Titel: | Ueber die Fabrication von Gußstahl nach dem Bessemer'schen und dem Martin-Siemens'schen Verfahren; von Noblet. |
Autor: | Noblet |
Fundstelle: | Band 210, Jahrgang 1873, Nr. XXVII., S. 178 |
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XXVII.
Ueber die Fabrication von Gußstahl nach dem
Bessemer'schen und dem
Martin-Siemens'schen Verfahren; von Noblet.
Noblet, über die Fabrication von Gußstahl etc.
Unter den verschiedenen seit 15 Jahren entstandenen Processen der Fabrication von
Gußstahl gibt es zwei charakteristische, in erster Reihe den Bessemer-Proceß, dann den viel neueren Proceß von Martin-Siemens.
I. Der Bessemer-Proceß erzeugt Gußstahl, indem er das Roheisen durch Einblasen
von Luft affinirt. Bekanntlich erfolgt die Umgestaltung in oscillirenden oder festen
Convertern, in welche das Roheisen, entweder vorher im Kupol- oder Flammofen
geschmolzen, oder direct vom Hohofen aus gebracht, und in welchen es der Einwirkung
eines starken Luftstromes unterworfen wird. Die zum Stahlschmelzen nöthige
Temperatur wird in der Masse durch die intermoleculare Verbrennung der Elemente,
welche das Roheisen begleiten, namentlich des Siliciums und Mangans erreicht; der
Kohlenstoff spielt eine geringere wärmeerzeugende Rolle.
Das Bessemer-Roheisen muß zwei besondere Eigenschaften in sich vereinigen: es
muß genügend rein seyn, um Stahlsorten von befriedigender
Qualität zu liefern, und es muß genügend heiß seyn, d.h.
es muß hinreichend brennbare Stoffe enthalten, besonders Silicium und Mangan, damit
die Temperatur diejenige des Stahlschmelzens erreiche und übertreffe. Es muß um so
heißer seyn, je weicheren Stahl man erzeugen will, und um so reiner, je besser die
Qualität seyn soll. Die schädlichen Bestandtheile im Stahlroheisen sind Schwefel und
Phosphor; dennoch ist die Verwendung von Erzen, welche geringe Gehalte an diesen
Stoffen besitzen, für die Erzeugung von Bessemer-Roheisen unvermeidlich.
Seit der bedeutenden Entwickelung der Stahlindustrie bilden die Hämatite von
Cumberland und Lancashire, die vortrefflichen Magneterze Algiers, die reichen Lager
der spanischen Küsten, die Eisenglanze Sardiniens und die schwedischen Erze, allein
oder in Mischung mit minder guten Qualitäten, das Material für die Erzeugung dieses
speciellen Roheisens. Vor Allem scheint Bilbao ein großer Mittelpunkt für die
Gewinnung und den Export solcher Erze zu werden.
Man behandelt die Schmelzmasse, um den Schwefel vollkommen auszutreiben, mit sehr
basischen oder manganreichen Schlacken, damit man graues, kieselreiches Eisen
erlange. Bei der raschen Affinirung kann der Phosphor nicht entfernt werden; er
concentrirt sich im Gegentheil, und der Gehalt daran nimmt zu; nur der Schwefel
dringt in geringer Proportion in die sich bildende manganreiche Schlacke. Ueberschuß
an Kieselsäure liefert kieselreiche Stahlsorten von geringerer Qualität; Ueberschuß
an Mangan gibt bei pneumatischer Behandlung lebhafte Schmelzungen mit teigiger
Schlacke, die sich schwierig beim Affiniren zeigt und die feuerfeste Auskleidung der
Retorte heftig angreift.
Dr. Keßler hat eine Reihe von
Analysen über die Zusammensetzung des Bessemermetalles während verschiedener Perioden der
Operation geliefert. Hinsichtlich dieser Analysen und der daraus zu ziehenden
Schlüsse, welche Noblet in seinem Aufsatze mittheilt,
verweisen wir auf den im Jahrgang 1872 Bd. CCV S. 436 mitgetheilten Aufsatz von Keßler.
Die Affinirung des Roheisens dauert 15 bis 20 Minuten und verwandelt die Masse in ein
Gußstahlbad mit einer großen Proportion von suspendirtem Eisenoxyd vermischt. Das
Oxyd ist zu entfernen, und die Masse mehr oder weniger wieder zu kohlen, je nachdem
man harte oder weiche Stahlsorten zu gewinnen sucht. Hierzu setzt man ihr eine
gewogene Menge stark Mangan- und kohlenstoffreichen Roheisens zu,
Spiegeleisen das vorher im Flammofen geschmolzen worden. Dieses Eisen enthält
gewöhnlich 7 bis 10 Proc. Mangan und 4 bis 5 Proc. Kohlenstoff. Das zugesetzte
Mangan zerlegt das in Suspension befindliche Eisenoxyd in Eisen und Manganoxydul,
welches, sich mit der Kieselsäure vereinigend, eine flüssige Schlacke bildet, die
oben schwimmt. Der Kohlenstoff erzeugt exact den gewünschten Härtegrad; er muß
deßhalb genau berechnet werden, während ein Manganüberschuß keinesfalls schaden
kann.
In 12 Stunden kann man vier bis fünf Operationen machen. Der Abbrand beträgt circa 15 bis 18 Proc. Jeder Guß beträgt gewöhnlich 5000
Kilogrm. Die Umwandlung des Roheisens in Stahlblöcke kostet je nach den Localitäten
und den verschiedenen Betriebsverhältnissen 3,50 bis 4,50 Francs auf 100 Kilogrm.
erzeugten Stahl.
In Europa befinden sich gegenwärtig 165 Bessemer-Converter, die jährlich
annähernd 700,000 Tonnen Gußstahl produciren.
II. Der Proceß Martin-Siemens besteht in der
Ausführung einer schon alten Idee, die aber oft vergeblich versucht wurde. Ihr
Princip ist folgendes: ein Metallbad, dem allmählich Eisen oder Abfälle von Eisen
und Stahl zugesetzt werden, und welches stets flüssig erhalten wird, muß durch
Vertheilung des Kohlenstoffes des Roheisens in der Masse sich in Gußstahl
verwandeln.
Im J. 1865 gelang es dem französischen Hüttentechniker Martin, diese Idee industriell zu verwirklichen, und auf sie einen
praktischen Proceß zu gründen. Er bedient sich eines Flammofens mit mehr oder
weniger tiefer Sohle, wo die zum Stahlschmelzen erforderliche Temperatur durch
Anwendung des Siemens'schen Processes erhalten wird. Der
Ofen ist demnach mit Wärmeregeneratoren und mit Apparaten zur Umstellung des
Gasstromes versehen. Die Verbrennungsgase werden durch Gasgeneratoren mit Rosten
gewonnen. Durch Handhabung der Ventile, welche den Zutritt der Luft und der Gase in den Ofen mit Hülfe
der Esse regeln, kann die Flamme oxydirend, reducirend
oder neutral gemacht werden.Der Siemens-Martin'sche Ofen ist im
polytechn. Journal, 1870, Bd. CXCVI S. 223 näher beschrieben. Zur Conservirung des Ofens ist es durchaus nöthig, stets Gasüberschuß im
Gemenge zu haben, d.h. einen reducirenden oder neutralen Strom.
In diesen Ofen setzt man 600 bis 800 Kil. reines Roheisen. Ist es flüssig geworden,
so setzt man 200 bis 250 Kil. Puddeleisen in Luppen, altes Eisen besserer Qualität
oder Stahlabfälle hinzu. Dieser Zusatz erfolgt nach und nach, etwa jede halbe
Stunde. Gegen Ende der Operation und nach dem letzten Zusatz nimmt man mittelst
einer Kelle eine Probe und untersucht deren Härte und Dehnbarkeit mit dem
Hammer.
Wie beim Bessemern entkohlt man durch überschüssigen Eisenzusatz mehr als nothwendig
und ersetzt dann die in der Masse fehlende Kohlenstoffmenge durch Zusatz von
Spiegeleisen.
Diese Art des Processes besitzt, außer daß sie der Fabrication eine sehr große
Regelmäßigkeit verleiht und den bestimmten Härtegrad leichter erreichen läßt, noch
den schätzbaren Vortheil, daß sie Stahlsorten von jeder Härte liefert, die sich
leicht hämmern und walzen lassen.
Eine Operation dauert 10 bis 12 Stunden und kann je nach den Ofendimensionen bis 5000
Kil. Stahl in Blöcken liefern. Auf einigen französischen Werken gießt man selbst
noch mehr.
Man erzeugt durch diesen Proceß jede Sorte harten und weichen Stahles; die Qualitäten
wechseln natürlich mit den angewendeten Materialien; je nach deren Menge und Güte
kann man willkürlich Stahlsorten erzeugen, welche dem Tiegelstahl zu vergleichen
sind, und Sorten die sich zur Schienenfabrication eignen.
Diesen Proceß kennzeichnet die Regelmäßigkeit der Fabrication, die Verwendbarkeit
alter Materialien, besonders aber, daß er das Verschmelzen alter Bessemerstähle
gestattet. Der Flammofen ist außerdem ein bequemer und leicht zugänglicher Apparat,
welcher die Operation schrittweise verfolgen läßt. Das zu verwendende Roheisen muß
rein seyn; die besonderen Eigenschaften des Bessemer-Roheisens sind nicht
gerade nothwendig.
Die Productionskosten sind fast dieselben, wie beim Bessemern, ebenfalls abhängig von
localen und anderen Verhältnissen.
Gegenwärtig dürften in Europa 55 bis 60 Oefen nach Martin-Siemens
in Anwendung seyn, die
jährlich 55 bis 60,000 Tonnen Gußstahl liefern.
Auf der Hütte zu Sclessin wird Gußstahl zu Schienen, und harter und weicher
Handelsschmelzstahl gefertigt; ebenso Gußstahlsorten für Getriebe, Wellen, Mäntel
der Walzencylinder, Räder, im Allgemeinen für alle Stücke, welche dem Stoß und der
Abnutzung widerstehen sollen.
Die erzielten Resultate sind schon bedeutend. Die Stahlproduction bedarf reiner und
specieller Roheisensorten, die im Verhältniß zur Seltenheit der betreffenden
Erzlager immer höher im Preise sind. Heute schon hat die Stahlindustrie die
Hohofenanlagen gezwungen, ihren Erzbedarf aus überseeischen Ländern zu decken. Die
Anwendung gewöhnlicher Roheisenmarken zur Stahlerzeugung
bleibt noch zu verwirklichen. (Aus der Revue universelle des
mines, t. XXXIII p. 33, durch die berg-
und hüttenmännische Zeitung.)