Titel: | Ueber den Amianth und seine Verwendung in der Industrie, insbesondere seine Anwendung als Packung für Dampfmaschinenkolben; von St. John Vincent Day. |
Fundstelle: | Band 208, Jahrgang 1873, Nr. LXVI., S. 285 |
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LXVI.
Ueber den Amianth und seine Verwendung in der Industrie, insbesondere seine Anwendung als Packung
für Dampfmaschinenkolben; von St. John Vincent Day.
Auszug aus dem Bulletin de la
Société d'Encouragement, April 1873, S. 215.
Mit einer Abbildung auf Tab. VI.
Day, über Anwendung des Amianth zur Dampfmaschinenkolben-Packung.
Der Amianth (ἀμιάντοσ,
biegsamer Asbest, Steinflachs, Bergflachs) besteht aus kieselsaurem Kalk, kieselsaurer Magnesia, Eisen- und Manganoxydul.
Die
Kieselerde ist zuweilen durch Thonerde vertreten. Er ist in verschiedenen Zuständen bekannt, von dem der seidenartigen Biegsamkeit
an
bis zu dem einer politurfähigen Compactheit; in letzterem Zustande enthält er ungefähr 10 Procent Wasser.
Vorkommen. Der Amianth kommt hauptsächlich vor: in den Serpentinen von Piemont, Savoyen, Salzburg, Tirol,
in der Dauphiné, Ungarn, Schlesien, Corsica, Grönland und den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die bis jetzt bekannten
reichhaltigsten Lager sind die in den Vereinigten Staaten, Italien und Corsica.
In den Lagern der Staaten Carolina, Virginia und Maryland findet sich der Amianth
in compacten Massen, gewöhnlich mit fremden Körpern gemengt. Die Faser hat eine gelbliche, zuweilen bis in ein brillantes
Orange
spielende Farbe, eine geringe Zähigkeit und eine Länge von 10 Zoll bis 3 Fuß; sie läßt sich leicht zerstoßen. In Pennsylvanien und New-York erscheint die Faserdes Amianth's kürzer und ins Graue spielend; seine chemische Zusammensetzung zeigt einerseits eine Verminderung
des Magnesiagehaltes, andererseits eine gleichzeitige Vermehrung an Kieselerde; seine Zähigkeit ist aber um so größer. In
Vermont, in
den ausgedehnten Lagern auf dem östlichen Abhange der Green Mountains besitzt die Amianthfaser eine
außerordentliche Feinheit und eine bemerkenswerthe Zugfestigkeit. Sie scheint ins Unendliche theilbar; auch sollen ihre Dimensionen
diejenigen aller bekannten vegetabilischen oder animalischen Substanzen übersteigen. Die Faser, welche man an der Oberfläche
findet,
hat die Farbe des Rohflachses, aber in der Tiefe zeigt sie sich im reinsten Weiß. In Canada kommt der
Amianth in zwei Varietäten vor; einmal bei Quebec, Saugernau und Saint-Francis, bernsteinfarbig, durchscheinend, in parallelen
Bändern und von 0,03 Meter bis 0,05 Met. Faserlänge, dann in der Nähe von Richmond, wie weißer Atlas glänzend, mit einem Ueberschuß
von Talkerde, sehr geringer Zähigkeit und 0,05 Met. bis 0,60 Met. Faserlänge.
Gewinnung. Ist das Lager von einiger Bedeutung, so macht man in den Serpentin, da wo der von ihm
eingeschlossene Amianth am reichhaltigsten und am reinsten auftritt, eine nahezu senkrechte Oeffnung, sprengt hierauf das
Gestein,
welches die Adern trennt, und nimmt endlich den Amiant mit Brechstangen oder Pickeln heraus. Auf diese Weise gewinnt man Rohblöcke,
welche zuweilen 90 bis 135 Kilogrm. wiegen.
Eigenschaften. Der Amianth ist nicht nur eine der feuerbeständigsten Substanzen, sondern auch einer der
schlechtesten Wärmeleiter, die man kennt. Er läßt sich daher zur Bekleidung der inneren Wände von Kupol- und Hohöfen nützlich
verwenden, namentlich, wenn das zu schmelzende Metall oder Mineral schwefelhaltig ist, weil der Asbest weder durch Sulphurete
noch
durch Säuren angegriffen wird. Zahlreiche Versuche haben gelehrt, daß sich der Amianth zur Anfertigung eines vortrefflichen
Hand- und Maschinenpapiers verwenden läßt; aber die Substanz ist so hygroskopisch, daß es sehr schwer hält, das Papierzeug
vollständig zu trocknen. Hierin liegt die einzige an dieser Anwendung haftende Schwierigkeit, die inzwischen mit Hülfe specieller
Apparate wahrscheinlich ohne besondere Schwierigkeit sich heben läßt.
Die Fasern des Amianth's lassen sich durch eine einfache chemische Behandlung, welche sie von jeder Unreinigkeit befreit,
so rein wie
gebleichte Leinwand herstellen. Sie sind wegen ihres Gehaltes an Talkerde nie rauh, sondern immer weich und fettig anzufühlen.
Gewisse
aus Italien stammende Varietäten von größerer Länge verlieren, wenn sie dem Feuer bis zur hellen Rothglühhitze ausgesetzt
werden,
während der ersten 15 bis 20 Minuten ihrer Abkühlung einen großen Theil ihrer Zähigkeit, wie wenn sie in Fäulniß übergegangen wären; allein dieses Phänomen dauert nur kurze Zeit, und die
Zähigkeit kommt in gleichem Grade, wie vor dem Versuch wieder zum Vorschein, ein Vorgang, welcher bis jetzt noch keine Erklärung
gefunden hat. Noch eine andere sonderbare Eigenschaft wird an diesen Varietäten beobachtet: sie sind sehr dehnbar, aber nicht
in der
Art des Kautschuks; denn sie erlangen, sich selbst überlassen, ihre ursprüngliche Länge nicht wieder. So konnte man gewisse
Proben von
1 Zoll bis zu 13, 14 und selbst 18 Zoll ausziehen. Da die Elasticität nicht die Ursache dieser Erscheinung seyn kann, so ist
Wohl
anzunehmen, daß die Fasern im natürlichen Zustande in mehrfachen Falten liegen, und durch den Zug ganz einfach entfaltet werden.
– Wir gehen nun zu der jüngsten Anwendung des Amianth's über, welche von Resultaten begleitet zu seyn scheint, von denen die
Industrie Nutzen zu ziehen wissen wird.
Anwendung des Amianth's zur Packung von Kolben und Stopfbüchsen.Hierüber findet man bereits in Bd. CCIII des polytechn. Journals S. 416 eine kurze Notiz. Bei Dampfmaschinen sind es bekanntlich drei Hauptursachen, welche auf die gewöhnliche Packung der Kolben, Stopfbüchsen etc.
einen zerstörenden Einfluß ausüben: Feuchtigkeit, hohe Temperatur und Reibung. In Amerika nun, wo man es zum erstenmal versucht
hat,
die Asbestpackung einzuführen, konnte man sich überzeugen, daß sie unter denselben Bedingungen, wo die gewöhnlich angewendeten
vegetabilischen Stoffe bekanntlich einer raschen Zerstörung unterliegen, vollkommenen Widerstand leisten. Der Versuch wurde
mit
Locomotiven angestellt, welche drei Monate hintereinander ununterbrochen täglich 100 engl. Meilen (circa
161 Kilometer) durchliefen, und zwar unter einer Dampfspannung von 130 Pfund per Quadratzoll (9,06
Kilogrm. per Quadratcentimeter). Nach einem so langen Dienste hatte der Amianth nichts von seiner
Biegsamkeit und Zähigkeit eingebüßt, nur seine Farbe war unter der fortgesetzten Berührung mit dem Oel und dem Metall verschwunden.
Der Verfasser gegenwärtigen Berichtes hat eine Packung in Händen, welche von der Stopfbüchse einer Locomotive der
Caledonian-Eisenbahn herrührt. Diese Packung, welche aus zusammengerolltem Material, nicht aus übereinander gelegten
aufgeschnittenen Ringen hergestellt wurde, ist nach einem Dienste von nahezu 4 Monaten, während dessen die Maschine 14070
Meilen
(22638,63 Kilometer) durchlief, noch unversehrt. Eine gewöhnliche Packung hält unter den nämlichen Bedingungen nicht länger
als 15 bis
17 Tage aus. Nicht minder überzeugende Resultate haben die Versuche
geliefert, welche in England und Amerika in dieser Richtung an Schiffsdampfmaschinen angestellt worden sind.
Fabrication. Nachdem man zuvörderst die Fasern des Rohstoffes durch ähnliche Proceduren, wie bei der
Flachsbereitung, zertheilt hat, übergibt man sie zur weiteren Behandlung dem Apparate, welcher in Fig. 7 im Aufrisse mit theilweisem Verticaldurchschnitte dargestellt ist.
A ist ein Trichter oder Rumpf welcher den Amianth aufnimmt. Dieser Rumpf besteht aus mehreren oben mit
einander verbundenen Segmenten, deren jedes auf der äußeren Seite mit einem Vorsprunge versehen ist; B
sind Drahtfedern, welche einerseits an das Gestell, andererseits an die Rumpfsegmente befestigt sind, und den letzteren das
Bestreben
ertheilen, sich stets von einander zu entfernen. Den unteren Theil des Rumpfes A umschließt ein
beweglicher Muff, der inwendig mit einer Reihe von Daumen ausgestattet ist. Letztere haben den Zweck, bei erfolgender Drehung
des
Muffes auf die äußeren Hervorragungen der Segmente zu wirken, so daß diese unter dem Zuge der Federn B
einander näher rücken oder sich von einander entfernen, eine Thätigkeit, von welcher die Comprimirung des Amianth's nach Maaßgabe
seines Herabsinkens im Rumpfe abhängt. D ist ein auf die Basis des Muffes C
festgekeiltes Winkelrad, welches die durch Transmissionsriemen und Räderwerk ihm mitgetheilte Rotation auf den Muff überträgt.
Drei
oder mehrere auf dem Maschinengestell aufgespulte dünne Flachsbänder E nehmen gleichfalls durch den Rumpf
ihren Weg und begleiten den Amianth bei seinem Niedergang, indem sie ihn gewissermaßen wie in ein fortlaufendes Futteral einhüllen.
F ist eine Röhre, in welche der Amianth und seine Umhüllung hineingezogen werden, um in Form eines
Taues daraus hervorzugehen. Die Spulen G dienen zur Aufnahme eines Fadens von geeigneter Dicke, welcher
das Amianthtau bei seinem Austritt aus der Röhre F umwickelt. Die Walzen H,
welche durch das in der Abbildung angedeutete Rädersystem in Bewegung gesetzt werden, haben die Bestimmung, das Tau herbeizuziehen
und
aufzurollen.
Der Apparat liefert bei einer Geschwindigkeit von 1 Fuß per Minute ein Tau von 1 Zoll Durchmesser,
vollkommener Regelmäßigkeit und constanter Dichtigkeit. So zubereitet bildet der Amianth ausgezeichnete Packungen nicht nur
für
Dampfmaschinenkolben, sondern auch, statt des Kautschuks, Cementes und der Mennige, für alle Arten von Fugen. Es wäre nur
noch zu
untersuchen, ob er nicht vermöge seiner schlechten Wärmeleitungsfähigkeit auch bei Zapfenlagern anwendbar ist. Schließlich
verdient
bemerkt zu werden, daß, wenn die hygroskopische Eigenschaft des Amianth's
in manchen Fällen, insbesondere bei seiner Verwendung zu Papierzeug, störend wirken, dieses doch nicht bei seiner Anwendung
als
Packung für Dampfmaschinenkolben der Fall ist; denn hier sind die hygrometrischen Wirkungen, wenn einmal der Amianth mit Oel
getränkt
ist, nicht zu befürchten.