Titel: | Resultate von Versuchen über die Biegung eiserner und stählerner Eisenbahnschienen über die Elasticitätsgrenze hinaus; von H. Tresca. |
Fundstelle: | Band 203, Jahrgang 1872, Nr. LXXXVIII., S. 352 |
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LXXXVIII.
Resultate von Versuchen über die Biegung eiserner
und stählerner Eisenbahnschienen über die Elasticitätsgrenze hinaus; von H. Tresca.
Tresca, über die Biegung eiserner und stählerner Eisenbahnschienen
über die Elasticitätsgrenze hinaus.
Die Gesetze der Biegung fester Körper, bei Belastung derselben in der Mitte ihrer
Länge, sind innerhalb der Elasticitätsgrenze hinreichend durch Versuche bestätigt.
Man weiß auch, daß bei stärkeren Belastungen die Elasticität gestört wird und der
Körper nach der Entlastung seine frühere Form nicht vollständig wieder herstellt;
aber man besitzt nur ziemlich unvollkommene Andeutungen über den Zustand in welchem
eine solche permanente Biegung die Materie läßt, bezüglich neuer mechanischer
Eigenschaften, welche sie etwa hätte annehmen können. Ob und in welchem Sinne sich
der Elasticitätsmodul ändert? ob sich die Bedingungen ändern, unter denen der Bruch
erfolgt? darüber sind, weil ausreichende Versuche nicht vorliegen, die Ansichten
verschieden, obgleich man bekanntlich in Deutschland nach den Versuchen von Brix annimmt, daß ein Körper welcher durch eine Belastung
eine bleibende Formänderung angenommen hat, derselben von Neuem ausgesetzt werden
kann, ohne eine neue bleibende Biegung zu erleiden. In seiner Mécanique appliqué citirt Bresse
einen unter ähnlichen Verhältnissen ausgeführten Versuch von Eaton Hodgkinson über die Zugelasticität; dieselbe würde zu
demselben Schlusse berechtigen, wenn, wie es der Fall zu seyn scheint, die ersten
bleibenden Dehnungen, welche dabei von dem englischen Beobachter bemerkt wurden, auf
Rechnung einer Verschiebung der Stützpunkte geschrieben werden dürfen. Diese
interessante Frage suchte der Verfasser bei Versuchen über den Widerstand von
eisernen und stählernen Eisenbahnschienen, zu denen er vom General Morin
veranlaßt worden war, zu entscheiden.
Es standen für diese Versuche sieben verschiedene Eisenbahnschienen, von
verschiedenem Querschnitt und verschiedenem Ursprung, zur Verfügung, nämlich drei
eiserne und vier stählerne. Die Versuche konnten mit dem nöthigen Zeitaufwands und
Sorgfalt angestellt werden. Es wurden dabei die Schienen horizontal gelegt, unter
zwei vorspringende Träger aus hartem Stein, welche in eine starke Mauer in deren
ganzer Dicke eingemauert waren, und mittelst einer hydraulischen Presse, deren
Manometer vorher durch directe Belastungen geprüft worden war, wurde auf die Mitte
jeder Schiene ein hinreichend großer Druck, der in gewissen Fällen bis auf 17000
Kilogramme stieg, ausgeübt. Eine Marke in der Mitte der Schiene wurde durch das Rohr
eines Kathetometers anvisirt, und ähnliche Marken an den beiden Enden wurden
gleichzeitig durch zwei andere Fernrohre beobachtet, um Aenderungen in der Höhenlage
der Stützpunkte zu erkennen. Die so gemessenen Durchbiegungen waren also in dieser
Rücksicht von jeder Unsicherheit frei und vollkommen zuverlässig. Die Schiene wurde
wiederholt nach einander belastet und entlastet, wobei langsam und mit aller
Vorsicht zu Werke gegangen wurde; zahlreiche Ablesungen wurden bei allen diesen
Vorgängen gemacht, wobei man die Belastung bei jedem Versuche immer mehr und mehr
wachsen ließ, einige Male selbst bis zum Bruch. Die von den Versuchen gelieferten
Zahlenwerthe und die darnach gefertigten graphischen Darstellungen zeigen den Erfolg
jeder Operation in allen Einzelheiten. Wenn man alle auf dieselbe Schiene
bezüglichen Werthe, welche für zwei Schienen aus sieben auf einander folgenden
Versuchen entnommen sind, in eine Figur zusammenstellt, so erkennt man sofort den
Parallelismus der geraden Partie der Curven, deren jede den Zusammenhang zwischen
der Belastung und der Biegung ausdrückt, und die gekrümmte Partie nähert sich der
geraden. Linie um so mehr, je vollkommener die Elasticität wird.
Diese Versuche, die mit Prismen gemacht wurden, welche nicht symmetrisch in Bezug auf
die neutrale Faserschicht waren und eine Länge von 5 Metern und von 2,80 Metern
hatten, führen zu folgenden Schlüssen:
Die Beobachtungsresultate bestätigen nebenbei die Gesetze bezüglich der Durchbiegung
eiserner und stählerner Träger, sowohl in Betreff der Lage der neutralen Achse, als
daß innerhalb der Elasticitätsgrenze die Durchbiegung der Belastung direct
proportional und umgekehrt proportional der dritten Potenz der Länge ist. Die
Versuche haben dargethan, daß bei diesen beiden Metallen, wie sie die Industrie
jetzt liefert, der Elasticitätsmodul nahezu derselbe ist, nämlich E = 21
. 10⁹, wie er sich übrigens schon 1857 bei Versuchen mit schwedischen
Eisensorten und den aus diesen erzeugten Cementstahlsorten ergeben hatte.
Die jetzigen Versuche haben aber vor Allem gezeigt, daß die Elasticitätsgrenze sich
bei demselben Stabe erhöht in demselben Maaße als derselbe einem stärkeren Drucke
ausgesetzt wird, was sich dadurch merklich macht, daß die bleibenden Durchbiegungen
größer und größer werden, und daß diese Elasticitätsgrenze, durch wiederholte
Inanspruchnahme der Molecularelasticität, bis in die Nähe des Bruches hinaus
geschoben werden kann, ohne daß indeß der Elasticitätsmodul sich wesentlich geändert
hätte. Man bemerkt jedoch stets eine allmähliche Verkleinerung des ursprünglichen
Moduls, welche bis auf den zehnten Theil des ursprünglichen Werthes gehen kann. Das
Material, wie es aus den Werkstätten hervorgeht, befindet sich in einem Zustande der
Unbeständigkeit, welcher nur durch den Gebrauch verschwindet; es wird homogener und
elastischer, zugleich aber auch etwas biegsamer. (Comptes
rendus, t. LXXIII p. 1153; polytechnisches
Centralblatt, 1872 S. 159.)