Titel: | Ueber das Noctilucin; von T. L. Phipson. |
Fundstelle: | Band 205, Jahrgang 1872, Nr. CXXXV., S. 571 |
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CXXXV.
Ueber das Noctilucin; von T. L. Phipson.
Aus den Comptes rendus,
t. LXXV p. 547; August 1872.
Phipson, über das Noctilucin.
Das Noctilucin ist eine neue organische Substanz, welche in der Natur sehr verbreitet
zu seyn scheint. In meinem i. J. 1860 in den Comptes
rendus veröffentlichten Aufsatz über den phosphorescirenden Stoff des
Rochens (Raja) beschrieb ich denselben als eine
eigenthümliche organische Substanz, welche wie Phosphor leuchtet; ebenso erwähnte
ich dieser Substanz auf S. 103 meiner im Jahre 1862 in London erschienenen Schrift
über Phosphorescenz.
Das Noctilucin ist nicht allein die Ursache des Leuchtens abgestandener Fische und
des Fleisches todter Thiere, sondern es wird auch von Glühwürmern, Leuchtkäfern,
Skolopendern und wahrscheinlich von allen im Dunkeln leuchtenden Thieren
abgesondert; dieselbe Substanz scheint auch ziemlich häufig von manchen lebenden
Pflanzen, z.B. von Agaricus, Euphorbia etc. und durch
die unter gewissen Bedingungen stattfindende Zersetzung pflanzlicher Stoffe (z.B.
bei der Fermentation der Kartoffeln etc.) erzeugt zu werden.
Bei gewöhnlicher Temperatur bildet das Noctilucin einen beinahe flüssigen,
stickstoffhaltigen Körper; es läßt sich dem Wasser beimischen, löst sich jedoch in
demselben nicht und scheint ein etwas niedrigeres spec. Gewicht zu haben als diese
Flüssigkeit; es ist weiß und enthält, wenn es aus einem lebenden oder auch todten
Thiere frisch abgeschieden worden, eine gewisse Menge Wasser, und besitzt einen
schwachen, dem der Caprilsäure etwas ähnlichen Geruch. In Alkohol und Aether ist es
unlöslich, wird dagegen von Mineralsäuren und Alkalien leicht gelöst und zersetzt;
durch Behandlung mit Kali wird aus ihm Ammoniak entwickelt. Beim Gähren in Berührung
mit Wasser läßt es nach einiger Zeit einen Geruch nach faulem Käse wahrnehmen. So
lange es sich in feuchtem Zustande befindet, absorbirt das Noctilucin Sauerstoff und
entwickelt Kohlensäure; läßt man es aber an der Luft stehen, so trocknet es zu
dünnen, durchsichtigen, ganz structurlosen Schichten aus, und zeigt dann viel
Aehnlichkeit mit den aus der Gartenschnecke (Limax)
gewonnenen Mucin. Frisch dargestellt, phosphorescirt das
Noctilucin stark; diese Lichtentwickelung rührt von seiner in Berührung mit feuchter
Luft stattfindenden Oxydation her. Es vermag selbst unter Wasser zu leuchten und
zwar so lange, als in letzteren Luft enthalten ist. In Sauerstoffgas leuchtet es etwas stärker; ich habe
aber beobachtet, daß es stets mehr leuchtet, wenn der Wind aus Südwesten weht, d.h.
wenn viel Ozon in der Luft ist. Diese Lichterzeugung hört sogleich auf, wenn die
Oxydation der Substanz vollständig erfolgt ist; adhärirt aber dem Noctilucin die
geringste Menge Luft, so leuchtet es einige Augenblicke auch in feuchter
Kohlensäure.
Bei den leuchtenden Thieren wird das Noctilucin von einem besonderen Organe
abgesondert, gleich wie die Galle von der Leber secernirt wird, und es wird, allem
Anscheine nach, zur Lichterzeugung verwendet, sobald es entstanden ist. Auch wird es
unter gewissen Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnissen von todter
thierischer Substanz, von Fleisch, Blut und zuweilen auch von Urin hervorgebracht.
Das Noctilucin gibt, aus welcher Quelle es auch abstammen mag, stets dieselbe Art
von Licht, nämlich ein fast monochromatisches Licht, dessen Spectrum, welches
hauptsächlich zwischen den Linien E und F sichtbar ist, soweit meine Beobachtungen reichen,
dieselben chemischen Eigenschaften besitzt. Es wird von der Scolopendra electrica in ziemlich reinem Zustande abgesondert und gegen
den Septembermonat kann man eine zur Untersuchung der Haupteigenschaften dieses
Stoffes genügende Menge desselben in der Weise sammeln, daß man mehrere Exemplare
dieser Myriapoden in einer großen Glas- oder Porzellanschale umherlaufen
läßt. Auch aus dem Leuchtorgane der Lampyren und von der leuchtenden Oberfläche
todter Fische kann man Noctilucin, freilich in weniger reinem Zustande erhalten,
indem man die mittelst eines Skalpells zusammengeschabte phosphorescirende Substanz
auf angefeuchtetem Filtrirpapier sammelt.
Bei den höher organisirten Leuchtthieren, wie Insecten (Lampyren, Elateren etc.),
steht die Absonderung des Noctilucins ohne Zweifel in gewissem Grade unter dem
Einflusse des Nervensystemes, so daß diese Thiere die Fähigkeit besitzen, ihr
Leuchten willkürlich aufhören zu lassen. In diesem Falle wird die Absonderung
momentan gehemmt; bekanntlich leuchten aber die Eier der Lampyren, nachdem sie
gelegt worden, einige Zeit lang, daher auch sie eine geringe Menge Noctilucin
enthalten müssen. Bei den auf einer weit niedrigeren Entwicklungsstufe stehenden
Leuchtthieren, wie bei der kleinen Noctiluca miliaris
des Canales und der Nordsee, bei den biegsamen Polypen etc. scheint ein für die
Erzeugung des Leuchtens bestimmtes specielles Organ zweifellos zu bestehen, und da
wo wir fast keine Andeutungen eines Nervensystemes finden, scheint die Absonderung
der leuchtenden Substanz oft dem Einflusse der äußeren Umstände unterworfen zu
seyn.