Titel: | Verfahren zur Bestimmung des Gehaltes der Anilinfarben vermittelst des hydroschwefligsauren (unterschwefligsauren) Natrons; von A. Stamm. |
Fundstelle: | Band 210, Jahrgang 1873, Nr. LX., S. 367 |
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LX.
Verfahren zur Bestimmung des Gehaltes der
Anilinfarben vermittelst des hydroschwefligsauren (unterschwefligsauren) Natrons; von
A. Stamm.
Aus dem Bulletin de la Société chimique de
Paris, t. XX p. 124; August 1873.
Stamm, Verfahren zur Bestimmung des Gehaltes der
Anilinfarben.
Es existirt bis jetzt nur ein Verfahren zur Bestimmung des
Werthes eines Farbstoffes; dasselbe besteht in der Prüfung verschiedener Muster auf
dem Wege der Färbung oder des Druckes, und in der Vergleichung der Intensität der
von diesen Mustern erhaltenen Nüancen. Dieses Verfahren entspricht vollkommen den
Anforderungen der Industrie. Aber man kennt noch kein chemisches Mittel, diese
Körper quantitativ zu bestimmen oder ihre absolute Reinheit zu controlliren. Ich
glaube, daß man zu diesem Resultate mit Genauigkeit und ohne viele Umstände gelangt,
wenn man sich der Eigenschaft des hydroschwefligsauren Natrons
Textabbildung Bd. 210, S. 367
bedient, verschiedene Farbstoffe u.a. die aus dem Anilin
erzeugten zu reduciren und zu entfärben.
Der von mir zu dieser Titrirung angewandte Apparat ist im Wesentlichen derselbe,
welchen Schützenberger und Risler zur Bestimmung des im Wasser gelösten Sauerstoffes gebrauchen. Das
hydroschwefligsaure Natron wird durch Aspiration aus einer Mohr'schen Bürette hinzugeführt. Die zu titrirende Solution gießt man in
einen kleinen Kolben und verschließt denselben mit einem Kautschukkork, welcher drei
Löcher hat. Durch eines der Löcher geht die kleine Röhre der Bürette; die anderen
beiden dienen dazu, einen Kohlensäurestrom durch den Kolben streichen zu lassen,
denn diese Experimente müssen bei Abschluß der atmosphärischen Luft ausgeführt
werden. Endlich stelle ich, da die Entfärbung derartiger Materien durch das
Hydrosulfit, mit Ausnahme des Fuchsins welches sich auch in der Kälte entfärbt, erst
bei 100° C.
erfolgt, den Kolben auf ein Sandbad und erhalte seinen Inhalt im Sieden.
Angenommen, es handle sich um die Prüfung einer Sorte Fuchsin, so löse ich 1 bis 2
Decigramme davon in Wasser auf und verdünne die Lösung zu 1 Liter.
Ferner stelle ich eine gleich verdünnte Lösung aus 1 bis 2 Decigrammen reinem Fuchsin
dar.
Man hat dann nur zu ermitteln, wie viel hydroschwefligsaures Natron gleiche Volumina
von jeder der beiden Lösungen bedürfen, um sie zu entfärben. Aus der Differenz des
Verbrauches ergibt sich dann der Gehalt des fraglichen Fuchsins.
Wiederholte Versuche haben mir gezeigt, daß die Quantität des angewandten
Hydrosulfits proportional war dem Gewichte des in der Solution enthaltenen
Fuchsins.
Auf die angegebene Weise habe ich auch andere Anilinfarben geprüft und beim
Vergleichen der erhaltenen Resultate gefunden, daß ein Molecül eines jeden der
verschiedenen Körper, deren Zusammensetzung bekannt ist, zum Entfärben dieselbe
Quantität Hydrosulfit verlangt, als die ist, welche zwei Molecüle ammoniakalisches
Kupfersulfat reduciren würde.
Angenommen also, 1 Volum Hydrosulfit sey erforderlich, um eine Lösung von 0,1 Grm.
per Liter Kupfersulfat zu entfärben,
CuSO⁴ + 5H²O = 249,36 (Moleculargewicht)
so würde erforderlich seyn für Solutionen von
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Diese Quantitäten sind mithin umgekehrt proportional ihrem Moleculargewichte.
Man begreift daß, wenn dieses Gesetz für die Anilinfarben allgemeine Gültigkeit hat,
es dann leicht ist, aus dem zum Entfärben einer dieser Materien ermittelten Volum
Hydrosulfitlösung ihr Moleculargewicht annähernd abzuleiten.
So geben das Pariser Violett und das Hofmann'sche Violett
genau gleiche Resultate, und ziehe ich hieraus den Schluß, daß ihr Moleculargewicht
gleich ist. Zu derselben Folgerung ist Hofmann
gelangt.
Ebenso findet man, wenn man Fuchsin und Pariser Grün von 0,1 Grm. per Liter dosirt, für diese beiden Körper die
nachstehenden Zahlen:
Fuchsin
5,7
Grün
4,5
Das umgekehrte Verhältniß ist 5,7/4,5 = 1,26 und das Moleculargewicht des Grüns =
1,26 × 361 = 460, eine Zahl welche der Formel
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die derjenigen des Jodgrüns analog ist, entspricht.
In der That hat Chojnacki einige Analysen des Pariser
Grüns ausgeführt, und die Ergebnisse derselben Harmoniren vollständig mit dieser
Formel.
Die vorstehende Methode bietet noch einen anderen Vortheil dar: sie gestattet
nämlich, die Menge des in einer Flüssigkeit enthaltenen Farbstoffes kennen zu
lernen. So hat sich z.B. Prudhomme derselben bedient, um
zu erfahren wie viel Rosolsäure sich bei einer Reaction gebildet hatte.
Man könnte auch Gebrauch davon machen bei der Fabrication der (phenylischen)
Anilin-Blaus und -Violetts, um die Quantität dieser Producte, welche
sich während der Operation erzeugt haben, zu erfahren. Sie werden nämlich beide
durch das Hydrosulfit in der Wärme entfärbt. Das Phenylviolett besitzt die
Eigenthümlichkeit, in der Kälte vorerst in Blau umgewandelt zu werden. Die Salze des
Rosanilins verlieren ihre Farbe schon in der Kälte vollständig.
Ueber die Natur der bei der Entfärbung mittelst des hydroschwefligsauren Natrons
entstehenden Producte vermag ich noch keinen Aufschluß zu geben; sie scheinen von
den durch Reduction erhaltenen analogen Leucoderivaten verschieden zu seyn, denn sie
nehmen bei Berührung mit der Luft ihre frühere Farbe großentheils wieder an.