Titel: | Die condensirte Milch in der Wiener Weltausstellung; von Adolph Ott in Bern, gew. Mitglied der internationalen Jury und Berichterstatter der 4. Section IV. Gruppe. |
Autor: | Adolph Ott |
Fundstelle: | Band 211, Jahrgang 1874, Nr. XXX., S. 150 |
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XXX.
Die condensirte Milch in der Wiener
Weltausstellung; von Adolph Ott
in Bern, gew. Mitglied der internationalen Jury und Berichterstatter der 4. Section IV.
Gruppe.
Ott, über die condensirte Milch in der Wiener
Weltausstellung.
Die geographische Reihenfolge einhaltend, wie sie in der Ausstellung zur Anwendung
kam, beginne ich mit England. In der Abtheilung dieses
Landes hatte die Aylesbury Company, 96 Leadenhall St.
London, ausgestellt. Dieselbe wurde vor 3 Jahren durch einen früheren Director der
Fabrik in Cham gegründet und begann damit die Milch von 400–500 Kühen per Tag zu condensiren, während jetzt ungefähr die
dreifache Quantität verbraucht wird und von 12,000–15,000 Büchsen à 1 Pfund per Tag
erzeugt werden.
Bekanntlich ist das bei der Milchcondensation zur Verwendung gelangende Verfahren
überall so ziemlich dasselbe, nur dürften in den verschiedenen Fabriken nicht ganz
die nämlichen Apparate vorkommen. Während aber meines Wissens in Europa die
condensirte Milch, damit sie sich für längere Zeit halte, in allen Etablissements
mit Zucker versetzt wird, wird in den Ver. Staaten von Nordamerika condensirte Milch
ohne Zuckerzusatz in den Handel gebracht. Sie hält sich dann nur von einer Woche bis
zu 10 Tagen, wird aber stark consumirt, indem sich jede Familie für eine Woche mit
diesem Artikel versorgt. Nach einer Analyse im „Lancet“ ergibt sich folgendes Verhältniß der
Hauptbestandtheile der Aylesbury Milch:
Wasser
25,10
Butter oder Milchfett
11,73
Casein
15,17
Milchzucker
16,24
Rohrzucker
29,46
Asche
2,30
––––––
100,00
Die Gesellschaft bezahlt 2 Pence per Quart frische Milch
und verkauft ihr Fabricat per Pfund zu 8 Pence.Die Aylesbury Gesellschaft bringt auch Töpfe mit
condensirter Milch und Kaffee und solche mit einer Mischung von Milch und
Cacao in den Handel.
Die Erfindung der Milchcondensation betreffend, so schreibt man dieselbe meist dem
bekannten Erfinder der Meat biscuits
Gail Borden von New-York zu, allein sie
wurde schon im Jahr 1847 von Martin de Lignac gemacht;
dieser verkaufte sie an einen Hrn. Moore, welcher in Staffordshire und
Middlesex Fabriken gründete.Die nach dem Verfahren von de Lignac dargestellte
condensirte Milch wird von Payen in seinem Werke:
„Des substances
alimentaires“
pag. 76 wie folgt beschrieben: „La substance se trouve dans les boîtes
dans un état pâteux, d'un blanc jaunâtre un peu
translucide; on en délaye la quantité que l'on doit
consommer dans cinq fois son volume d'eau tiède; le liquide
reprend à l'instant l'aspect laiteux primitif; on peut le
faire chauffer jusqu'à l'ébullition, y ajouter la dose
ordinaire d'infusion de thé ou de café, et obtenir
ainsi une préparation salubre et agréable. Dans chaque
boîte entamée la substance peut aisément se
conserver pendant dix jours, et méme plus longtemps, sans
altération, surtout si l'on en prend chaque jour une portion,
ce qui permet de renouveler la superficie.
Im Jahre 1857 ging das Geschäft an Hrn. House
über. Es sey aber bemerkt, daß dieser sowohl als seine Vorgänger die Milch direct
eindampfte und daß erst Borden das Vacuum zur Anwendung
brachte. Die Einführung desselben hat sich für die Milchcondensation, wie bekannt,
als von der höchsten Bedeutung erwiesen.Wem die Ehre gebührt, das Vacuum zuerst proponirt zu haben, ist mir nicht
bekannt, allein ich glaube hier auf eine Stelle von Payen in dessen wenig bekanntem Buch „Des substances alimentaires“
Paris 1856, aufmerksam machen zu müssen. Auf Seite 77 liest man:
„L'usage que l'on fait depuis
plusieurs années de ces conserves de lait dans la marine a
démontré qu'elles sont préférables
à toutes les autres préparations essayées
jusqu'à ce jour.
On parviendra probablement à les
améliorer encore en effectuant l'évaporation dans le
vide, à l'aide d'un agitateur mécanique: il ne serait
plus nécessaire de chauffer autant ni aussi longtemps, et une
température de 45 à
60° suffirait; elle serait
communiquée à la chaudière à fond plat,
étamée ou argentée, par une double enveloppe
où circulerait l'eau chaude ou la vapeur, et on pourrait
effectuer l'oeration en dix ou quinze minutes. Un appareil de ce
genre, analogue à ceux qui servent à concentrer les
sirops, permettrait d'éviter la saveur de lait cuit que
présentent les conserves préparées à la
température de l'ébullition, saveur tres sensible,
surtout lorsqu'on consomme le lait sans y ajouter une substance
aussi aromatique que le thé ou le café.
In der Schweiz hatte außer der Anglo-Swiss Condensed
Milk Company in Cham (Ct. Zug) auch die Alpina,
Gesellschaft für condensirte Milch in Luxburg (Ct. Thurgau) ausgestellt. Erstere
führte im Jahre 1866 den Vacuumproceß zur Eindampfung von Milch in Cham ein,
gründete später die Fabriken in Gossau und Freiburg, und ist gegenwärtig mit der
Erstellung eines vierten Etablissements in Chippenham (England) begriffen. Der Werth
der durchschnittlichen Jahresproduction betrug im Jahre 1872 2 1/2 Mill. Francs. 75
Procent ihrer Production werden in England und 15 auf dem europäischen Continent
consumirt, während 10 Procent durch englische Häuser nach diversen überseeischen
Plätzen Export finden. Die jährliche Production ist in folgenden Proportionen
gewachsen:
Im
Jahre
1868
betrug
dieselbe
58
Proc.
mehr
als
1867
„
„
1869
„
„
50
„
„
„
1868
„
„
1870
„
„
105
„
„
„
1869
„
„
1871
„
„
140
„
„
„
1870
„
„
1872
„
„
98
„
„
„
1871
Nach mir vorliegenden Notizen aus englischer Quelle verwendet die Gesellschaft
täglich die Milch von 1500 bis 2000 Kühen in Cham allein und producirt daselbst etwa
10,000 Büchsen per Tag. Sie beschäftigt in all' ihren
Etablissements 203 Arbeiter und verfügt insgesammt über 135 Pferdekräfte. Für die
Wiedereinführung der Milchcondensation (nach Borden) in
Europa und für die treffliche Qualität ihres Productes wurde ihr das Ehrendiplom zuerkannt.
Die Alpina, Gesellschaft für condensirte Milch in Luxburg,
wurde 1870 gegründet und erzeugt jährlich über eine Million Büchsen. Sie exportirt
nach England, Frankreich, Deutschland, Oesterreich, Italien und auch nach Amerika.
Ihr Fabricat wurde kürzlich von Hrn. Dr. C. Kopp, Professor der technischen Chemie am eidgenössischen
Polytechnicum einer chemischen Untersuchung unterworfen und hat derselbe ein
Gutachten über dieses Erzeugniß abgegeben, das ich seines wissenschaftlichen Werthes
halber hier folgen lasse.
„Die Milch ist als eine ganz ausgezeichnete, vortrefflich dargestellte
condensirte Milch befunden worden. Beim Oeffnen der 2 zugelötheten Blechbüchsen
stellte sich deren Inhalt als eine weiß-gelbliche, durchscheinende, sehr
dickflüssige, wohlriechende Masse dar, von angenehmem, zugleich sehr süßem und
butterigem Geschmack. Mehrere Wochen der Luft ausgesetzt, hielt sie sich sehr
gut, ohne Alteration oder Verderbniß zu zeigen. Sie bedeckte sich mit einer
lederartigen durchscheinenden Haut und behielt beinahe vollständig ihren
ursprünglichen Geschmack, es schmeckte nur der Fettgehalt, wie von älterer
Butter ein wenig mehr vor. Mit 3–4 Theilen warmem Wasser übergossen und
dann tüchtig eingerührt, verdünnt sich die condensirte Milch mit Leichtigkeit zu
einer weißen, milchigen Flüssigkeit, welche von gewöhnlicher guter Kuhmilch, dem
äußeren Ansehen nach, gar nicht zu unterscheiden ist. Sie besitzt auch einen
ausgezeichneten nur etwas süßeren Milchgeschmack. Diese mit Wasser verdünnte
Luxburger condensirte Milch, gab nach einiger Zeit, wie es die gewöhnliche Milch
thut, eine Abscheidung von schön weißem Rahm, welcher sich in dem Probecylinder
zu einer ziemlich dicken Rahmschicht oben auf der Milch ansammelte. Nach einiger
Zeit fand, wie bei normaler Milch eine käfeartige Gerinnung statt. Das
specifische Gewicht, der frisch aus den Blechbüchsen entnommenen condensirten
Milch wurde bei 15°–17° Cels. zu 1,275–1,271
gefunden, d.h. daß 1 Liter solch' condensirte Milch 1275–1271 Gramme
wiegt. Dieselbe condensirte Milch, auf dem Wasserbad einige Stunden erwärmt (in
beinahe verschlossenem Glaskolben, um Verdünstung zu verhüten) zeigte in Folge
der Ausdehnung durch die Wärme, nur noch das specifische Gewicht von 1,235; dabei nahm sie
eine bräunliche Färbung an. Dieser Versuch beweist, daß die condensirte Milch
regelrecht im Vacuum, d.h. bei sehr niederer Temperatur concentrirt worden war,
weil dieselbe keine Spur dieser bräunlichen Färbung zeigt. Die Analyse der mir
übersandten Proben zeigte folgendes Verhältniß der Hauptbestandtheile der
Milch:
Mittel von drei Analysen:
Wasser (durch sehr scharfes Trocknen bei 115° Cels.
bestimmt)
29,09
Butter oder Milchfett
15,01
Milch-Casëin und Milch-Albumin
12,46
Milchzucker
15,12
Rohrzucker
26,30
lösliche Salze
1,44
unlösliche Salze (phosphorsaurer Kalk)
0,50
–––––
Total
99,92
Die Analyse bewies, daß die charakteristischen Bestandtheile der Milch in dieser
concentrirten Milch in reichlicher Quantität und der Qualität nach, in völlig
unverändertem Zustande zugegen sind. Das Fabricat kann also auch als eine
ausgezeichnete, allen Anforderungen entsprechende concentrirte Milch angesehen
werden.
Neuerdings hat die Alpina bei dem österreichischen
Patentamte ein Gesuch um ein Privilegium auf eine verbesserte Construction des
Apparates zur Milchcondensation eingereicht. Es wurde ihr von der Jury für
ausgezeichnete Qualität ihres Erzeugnisses die Fortschritts-Medaille
zuerkannt.
Die deutsch-schweizerische Milchextractfabrik in Kempten
und Vevey, welche sowohl in der schweizerischen als deutschen Abtheilung
der Agriculturhalle exponirt hatte, wurde 1868 errichtet. 1872 wurden (in Kempten
allein) 200,000 Liter Milch condensirt für 13,300 fl. Hauptabsatz in
Deutschland.
Hr. J. Gfall in Innsbruck hatte nach einem neueren
Verfahren dargestellte Milch ausgestellt, welche ebenso gut war wie die anderen
Sorten. Derselbe erwärmt die Milch in einem Kessel auf 65–70° C.,
pumpt die erwärmte Milch durch Röhren, an deren Mündungen perforirte Rosen, ähnlich
denen von Gießkannen angebracht sind, in die Höhe und läßt sie dann in Strahlen in
den Kessel zurückfallen. Diese Procedur wird solange wiederholt, bis die gewünschte
Consistenz erreicht ist. Das Verfahren ist in Oesterreich patentirt und der
Patentinhaber unterbreitete s. Z. der Jury Zeichnungen und Beschreibungen der von
ihm angewandten Apparate, allein Verfasser hat bis jetzt weder vom österreichischen Patentamt,
noch von Hrn. Gfall eine Abschrift von dessen Patent
erhalten können.
Außer den genannten Firmen hatten noch einige landwirthschaftliche Vereine Proben von
condensirter Milch exponirt, ob dieselben aber nur versuchsweise oder fabrikmäßig
dargestellt worden waren, war nicht zu erfahren.