Titel: | Ueber die Wirkung und den relativen Werth der Desinfectionsmittel; von J. A. Wanklyn. |
Fundstelle: | Band 210, Jahrgang 1873, Nr. LXXVIII., S. 465 |
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LXXVIII.
Ueber die Wirkung und den relativen Werth der
Desinfectionsmittel; von J. A.
Wanklyn.
Aus dem Pharmac. Journal and Transactions, vol. XXXIX p.
205; September 1873.
Wanklyn, über die Wirkung und den relativen Werth der
Desinfectionsmittel.
Wenn wir die Ansteckungsstoffe von z.B. dem Scharlachfieber erhitzen, so zerstören
wir sie. Es kann ferner kaum zweifelhaft seyn, daß, wenn wir Chlorgas mit
Ansteckungsstoffen in directe Berührung bringen, wir sie gleichfalls vernichten.
Kochen wir sie mit Vitriolöl oder mit übermangansaurem Kali, so erhalten wir
dasselbe Resultat. Tauchen wir sie in concentrirte Carbolsäure, oder behandeln wir
sie mit einem Ueberschusse von Quecksilbersublimat oder arseniger Säure, so machen
wir sie wahrscheinlich wirkungslos. Es ist in der That höchst wahrscheinlich, daß
jede Art von Ansteckungsstoffen durch Berührung mit einem kräftigen chemischen Agens
ihre Wirksamkeit verliert.
Erwärmen wir dagegen nur schwach, und wenden wir das chemische Agens nur verdünnt an,
so liegt kein Grund zu der Annahme vor, daß wir durch Anwendung des einen oder
anderen Mittels zur Zerstörung des Ansteckungsstoffes beitragen. Es besteht ein
Unterschied nicht nur in dem Grade, sondern auch in der Art zwischen der Wirkung des
nämlichen chemischen Agens im concentrirten und im verdünnten Zustande. Concentrirte
Schwefelsäure verwandelt den Rohrzucker in eine kohlige Substanz, verdünnte dagegen
denselben in Dextrin und Glykose, und ertheilt ihm merkwürdigerweise die Fähigkeit,
faulige Zersetzungen zu erleiden. Von sehr schwachem Bleichpulver (Chlorkalk) weiß
man, daß dadurch die Entwicklung gewisser niedriger Lebensformen begünstigt wird;
und Pettenkofer hat bekanntlich gefunden, daß Keime,
deren Entwickelung durch Carbolsäure gehemmt war, wieder in's Leben zurückgerufen
wurden, wenn man die Säure verdünnte.
Bei der praktischen Anwendung der Desinfectionsmittel ist die Thatsache, daß
Verdünnung ihre Wirksamkeit vernichtet, durchgängig unberücksichtigt geblieben. Man
hat oft Versuche gemacht, die Atmosphäre zu desinficiren. Als irgendwo die
Rinderpest ausgebrochen war, soll man, um die Luft zu reinigen, dem Vieh in
Carbolsäure getauchte Tücher an die Hörner befestigt und sie so über die Aecker
getrieben haben. Ich brauche die Unzulänglichkeit eines solchen Verfahrens nicht
besonders zu betonen; überhaupt möchte es uns kaum gelingen, aus der großen
Atmosphäre, welche unsere Felder und Straßen bedeckt, irgend etwas durch chemische Mittel zu entfernen.
Aber es dürfte wahrscheinlich nicht nutzlos seyn, auch das Unpraktische der
Behandlung der sehr beschränkten Atmosphäre eines Wohnhauses durch chemische Mittel
besonders hervorzuheben. Gewiß werden indeß sehr einfache Betrachtungen hinreichen,
den letzten Zweifel an der Nutzlosigkeit des Bestrebens, verdorbene Luft zu
reinigen, zu zerstreuen.
In einem wohlbekannten amtlichen Erlasse von, wenn ich nicht irre, Professor Rolleston in Oxford wurde auch Anleitung zur Desinfection
eines Zimmers (room) vermittelst schwefliger Säure
gegeben. So und so viel Schwefel (die Menge der Größe des Zimmers entsprechend) sey
zu verbrennen, und dabei Thüren und Fenster verschlossen zu halten; ferner wurde
hervorgehoben, daß, so lange während der Operation (der Verbrennung des Schwefels)
ein Mensch das Zimmer auf einen Augenblick betreten könne, die Desinfection noch
nicht ganz erzielt sey. Mit anderen Worten soll das heißen, die Luft sey erst dann
desinficirt, wenn man sie absolut nicht mehr einzuathmen vermöge. Dasselbe gilt
sicherlich allgemein auch von anderen Agentien; kurz, wir können die Luft eines
Zimmers durch chemische Mittel nicht reinigen, ohne dieselbe zugleich zu verderben
(unathembar zu machen). Das Bestreben die Luft zu desinficiren, ist folglich unnütz.
Dieser Ausspruch wird noch schlagend illustrirt durch gedruckte Anweisungen zum
Desinficiren; so heißt es z.B. in Dr. Wilson's kleinem Aufsatze „Desinfectionsmittel
und ihre Gebrauchsweise:“
„Das Chlorgas ist giftig und greift, im Ueberschuß eingeathmet, die Lungen
an. Für ein Wohnzimmer, dessen Fenster und Kamine geschlossen sind, thue man in
eine Schüssel 1/4 Pfund Braunstein, setze 1/2 Pinte (10 Unzenmaaße) Salzsäure
hinzu, rühre um und lasse die Schüssel 6 Stunden lang im Zimmer
stehen.“
Denken wir uns nun ein Zimmer von 13' Länge, Breite und
Höhe, oder von ungefähr 39 Kubikmeter Rauminhalt (und das ist kein sehr großes
Zimmer), und berechnen wir wie viel Chlor durch 1/4 Pfd. Braunstein in Freiheit
gesetzt wird, so erhalten wir 3 Theile Chlor in 1000 Theilen Luft. Factisch würde
aber eine solche Zimmerluft keineswegs 3/1000 Chlor enthalten, denn die Wände sind
nicht undurchdringlich, und während der 6 Stunden tauscht die innere Luft sich mit
der äußeren aus, so daß die Annahme, erst auf 10000 Theile kommen 3 Theile Chlor,
der Wahrheit näher stehen dürfte. Aber selbst ein mit derartig chlorhaltiger Luft
angefülltes Zimmer eignet sich noch nicht zum Aufenthalte. Wie viel (resp. wie
wenig) Chlor in einem bewohnbaren Zimmer da noch
vorhanden seyn kann, überlasse ich dem Erwägen eines Jeden. Mir will es scheinen, daß die
Weisheit des Arztes, welcher ein Täßchen mit Chlorkalk und Salzsäure in das Zimmer
seines Kranken stellt, nicht höher steht als die der Rinderpest-Commissäre
mit ihren in Carbolsäure getauchten Tüchern an den Hörnern des Rindviehes.
Die Erfahrung bestätigt die Richtigkeit dieser Auslassungen; ich habe u.a. vernommen,
daß während des deutsch-französischen Krieges die Wunden der Kranken in den
Spitälern, obgleich diese von Carbolsäure-Geruch ganz durchdrungen waren,
doch nicht heilen wollten. Obgleich ich glaube daß die Reinigung von Luft, welche
einmal unrein, ein hoffnungsloser Versuch ist, so folgt daraus noch keineswegs, daß
Desinfectionsmittel zur Reinheit der Atmosphäre in gar keiner Beziehung ständen. Es
ist klar, daß man soviel als möglich vermeiden muß, die Luft zu verunreinigen.
Durch wirksame Anwendung von Desinfectionsmitteln auf schmutzige Oberflächen werden
wir die Verunreinigung der Atmosphäre unserer Wohnungen verhüten können. Eine der
wichtigsten Eigenschaften eines Desinfectionsmittels muß seyn, daß es antiseptisch
ist; es soll Zersetzung und Fäulniß bis auf eine gewisse Zeitdauer verhüten. Ein
gutes Desinfectionsmittel darf weder die Luft verunreinigen, noch giftig oder ätzend
wirken. Es gibt eine sehr verbreitete Substanz, welcher man sich schon seit langer
Zeit zur Vorbeugung der Fäulniß bedient, die nur in concentrirter Form wirkt, nicht
riecht, nicht giftig und auch kaum ätzend ist – ich meine das gewöhnliche
Kochsalz. Dieses sowie dessen Analoga, Chlorcalcium und Chlormagnesium, halte ich
für die nützlichsten allgemeinen Desinfectionsmittel.