Titel: | Ueber das Hobeln der Metalle; von H. Tresca. |
Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. LXXXVII., S. 349 |
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LXXXVII.
Ueber das Hobeln der Metalle; von H. Tresca.
Tresca, über das Hobeln der Metalle.
Unter den verschiedenen beim Bearbeiten eines Metallblockes auftretenden
Formänderungen sind sicher die beim Hobeln vorkommenden am eigenthümlichsten und am
wenigsten studirt. Die Aufmerksamkeit der Constructeure hat sich nur auf das
Resultat der Arbeit selbst gerichtet, ohne daß man je die abgehobelten Theile einer
besonderen Prüfung für werth erachtet hätte. Die vom Meißel abgetrennten Späne
können jedoch zu einer großen Zahl interessanter Bemerkungen Anlaß geben, und die
Beschaffenheit der bei der eigentlichen Arbeit abfallenden Ueberreste vermag wohl
die Forschungen des Physikers auf sich zu ziehen, welcher dabei vielleicht einige
der kaum geahnten Geheimnisse der Molecular-Mechanik finden wird. Bei
fortgesetztem Studium der Molecular-Formänderungen fand der Verfasser mehrere
neue Thatsachen, die im Folgenden mitgetheilt werden.
In dem Augenblicke wo von der Masse, zu der es gehört, ein Theilchen durch die
lebendige Kraft eines Schneidwerkzeuges abgerissen wird, unterliegt es zugleich der
Wirkung einer äußeren Kraft und jener der inneren Kräfte, welche von den
benachbarten Theilchen auf dasselbe ausgeübt werden, und es gelangt bald in einen
neuen Gleichgewichtszustand, in dem man sehr häufig eine verschiedene Anordnung,
eine ganz andere Structur findet, worin man die Rolle zu erkennen hat, welche die
verschiedenen Eigenschaften der Materie spielen, und besonders diejenigen welche der
Cohäsion und der Elasticität entspringen, welche die Art und Weise des „Ausfließens
oder Abfließens“ dieser Materie in die freie Luft bestimmen und ihr
die ihr eigenthümlichen geometrischen Formen ertheilen. Auf Grund sehr mannichfacher
Versuche und deren Erhärtung durch zahlreiche Beispiele aus der industriellen Praxis
stellt der Verf. die Theorie aller beim Hobeln auftretenden Formänderungen auf,
behufs der Berechnung der beim Hobeln aufgewendeten mechanischen Arbeit. Die
Hauptergebnisse aus diesen Versuchen sind folgende:
1) Das Hobeln veranlaßt in dem materiellen Prisma, welches durch das Werkzeug
zerschnitten wird, eigenthümliche Drücke und Formänderungen, welche nach der Gestalt
des Werkzeuges und der Dicke des losgeschnittenen Prismas wechseln.
2) Diese Umstände sind leichter zu bestimmen, wenn der Körper über seine ganze Breite
gehobelt wird, mittelst eines Werkzeuges mit geradliniger Schneide und einer, ebenen
oder cylindrischen, wirksamen Fläche, deren Erzeugende senkrecht auf der
Bewegungsrichtung und parallel zur Oberfläche des gehobelten Körpers liegen. Unter
diesen Verhältnissen ist der Span eine Umformung des ursprünglichen Prismas, welche
durch Verminderung der Länge erzeugt wird, in Folge eines seitlichen Abfließens der
Materie unter der Wirkung des Meißels, im Sinne der Dicke des Spanes.
3) Der Coefficient der Längsverkürzung hängt von der Schärfe des Werkzeuges ab, von
der Leichtigkeit mit welcher es den Span loslöst, besonders aber von der Dicke des
losgelösten Spanes. Der Coefficient der Zusammenziehung oder Verkürzung ist bei
dünnen Spänen kleiner, weil da das Abfließen nach der Seite leichter erfolgen
kann.
4) Der Coefficient der Ausdehnung in der Richtung der Dicke wächst umgekehrt mit dem
Coefficienten der Verkürzung in Richtung der Länge.
5) In der ganzen Reihe der angestellten Versuche schwankte der Coefficient der
Verkürzung zwischen 0,10 und 0,60; der Verfasser besitzt Stahlspäne von mehr als 1
Millimeter Dicke, für welche dieser Coefficient 0,25 nicht übersteigt.
6) Die Trennungsfläche zwischen dem Span und dem Blocke ist stets glatt und eine
genaue Nachbildung der wirksamen Fläche des Werkzeuges. Die entgegengesetzte Fläche
ist stets gestreift und zeigt eine Folge von parallelen Wellen, mit um so größerer
Ausbauchung, je dicker der Span ist. Diese Wellen erstrecken sich bis gegen die
Ränder, wo man die Spuren eines Abfließens nach der Breite bemerkt, welche sich in
sehr geringer Entfernung vom Rande verlieren. Bei dünnen Spänen sind die Streifen
viel feiner und geben der ganzen Metallfläche ein sammetartiges Aussehen.
7) Ein auf der Außenfläche vor dem Hobeln beschriebener Kreis verwandelt sich in eine
Ellipse; das Achsenverhältniß in dieser Ellipse kann zur Bestimmung des
Coefficienten der Verkürzung dienen; man bestimmt ihn aber besser bei Bearbeitung
großer Längen.
8) Wenn die Formänderungen gewisse Grenzen überschreiten, bekommt der Span in
gewissen Entfernungen Risse, und zwar erfolgt die Trennung nach den Richtungen, in
welchen sich die Trennungsfurchen der eben erwähnten Wellen zeigen.
9) Wenn das Werkzeug stumpf wird, so nimmt der Coefficient der Verkürzung ab und das
Hobeln wird schwieriger.
10) Die cylindrische Form des Meißels begünstigt die Arbeit sehr, und die Prüfung der
Formänderungen führt zu der Meinung, daß ein hyperbolisches Profil bei Weitem das
vortheilhafteste wäre.
11) In Folge des von der wirksamen Fläche des Meißels auf die Fläche des Spanes
ausgeübten Druckes steigt der Span senkrecht zur Oberfläche des gehobelten Körpers
in die Höhe, um sich dann zu krümmen. Die dünnen Späne wickeln sich in Form eines
Cylinders mit spiralförmiger Grundfläche zusammen, wobei sich die einzelnen Spiralen
genau decken. Der Halbmesser des Zusammenrollens wächst mit der Dicke.
12) Wenn die Erzeugenden des Cylinders, welcher die Wand der wirksamen Oberfläche des
Meißels bildet, gegen die Ebene des Vorrückens geneigt sind, so nimmt der Span,
anstatt sich zu einem Cylinder zusammenzurollen, die Form der Außenfläche einer
flachgängigen Schraube an.
13) Das seitliche Anlegen eines rechteckigen Spanes an dem einen oder dem anderen
seiner Ränder hat keinen merklichen Einfluß auf den Erfolg des Hobelns; der
Coefficient der Verkürzung bleibt derselbe, aber die anfänglich anliegenden Ränder
sind weniger gerundet und tief zerschnitten in einem Theile der Dicke des
Spanes.
14) Wenn die Dicke mit der Breite vergleichbar wird, so tritt eine Ausdehnung in
beiden Richtungen auf, und der Span nimmt eine ganz eigenthümliche Gestalt an,
dreieckig im Querschnitt, was sich leicht aus gewissen mathematischen Betrachtungen
ableiten läßt.
15) Die Anwendung eines Meißels mit gekrümmter Schneide gibt zu entsprechenden
Gestalts-Aenderungen Anlaß, welche sich in derselben Weise erklären
lassen.
16) Vom geometrischen Gesichtspunkte aus läßt sich die Gestaltsänderung der Späne in
allen ihren Phasen in Umrissen verfolgen, welche auf vollkommen sicheren Regeln
beruhen. In der ersten Phase, der „Stauchung“ (refoulement), erlangt die noch nicht vom Block abgelöste
Materie in jedem ihrer Längselemente ihre schließliche Dicke und Breite. In einer zweiten Phase, dem
„Abfließen“ (écoulement), gleitet der Span über die Fläche des Meißels und erlangt
seinen schließlichen Querschnitt. In einer dritten Phase entweicht der Span, indem
er sich krümmt, in dem Maaße wie die seinen verschiedenen Längselementen ertheilten
Verkürzungen einen mehr oder weniger mächtigen Einfluß auf dieselben ausüben.
17) Mit einem rechteckigen Meißel mit gleichen Seiten löst sich ein im Querschnitt
quadratischer Span los in der Halbirungsebene des Flächenwinkels, welcher von den
beiden abgelösten Flächen gebildet wird, wobei die Formänderung zwar verwickelter,
aber ebenso übersichtlich ist, wie die der gewöhnlichen Späne.
18) Mit einem Meißel mit gekrümmter Schneide sind die Wirkungen ebenso und beleuchten
die Art und Weise der Stauchung eines Körpers, welcher durch die Wirkung äußerer
Kräfte auf eine seiner Flächen in den Zustand der Fluidität versetzt ist. Die Curve,
nach welcher sich die Ausschweifung am Ende der beiden ersten Phasen bildet, ist
ganz charakteristisch und läßt ihre Spuren auf der ursprünglich frei liegenden
Fläche des Spanes zurück, in Form von gekrümmten Furchen, welche sich in stets
gleicher Gestalt auf der ganzen Länge wiederholen.
19) Bei diesen Spänen gleicht die Breite angenähert der Sehne, welche die beiden
Enden des von der Schneide bei jedem Gange oder Schnitte abgelösten Halbmondes
verbindet.
20) Die Convexität des Spanes liegt gewöhnlich am dickeren Rande, und davon kommt nur
eine Ausnahme vor in dem Falle, wo die relative Schärfe des Meißels auf die dünneren
Partien einen Einfluß ausübt, welcher groß genug ist, um den des günstigeren
Coefficienten der Verkürzung am dickeren Rande auszugleichen.
21) Die verwickelteren Arten des Hobelns, wie das Hobeln im Kreise, im Vollkreise
oder bloß in einem Kreisbogen, verändern diese Ergebnisse nicht merklich; dieselben
sind also ganz allgemein gültige.
22) Die Arbeit beim Hobeln besteht aus einem Theil welcher zum Zerschneiden, und
einem Theile welcher zur Formänderung verwendet wird; für beide lassen sich
theoretische Formeln entwickeln.
23) Diese Formeln zeigen, wie vortheilhaft es ist, den Meißel
nach jedem Schnitte in Richtung der Spandicke stark zu verschieben, wozu
sich auch der Werkzeugmaschinenbau gegenwärtig hinneigt.
24) Der vom Meißel ausgeübte Druck überträgt sich von einem Querschnittselement zum
anderen, bis zur Grenze der Wirkungszone, nach einem aus diesen Formeln abgeleiteten
logarithmischen Gesetze.
25) Endlich, und das ist das Hauptergebniß der vorliegenden Arbeit, folgen die härtesten, wie die
weichsten Metalle, bei allen Formänderungen, denselben Gesetzen, welche für alle
Stoffe, welche dem Versuche unterworfen wurden, eine kaum geahnte Gleichartigkeit in
ihren mechanischen Eigenschaften, weit über die Elasticitätsgrenze hinaus,
darthun.
26) Die vorstehenden Ergebnisse sind vielleicht nicht ohne Interesse für die Theorie
des Pfluges, welchen man als einen Hobel, der unter
besonderen Verhältnissen arbeitet, ansehen kann. (Comptes
rendus, t. LXXIII p. 1307; polytechnisches
Centralblatt, 1872 S. 156.)