Titel: | Das Schrotbrod, seine Bestandtheile und Zubereitung, und seine Bedeutung für die Gesundheit; von H. Vogel. |
Fundstelle: | Band 206, Jahrgang 1872, Nr. CXXXIII., S. 480 |
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CXXXIII.
Das Schrotbrod, seine Bestandtheile und
Zubereitung, und seine Bedeutung für die Gesundheit; von H. Vogel.
Vogel, über Schrotbrod und seine Bedeutung für die
Gesundheit.
Mißernten waren eine der ersten Veranlassungen, daß Volkswirthe und Physiologen, die
sich nach einem billigen Surrogat des theuren Brodmehles umsahen, zuerst auf die
Kleie aufmerksam wurden, und bei der Untersuchung fanden, daß diese gerade die für
die Ernährung werthvollsten Bestandtheile des Getreidekornes enthält. Das ganze
Weizenkorn besteht nach Dempwolf (polytechn. Journal,
1869, Bd. CXCII S. 332) aus 14,352 Proc. Kleber, 65,407 Proc. Stärkemehl, 8,225
Proc. Holzfaser und Fett, 1,505 Proc. Asche und 10,511 Proc. Wasser.Wenn von anderen Chemikern andere Verhältnisse ermittelt worden sind, so
erklärt sich dieß daraus, daß der Fett-, Kleber- und
Aromgehalt des Getreides nach Klima, Bodenart, Düngung etc. sehr variirt.
Das Verhältnis der inneren Theile des Kornes zu den äußeren bleibt aber
dabei dasselbe. Aehnlich sind die Verhältnisse bei den Samen der übrigen Getreidearten.
Indeß ist das Korn nicht durch seine ganze Masse gleichmäßig zusammengesetzt.
Dasselbe besteht nämlich aus verschiedenen Theilen; zunächst aus dem eigentlichen
Samen oder Albumen, der von zwei Samenhüllen umgeben ist, und an dessen Grunde sich
der Keim oder Embryo befindet; die Fruchthülle oder das Pericarpium umschließt das
Ganze. Diese verschiedenen Theile des Samenkornes bestehen nun aus verschiedenen Stoffen. Das
Albumen enthält in seinen inneren Zellen hauptsächlich Stärkekörner, während die
äußerste Zellenreihe desselben, wie der Embryo, die Samenhüllen und Fruchtschalen,
besonders reich an Kleber sind. Auch enthalten diese den größten Theil der Salze,
der Fette und des Zellstoffes. Beim Mahlen des Getreides verwandelt sich nun
hauptsächlich der ganze innere Theil des Samens in feines Mehl, während die beiden
Samenhüllen, die Fruchtschale und der Embryo hauptsächlich die Kleie liefern, indem
die Zellen derselben fest an der Holzfaser sitzen und sich deßhalb nur schwer
durchbeuteln lassen. Je feiner demnach das Mehl gemahlen ist, desto weniger
stickstoffhaltige Verbindungen (Kleber) enthält es. Während Weizenkleie nach v. Bibra und Oudemans 13,46 Proc.
Kleber und 26,11 Proc. Stärkemehl enthält, zeigt das Weizenmehl 11,16 Proc. Kleber
und 63,64 Proc. Stärkemehl. Auch die Salze des Korns, das Fett, die aromatischen
Stoffe und der Zellstoff gehen beim Mahlen hauptsächlich in die Kleie über, so daß
Weizenkleie z.B. fünf Mal so viel Salze (nämlich 4,47 Proc. gegen 0,86 Proc.) und
drei Mal so viel Fett enthält als Weizenmehl. Ganz ähnlich ist das Verhältniß
zwischen Kleie und Mehl bei den übrigen Getreidearten. Da aber der Kleber und die
phosphorsauren Salze für die Ernährung gerade die werthvollsten und am schwersten zu
ersetzenden Bestandtheile aller Nahrungsmittel bilden, so wird durch die Abscheidung
der Kleie aus dem Mehl dieses eines großen Theiles seiner werthvollsten
Bestandtheile beraubt. Da 100 Theile Weizenkorn im sehr günstigen Falle 78,2 feines
Mehl und 18,5 Kleie liefern, und das feine Mehl 11,16 Proc. Kleber, Kleie dagegen
13,46 Proc. Kleber enthält, so beträgt bei Ausscheidung der Kleie der Kleberverlust
allein 22,2 Proc. Diese Verschwendung des werthvollsten Nährstoffes wird durch die
Benutzung desselben als Viehfutter nicht entfernt ausgeglichen.
Nach und nach haben sich auch alle bedeutenderen Physiologen gegen die Absonderung
der Kleie vom Brodmehl erklärt. So sagt Liebig in den
„chemischen Briefen:“
„die Absonderung der Kleie vom Mehl ist eine Sache des Luxus und für den
Ernährungswerth eher schädlich als nützlich.“ Und Klencke sagt in seinem „Hauslexikon der
Gesundheitslehre 1865,“ S. 182: „der eigentliche und wahre
Nahrungswerth des Brodes liegt in seinem Kleiengehalt; dieß ist trotz vielfacher
Versicherungen Sachverständiger noch immer nicht zum Bewußtseyn des Voltes
gelangt.“
Dabei ist nicht zu übersehen, daß der Gehalt des Mehles an abgeriebenem Steinstaub
der Mahlsteine desto größer ist, je feiner das Mehl gemahlen wird. Dieser Steinstaub
variirt von 0,012 bis 0,1 Proc. Ferner sind directe Verfälschungen des Mehles durch
betrügerische Beimischungen fremder Stoffe um so eher möglich, je feiner das Mehl ist,
da sie in diesem nicht so leicht erkannt werden, als in grob geschrotetem Mehl; sie
kommen deßhalb bei feinem Mehle auch gar nicht selten vor.
Als eine andere Quelle der Verschwendung von Nahrungsstoff bei der heutigen Art der
Brodbereitung erkannte man die Säuerung und Gährung des Brodes. Ganz abgesehen
davon, daß besonders bei der Hausbäckerei, wo ziemlich selten gebacken wird, es
vorkommt, daß der Sauerteig von einem Backtage zum anderen nicht allein übermäßig
sauer wird, sondern auch oft zum Theil in Fäulniß übergeht, bewirkt die Säuerung wie
die Vermischung des Brodes mit Hefe die Zersetzung eines beträchtlichen Theiles des
aus dem Stärkemehl des Getreides gebildeten Stärkezuckers in Kohlensäure und
Alkohol, und die theilweise weitere Umwandlung des letzteren in Essigsäure, welche
Stoffe, mit Ausnahme eines Theiles der Essigsäure, in der Backofenhitze sämmtlich
verflüchtigt werden, wodurch eben das Brod seinen aufgeblähten Zustand erhält.
Dieser in die Luft verjagte Gährverlust beträgt nach Liebig 4 Proc. der gesammten Brodsubstanz, ein Verlust der, wenn man die
Menge des überhaupt consumirten Brodes in Betracht zieht, in wirthschaftlicher
Hinsicht von enormer Bedeutung ist.
Außer Volkswirthen fanden auch Aerzte an der gewöhnlichen Art der Brodbereitung
Vieles auszusetzen, naturgemäß zuerst in England und Nordamerika, wo man es in der
Kunst, recht feines Weißbrod herzustellen, am weitesten gebracht hat. In England
verdammte schon vor 400 Jahren Thomas Tryon das Brod aus
gebeuteltem Mehl als verstopfend und schwer verdaulich. In Nordamerika wiesen zuerst
Sylvester Graham und Alcott
darauf hin, daß in den östlichen Theilen des Landes, wo allgemein das feinste
Weißbrod als Nahrung dient, die Menschen vielfach an kranken Zähnen, schlechter
Verdauung und trägem Stuhlgang litten, während in den weniger cultivirten westlichen
Staaten, wo meist noch Brod aus grobem, ungebeuteltem Mehl genossen wurde, diese
Leiden nur feiten sich zeigten. Speciellere Beobachtungen ergaben denn auch, daß
gerade die Holzfaser oder Cellulose, welche beim Beuteln des Mehles fast ganz in der
Kleie bleibt, – sie beträgt beim feinen Weizenmehl nur 2 bis 3 Proc., während
sie beim ganzen Korn oder Schrotmehl etwa 7 Proc. beträgt –, entgegen der
bisher allgemein herrschenden Ansicht zu einer vollständigen und leichten Verdauung
des Brodes und Ausstoßung der Fäces sehr nothwendig ist, wenn sie auch selbst dabei
nicht assimilirt, d.h. in's Blut aufgenommen wird. Wenn auch die Vorschläge der
genannten Männer anfangs ungehört verhallten, so konnten sie zu Zeiten der
Theuerung, als vom ökonomischen Standpunkte aus die gebräuchliche
Brodbereitungsart als irrationell verworfen wurde, nicht mehr ganz überhört werden.
Aber die Vorschläge zum Besseren gingen erst vielfach aus einander. Während die
Einen nur einen Auszug der Kleie zum Einteigen des Mehles benutzen und die Säuerung,
resp. Gährung dadurch überflüssig machen wollten, daß sie dem Teige kohlensaures
Wasser beikneteten, schlugen Andere, wie Liebig und Rumford, vor, dem fein gebeutelten Mehl wieder einen
entsprechenden Theil Kleie in Substanz zuzusetzen, und die Gährung dadurch zu
ersetzen, daß man dem Teige Chemikalien (entweder Soda und Salzsäure, oder sauren
phosphorsauren Kalk mit etwas Magnesia, doppelt-kohlensaurem Natron und
Chlorkalium) zusetzte, aus denen sich dann die Kohlensäure entwickelte. Noch Andere,
wie der genannte nordamerikanische Physiolog Graham,
schlugen vor, das Getreide nur zu schroten, und dieses Schrot einfach mit Wasser
geknetet zu verbacken. Die Schwierigkeit der Imprägnation des Teiges mit
kohlensaurem Wasser machte, abgesehen von dem sonst geringen Vortheil, das
erstgenannte Verfahren von vorn herein für den allgemeinen Gebrauch ungeeignet. Auch
das Liebig-Horsford'sche Verfahren scheitert an
der Schwierigkeit, das richtige Verhältniß zur gegenseitigen Sättigung der
Chemikalien – die zudem leicht durch giftige Stoffe, wie Arsenik,
verunreinigt seyn können – immer genau zu treffen, so wie die Mischung der
Kleie mit dem feinen Mehl stets constant herzustellen. Dagegen ist das Graham-Brod, welches der Verf. Schrotbrod nennt, in verhältnißmäßig kurzer Zeit nicht
nur in Nordamerika, sondern auch in England, Deutschland, Oesterreich, der Schweiz
etc. sehr vielfach in Gebrauch gekommen.
Zur Herstellung desselben wird hauptsächlich Weizen verwendet, obwohl auch andere
Getreidearten, wie Roggen und Mais, recht gut, entweder für sich oder mit Weizen
gemischt, benutzt werden können, und zwar empfiehlt sich besonders die unter dem
Namen Hartweizen vorkommende Varietät. Ferner muß das Korn, ehe es gemahlen wird,
erst möglichst gut gesäubert werden. Wo es geschehen kann, empfiehlt es sich,
dasselbe sogar erst zu waschen und vor dem Zerkleinern wieder zu trocknen. Das
Zerkleinern geschehe nur durch einfaches Schroten; indeß wähle man wegen der
schlechten Kauwerkzeuge der meisten Menschen keinen zu groben Schrotgang. Dieses
Schrotmehl, welches, je frischer, desto aromatischer ist, wird mit lauwarmem Wasser,
ohne Hefe, Sauerteig, Salz oder sonstige Zusätze, zu einem losen Teige geknetet, den
man etwa eine Stunde lang an einem lauwarmen Orte stehen läßt, dann in etwa
pfundschwere Brode formt und in einem gut geheizten Ofen sofort vollständig
durchbäckt. Das so hergestellte Schrotbrot) entspricht auch dem Nahrungsbedürfniß
des gesunden, wie
des kranken Organismus weitaus am besten. Es enthält die gesammten Bestandtheile des
Getreidekorns in möglichst wenig veränderter Form und bietet deßhalb, wie schon
erwähnt, eine weit bessere Verwerthung desselben, als das der Kleie beraubte und
gesäuerte Brod. Während nach v. Bibra der westphälische
Pumpernickel 6,70 Proc. und das gewöhnliche Nürnberger Weißbrod 6,54 Proc. Kleber,
0,58 Proc. Salze und 2 Proc. Cellulose enthält, zeigt das Schrotbrod 10,2 Proc.
Kleber, 1,5 Proc. Salze und 7 Proc. Cellulose. Dieser größere Gehalt des Graham-Brodes an Kleber, phosphorsauren Alkalien
und Holzfaser geben demselben eine weit größere Nahrhaftigkeit und Verdaulichkeit,
und da es die sonst zu einem billigeren Preise weggegebene Kleie enthält, auch
größere Billigkeit. Während das feine, durch die Säuerung aufgeblähte gewöhnliche
Brod sich im Munde leicht zu kleinen festen Klümpchen zusammenballt, welche vermöge
ihrer Elasticität der Thätigkeit der Zähne leicht ausweichen, auf welche deßhalb der
bei der geringen mechanischen Reizung nur spärlich abgeschiedene Speichel und
Magensaft nicht genügend einwirken, veranlaßt die härtere Beschaffenheit des
ungesäuerten Schrotbrodes ein besseres und längeres Zerkauen desselben, und die
mechanische Reizung der dasselbe gleich feinen Scheidewänden durchziehenden
Cellulose eine reichlichere Absonderung des Speichels, welche erhöhte Thätigkeit der
Zähne dieselben besser conservirt als alles Zahnpulver. Während ferner Magen und
Darm auf die nur wenig aufgelockerte Speisemasse des gewöhnlichen gesäuerten Brodes
nur wenig einwirken und dieselbe nur träge fortbewegen (was häufig Säuerung und
Schleimansammlung im Magen und Stuhlverstopfung zur Folge hat), bietet das zerkaute
Schrotbrod, indem es sich leicht auflockert, der Thätigkeit der Magenmuskeln und des
Magensaftes eine sehr große Fläche zur Einwirkung dar, hebt die peristaltische
Bewegung des Magens, verhindert durch feine reibende und reinigende Wirkung
Verschleimungen des Magens und der Gedärme, und beseitigt endlich die hartnäckigste
Stuhlverhärtung und die damit zusammenhängenden Krankheiten viel leichter und
ungefährlicher, als alle Laxirmittel und Klystirspritzen im Stande sind. Das
Schrotbrod wird außer von Gesunden auch von Kranken sehr wohl vertragen; selbst
kleine Kinder kann man, sobald sie Zähne haben, recht gut daran gewöhnen. Dieselben
gedeihen, wenn man es ihnen mit dem nöthigen Milchzusatz als ausschließliche Nahrung
reicht, vorzüglich. Höchst beweisend ist auch der Versuch Magendie's, dem zufolge ein Hund starb, welcher 40 Tage lang
ausschließlich mit weißem Weizenbrod gefüttert worden war, während ein zweiter Hund,
welcher dieselbe Zeit lang Kleienbrod erhalten hatte, keine Störung seiner
Gesundheit erlitt. Dabei
hat das Schrotbrod einen viel angenehmeren und aromatischeren Geschmack als selbst
das feinste, auf gewöhnliche Weise hergestellte Brod, wovon man sich durch einen
Versuch sehr leicht selbst überzeugen kann. Es ist also schmackhafter, nährender,
verdaulicher und billiger, als das gewöhnliche Brod. Seine Vorzüge sind so in die
Augen springend, und die eiserne Nothwendigkeit zwingt die darbende und kranke
Menschheit so unabweisbar zu immer weiterer Einführung desselben, daß sicherlich
nicht mehr lange zutreffen wird, was Pappenheim bei
Besprechung dieses Brodes in der neuesten Ausgabe seines „Handbuches der
Sanitätspolizei,“ Bd. II S. 793 sagt: „die leidige
Gewohnheit hindert die allgemeine Einführung dieses einzig rationellen Brodes;
nur die Vegetarianer bevorzugen es verständiger Weise.“
(Industrieblätter, 1872, Nr. 35 und 36.)