Titel: | Experimentelle Untersuchungen über explosive Substanzen; von Roux und Sarrau. |
Fundstelle: | Band 210, Jahrgang 1873, Nr. V., S. 21 |
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V.
Experimentelle Untersuchungen über explosive
Substanzen; von Roux und
Sarrau.
Aus den Comptes rendus, t. LXXVII p. 478; August
1873.
Roux und Sarrau, Untersuchungen über explosive
Substanzen.
1) Wir haben unlängst die Verbrennungswärme von fünf in Frankreich angefertigten
Pulvergattungen bestimmt, und wollen nun diese ArbeitMitgetheilt in diesem Bande des polytechn.
Journals S. 303 (zweites Augustheft 1873). durch die Bestimmung des auf 0° und 0,76 Met. Barometerhöhe
reducirten Volumens der gasartigen Verbrennungsproducte jener Pulvergattungen
vervollständigen. Mit Hülfe des Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetzes werden wir dieses
Element aus der Messung des Druckes der Gase bei einer bekannten Temperatur, unter
einem bekannten Volumen, ableiten.
2) Der zu diesem Zwecke von uns construirte Apparat kann zu fortgesetzten Proben
dienen, und in der Leichtigkeit womit derselbe auf dem Wege der Wiederholung die
erlangten Resultate zu controlliren gestattet, scheint uns eine Bürgschaft für seine
praktische Anwendbarkeit zu liegen. Er besteht aus einem schmiedeeisernen
Probecylinder von 22 Millimeter innerem Durchmesser und 3 Decimeter Höhe, in welchem
die Verbrennung des Pulvers vor sich geht. Dieser Cylinder ist an einem seiner Enden
durch einen Schraubenstöpsel geschlossen, durch welchen ein zur Entzündung dienender
isolirter Draht geht, und besitzt an dem anderen Ende einen in die Hülse eines
Manometers geschraubten Ansatz. Dieses Manometer ist mit einem Differentialkolben
versehen, und der auf die kleinere Grundfläche des Kolbens ausgeübte Druck wird
durch den Druck äquilibrirt und gemessen, welchen eine in dem Verhältnisse der
beiden Grundflächen reducirte Quecksilberhöhe auf die große Grundfläche ausübt. Die
Anwendung des Differential-Manometers gewährt zwei Vortheile: 1) das
Gasvolumen ist wegen der durchaus unmerklichen Verschiebung des Kolbens in allen
Fällen gleich dem Rauminhalte des Probecylinders, welcher nur ein für allemal
gemessen zu werden braucht; 2) man kann mittelst geringer Quecksilberhöhen
bedeutende Drücke messen, welche sonst die minder bequeme Anwendung eines Mariotte'schen Manometers mit comprimirter Luft erfordern
würden. Das Manometer, welches zu unseren Versuchen diente, war uns durch die
Gefälligkeit seines Verfertigers Hrn. A. Clair zur
Verfügung gestellt worden. Das Verhältniß seiner Grundflächen ist 1/100; die Graduirung ist in
Millimetern ausgeführt und gestattet eine bis 1/10 Millimeter genaue Ablesung.
3) Um eine Bestimmung zu machen, verbrennt man ein bekanntes Gewicht Pulver in dem
Probecylinder: das Quecksilber steigt plötzlich in dem Manometerrohr, sinkt dann in
Folge der Abkühlung der Gase, wird nach 4 oder 5 Minuten stationär und verharrt in
diesem Zustande ohne merkbare Veränderung mehrere Stunden lang. Die Temperatur des
Gases ist alsdann derjenigen der Umgebung ziemlich gleich; die beobachtete
Manometerhöhe, multiplicirt mit 100, mißt seine Spannung. Folgendes sind die
Elemente einer Bestimmung. Die Spannungen der durch 3,4 und 5 Gramme Geschützpulver
erzeugten Gase werden bei 27° durch 64,0, 86,5 und 106,0 Millimeter
Quecksilberhöhe gemessen. Hieraus leitet man für 1 Gramm die reducirten Höhen: 21,3,
21,6 und 21,2 ab, wofür wir, mit 1/100 mittlerer relativer Abweichung, 21,4 als
Mittelwerth setzen wollen. Da der Rauminhalt des Probecylinders 0,102 Kubikdecimeter
beträgt, so ist das Volumen der aus 1 Grm. Pulver entwickelten Gase, auf 0°
und 0,760 Met. Barometerstand reducirt, durch die Formel
v₀ = 0,102 (214 ×
273)/(76 × (273 + 27)) = 0,271 Kubikdecimeter
gegeben. Wir haben die nämlichen Bestimmungen auch für die
anderen Pulver gemacht, und durch Combination der Resultate mit denen unserer
calorimetrischen Proben folgende Tabelle aufgestellt, welche die Elemente in sich
schließt, von denen die approximative Schätzung der relativen Kraft der fünf
Pulvergattungen abhängt.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Pulvergattung.
QCalorien
TCelsius'scheGrade
v₀Liter.
v₀T/273Atmosphären
EcTMeter-Tonnen
feines Jagdpulver
807,3
4654
234
3989
373
Geschützpulver
752,9
4360
261
4168
349
Gewehrpulver (genannt B)
730,8
4231
280
4339
339
auswärt. Handelspulver
694,2
4042
281
4160
324
gewöhn. Sprengpulver
570,2
3372
307
4792
270
4) Die Columne 3 reproducirt die Resultate unserer calorimetrischen Proben. Sie gibt
für jedes Pulver die Wärmemenge Q an, welche durch die
Verbrennungsproducte von 1 Kilogramm entwickelt wurde, von der
Verbrennungstemperatur bis zu der bei der Probe herrschenden Temperatur von ungefähr
17°. Die Columne 3 enthält die absoluten
Verbrennungstemperaturen, repräsentirt durch die Formel T = 273 + 17 + Q/c, wo c; die mittlere specifische Wärme der
Verbrennungsproducte bei constantem Volumen darstellt. In Ermangelung präciser Daten
adoptiren wir für die verschiedenen Pulver einstweilen den Werth c = 0,185, welcher von den HHrn. Bunsen und Schischkoff für ein unserem
Jagdpulver ähnliches Pulver gefunden worden ist. Die Columne 4 umfaßt die
numerischen Werthe des Volumens v₀ der von 1
Kilogrm. Pulver gelieferten und auf die Temperatur von 0° unter dem
atmosphärischen Drucke von 0,760 Met. reducirten permanenten Gase. Die Columne 5
begreift die besonderen Werthe des Ausdruckes v₀T/273 in sich, welcher den Druck der
aus 1 Kilogrm. Pulver entwickelten permanenten Gase, die
bei der Temperatur T der Flamme ein Volumen = 1 Liter
einnehmen, in AtmosphärenBezeichnet p den Druck der Gase unter der
Volumeinheit bei der absoluten Temperatur T, und
v₀ ihr Volumen unter dem normalen
Drucke p₀ bei 0₀, so hat man dem
Mariotte'schen und Gay-Lussac'schen Gesetze zufolgep/p₀ = v₀/1 T/273. darstellt, wohlverstanden
unter der Annahme daß das Mariotte'sche und Gay-Lussac'sche Gesetz hier anwendbar bleibe. In
der sechsten Columne endlich geben wir das Arbeitsmaximum, welches durch die
unbestimmte Expansion der aus 1 Kilogrm. Pulver entwickelten Gase hervorgebracht
wird. Dasselbe ist = EcT (wobei E das mechanische Aequivalent der Wärme bedeutet, das wir = 433 setzen
wollen, indem wir annehmen daß alle Verbrennungsproducte, permanent oder nicht, in
jedem Momente der ExpansionWollte man, wie Bunsen und Schischkoff, annehmen daß die Arbeit durch die unbestimmte
Expansion der permanenten Gase erzeugt werde, ohne der von den übrigen
Verbrennungsproducten abgetretenen Wärme Rechnung zu tragen, so würde dieser
Arbeit der Ausdruck E ∑ c¹ T entsprechen, wobei ∑ das Gewicht der durch 1 Kilogramm erzeugten Gase, c¹ ihre specifische Wärme unter
constantem Volumen vorstellt, welche von der durch c bezeichneten und auf die Gesammtheit der Verbrennungsproducte
sich beziehenden verschieden ist. die nämliche Temperatur
haben.
5) Wir haben unsern Apparat auch bei anderen explosiven Substanzen, als Pulver,
angewandt. Folgende Tabelle gibt eine Uebersicht der erlangten Resultate. Die den
Dynamit betreffenden entsprechen der Explosion, der wir die Bezeichnung Explosion der zweiten Ordnung beigelegt haben, und die
durch einfache Entzündung und nicht unter Anwendung einer Zündpille hervorgebracht
wird. Die in letzterem Falle erzielten energischen Wirkungen erfordern specielle
Apparte, welche unsererseits der Gegenstand anderweitiger Studien seyn werden.
Bezeichnungder explosiven Substanz
Calorien per1
Kilogrm.der Substanz
Gewicht derGase per1 Kilogrm.
ReducirtesVolumen derGase per1 Kilogrm.
Schießbaumwolle
1056,3
0,853
720 Liter
Dynamit von Vonges à 75 Proc.
1290,0
0,600
455
pikrinsaures Kali
787,1
0,740
576
Mischung von 55 pikrinsaurem Kali und 45
Salpeter
916,3
0,485
434
Mischung von gleichen Gewichten pikrinsaurem und
chlorsaurem Kali
1180,3
0,466
329
Der Mangel an hinreichend präcisen Daten über die specifische Wärme der
Verbrennungsproducte dieser Stoffe gestattet nicht, wie bei den Pulversorten, die
Verbrennungstemperaturen und die relativen Spannungen zu berechnen. Es wäre ferner
bei der Werthbestimmung der Spannungen Grund vorhanden, die Bildung von Wasser mit
in Rechnung zu ziehen, welches bei der Verpuffung als überhitzter Dampf wirkt, und
durch unser nur auf permanente Gase bezügliches Meßverfahren nicht näher
berücksichtigt worden ist.