Titel: | Ueber die Essigbildung; von Prof. L. A. Buchner. |
Fundstelle: | Band 208, Jahrgang 1873, Nr. LXXIV., S. 307 |
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LXXIV.
Ueber die Essigbildung; von Prof. L. A. Buchner.Aus dessen „Commentar zur Pharmacopoea Germanica.“
München 1873.
Buchner, über die Essigbildung.
Was ist nicht alles über Essigbildung und Essigbereitung geschrieben worden. Aber nichts ist geeigneter, in den Proceß der
Essigbildung
aus Weingeist klare Einsicht zu bekommen, als die von dem verstorbenen Döbereiner zuerst genau beobachtete
Umwandlung des Alkohols in Essigsäure mittelst feinzertheilten Platins (Platinmohr oder Platinschwarz) oder vielmehr mittelst
des auf
diesem verdichteten und chemisch activ gemachten Sauerstoffes. Der von diesem genialen Chemiker zur Demonstration dieser Umwandlung
ersonnene einfache Apparat macht nach meiner Meinung die Essigbildung anschaulicher als das in vielen chemischen Werken abgebildete,
mit Buchenholzspänen gefüllte und zur Schnellessigfabrication dienende Faß (Essigbildner), worin der über die Späne träufelnde
verdünnte Weingeist bei gehörigem Luftwechsel und geeigneter Temperatur in Essig verwandelt wird. Das Experiment Döbereiner's muß als Fundamentalversuch zur Versinnlichung der Essigbildung angesehen werden, welcher den ganzen hiebei
stattfindenden Vorgang höchst einfach erscheinen läßt. Eine zweckmäßige Modification des Döbereiner'schen
Essigbildungsapparates, welcher zuerst in Schweigger's Journal Bd. LXIII
S. 365 beschrieben und abgebildet wurde, besteht in Folgendem.
Man gieße in ein etwas großes Becherglas ein wenig Weingeist, welcher mit dem vier- bis fünffachen Volumen Wasser verdünnt
ist,
etwa so viel, daß der Boden des Glases 1 bis 2 Centimeter hoch davon bedeckt werde, und hänge einen längs der inneren Oberfläche
bis
auf den Boden reichenden Streifen Lackmuspapier hinein, dessen oberes Ende etwas über dem Rande des Glases herausragt und
welcher,
wenn alles hergerichtet ist, durch eine aufgesetzte durchlöcherte Glasscheibe festgehalten werde. Hierauf streue man Platinschwarz
auf
ein Schälchen, befeuchte das Platin, damit es nicht zum Glühen komme, ganz schwach mit Wasser und setze das Schälchen auf
einen
gläsernen Dreifuß oder auf ein Kelchgläschen, welches in das Becherglas gestellt worden ist, so daß das Schälchen mit dem
Platinschwarz in einiger Entfernung vom Weingeist sich befinde. Endlich werde der Apparat mit der Glasplatte bedeckt und mäßig
erwärmt, damit der Weingeist zu verdampfen anfange. Kaum ist dieß geschehen, so gibt sich auch schon die Säuerung des Weingeistes
durch die eintretende Röthung des Lackmuspapieres kund. Der Geruch des
Weingeistes wird anfangs in einen angenehmen obstartigen verwandelt, herrührend von Döbereiner's
sogenanntem Sauerstoffäther, eine Mischung von Aldehyd und Acetal; bald aber gibt sich der Geruch nach Essigsäure zu erkennen
und in
kurzer Zeit ist die Umwandlung des Weingeistes in Essigsäure beendigt.
Um sich von der Rolle, welche das Platin bei diesem lehrreichen Experiment spielt, Rechenschaft zu geben, muß man wissen,
daß das
Platinschwarz die Eigenschaft, den Sauerstoff auf seiner Oberfläche zu verdichten und dadurch in einen solchen Zustand chemischer
Thätigkeit zu versetzen, daß er den Alkohol zu Essigsäure zu oxydiren vermag, im hohen Grade besitzt. Döbereiner
Poggendorff's Annalen Bd. XXXI S. 512. hat gefunden, daß höchst fein zertheiltes, durch Präcipitation dargestelltes Platin beim Trocknen, aus der Luft das
200- bis 250fache seines Volumens Sauerstoff aufnimmt, ohne sich mit demselben chemisch zu verbinden, und es mit einer Kraft
verdichtet, welche dem Druck von 800 bis 1000 Atmosphären gleich ist.
Durch den Döbereiner'schen Versuch ist auf das klarste bewiesen, daß die Essigbildung aus Weingeist ein
Oxydationsproceß ist, der sich ohne die Gegenwart der Essigmutter oder des Essigpilzes (Micoderma aceti),
überhaupt ohne Mithülfe eines organisirten Wesens vollziehen kann. Die Methode der Schnellessigfabrication aus verdünntem
Weingeist,
welche im Jahre 1823 von Schützenbach eingeführt wurde, beruht ganz auf demselben Principe; auf analoge
Weise wie das feinzertheilte Platin, nur mit geringerer Energie, wirken hier die Buchenholzspäne in den Essigbildnern vermöge
ihrer
Eigenschaft, Sauerstoff anzuziehen und auf ihrer Oberfläche zu verdichten, und diesen ähnlich können noch mehrere andere Substanzen,
wie z.B. zerstückelte Weinreben, Weintraubenkämme, Holzkohlenstücke wegen ihrer Sauerstoff verdichtenden Eigenschaft zur Umwandlung
des Weingeistes oder weingeistiger Flüssigkeiten in Essig benutzt werden. Das in einigen Ländern übliche Verfahren, den Cider
dadurch
sauer zu machen, daß man ihn längs einem Seile, welches an der Luft aufgehängt ist, herunterfließen läßt, beruht nicht minder
wie das
Schützenbach'sche Verfahren auf der oxydirenden Wirkung des auf der Oberfläche verwesender organischer
Körper verdichteten Sauerstoffes.
Es ist gewiß nicht zweifelhaft, und die neueren Beobachtungen von Pasteur haben es deutlich bewiesen, daß
bei der Umwandlung gegohrener Flüssigkeit in Essig, bei der Bereitung von Weinessig, Malzessig oder Bieressig u.s.w., der in diesen Flüssigkeiten sich entwickelnde Essigpilz eine wesentliche Rolle
spielt. Allein indem die davon gebildete Essigmutter diese Wirkung ausübt, thut sie dieß sicherlich nicht als einen physiologischen
oder vitalen Akt, sondern aus demselben physikalisch-chemischen Grunde wie das Platinschwarz und die verwesende Pflanzenfaser.
Gleichwohl herrscht bei Vielen die besonders von Pasteur genährte Meinung, daß auch bei der
Schnellessigfabrication der Essigpilz die Ursache der Säuerung des Weingeistes sey, daß also hier die Hobelspäne oder die
Holzkohle
nur dadurch wirken, daß sich darauf Mycoderma aceti entwickle. Aber diese Meinung wird gründlich widerlegt
durch Beobachtungen, welche auf v. Liebig's Veranlassung in der Essigfabrik des Hrn. Riemerschmied in München, einer der größten und bestgeführten in Deutschland, gemacht worden sind. In dieser Fabrik empfängt
der verdünnte Weingeist während des ganzen Betriebes keinen fremden Zusatz und außer Luft und der Holz- oder Kohlenoberfläche
ist kein fremder Stoff hierbei wirksam; dem frisch aufzugießenden verdünnten Weingeist wird nur etwas von dem Ablaufe der
vorhergegangenen Operation, d.h. unfertiger Essig beigemischt. Auf v. Liebig's an Hrn. Riemerschmied gestellte Anfrage über die Mitwirkung der Mycoderma aceti an der
Essigbildung erhielt er eine Probe von einem Buchenholzspan aus der untersten Schicht eines Essigbildners, der ununterbrochen
seit 25
Jahren nach derselben Art und Weise im Betriebe war. Auf diesem Holzspane war aber auch mit dem Mikroskope keine Mycoderma aceti wahrnehmbar; er hatte die braune Farbe von verwesendem Holze angenommen, aber die Structur
war ganz unverändert. Andere Späne, seit 30 Jahren in genannter Fabrik verwendet, waren damals dem Fabrikanten unzugänglich,
aber nach
dessen Versicherung lassen sie für die Essigbildung nichts zu wünschen übrig. So weit sie beobachtbar waren, erschienen sie
frei von
Mycoderma aceti und waren besonders in den höheren Partien des Ständers nur mit einem Ueberzuge von
Unreinigkeiten bedeckt, welchen das abtröpfelnde Essiggut auf sie ablagert.
Wir müssen bei der Essigbildung aus Weingeist zwei Phasen wohl unterscheiden, in welchen die oxydirende Wirkung des Sauerstoffes
aus
Alkohol vor sich geht. Es werden nämlich einem Atom Alkohol durch den Sauerstoff zuerst 2 Atome Wasserstoff als Wasser entzogen;
der
dadurch entstehende Aldehyd (entwasserstoffte Alkohol) zieht seinerseits 1 Atom Sauerstoff an, wodurch er zu Essigsäure wird.
Daß bei der oxydirenden Wirkung des Sauerstoffes auf den Alkohol dieser nicht sogleich in Essigsäure verwandelt werde, sondern
daß der
Bildung der letzteren diejenige des Aldehyds vorhergehe, ist durch mehrere
Beobachtungen wohl erwiesen. Insbesondere hat Döbereiner gefunden, daß wenn man Weingeist von 70 Procent
Alkoholgehalt in seinem oben erwähnten Essigsäurebildungs-Apparate dem Einflusse der Luft und des fein zertheilten Platins
nur
so lange aussetzt, bis derselbe anfängt auf Kreide zu reagiren, d.h. aus derselben Kohlensäure zu entwickeln, dann denselben
durch
Schütteln mit gepulvertem kohlensauren Natron entsäuert und hierauf der Destillation unterwirft, als Destillat eine Flüssigkeit
gewonnen wird, aus der sich beim Vermischen mit viel gepulvertem Chlorcalcium eine große Menge jener ätherartigen Flüssigkeit
abscheidet, welche von ihm Sauerstoffäther genannt wurde. Nun wissen wir aber durch die wichtigen Arbeiten
Liebig's über das Acetal und den Aldehyd, zu welcher Döbereiner's
sogenannter Sauerstoffäther die nächste Veranlassung gegeben hat, daß die Flüssigkeit der Hauptsache nach nichts anderes ist,
als ein
Gemisch von Acetal und Aldehyd, ferner wissen wir, daß ersteres die Bestandtheile von Aether und Aldehyd enthält und daß es
beim
Erhitzen mit Essigsäure wirklich in Essigäther und Aldehyd verwandelt wird. In den Räumen der Essigfabriken und auch in deren
Nähe
nimmt man auch bei dem besten Gange der Fabrication deutlich denselben ätherischen Geruch war, der sich bei der Oxydation
des
Weingeistes durch Platinschwarz anfangs entwickelt, und auch im fertigen Branntweinessig ist noch etwas Acetal oder sogenannter
Sauerstoffäther enthalten. Wenn man solchen Essig zum Zweck der Darstellung von essigsaurem Natron mit Soda sättigt und hierauf
eindampft, so wird das ganze Laboratorium von solchem ätherischen Geruche erfüllt.