Titel: | Ueber den Chlorkalk; von Prof. Fr. Crace Calvert in Manchester. |
Fundstelle: | Band 206, Jahrgang 1872, Nr. XXXIX., S. 144 |
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XXXIX.
Ueber den Chlorkalk; von Prof. Fr. Crace Calvert in
Manchester.
Calvert, über den Chlorkalk.
I. Zusammensetzung des
Chlorkalkes.
Wenn man durch eine concentrirte Lösung von Chlorkalk Kohlensäure leitet, so schlägt
sich kohlensaurer Kalk nieder, und die Flüssigkeit nimmt einen starken Geruch nach
unterchloriger Säure an. Der unterchlorigsaure Kalk wird hierbei zersetzt, und der
entstehende kohlensaure Kalk entspricht daher der Menge desselben. Auf dieser
Reaction beruht das von dem Verf. angewendete Verfahren zur Analyse des
Chlorkalkes.Eine Notiz über dieses Verfahren wurde bereits im polytechn. Journal Bd. CCIV S. 489 mitgetheilt.
Man erschöpft ein bestimmtes Gewicht des Chlorkalkes, etwa 2 Gramme, mit kaltem
Wasser. Man erhält einen unlöslichen Rückstand, und die filtrirte Lösung wird mit
Kohlensäure behandelt, welche das Chlorcalcium nicht angreift, den
unterchlorigsauren Kalk aber zersetzt. Wenn aller Kalk desselben gefällt ist, löst
ein Theil des kohlensauren Kalkes sich als Bicarbonat wieder auf; man muß daher die
Flüssigkeit längere Zeit kochen, damit das Bicarbonat wieder zersetzt wird. Der
kohlensaure Kalk wird dann abfiltrirt und in schwefelsauren Kalk verwandelt, aus
dessen Gewicht die Menge des Kalkes, welcher in Verbindung mit unterchloriger Säure
vorhanden war, sich sehr annähernd berechnen läßt. Die Flüssigkeit enthält das
Chlorcalcium; man kann entweder durch salpetersaures Silberoxyd das Chlor darin
bestimmen und aus der Menge desselben diejenige es Chlorcalciums berechnen, oder man
kann letzteres direct bestimmen, indem man die Flüssigkeit zur Trockne abdampft und
den Rückstand schmilzt und wägt; diese beiden Methoden geben dasselbe Resultat.
Der Verf. operirte mit verschiedenen Chlorkalksorten, welche aus den bedeutendsten
Fabriken Englands stammten, und theilt folgende Resultate seiner Analysen mit.
Deacon I
Deacon IIDie Chlorkalksorte Deacon I war mit Chlor
welches durch Braunstein aus Salzsäure entwickelt, die Sorte Deacon II mit Chlor welches nach dem
neuen Verfahren von Deacon durch
Einwirkung von Luft und Salzsäuregas auf Kupfersalze erhalten war,
dargestellt worden.
Weldon
Cellar
Sullivan
Unlöslicher Theil
10,00
10,20
9,50
8,50
6,60
LöslicherThei
CaO, ClOCaClCaO, SO³
25,13 52,70Spuren
28,75 46,00Spuren
26,35 49,55 0,45
29,00 48,40 0,60
25,00 50,35 0,65
Wasser
12,17
15,05
14,15
13,50
17,40
––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
100,00
100,00
100,00
100,00
100,00
Man könnte vielleicht einwenden, daß während des Einleitens von Kohlensäure oder
während des nachherigen Kochens eine Zersetzung eingetreten sey, welche die Menge
des Chlorcalciums vermehrt habe; der Verf. wollte deßhalb diese Verbindung auch
direct bestimmen. Zu diesem Zweck behandelte er den Chlorkalk mit absolutem Alkohol,
welcher nur das Chlorcalcium auflöst, und er constatirte, daß die Quantität von
Chlorcalcium, welche dieses Verfahren gibt, genau dieselbe ist, wie diejenige,
welche man mittelst des oben angegebenen analytischen Verfahrens findet.
Durch diese Versuche wird bewiesen, daß der Chlorkalk wirklich Chlorcalcium enthält
und nicht eine Verbindung von Chlor mit Kalk ist. Wäre Letzteres der Fall, so müßte
sich bei der Behandlung des Chlorkalkes mit Kohlensäure Chlor entwickeln, während
dabei in Wirklichkeit nur unterchlorige Säure frei wird.
Rechnet man die oben angegebenen Mengen von unterchlorigsaurem Kalk und Chlorcalcium,
welche der Verf. in verschiedenen Chlorkalksorten gefunden hat, in der Art um, daß
ihre Summe 100 wird, so erhält man folgende Zahlen:
Deacon I
Deacon II
Weldon
Cellar
Sullivan
Mittel
CaO, ClO
32,29
38,46
34,71
38,76
33,17
35,45
CaCl
67,71
61,54
65,29
61,24
66,83
64,55
Diese Reihe von Chlorkalksorten verschiedenen Ursprunges oder verschiedener
Fabricationsweise hat hiernach nahezu das Mengenverhältniß von 1 Theil
unterchlorigsaurem Kalk auf 2 Theile Chlorcalcium ergeben. Der Verf. ist deßhalb der
Ansicht, daß man die Zusammensetzung des bleichenden Theiles des Chlorkalkes durch
die Formel CaO, ClO + 2 CaCl ausdrücken könne.Die Redaction der Annal. de chim. et de pys..
bemerkt mit Recht, daß diese Formel über das dritte Aequivalent des
Sauerstoffes keine Rechenschaft gibt; denn man hätte für die Bildung des
Chlorkalkes die Gleichung3 CaO + 3 Cl = CaO, ClO + 2 CaCl ... + O.Der Verf. müsse also irgend einen Umstand übersehen haben. Er findet, daß die von ihm gefundenen Zahlen mit dieser Formel genügend
übereinstimmen, während sie von der bisher allgemein angenommenen Formel CaO, ClO +
CaCl gänzlich abweichen. Den beiden Formeln entsprechen nämlich folgende Zahlen,
denen das Mittel der von dem Verf. gefundenen Zahlen beigefügt ist.
Berechnet nach der Formel
CaO, ClO + 2 CaCl
CaO, ClO + CaCl
Gefunden
Unterchlorigs. Kalk
39,17
56,22
35,45
Chlorcalcium
60,83
43,78
64,55
Der Verf. bemerkt, durch die Resultate welche er erhalten habe, werde außerdem
bewiesen, daß man den löslichen Theil des Chlorkalkes nicht als ein Oxychlorür (CaO,
Cl) ansehen könne; denn in diesem Fall würde derselbe in 100 Theilen aus 55,90
Theilen Chlor und 44,10 Theilen Kalk bestehen.
II. Wirkung der Wärme auf den
Chlorkalk.
Die Untersuchung des Verf. über die Wirkung der Wärme auf den Chlorkalk ist noch
nicht beendet, weßhalb er für jetzt nur Folgendes mittheilt.
Wenn man eine nicht filtrirte Chlorkalklösung langsam erhitzt, so tritt, wenn die
Temperatur bis gegen 70° C. gestiegen ist, eine Entwickelung von
Sauerstoffgas ein, wie schon Morin u.a. gefunden haben.
In dem Augenblick wo das Gas sich zu entwickeln beginnt, nimmt die Flüssigkeit eine
schöne rosenrothe Farbe an, welche sie nach dem Erkalten behält. Wenn man aber eine
filtrirte Lösung anwendet, so tritt keine Färbung ein. Der Verf. dachte, daß die
Färbung von Spuren von Manganchlorür herrühre; aber die Versuche, welche er
anstellte um die Gegenwart dieses Körpers nachzuweisen, bestätigten seine Vermuthung
nicht. Die Färbung trat überdieß auch bei einem im Laboratorium des Verf. aus reinem
Kalk und reinem Chlor bereiteten Chlorkalk ein, gleichwie auch bei dem Chlorkalk
welcher nach dem neuen Deacon'schen Verfahren ohne
Anwendung einer Manganverbindung bereitet war. Der Verf. hält es deßhalb für
wahrscheinlich, daß während der Sauerstoffentwickelung eine eigenthümliche chlorirte
Kalkverbindung entsteht, welche eine rosenrothe Farbe besitzt.
Die Menge des entwickelten Sauerstoffgases entspricht nicht der Menge von
unterchlorigsaurem Kalk, welche der betreffende Chlorkalk enthält, sondern ist weit
geringer, als sie seyn müßte, wenn der gesammte Sauerstoff des unterchlorigsauren
Kalkes entwickelt würde, und zwar in variirendem Verhältniß geringer. So erhielt der
Verf. aus 100 Th. eines Chlorkalkes welcher 29 Proc. unterchlorigsauren Kalk
enthielt, 1,24 Th., aus 100 Th. eines Chlorkalkes welcher 25 Proc.
unterchlorigsauren Kalk enthielt, 1,77 Th. Sauerstoffgas. Wenn der gesammte
unterchlorigsaure Kalk in Chlorcalcium und Sauerstoff zerfallen wäre, so hätten im
ersten Falle 6,48 Th., im letzten Falle 5,59 Th. Sauerstoffgas entwickelt werden
müssen. Diese geringere Sauerstoffentwickelung gibt nach dem Verf. im Verein mit der
erwähnten Färbung zu der Vermuthung Anlaß, daß eine von dem unterchlorigsauren Kalk
verschiedene Verbindung von Sauerstoff, Chlor und Calcium entsteht.Die Redaction der Annal. de chim. et de phys.
bemerkt hierzu mit Recht, daß der Verf. die beim Erhitzen stattfindende
Zersetzung eines Theiles des unterchlorigsauren Kalkes in Chlorcalcium und
chlorsauren Kalk unberücksichtigt läßt.
Eine Chlorkalklösung, welche erhitzt, gefärbt und eines Theiles ihres Sauerstoffes
beraubt ist, besitzt genau dasselbe Entfärbungsvermögen wie dieselbe Lösung im
gewöhnlichen, nicht erhitzten Zustande; diese interessante Thatsache erfordert eine
weitere Untersuchung.
Wenn man Kohlensäure durch eine kalt bereitete Chlorkalklösung leitet, so entsteht,
wie schon erwähnt, ein starker Geruch nach unterchloriger Säure. Leitet man dagegen
Kohlensäure durch eine Chlorkalklösung welche durch Erhitzen einen Theil ihres
Sauerstoffes verloren und eine rosenrothe Farbe angenommen hat, so erhält man nicht
bloß unterchlorige Säure, sondern auch Chlor in großer Menge.
Diese Thatsache dürfte, im Verein mit den vorher erwähnten Resultaten, das Studium
der Einwirkung der Wärme auf Chlorkalklösung sehr interessant machen, und der Verf.
hofft, dasselbe bald wieder aufnehmen zu können. (Annales de
chimie et de physique, 4. série, t.
XXVII p. 121, September 1872; polytechnisches
Centralblatt, 1872 S. 1220.)