fremy etc.) festgestellt
worden, daß das Ossein genannte organische Gewebe um so weniger nahrhaft ist, je
vollständiger es durch fortgesetzte Auskochung zersetzt wurde und daß man es keiner
längeren Auskochung unterwerfen darf, als es nothwendig erscheint, um es zu
erweichen und eßbar zu machen. Besonders unter dieser Form stellt man seit einiger
Zeit mehrere leicht gesalzene oder gezuckerte Gerichte à l'osséins dar. Die einfach zu Pulver zermahlenen Knochen
würden ohne Zweifel noch nahrhafter seyn, weil sie zugleich die Phosphate von Kalk
und Magnesia, unter einer für die Assimilation dieser mineralischen Stoffe
geeigneten Form für die Ernährung enthalten, zumal sich jene oft in ungenügender Menge in den
wenig substanziellen Nahrungsmitteln vorfinden.
Wir haben soeben gesehen, daß Cadet de Vaux die Hunde zu
Hülfe nahm, um eine unter den Menschen debattirte Frage zu entscheiden und daß er
das so gefällte Urtheil anerkannte. Wenn seit damals die Hunde fortwährend sich von
einem großen Theile der nicht weiter benutzten Knochen ernährten, so muß man sagen,
daß ihnen dieses Privilegium heutzutage streitig gemacht zu werden scheint, wenn man
die vielseitigen Anwendungen sieht, welche die Menschen von jenen machen.
Man könnte an die Unterdrückung der Hunderace zu Paris
glauben, wenn man bedenkt, daß dieselbe uns, wie an gewissen Orten von China, Thiere
zum Schlachten lieferte, zwar nicht die besseren, aber doch immer solche deren
Fleisch eßbar war. Geschah dieß auch nicht, so steht doch so viel fest, daß niemals
durch polizeiliche Verordnungen eine ähnliche wirksame Beschränkung der Anzahl der
Hunde erzielt wurde.
Wenn zuweilen, wie man sagt, der Hunger ein schlechter Rathgeber ist, so erhellt
doch, daß er wenigstens unter diesen Umständen den dreifachen Nutzen erzielte, die
schreckliche Krankheit der Hundswuth in ihrer Wurzel zu vernichten oder wenigstens
zu vermindern, die Anzahl der Thiere, welche dem Menschen nutzbare Nahrungsmittel
verzehrten, zu beschränken und diese Thiere selbst zur Vermehrung der
Nahrungsquellen herbeizuziehen.
VIII.
Man sieht hieraus, wie die Lebhaftigkeit des Handels und der Erfindungsgeist der
Industrie reiche und mannichfaltige Quellen zur Versorgung der Hauptstadt
aufgeschlossen haben. Zuweilen konnte man sich nicht verhehlen, daß die Vertheilung
der Lebensmittel und Brennstoffe mitten in einem ausnahmsweise strengen Winter
Entbehrungen und Leiden der Pariser Bevölkerung auferlegte; dieselbe ertrug ohne
Klage stundenlanges Warten, um die Vertheilung der Nahrungsmittel abzuwarten, welche
im Verhältniß zur Einwohnerzahl ohne Unterschied der gesellschaftlichen Stellung
vorgenommen wurde. Es war dieß die vollständige Gleichheit gegenüber den ersten
Sorgen des Lebensunterhaltes. Mehr als ein Fremder und Freund Frankreichs, mit uns
in der Hauptstadt freiwillig eingeschlossen, wurde von dem großartigen Schauspiel
ergriffen, welches eine ungeheure, zusammengehäufte Bevölkerung darbot, indem sie
durch ihren auf einmal kriegerisch aufgestachelten Geist und durch ihre
bewunderungswerthe Geduld den festen Willen zu erkennen gab, der Unterdrückung zu
widerstehen, und mit Ruhe und Resignation die Stunde der Befreiung erwartete.Die obige Abhandlung ist mit Rücksicht auf die nöthigen Subsistenzmittel für
eine so große Stadt wie Paris und unter den Umständen, wie es die
angegebenen waren, zu beurtheilen. So sehr ich die Untersuchungen
befürworten muß, welche die Zahl der für die Ernährung geeigneten Stoffe
vermehren können, ebenso sehr ist es andererseits nothwendig, daß die
Polizei darüber wache, daß nicht etwa Producte schlechter Qualität als
Nahrungsmittel verbreitet und in Folge des billigen Preises gesucht werden.
Ich werde auf den Einfluß der Veränderung organischer Stoffe zu sprechen
kommen, auf welchen ich bereits 1845 in einer Denkschrift über
Gesundheitsverhältnisse der großen Städte (polytechn. Journal Bd. CIII S.
299) die Aufmerksamkeit gelenkt habe. Ich glaube, man wird sich immer mehr
davon überzeugen, daß meine Beobachtungen über die Kirchhöfe, über die
Inficirung des Grundwassers, über die des Bodens durch einfach eingelegte
Gasröhren u.s.w., begründet sind.Anmerkung von Cheuvreul. (Comptes rendus de l'académie des sciences,
t. LXXII p. 613, Mai 1871; aus dem bayerischen
Industrie- und Gewerbeblatt, 1871 S. 342.)