Titel: | Berthelot's Abhandlung über die Kraft des Pulvers und anderer explosiver Substanzen; Bericht von Dr. Rudolph Wagner. |
Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. LXXVII., S. 305 |
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LXXVII.
Berthelot's Abhandlung
über die Kraft des Pulvers und anderer explosiver Substanzen; Bericht von Dr. Rudolph
Wagner.Aus der deutschen Industriezeitung. 187s, Nr. 6. – Berthelot's Abhandlung erschien 1871 als Brochüre in Quart von 40
Seiten bei Gauthier-Villars in Paris unter dem Titel: Sur la force
de la poudre et des matières explosives.Anm. d. Red.
Berthelot, über die Kraft des Pulvers und anderer explosiver
Substanzen.
Zur Bestimmung der Kraft einer explosiven Substanz sind folgende vier Factoren
erforderlich, nämlich a. die chemische Zusammensetzung
der Substanz, b. die Zusammensetzung der Producte der
Explosion, c. die Quantität der bei der Reaction
entwickelten Wärme, d. das Volumen der gebildeten
Gase.
Die chemische Zusammensetzung der explosiven Substanz ist im Voraus gegeben. Bald
besteht diese Substanz aus einem Gemenge von Körpern, die auf einander eine
reciproke Wirkung ausüben, wie es bei dem Kriegs- und Jagdpulver der Fall
ist; bald hat man es mit einer bestimmten chemischen Verbindung, die sich durch eine
Art innerlicher Verbrennung plötzlich umzuwandeln im Stande ist, zu thun. Körper der
letzteren Art sind der Chlorstickstoff, die Schießbaumwolle und das
Nitroglycerin.
Die Zusammensetzung der Explosionsproducte läßt sich in allen Fällen voraussehen, in
welchen die explosive Substanz Sauerstoff in hinreichender Menge enthält, um
constante Producte einer vollständigen Oxydation zu bilden. Genügt jedoch die Menge
des vorhandenen Sauerstoffes nicht, so variirt die Natur der Producte je nach dem
Drucke, der entwickelten Temperatur, der geleisteten mechanischen Arbeit etc. Sie
läßt sich mit Sicherheit nicht voraussehen und muß demnach für jede Bedingung der
Reaction durch specielle Analysen ermittelt werden. Für die meisten der explosiven
Substanzen ist diese Frage eine noch wenig aufgeklärte. Bis neue Untersuchungen
angestellt werden, hat der Verfasser die Ergebnisse adoptirt, welche ihm am einfachsten
erscheinen und mit früheren Versuchen in Einklang standen.
Die entwickelte Wärmemenge kann durch den Versuch bestimmt, sie kann aber auch
berechnet werden, sobald die Reaction genau bekannt ist. Mit dem Volumen der Gase
(reducirt auf 0° und 760 Millimet.) verhält es sich ebenso. Kennt man genau
die Temperatur dieser Gase im Moment der Explosion und das auf sie anwendbare Gesetz
des Druckes den Temperaturen entsprechend, so läßt sich durch die Rechnung der
hervorgebrachte Druck ermitteln, sobald die explosive Substanz in einem constanten
Raum verbrennt, und folglich auch der Druck in einem Raum mit variabler Capacität,
wie es der Fall ist in dem Geschütz und in dem Rohr eines Gewehres. Die Berechnung
wäre leicht, wenn die Gase sich nach dem Mariotte'schen
und Gay-Lussac'schen Gesetze richteten und ihre
specifische Wärme eine constante wäre. Leider verlieren die genannten Gesetze ihre
Bedeutung bei dem Studium von Gasen, welche einem Druck von Tausenden von
Atmosphären ausgesetzt sind, wie es der Fall ist bei den bei der Explosion des
Pulvers sich bildenden. Außerdem sind auch die specifischen Wärmen solcher Gase
unbekannt und variiren höchst wahrscheinlich je nach der Temperatur und nach dem
Drucke. Nichtsdestoweniger muß man in der Praxis oft den durch die verschiedenen
explosiven Substanzen hervorgebrachten Druck schätzen. Zu diesem Behufe adoptirt der
Verf., um die verschiedenen Drucke vergleichen zu können, die sich aus dem nämlichen
Gewichte der explosiven Substanz, in einem Raum von gleicher Capacität abbrennend,
bilden, das Product aus dem (corrigirten) Volumen der Gase und der entwickelten
Wärme. Dieses Product mißt allerdings nur genau den anfänglichen Druck, jedoch ist
es mittelst zweier charakteristischer und durch das Experiment bestimmbarer Factoren
erhalten. Der Dissociation ist bei den Reactionen der
explosiven Substanzen unter allen Umständen Rechnung zu tragen. Der
zersetzende Einfluß der Temperatur kann möglicherweise durch den umgekehrten Einfluß
des Druckes compensirt werden. Die Dissociationserscheinungen machen indessen ihren Einfluß nicht nur auf den
Maximaleffect geltend, welchen das Pulver zu äußern vermag, sondern sie interveniren
auch während der ersten Periode des Eingeschlossenseyns der Gase. In dem Maaße als
die Pulvergase sich ausdehnen und auf das Geschoß wirken, vermindert sich ihre
Temperatur; in Folge dessen treten die Elemente zu complicirteren Verbindungen
zusammen und es findet neue Wärmeentwickelung statt. Der thatsächlich ausgeübte
Druck ist daher immer größer als der Druck welcher nach der im Moment der
Maximaltemperatur entwickelten Wärme berechnet werden kann, geringer aber als der nach
den Angaben des Kalorimeters berechnete Druck. Die Wärmemenge und folglich auch das
Maximum der Arbeit, die das Pulver bei der Verbrennung in einer constanten Capacität
zu entwickeln vermag, lassen sich unabhängig von den Dissociationserscheinungen
berechnen, vorausgesetzt daß der Endzustand der Temperatur und die Verbindung der
Elemente genau bekannt sind.
Die Wärme bei der Bildung von
salpetersaurem Kali (festem)
=
129,500 Calorien
salpetersaurem Natron (festem)
=
122,000 „
1. Jagdpulver. Die Zusammensetzung des gewöhnlichen
Schießpulvers schwankt innerhalb sehr enger Grenzen. In der Regel unterscheidet man
Jagdpulver, Kriegspulver und Sprengpulver. Das Jagdpulver besteht aus 81,9
Kalisalpeter, 10,9 Schwefel und 7,9 reiner Kohle. Die Zersetzung läßt sich durch
folgende Gleichung ausdrücken:
8 KO, NO⁵ + 6S + 13C = 5 KO, SO³ + 2KO, CO²
+ KS + 8N + 11 CO².
Nach dieser Gleichung, welche mit den Analysen ziemlich genau übereinstimmt, gibt 1
Kil. Pulver bei der Verbrennung 644,000 Calorien und bildet 216 Liter permanenter
Gase. Das Product aus diesen beiden Zahlen = 139000. In diesen Formeln ist jedoch
die Verflüchtigung der Salzverbindungen vernachlässigt worden. Ist die Annahme von
Rumford richtig, daß im ersten Momente alle
Verbindungen gasförmig sind, so erhöht sich das Volumen auf 306 Liter.
2. Kriegspulver (aus 78,7 Salpeter, 12,85 Schwefel und 8,55 Kohle bestehend) gibt bei
der Verbrennung folgende Producte:
8 KO, NO⁵ + 6 1/2 S + 15C = 4 KO, SO³ + 2 3/4 KO,
CO² + 1 1/4 KS² + 8N + 11 1/2 CO² + 3/4 CO.
Dieser Gleichung zufolge gibt 1 Kil. Pulver 622,500 Calorien und 225 Liter
permanenter Gase. Die totale Verdampfung aller Verbindungen führt zu 314 Liter.
3. Sprengpulver (aus 65,0 Salpeter, 20 Schwefel und 15,0
Kohlenstoff) bildet nachstehende Producte:
KO, NO⁵ + 2S + 4C = 2 CO² + 2 CO + KS² +
N.
1 Kil. dieses Pulvers entwickelt 380,000 Calorien und gibt 355
Liter und bei Annahme der Verdampfung aller Verbindungen 426 Liter. Enthält ein
Sprengpulver einen Ueberschuß an Kohlenstoff und ist es in 100 Theilen aus 64,5
Salpeter, 10,5 Schwefel und 24,0 Kohlenstoff zusammengesetzt, so liefert es weit
mehr Gase, als das andere Sprengpulver:
KO, NO⁵ + S + 6C = 6CO + KS + N.
1 Kil. nämlich entwickelt 429,400 Calorien und bildet 510
Liter Gase, bei vollständiger Verflüchtigung 583 Liter.
Vorstehende Zahlen gestatten interessante Vergleiche zwischen den durch die
verschiedenen Pulverarten erzielten Effecten. Angenommen, ein Pulver verbrenne in
einem Raume den es vollständig erfüllt, wie es der Fall ist in den Sprengladungen
und den Projectilen, so kann man die Erscheinungen der Dislocation, hauptsächlich
von dem anfänglichen Druck herrührend, wohl unterscheiden von den Erscheinungen der
Projection, die von der Gesammtarbeit herrühren. Das charakteristische Product,
welches zur Vergleichung der unter den nämlichen Bedingungen ausgeübten Drucke
angenommen wurde, führt zu folgenden Werthen:
für
Jagdpulver
139,000
„
Kriegspulver
140,000
„
Sprengpulver
135,000
„
„
mit überschüssigem Kohlenstoff
219,000
Die drei ersten dürften zu den nämlichen Dislocationserscheinungen Veranlassung
geben, während das Pulver mit überschüssigem Kohlenstoff bei weitem wirksamer ist.
Jedoch alle diese Auseinandersetzungen sind den Dissociationserscheinungen
untergeordnet, durch welche der theoretische Initialdruck in einem nicht bekannten
Verhältniß reducirt wird. Die Berechnung der bei constantem Volumen entwickelten
Wärme und folglich auch die der Maximalarbeit, sind von der Dissociation total
unabhängig. Das Maximum an Arbeit ist demnach proportional folgenden Zahlen (für 1
Kil. Pulver):
Jagdpulver
644,000 × 425
Kriegspulver
622,000 „ „
Sprengpulver
380,000 „ „
„
mit überschüssiger Kohle
429,000 „ „
Mit anderen Worten, Jagd- und Kriegspulver stehen in Hinsicht auf mechanische
Arbeit den anderen Pulversorten weit voran, namentlich wenn diese Arbeit bestimmt
ist, durch die Wirkung eines inneren Druckes sofort lebendige Kraft einem berstenden
Projectil mitzutheilen. Findet dagegen die Uebertragung der lebendigen Kraft nach
und nach und während der Ausdehnung der Gase, wie z.B. in einem Geschütze statt, so
sind die Effecte complicirter, weil die hier nicht zu verfolgenden
Dissociationserscheinungen mit in's Spiel kommen.
4. Pulver mit Natronsalpeter. Im Großen wurde dieses
Pulver bei den Arbeiten des Isthmus von Suez verwendet und bot beträchtliche
Ersparnisse dar. Leider ist der Natronsalpeter sehr hygroskopisch und die
Conservation der mit diesem Salze fabricirten Pulversorten mit besonderen Schwierigkeiten
verknüpft. Wie der Verf. zeigt, ist es von Belang, diese Schwierigkeiten zu
besiegen, da das in Frage stehende Pulver einen größeren Druck ausübt als das
gewöhnliche Pulver und eine größere Arbeit zu leisten im Stande ist. Stellt man sich
das Pulver äquivalent dem obengenannten Jagdpulver dar, so sind die
Verbrennungsproducte:
8NaO, NO⁵ + 6S + 13C = 5NaO, SO³ + 2NaO, CO²
+ NaS + 8N + 11CO².
Bei äquivalenten Mengen entwickelt dieses Pulver fast dieselbe Wärmemenge wie das
Kalipulver. 1 Kil. gibt nämlich 769,000 Calorien und 252 Liter Gas, bei
vollständiger Verflüchtigung 358 Liter. Diese Zahlen betragen ein Fünftel mehr als
die für das gleiche Gewicht des Kalipulvers berechneten Zahlen.
5. Pulver mit chlorsaurem Kali (aus 75 Chlorat, 12,5
Schwefel und 12,5 Kohle bestehend) ist äußerst brisant und seine Darstellung ist mit
den größten Gefahren verknüpft. Vorstehender Zusammensetzung entspricht folgende
Gleichung:
3 (KO, ClO⁵) + 4S + 10C = 3KCl + 4SO² + 10CO.
1 Kil. dieses Pulvers entwickelt 972,000 Calorien und gibt 318
Liter Gas, bei vollständiger Verflüchtigung 386 Liter. Das Product ist 309,000.
Diese Werthe sind weit höher als die entsprechenden mit Nitratpulver. Das
Chloratpulver gibt zu gleicher Zeit Dislocations- und
Projections-Effecte, welche den mit Nitratpulver erzielten weit überlegen
sind. Die ungemeine Leichtigkeit, womit das Chloratpulver beim kleinsten Stoße
detonirt, ist eine Folge der großen Wärmemenge welche bei der Verbrennung der zuerst
entzündeten Partikelchen sich entwickelt; diese Wärme erhöht die Temperatur der
benachbarten Theilchen sowohl beim Chloratpulver wie beim Nitratpulver, und pflanzt
so die Reaction weit leichter durch die ganze Masse fort. Der Einfluß davon ist um
so hervorstechender, je geringer die specifische Wärme der Komponenten ist und die
Reaction mit dem Chlorat bei niedrigerer Temperatur wie bei dem Nitrat beginnt. Dieß
Alles trägt dazu bei, die Entzündung des Chloratpulvers zu befördern. Das
Chloratpulver ist aber nicht nur kräftiger und entzündlicher, sondern seine Wirkung
ist auch weit rapider. Es ist mit einem Worte ein brisantes Pulver. Die Theorie
vermag von dieser Eigenschaft Rechenschaft zu geben. Die durch die Verbrennung des
Chloratpulvers entstandenen Verbindungen sind nämlich binäre und die einfachsten und
die stabilsten von allen, wie Chlorkalium, Kohlenoxyd und schweflige Säure.
Derartige Verbindungen werden Dissociationserscheinungen erst bei höherer Temperatur
und minder markirt erleiden wie complicirtere Verbindungen, wie schwefelsaures oder kohlensaures Kali,
oder auch nur wie Kohlensäure, Alles Verbindungen die bei der Verbrennung des
Nitratpulvers sich bilden.
6. Chlorstickstoff explodirt bekanntlich, indem er dabei
in seine Elemente zerfällt:
NCl³ = N + 3Cl.
1 Gramm Chlorstickstoff liefert 316 Calorien und 370 Liter
Gas. Das Product = 117,000, d.h. etwas geringer als bei gewöhnlichem Pulver.
7. Nitroglycerin. Die Zersetzung desselben läßt sich durch
folgende Gleichung ausdrücken:
C⁶H⁵ (NO⁴)³ O⁶ = 6CO² +
5HO + 3N + O.
Das Nitroglycerin besitzt also die Eigenschaft, mehr Sauerstoff zu enthalten als zur
vollständigen Verbrennung der Elemente erforderlich ist. Allerdings gibt dieser
Sauerstoff zuweilen zur Bildung von Stickoxyd Anlaß. 1 Kil. Nitroglycerin gibt 710
Liter Gas; 1 Liter Nitroglycerin gibt (in Folge des hohen specif. Gewichtes von 1,6)
1135 Liter. Bei gleichem Gewicht gibt somit das Nitroglycerin 3 1/2 Mal mehr Gas als
das Nitratpulver, 2 Mal mehr als das Chloratpulver. Bei gleichem Volumen producirt
es die 6fache Gasmenge vom Nitratpulver. Die bei der Verbrennung des Nitroglycerins
entwickelte Wärme kann für 1 Kil. auf 1,282,000, für 1 Liter auf 2,051,000 Calorien
geschätzt werden. Das Product ist 910,000, mithin das 7fache von dem des
Nitratpulvers. Bei gleichem Volumen muß das Nitroglycerin einen 10 Mal höheren Druck
ausüben als das gewöhnliche Pulver; die Arbeit wird sich steigern können bis auf 900
Mill. Kilogramm-Meter, folglich bis auf den dreifachen Werth der
Maximalarbeit, den das Pulver zu leisten im Stande ist. In der Praxis werden diese
enormen Zahlen wahrscheinlich nie erreicht, hauptsächlich wohl in Folge der
Dissociationserscheinungen; man braucht sich ihnen aber nur zu nähern, um die
Arbeitsleistung des Nitroglycerins gegenüber der der übrigen in der Industrie
verwendeten Sprengmittel zu begreifen. Die Zertrümmerung von Schmiedeeisen, ein
Effect den das Schießpulver hervorzubringen außer Stand ist, beweist das
Ungeheuerliche des von dem Nitroglycerin entfalteten Anfangsdruckes.
Ist das Nitroglycerin auch brisant, so sprengt es doch Felsen, ohne sie in kleine
Stücke zu zertrümmern. Diese Eigenschaft läßt sich ebenfalls durch die Dissociation
erklären: die Elemente des Wassers und der Kohlensäure werden in den ersten Momenten
sich trennen, wodurch der Anfangsdruck verringert wird; die Bildung von Wasser und
Kohlensäure aber, welche während der Ausdehnung der Gase vor sich geht, producirt
neue Wassermengen, welche die Pressionsabnahme reguliren. Das Nitroglycerin wirkt daher während des
Ausdehnens der Gase wie das gewöhnliche Pulver, jedoch ist bei dem Nitroglycerin die
Einwirkung der Dissociation schwächer, weil die entstandenen Verbindungen einfacher
und die anfänglichen Drucke stärker sind.
Um den grauenerregenden Wirkungen der Fortpflanzung des Stoßes in dem flüssigen
Nitroglycerin zu begegnen, hat Nobel, wie bekannt,
erfolgreich den Dynamit in Vorschlag gebracht. Dieses Präparat ist in der That
minder brisant wie das Nitroglycerin, weil die entwickelte Wärme auf die
Explosionsproducte und auf die inerte Substanz sich vertheilt. Die Temperatur erhebt
sich weniger hoch und der Initialdruck ist mithin schwächer.
Anstatt die Intensität der Wirkung des Nitroglycerins zu schwächen, kann man dieselbe
auch durch gewisse Zusätze steigern. Die Explosion läßt, wie oben gesagt, 1
Aequivalent Sauerstoff disponibel. Dieser Sauerstoff kann nun zur Verbrennung einer
kleinen Menge verbrennlicher Substanz verwendet werden, z.B. durch Zusatz von 4
Proc. Schwefel, 2 Proc. Alkohol oder 1 Proc. Kohlenwasserstoff. Man kann auf diese
Weise die erzeugte Wärmemenge um 10 Proc. steigern, ohne das Gasvolumen wesentlich
zu verändern.
8. Schießbaumwolle. Dieses Präparat enthält nicht wie das
Nitroglycerin eine zur vollständigen Verbrennung der Elemente hinreichende
Sauerstoffmenge. Daher sind auch die Producte sehr complicirter Art, wenn man nicht
zur Vereinfachung der Reaction Salpeter oder chlorsaures Kali zusetzt. Indem der
Verfasser die ziemlich divergirenden Ansichten der Autoren discutirt, kommt er zu
folgender (indessen unter Vorbehalt gegebener) Gleichung, welche den Vorgang beim
Abbrennen der Schießbaumwolle ausdrückt:
2 C²⁴H¹⁰O¹⁰
(NO⁶H)⁵ = 7C²O⁴ + 12C²O² +
2C²H⁴ + H + 3C²NH + 9H²O² + 5NO² + 2N.
Diese Producte entsprechen keineswegs einer totalen Verbrennung, da es an Sauerstoff
fehlt. Sie variiren deßhalb auch unter den Bedingungen, unter denen die Explosion
stattfindet: Temperatur, Druck, mechanische Arbeit etc. 1 Kil. Schießbaumwolle gibt
801 Liter und etwa 700,000 Calorien, mithin etwas mehr als das gewöhnliche Pulver,
aber weit weniger als das Nitroglycerin. Das Product ist 560,000.
Um den Maximaleffect zu erreichen, gibt die Theorie im Einklang mit den jüngsten
Versuchen an, das Präparat zu comprimiren und es dadurch auf das kleinste Volumen zu
reduciren. Man steigert dadurch den Initialdruck.
Zur Vervollständigung der Verbrennung der Schießbaumwolle kann man einen oxydirenden Körper
zusetzen, so z.B. Salpeter (54 Schießbaumwolle und 46 Salpeter). Ein derartiges
Gemenge entspricht folgender Gleichung:
C²⁴H¹⁰O¹⁰ (NO⁶
H) + 4 3/5 KO, NO⁵ + 4 3/5 KO, CO² + 19 2/5 CO² + 15HO + 9 3/5
N.
1 Kil. dieses Gemisches gibt 484 Liter Gas und, vollständige Verflüchtigung
angenommen, 534 Liter. Die entwickelte Wärme = 1,018,000 Calorien. Das Product =
492,000.
Die Theorie schreibt demnach dem für die Praxis außerdem unbequemen Zusatze von
Salpeter zur Schießbaumwolle keine besonderen Vortheile zu, man müßte denn an
Schießbaumwolle sparen wollen. Die mit Gemischen von Schießbaumwolle und Salpeter
angestellten Versuche sind dieser Anschauungsweise auch ziemlich conform. Zusatz von
chlorsaurem Kali wäre noch weit wirksamer, da ein solches Gemisch zwar nur das
nämliche Volumen Gas, aber eine weit größere Wärmemenge gibt, nämlich 1,446,000
Calorien.
9. Pikrinsaures Kali (rein oder gemengt). Reines Pikrat
detonirt unter dem Einflusse ziemlich hoher Wärme mit Heftigkeit; die in ihm
enthaltene Sauerstoffmenge ist aber keineswegs hinreichend, eine vollständige
Verbrennung herbeizuführen. Daraus folgt die Nothwendigkeit, es mit Salpeter oder
chlorsaurem Kali zu mischen. Die furchtbare Gewalt dieser Mischungen, die den Namen
Bobeuf-Pulver, Designolles-Pulver, Fontaine-Pulver etc. führen, ist allgemein bekannt.
Die Producte des reinen Pikrinsauren Kalis sind nicht genügend bekannt. Vorläufig
nimmt der Verf. folgende Gleichung an:
C¹²H²K (NO⁴)³ O² = KO,
CO² + H²O² + 9 CO + N³ + 2C.
Diese Producte variiren je nach den Umständen, unter denen die Explosion stattfindet,
wie es der Fall ist bei allen Gemischen, denen es an der genügenden Sauerstoffmenge
gebricht. Nach obiger Gleichung gibt 1 Kil. Pikrat 585 Liter Gas und, die
vollständige Verdampfung des kohlensauren Kalis angenommen, 627 Liter. Die
entwickelte Wärme kann auf 872,000 Calorien geschätzt werden. Das Product = 510,000.
Diese Zahlen liegen in der Mitte zwischen denen, die mit der Schießbaumwolle und mit
einem Gemenge derselben mit Kalisalpeter erhalten wurden, und sind nicht zu weit
entfernt von dem Chloratpulver, mit Schwefel und Kohle versetzt. Sie sind aber weit
höher als die mit gewöhnlichem Pulver erhaltenen. Ein Gemisch von 50 Proc. Pikrat
und 50 Proc. Salpeter gibt:
C¹²H²K (NO⁴)³ O² + 2
3/5 KO, NO⁵ = 3 3/5 KO, CO² + 8 2/5 CO² + H²O² +
5 3/5 N.
1 Kil. dieses Pulvers gibt 337 Liter Gas oder, vollständige Verflüchtigung
angenommen, 413 Liter. Die entwickelte Wärme beträgt 957,000 Calorien.
Ein Gemisch endlich von 50 Proc. Pikrat und 50 Proc. chlorsaurem Kali gibt:
C¹²H²K (NO⁴)³ O² + 2
1/6 KO, ClO⁵ = KO, CO² + 2 1/6 KCl + 11 CO² +
H²O² + 3N.
Das Volumen der permanenten Gase ist dem mit dem vorigen Gemisch erhaltenen fast
gänzlich gleich, aber die entwickelte Wärme ist weit beträchtlicher, sie beträgt auf
das Kilogramm 1,405,000 Calorien. Diese Werthe sind viel größer als die bei allen
übrigen explosiven Substanzen erhaltenen und werden nur von dem Nitroglycerin
übertroffen. Der große Vorzug, welchen die Praxis diesem neuen Pulver gibt, stimmt
daher mit der Theorie völlig überein.
Die Kraft und die mechanischen Eigenschaften der verschiedenen explosiven Körper
wurden bisher nur auf empirischem Weg durch vergleichende Versuche ermittelt. Berthelot ist der Erste, der es versucht hat, die
Vergleichung auf theoretischem Weg herzustellen. Wie sich gezeigt hat, stehen die so
erhaltenen theoretischen Deductionen im Allgemeinen mit der Erfahrung im Einklang.
Es ist daher erlaubt, dieselben als Anhaltepunkte zu benutzen, entweder um den
Maximaleffect schon bekannter Substanzen zu erzielen oder neue explosive
Verbindungen zu entdecken, deren Eigenschaften schon im Voraus bestimmt werden
können.
Folgende Tabelle gibt eine Zusammenstellung der numerischen Resultate vorstehender
Abhandlung:
Natur der explosiven Substanz
Wärmemengevon 1 Kil.
Volumen dergebildeten Gase
Product ausbeiden Zahlen
Jagdpulver
644000 Calor.
0,216 Kubikmet.
139000
Kriegspulver
622500 „
0,225 „
140000
Sprengpulver
380000 „
0,355 „
135000
„
mit überschüssiiger Kohle
429000 „
0,510 „
219000
Pulver mit Natronsalpeter
769000 „
0,252 „
194000
Pulver mit chlorsaurem Kali
972000 „
0,318 „
309000
Chlorstickstoff
316000 „
0,370 „
117000
Nitroglycerin
1,282000 „
0,710 „
910000
Schießbaumwolle
700000 „
0,801 „
560000
„ gemengt mit Salpeter
1,018000 „
0,484 „
492000
„ gem. m. chlors Kali
1,446000 „
0,484 „
700000
Pikrinsaures Kali
872000 „
0,545 „
510000
„ gemengt
mit Salpeter
957000 „
0,337 „
323000
„ gem.
m. chlors. Kali
1,405000 „
0,337 „
474000