Titel: | Ueber die chemische Zusammensetzung des chinesischen Grüns (Lokao); von S. Cloez und Er. Guignet. |
Fundstelle: | Band 204, Jahrgang 1872, Nr. CX., S. 393 |
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CX.
Ueber die chemische Zusammensetzung des
chinesischen Grüns (Lokao); von S.
Cloez und Er.
Guignet.
Aus den Comptes rendus, t. LXXIV p. 994; April
1872.
Cloez und Guignet, über das chinesischen Grün.
Das zuerst im Jahre 1848 von Daniel Köchlin als besonderer
Farbstoff erklärte chinesische Grün ist von Persoz,
Michel (in Lyon) und Charvin näher untersucht
worden. Dem Letzteren ist sogar die Darstellung dieses Farbstoffes aus einheimischen
Kreuzdornarten gelungen.
Nachdem das chinesische Grün eine Zeit lang die Aufmerksamkeit der Chemiker und der
Färber auf sich gezogen hatte, gerieth es in fast gänzliche Vergessenheit. Man gab
diesen Farbstoff wegen der herrlichen Anilingrüne auf; übrigens war seine Anwendung
in der Färberei mit Schwierigkeiten verknüpft und sein Preis sehr hoch.
Vom rein chemischen Standpunkte aus schien uns die Wiederaufnahme der Untersuchungen
über das chinesische Grün von Interesse zu seyn, besonders in der Absicht, ein
Product von bestimmter Zusammensetzung zu erhalten und die Beziehungen dieses
Productes zu den zahlreichen Farbstoffen zu ermitteln, welche aus den Früchten der
Kreuzdornarten (gelbe Farbstoffe der persischen und Avignonbeeren, Saftgrün etc.)
gewonnen werden.
Wir veröffentlichen hiermit den ersten Theil unserer Arbeit.
Das chinesische Grün oder Lokao ist ein wahrer Lack, welcher eine bedeutende Menge
verschiedener mineralischer Substanzen (Kalk, Thonerde, Eisenoxyd) enthält, und
außerdem ziemlich viel Wasser: die zu unseren Untersuchungen verwendete Probe
verliert durch Austrocknen bei 100° C. 9,4 Proc. Wasser. Beim Einäschern
hinterläßt sie 26,2 Proc. eines graulich gefärbten Rückstandes.
Wirkung des Wassers. – Das chinesische Grün löst
sich in kaltem Wasser in sehr geringer Menge; bei länger fortgesetzter Digestion
schwillt es auf und löst sich in größerem Verhältniß.
Läßt man das chinesische Grün eine Woche lang in einem geschlossenen Gefäße mit
Wasser in Berührung, so erleidet es eine Art Gährung, welche mit einer theilweisen
Reduction verbunden ist. Die filtrirte Flüssigkeit ist sehr dunkel grünlichblau
gefärbt; der Rückstand, durch kaltes Wasser erschöpft, löst sich in heißem Wasser
auf und färbt dasselbe sehr intensiv rothviolett.
Man könnte glauben daß die so dargestellte blaue Substanz der färbende Bestandtheil
des chinesischen Grüns im Zustande der Reinheit sey; dieß ist aber nicht der Fall,
denn diese Substanz ist nichts Anderes als ein dem ursprünglichen Lacke ähnlicher
Lack, und hinterläßt beim Einäschern einen beträchtlichen Rückstand.
Somit bietet diese durch Gährung vermittelte Reduction des Lokao nur vom Standpunkte
der Färberei aus Interesse dar; man kann auf diese Weise ein Product von genügender
Reinheit nicht erzielen.
Wirkung der kohlensauren Alkalien. – Das
chinesische Grün ist in wässerigen Lösungen von kohlensaurem Kali und kohlensaurem
Natron leicht löslich, erleidet aber zugleich eine Veränderung, und das durch Wasser
aus der concentrirten alkalischen Lösung gefällte Product ist auch nur ein unreiner
Lack.
Nach zahlreichen Versuchen ist es uns gelungen, mittelst des nachstehend
beschriebenen Verfahrens den Farbstoff das Lokao hinreichend rein darzustellen.
Man löst in 4 Liter destillirten Wassers 100 Gramme reines kohlensaures Ammoniak,
fügt 100 Grm. grob gepulvertes Lokao hinzu, und rührt von Zeit zu Zeit um. Nach
viertägiger Berührung ist die Flüssigkeit sehr dunkel blaugrün geworden; man
filtrirt und dampft im Wasserbade in einer flachen Schale ab, so daß das
überschüssige kohlensaure Ammoniak vollständig verjagt wird.
Auf diese Weise erhält man 60 Procent eines in Wasser vollkommen löslichen blauen
Productes, welches die Verbindung des reinen, von uns Lokain genannten Farbstoffes mit Ammoniak repräsentirt.
Dieses Resultat bestätigt die Beobachtungen von Persoz,
nach denen das vollständig gereinigte chinesische Grün blau und nicht grün seyn
müßte.
Das Lokain-Ammoniak verhält sich wie wahres Ammoniaksalz.
Das Lokain-Ammoniak, wie es durch Abdampfen der wässerigen Lösung erhalten
wird, ist noch kein absolut reines Product; nach dem Verbrennen hinterläßt es fast 1
Procent eines mineralischen, aus Thonerde und einer geringen Menge Eisenoxyd
bestehenden Rückstandes.
Um Lokain-Ammoniak in reinem Zustande zu erhalten, versetzt man die Auflösung
des chinesischen Grüns in kohlensaurem Ammoniak mit Alkohol, worauf sich ein
dunkelblauer Niederschlag bildet, welchen man mit Alkohol bis zur Erschöpfung
auswäscht. Dieser Niederschlag hinterläßt nach dem Trocknen beim Einäschern nur noch
eine Spur mineralischer Stoffe.
Der zum Auswaschen benutzte Alkohol enthält verschiedene braune Stoffe und eine
gewisse Menge Traubenzucker in Lösung.
Die Zusammensetzung des durch Fällung erhaltenen und bei 100° C. getrockneten
Lokain Ammoniaks läßt sich durch nachstehende Formel ausdrücken:
C⁵⁶H³³O³³,
NH⁴O.
Die Analyse desselben ergab:
C⁵⁶H³⁷O³⁴N.
Kohlenstoff
51,020
50,980
Wasserstoff
5,660
5,620
Stickstoff
2,137
2,125
Sauerstoff
41,183
41,275
–––––––
––––––––––
100,000
100,000
Die Formel C⁵⁶H³⁴O³⁴ repräsentirt die
Zusammensetzung des reinen Lokains, welches man als eine
schwache Säure betrachten muß.
Die verschiedenen Metallsalze geben mit der Lösung von Lokain-Ammoniak
Niederschläge, welche wirkliche Lacke zu seyn scheinen, die sich aber nur schwierig
von constanter und bestimmter Zusammensetzung darstellen lassen, denn die meisten
Salze, z.B. Chlornatrium, schlagen das Lokain-Ammoniak in unverändertem
Zustande nieder; bei fortgesetztem Auswaschen löst sich der Niederschlag in reinem
Wasser wieder auf.
Wirkung der verdünnten Schwefelsäure auf das
Lokain-Ammoniak. – Behandelt man Lokain-Ammoniak mit
heißer, mit 20 Theilen Wasser verdünnter Schwefelsäure, so spaltet sich die Substanz
sehr scharf in einen röthlichbraunen, in der verdünnten Säure unlöslichen Körper, in
löslichen Traubenzucker und in eine andere, gleichfalls lösliche und durch
essigsaures Bleioxyd fällbare Substanz.
Der unlösliche Körper läßt sich leicht reinigen, zunächst durch Wasser, welches die
Schwefelsäure beseitigt, dann durch Alkohol, welcher eine bräunliche Substanz
auflöst.
Wir nennen das unlösliche Product der Spaltung des Lokain-Ammoniaks Lokaëtin; dasselbe scheint zum
Lokain-Ammoniak in demselben Verhältnisse zu stehen, wie die Gallussäure zum
Tannin, wie das Rhamnetin zum Rhamnin.
Das Lokain wäre also ein Glykosid.
Das Lokaëtin bildet sich auch, wenn man Lokain-Ammoniak mehrere Stunden
lang bei der Temperatur von 110° C. erhitzt; dabei erfolgt aber die Spaltung
nicht vollständig; man erhält eine sehr rein violette, in kaltem und heißem Wasser,
sowie in kohlensaurem Ammoniak vollkommen unlösliche Substanz, welche sich durch
Auswaschen leicht von dem nicht veränderten Lokain-Ammoniak und den anderen löslichen Substanzen
befreien läßt.
Bei 100° C. getrocknet, hinterläßt das Lokaëtin nur eine Spur von
Asche; die Analyse ergab folgende Zusammensetzung:
C¹⁸H⁸O¹⁰
Kohlenstoff
54,595
55,10
Wasserstoff
4,407
4,06
Sauerstoff
40,998
40,84
––––––
–––––––
100,000
100,00
Die Formel C¹⁸H⁸O¹⁰, welche wir vorläufig
annehmen, repräsentirt die Zusammensetzung des Lokaëtins ziemlich genau.
Diese Substanz ist in Wasser sehr wenig löslich; sie schwillt nach und nach in
demselben auf, wie Traganthgummi. Die schwächsten Spuren Alkali genügen, um ihre
Farbe in Violett zu verwandeln; durch Ammoniumsulfhydrat wird sie wie das Lokain
selbst, reducirt, indem sie in der ammoniakalischen Flüssigkeit schwimmende, rothe
Flocken bildet, welche in Berührung mit Luft wieder violett werden.
Durch Salpetersäure, selbst sehr verdünnte, wird das Lokaëtin bei einer
Temperatur von 100°C. leicht angegriffen. Es bildet sich dadurch eine große
Menge Oxalsäure und eine krystallisirbare, ein sehr intensives Färbungsvermögen
besitzende gelbe Substanz, welche in Wasser, Alkohol und Aether löslich ist; von
Pikrinsäure ist diese Substanz völlig verschieden und besitzt auch nicht deren
bitteren Geschmack.
Von concentrirter Schwefelsäure wird das Lokaëtin leicht in der Kälte zu einer
sehr dunkel purpurbraunen Flüssigkeit gelöst; durch Wasser wird diese Flüssigkeit
gefällt und gibt ein braunes, in angesäuertem Wasser und angesäuertem Alkohol
unlösliches Product. Letzteres wird durch schwache Alkalilaugen in eine dunkelgrüne,
in Alkohol lösliche Substanz verwandelt.
Die Analyse des vollständig ausgewaschenen und getrockneten braunen Körpers ergab uns
Zahlen, welche zu der Formel C¹⁸H⁶O⁸ führen; die
Substanz ist also Lokaëtin, weniger zwei Aequivalente Wasser, welche ihm
durch die Schwefelsäure entzogen wurden.