Titel: | Ueber die Anwendung des Dynamits zum Eissprengen; von Gobin, Brücken- und Straßenbau-Ingenieur. |
Fundstelle: | Band 205, Jahrgang 1872, Nr. XXIV., S. 69 |
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XXIV.
Ueber die Anwendung des Dynamits zum Eissprengen;
von Gobin, Brücken- und
Straßenbau-Ingenieur.
Aus den Annales des
mines, 1872, t. I p. 65.
Mit Abbildungen auf Tab.
II.
Gobin, über Anwendung des Dynamits zum Eissprengen.
Die anhaltende strenge Kälte des letzten Winters hatte an einigen Stellen in der
Rhone, wo sie Lyon durchfließt, Anhäufungen von Eismassen hervorgebracht, welche die
zahlreichen schwimmenden Etablissements auf diesem Strome ernstlich bedrohten und beim Eisgange
schwere Unfälle veranlassen konnten, wenn plötzlich eintretendes Thauwetter mit
einem geringen Steigen des Flusses zusammentraf.
Von Besorgniß über diese Sachlage erfüllt, führte ich am 16. und 17. December v. J.
Versuche über die Anwendung des Dynamits zum Sprengen des Eises und zum Enteisen des
Fahrwassers aus. Diese Versuche wurden stromabwärts bei der Lafayette-Brücke,
unter Mitwirkung des Hrn. Grenier, Unternehmers
öffentlicher Bauten und Besitzers einer Niederlage der Dynamitfabrik zu Paulille
(Ostpyrenäen-Depart.), unternommen; die Resultate derselben sind wahrhaft
außerordentlich, daher ich mich entschloß, diese neue Anwendung des Dynamits, und
besonders die zur Erzielung eines Maximaleffectes erforderlichen speciellen
Anordnungen (Fig.
12–20), zur allgemeinen Kenntniß zu bringen.
Die Explosion der auf das Eis gelegten und mit einer Lage Sand oder Thonmörtel
bedeckten Dynamitpatronen erzeugt ein bloßes Loch, ohne daß längere, von demselben
ausgehende Spalten entstehen, selbst nicht nach der Richtung des geringsten
Widerstandes; ein Resultat welches übrigens mit der bekannten Wirkungsweise und den
gewöhnlichen Effecten dieses Explosivstoffes übereinstimmt. Um von einer, eine
bedeutende Fläche einnehmenden Eismasse große Blöcke los zu sprengen, muß man einen
nach der Seite ihres Randes gerichteten, fast horizontalen Druck hervorbringen;
diesen Zweck habe ich in folgender Weise erreicht:
In 14 Meter Entfernung von dem freien Rande des nach meinen Messungen 18 bis 20
Centimeter starken Eises ließ ich mit dem Eisbeile, parallel zu jenem Rande, einen
Einschnitt von 1 Meter Länge und 4 bis 5 Centimet. Tiefe herstellen, welcher im
Schnitt die Form eines V hatte, indem seine dem Rand am
nächsten befindliche Fläche vertical war, während die andere eine sehr sanfte
Böschung bildete (Fig. 12 und 13). Der Dynamit wurde in
eine Zündwurst von 80 Centimeter bis 1 Meter Länge geladen; diese wurde, um das
Gefrieren zu vermeiden, mit Sägespänen und Wachspapier umgeben. Nachdem die Patrone
in dieser Weise vorgerichtet und mit einem Zünder versehen war, wurde sie in den
Einschnitt, gegen die verticale Fläche desselben, gelegt, und dann, etwas stärker
auf der abgeböschten Seite, mit einer 3 bis 4 Centimet. dicken Sandschicht bedeckt,
um die Explosivkraft auf die verticale Fläche zu richten (Fig. 13 und 16).
In Folge der Explosion entstanden mehrere, im Allgemeinen dem Rande des Eises
parallele Spalten, welche auf jeder Seite 40 bis 50 Meter Länge hatten (Fig. 18).
Bei einer Explosion entstand sogar eine Spalte, welche an der einen Seite 58 Meter,
und an der anderen Seite 160 Meter Länge hatte (Fig. 19).
Jede Zündwurst war mit nur 210 Grammen Dynamit Nr. 3 geladen. Auf diese Weise wurden
Eisblöcke von enormer Größe losgesprengt, denn sie ergaben in drei bis vier Stücken
eine Fläche von 100 bis 200 Quadratmeter.
Will man diese Blöcke mehr zertheilen, so wendet man das nachstehende Verfahren an,
welches ich mit dem besten Erfolge benutzt habe (Fig. 14, 17 und 20).
Man bohrt in der Mitte des Eisblockes, in ungefähr 8 Meter Entfernung von dessen
Rändern, ein Loch von 8 bis 10 Centimet. Durchmesser und führt in dasselbe eine
gewöhnliche, an einem dichten Gutta-percha-Zünder befestigte
Dynamitpatrone ein, an der ein Holzstück angebracht ist, welches sich in der
Querrichtung des Loches auf das Eis stützt und das Ganze im Wasser suspendirt
erhält; hierbei kann man das Ende des Zünders mittelst eines Eisstückes am Rande des
Loches festklemmen.
Die Länge des Zünders wird so berechnet, daß sich die Patrone ungefähr in 70
Centimet. Tiefe unter der unteren Fläche des Eises befindet; nach meinen Erfahrungen
ist dieß die geeignetste Distanz. Bei größerer Stärke des Eises muß man diese Tiefe
vermindern, und umgekehrt. Die Patronen enthalten nur 17 bis 35 Gramme Dynamit;
durch ihre Explosion wird das Eis gehoben, wobei strahlenförmige Spalten von 10 bis
30 Meter Länge entstehen.
Dieses submarine Minensystem kann nur in 7 bis 8 Meter Entfernung vom Rande der zu
sprengenden Eismasse angewendet werden; den günstigsten Erfolg hat es bei schon
losgelösten und in allen Richtungen beschränkten Eisschollen.
Es ist unumgänglich nothwendig, die Patronen vor ihrer Anwendung aufzuthauen und
durch rasches Operiren ein Gefrieren des Dynamits zu verhüten. Derselbe erhärtet
nämlich bei einer Temperatur unter 7° C. und explodirt in diesem Zustande
nicht; deßhalb ist es anzuempfehlen, die in das Wasser einzusenkenden Patronen mit
Sägespänen zu umgeben und sie mit einer zweiten Hülle von Wachspapier zu versehen,
in derselben Weise wie die Zündwürste.
Die Anwendung von Zündwürsten hat keinen so guten Erfolg, wenn das Eis dünner oder
weniger fest ist; man muß alsdann die Ladung vermindern und den Dynamit mit etwas
Sägespänen mengen, um seine Wirkung abzuschwächen; in diesem Falle genügt auch die
Anwendung von submarinen Minen allein.
Mittelst dieses Verfahrens war ich im Stande, in einer einzigen Tagearbeit 50000
Quadratmeter Eis zu entfernen, welche das Bett der Rhone zwischen zwei Brücken
verstopften; zu dieser Arbeit waren vier Mann hinreichend, und der ganze
Kostenaufwand betrug nicht über 40 Francs.
Es läßt sich demnach behaupten, daß gefahrdrohende Eisgänge nunmehr unmöglich
geworden sind, da man ein hinlänglich kräftiges und billiges Mittel zu ihrer
Vermeidung besitzt.