Titel: | Ueber die Lichtempfindlichkeit der Silberhaloidsalze unter alkalischer Entwickelung; von H. Vogel. |
Fundstelle: | Band 208, Jahrgang 1873, Nr. LIV., S. 213 |
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LIV.
Ueber die Lichtempfindlichkeit der Silberhaloidsalze unter alkalischer Entwickelung; von H. Vogel.
Aus den Berichten der deutschen
chemischen Gesellschaft zu Berlin, 1873, Nr. 3.
Vogel, über die Lichtempfindlichkeit der Silberhaloidsalze unter alkalischer Entwickelung.
Wenn man frisch gefälltes, im Dunkeln dargestelltes, reines Chlorsilber, Bromsilber und Jodsilber neben einander dem Lichte
exponirt,
so färbt sich bekanntlich Chlorsilber am dunkelsten, weniger dunkel das Bromsilber, noch weniger das Jodsilber.
So lange man die Farbenänderung als einen Maaßstab für die Lichtempfindlichkeit annahm, betrachtete man daher Chlorsilber
als das
empfindlichste, Jodsilber als das am wenigsten empfindliche der drei Salze.
Die Ansichten änderten sich sofort, als die Photographie erfunden wurde. In dem wichtigsten Zweige derselben, dem Negativprocesse,
wird
nicht das Chlorsilber, sondern Jodsilber als lichtempfindliche Fläche in der Camera obscura gebraucht, und
dieses so kurze Zeit in derselben belichtet, daß ein Lichteindruck überhaupt nicht sichtbar ist. Dieser erscheint erst, wenn
man die
photographische Platte mit einer Lösung übergießt, aus welcher sich pulveriges Silber im
Entstehungszustande ausscheidet, z.B. eine Mischung verdünnter Pyrogallussäure- oder Eisenvitriollösung mit einer verdünnten
angesäuerten Silberlösung. Es schlägt sich dann merkwürdiger Weise das pulverige Silber nur an den vom Licht getroffenen Stellen
nieder. Das ist der bekannte photographische „Entwickelungsproceß.“
Belichtet man Chlorsilber, Bromsilber und Jodsilber gleich lange und „entwickelt“ mit der Mischung von
Eisenvitriol und saurer Silberlösung, so schwärzt sich das Jodsilber am
kräftigsten durch angezogenes niedergeschlagenes Silber, weniger das Bromsilber, am wenigsten das Chlorsilber.
Jodsilber ist demnach photographisch das empfindlichste Salz, Chlorsilber das am
wenigsten empfindliche.
Dieser Satz ist bis in die neueste Zeit hinein unangefochten geblieben, er erlitt nur durch meine Untersuchungen insofern
eine
Erweiterung – als eine Mischung von Jod- und Bromsilber sich für schwaches Licht empfindlicher zeigte, als Jodsilber
allein, und nach Müllers und Schultz-Sellacks Untersuchungen auch für das
Hellblau und Grün des Spectrums empfindlicher ist, als reines Jodsilber (letzteres ist für gedachte Farben so gut wie unempfindlich).
Diese Mischung von AgJ und AgBr wird daher in der praktischen Photographie schon seit Jahren ausschließlich angewendet.
Die Präparation der „Platten“ geschieht noch immer durch Ueberziehen von Glasflächen mit Collodium, welches
Jod- und Bromsalze enthält, und Eintauchen der halbtrockenen Schicht in eine Silberlösung. Die aus dem Silberbade kommende
Platte wird feucht von adhärirender Silberlösung zur Exposition gebracht (sogen. nasse Platten). Diese
Silberlösung spielt dabei eine wichtige Rolle, sie bindet das Jod, welches bei der Belichtung aus dem AgJ frei wird, und wirkt
dadurch
als Beschleuniger der photographischen Zersetzung, (sogen. „Sensibilisator“) sie liefert ferner das für die
„Entwickelung“ nöthige Silbersalz, so daß man die exponirte Platte einfach nur mit einer Eisenvitriollösung
zu übergießen braucht.
Wäscht man die Silberlösung von der Platte, so wird sie weniger empfindlich, bleibt aber im getrockneten Zustande lange haltbar
(Trockenplatten). Man kann die Empfindlichkeit der Trockenplatten steigern durch Ueberzüge jodbindender
Stoffe, z.B. Tannin, gewisse Harze, Morphin, Gallussäure etc.
Die Entwickelung belichteter Trockenplatten geschieht durch Pyrogallussäure und saure Silberlösung, wie oben
angegeben. Eine andere Entwickelungsmanier wurde vor 8 Jahren in Amerika publicirt, sie besteht in dem Aufgießen von Pyrogalluslösung,
die etwas Alkali enthält. Diese bewirkt eine Reduction der Silbersalze an den belichteten Stellen (alkalische
Entwickelung). – Bis in die neueste Zeit hinein benutzte man Jodbromsilber für Trockenplatten als
photo-chemische Schicht.
Vor einigen Jahren veröffentlichte Lea ein Trockenverfahren, bei dem merkwürdiger Weise nicht Jodbromsilber,
sondern nur Bromsilber
als lichtempfindliches Material benutzt werde.
Obgleich Bromsilber nach den bisherigen Erfahrungen photographisch erheblich unempfindlicher als Jodsilber ist, erschienen
diese
Platten dennoch außerordentlich empfindlich, empfindlicher sogar als Jodbromsilber-Trockenplatten. Lea wandte die oben erwähnte alkalische Entwickelung an.
Man suchte diese außerordentliche Empfindlichkeit des Bromsilbers auf die verschiedenste Weise zu erklären. Schultz-Sellack vermuthet, daß durch Trocknen der gewaschenen empfindlichen Schicht die Empfindlichkeit eine andere
würde. Er sagt (Photographic Mosaic 1872 Philadelphia, S. 59): „Während die Empfindlichkeit von
Jodsilber in Trockenplatten drei- oder viermal geringer ist als die von nassen Platten, scheint Bromsilber trocken wie naß
dieselbe Empfindlichkeit zu besitzen.“
Um über diese räthselhaften Punkte Klarheit zu gewinnen, unternahm ich im Laufe des letzten Sommers eine Reihe von Untersuchungen
mit
Chlorsilber-, Bromsilber- und Jodsilberplatten, die auf verschiedenem Wege präparirt und auch auf verschiedenem Wege
entwickelt wurden. Zunächst wurden Collodien hergestellt, welche Chlorcadmium, Bromcadmium und Jodcadmium in äquivalenten
Mengen
enthielten, und damit überzogene Platten im Silberbade sensibilisirt und dann gewaschen, getrocknet und gleich lange unter
gleichen
Lichtverhältnissen in der Camera obscura auf denselben Gegenstand belichtet, dann in gewöhnlicher Weise
mit Pyrogallus- und saurer Silberlösung entwickelt.
Es erwies sich Jodsilber empfindlicher als Bromsilber, dieses wieder empfindlicher als Chlorsilber, also entsprechend den
Erfahrungen
in dem sogenannten nassen Proceß.
Ist das Licht nicht rein weiß, sondern durch Mangel an Violett und Indigo farbig, wie in den Schatten der Körper, so zeigt
Bromsilber
eine etwas größere Empfindlichkeit, eine Thatsache, die sich aus Schultz-Sellacks Beobachtung, daß
Bromsilber im hellblauen und grünen Spectral-Licht empfindlicher ist als Jod-Silber, leicht erklärt.
Unter gleichen Umständen zeigte sich auch Jodbromsilber dem reinen Jodsilber an Empfindlichkeit überlegen (s. o.). Von verschiedenen
Mischungen von Jod- und Bromsilber, welche ich versuchte, offenbart sich unter Silberlösung
belichtet eine Mischung von 5 Aequ. AgJ auf 1 Aequ. AgBr als die empfindlichste. Gewaschen und getrocknet erwiesen sich
dagegen bromreichere Platten (1 AgBr auf 1 AgJ) empfindlicher.
Ganz anders wurde das Resultat, als ich alkalische Entwickelung (1 Pyrogallussäure, 200 Wasser, 6 Tropfen
Aetzkalilösung von 10 Proc.) versuchte.
Als die beliebte Platte mit dieser Lösung übergossen wurde, zeigte sich das reine Bromsilber weitaus am
empfindlichsten, ihm folgte das Chlorsilber, diesem das Jodsilber.
Man ersieht daraus, daß unter der alkalischen Entwickelung die bisher gültige photographische Empfindlichkeitsscala beinahe
umgekehrt
wird.
Um nun zu erforschen, ob die Präparation der Platte irgend welchen Einfluß ausübe, versuchte ich auch das Collodium direct
zu
sensibilisiren. Ich setzte zu einem silbersalzhaltigen Collodium Jod-, Brom- und Chlorcadmium und erhielt so Emulsionen
mit höchst fein suspendirtem Chlorsilber, Bromsilber und Jodsilber; diese Emulsionen auf Platten ausgebreitet wie gewöhnliches
Collodium und gewaschen, ergaben dasselbe Resultat wie die im Silberbade präparirten Platten, d. i. für alkalische Entwickelung
war
Bromsilber empfindlicher als Chlorsilber, dieses empfindlicher als Jodsilber.
Nun wurden auch mit Tannin und Morphin überzogene Platten versucht; diese Ueberzüge erhöhten zwar die Empfindlichkeit, ohne
jedoch das
Resultat der Entwickelung zu beeinflussen. Bromsilber blieb mit alkalischer Entwickelung das empfindlichste.
Endlich versuchte ich eine Mischung von Jodsilber und Bromsilber, die sich für den gewöhnlichen sogenannten nassen photographischen
Proceß als das empfindlichste Material ergeben hat (s. o.). Auch diese Mischung stand bei alkalischer
Entwickelung dem reinen Bromsilber erheblich nach, übertraf aber an Empfindlichkeit das Jodsilber, so daß die Vermuthung
gerechtfertigt ist, daß die gemischte Schicht im Wesentlichen vermöge ihres Bromgehaltes wirkt.
Bei früheren Erfahrungen mit Trockenplatten war auch eine entwickelnde Wirkung der reinen Pyrogallussäure
beobachtet worden, d.h. eine Pyrogalluslösung 1 : 200 brachte auf einer belichteten Platte ohne Gegenwart von
salpetersaurem Silber oder Alkali ein Bild zum Vorschein.
Ich untersuchte auch diese Entwickelungsart, welche ich zum Unterschied von den beiden anderen die neutrale
nennen will.
Bei dieser neutralen Entwickelung zeigte sich Jodbromsilber am empfindlichsten, ihm folgte Bromsilber, endlich das Jodsilber,
also
wiederum verschieden von saurer sowohl als auch alkalischer Entwickelung. Eine geringe Spur Essigsäure (5 Tropfen Eisessig
auf 100
Kub. Cent. Pyrogalluslösung) reicht schon hin die Entwickelungsfähigkeit von reiner Pyrogalluslösung zu vernichten.
Dieser Umstand läßt die Vermuthung gerechtfertigt erscheinen, daß die
neutrale Entwickelung, trotz der Differenz der Resultate, vermöge einer Spur Alkali vor sich geht, die sich vielleicht überall
und
namentlich auch in destillirtem Wasser findet.
Die alkalische Entwickelung erklärt sich durch eine directe Reduction, welche die alkalische Pyrogallussäure schon auf nicht
belichtetes Bromsilber und Chlorsilber ausübt, die aber sicher noch leichter vor sich geht, wenn eine Zersetzung durch das
Licht
bereits eingeleitet ist. Jodsilber ist schwerer reducirbar; daher gegen diese Entwickelungsmanier auch indifferenter.
Das Resultat der Versuche läßt sich im Folgenden kurz zusammenfassen.
1) Die photographische Empfindlichkeit von Chlorsilber, Bromsilber und Jodsilber ist nicht bloß durch die
Intensität und Farbe des Lichtes, sondern auch wesentlich durch die Art der Entwickelung bedingt. Für saure Entwickelung und
weißes Licht ist die Scala:
Jodsilber > Bromsilber > ChlorsilberDas Zeichen > bedeutet hier „empfindlicher als.“
für alkalische Entwickelung dagegen
Bromsilber > Chlorsilber > Jodsilber.
Bei farbigem LichtD.h. bei Mangel an Violett und Indigo. (die Schatten der Körper sind stets farbig, weil das Reflexlicht, welches sie erhalten, von farbigen Körpern ausgeht) bleibt
die Empfindlichkeitsscala bei alkalischer Entwickelung dieselbe:
Bromsilber > Chlorsilber > Jodsilber,
für saure Entwickelung aber wird sie bei Trockenplatten:
Jodbromsilber > Bromsilber > Jodsilber.
Es ergibt sich hieraus, daß Jodsilber in Trockenplatten, die man alkalisch entwickeln will, völlig überflüssig
ist.
2) Bei nassen Platten und saurer Entwickelung erweist sich eine jodsilberreiche Mischung (5 AgJ + 1 AgBr)
als die empfindlichste. Bei Trockenplatten sind bromsilberreichere Mischungen vorzuziehen.
3) Die Art der Präparation übt auf die relative Empfindlichkeit der drei Silberhaloidsalze, so weit meine Untersuchungen reichen, keinen wesentlichen Einfluß aus.