Titel: | Ueber Deacon's Chlorbereitung; von Robert Hasenclever. |
Fundstelle: | Band 211, Jahrgang 1874, Nr. XXXIX., S. 196 |
Download: | XML |
XXXIX.
Ueber Deacon's Chlorbereitung; von Robert Hasenclever.
Aus den Berichten der deutschen chemischen Gesellschaft zu
Berlin, 1874, Nr. 1.
Hasenclever, über Deacon's Chlorbereitung.
Es ist in Journalen und im Geschäftsverkehr vielfach die Rede von dem der Theorie
nach seit vielen Jahren bekannten Verfahren, nach welchem aus Kochsalz mit Anwendung
von Ammoniak und Kohlensäure Soda dargestellt wird. Die Erfinder, welche neuerdings
Apparate für diesen Ammoniak-Sodaproceß construirten, haben wahrscheinlich in
Deutschland keine Patente erhalten, und bleiben daher die Details dieses Verfahrens
lange Zeit Geheimniß. Wenn aber auch dadurch die Beurtheilung des Erfolges in der
Praxis für den Ammoniak-Sodaproceß noch nicht möglich ist, so ist doch das
Factum beachtenswerth, daß an den verschiedensten Punkten Deutschlands Fabriken im
Bau begriffen sind, um das genannte Verfahren im großen Maaßstabe einzuführen.
Es erscheint daher am Platze, auch die Fortschritte zu betrachten, welche die
bisherige Darstellung der Soda und der damit zusammenhängenden Producte in letzter
Zeit erfahren hat.
Es gehören unter Anderem hierhin die Fortschritte in der Concentration der Schwefelsäure namentlich
durch Einführung des Glover'schen Thurmes, ferner die
verbesserten Constructionen der Schwefelkiesröstöfen, sowie die Benutzung der beim
Zinkhüttenproceß aus Blende entweichenden Röstgase zur
Schwefelsäure-Fabrication. – Von allgemeinem Interesse ist die
Umwälzung, welche sich in der Darstellung von Chlor theils vollzogen hat und theils
noch vollzieht.
Wir kennen seit einigen Jahren zwei neue Verfahren der Chlorbereitung, welche das Gas
wesentlich billiger liefern, als es nach der bisher üblichen Weise darzustellen war.
Das eine Verfahren ist von Weldon, das andere von Deacon. Bekanntlich regenerirt Weldon aus der bei der gewöhnlichen Chlorbereitung abfließenden
Manganlauge mit Anwendung von Kalk und Luft den Braunstein wieder, während Deacon den Chlorwasserstoff mit Luft in Wasser und Chlor
zerlegt. In England sind beide Verfahren vielfach in Anwendung; am meisten scheint
sich aber dort der Weldon'sche Proceß einzubürgern. Es
läßt sich das letztere Verfahren ohne besondere Schwierigkeiten und ohne besondere
Beaufsichtigung ausführen, was in den in so großem Maaßstabe betriebenen englischen
Fabriken von hoher Wichtigkeit ist. Deacon's Proceß
dagegen erfordert sehr sorgfältige Montirung, Instandhaltung und Führung der
Apparate. Der nach Weldon dargestellte künstliche
Braunstein soll soviel Kalk enthalten, daß der Salzsäure-Consum für Chlorkalk
ein größerer ist, als der bisher übliche. Dieß ist in England kein großer Nachtheil.
Im Verhältniß zur kolossalen Sodaproduction ist der Absatz an Salzsäure dort gering.
In die Atmosphäre entweicht nach den Vorschriften des Alkali-Actes nur wenig
Chlorwasserstoff, dagegen fließt an manchen Punkten ein Theil der condensirten
Salzsäure dem Meere zu. Es ist also dort ein größerer Salzsäure-Verbrauch für
die Einführung des Weldon'schen Verfahrens der
Chlorkalk-Darstellung nicht hinderlich. Die deutschen und französischen
Fabriken versorgen meist ein bestimmtes abgerundetes Terrain mit chemischen
Producten, die Lage ist für den Import von Materialien und den Export von fertigen
Waaren nicht günstig, und ist durch die beschränkte Ausdehnung der Etablissements
die Production von Salzsäure nicht zu groß. Jede Fabrik bringt Säure als solche in
den Handel, jede hat durch mancherlei Fabricationen Verwendung für die Salzsäure und
würde also einen Mehrverbrauch beim Chlorkalk schwer zulassen können. Die Lage der
continentalen chemischen Fabriken ist eben eine wesentlich andere, als die der
englischen, und kann nicht jede Einrichtung und jede Methode, die dort üblich, hier
nachgeahmt werden. Es haben sich vielleicht auch manche englische Fabrikanten zur
Anlage von Weldon's Apparaten entschlossen, weil vor
einigen Jahren
Deacon's Verfahren weniger vollkommen war, als es jetzt
ist. Der Chlorkalk war anfangs nicht stark genug und der Kohlenverbrauch hoch. Diese
Uebelstände sollen sich inzwischen wesentlich geändert haben. Nach englischen
Berichten hat der Chlorkalk 35 Proc. Chlor und der Brennmaterial-Consum
beträgt pro 100 Chlorkalk 50 Steinkohlen.
Wie aus den Beschreibungen von Deacon's Verfahren
hervorgeht, wird das Gemenge von Chlorwasserstoff und Luft, welches bei der
Zersetzung von Kochsalz und Schwefelsäure aus den Sulfatöfen entweicht, in eisernen
Röhren erhitzt und in einen eisernen Zersetzungsapparat geleitet. Dieser letztere
ist mit Thonkugeln gefüllt, welche mit Kupfervitriol getränkt wurden. Bei Gegenwart
von Kupfervitriol und einer Temperatur von 4–500° C. geht nun die
Zersetzung des Chlorwasserstoffes vor sich. Eine vollständige Spaltung in Wasser und
Chlor wird nicht erreicht, es tritt vielmehr aus dem Decompositions-Apparat
ein Gemenge aus von Chlorwasserstoff, Wasser und Chlor (mit Luft und Stickstoff).
Aus diesem Gemenge wird zuerst der Chlorwasserstoff in einer gewöhnlichen Anlage für
Salzsäure-Condensation entfernt, dann das Gas in einem mit Kohks gefüllten
Thurm, in welchem Schwefelsäure aufgegeben wird, getrocknet und endlich das Chlor in
der gewöhnlichen Weise über Kalk geleitet.
Die detaillirten Studien und Untersuchungen, welche Deacon
mit Dr. Hurter angestellt
hat, sind in einer englischen Abhandlung (On
Deacon's
Method of obtaining Chlorine, a lecture delivered to the
felows of the obtainical society by
Henry Deacon) genau beschrieben und die Resultate
für die Leitung des Betriebes sehr beachtenswerth. Ich gebe hier einige
Mittheilungen aus der genannten Broschüre wieder, bei welcher ich die englischen
Angaben der Temperatur nach Fahrenheit in Celsius
übersetzte, das Verhältniß O zu HCl im Gasgemenge in Volumprocente HCl, und fluid grains per minute in Metergeschwindigkeit der Gase
per Secunde auf eine Temperatur von 0°
reducirte. Besonders interessant sind die Resultate der Laboratoriumsversuche über
den Einfluß den die Temperatur, die Zusammensetzung der Gase und die Geschwindigkeit
auf die Zersetzung von Chlorwasserstoff und Luft haben.
Um den Einfluß der Temperatur kennen zu lernen, hielt man bei verschiedenen
Untersuchungen die Geschwindigkeit der Gase und den Gehalt an Chlorwasserstoff
möglichst constant und gelangte zu den sub Nr.
73–77 (der englischen Broschüre) angeführten Resultaten;
Nr.
Proc. HClim Gasgemisch
Geschwindigkeitin Meternper Secunde
Temperaturin ° Cels.
Proc.zersetzterHCl
72
35,7
0,0087
378
1,5
73
32,5
0,009
378
3,6
74
35,4
0,0104
457
28,1
75
36,9
0,0087
498
66,2
76
38,6
0,0095
511
66,1
77
40,6
0,0093
553
61,2
Ließ man Geschwindigkeit und Temperatur constant und bestimmte die zersetzte Menge
Chlorwasserstoff bei verschiedeneren Gehalten der eintretenden Gase an HCl, so
erhielt man die unter Nr. 119 mitgetheilten Zahlen:
Nr.
ProcentHCl
Geschwindigkeitin Meternper Secunde
Temperaturin ° Cels.
Proc.HClzersetzt
119
41,9
0,0067
438
26,2
30,0
0,0063
438
40,3
22,0
0,0061
438
60,5
21,5
0,006
438
62,0
18,9
0,0065
438
69,1
15,7
0,0062
438
83,8
Beobachtete man die Zersetzung von Chlorwasserstoff bei verschiedener
Geschwindigkeit, möglichst constanter Temperatur und gleichmäßiger Zusammensetzung
der Gase, so ergeben sich die im Versuche Nr. 117 gefundenen Zahlen:
Nr.117
ProcentHCl
Geschwindigkeit
Temperaturin ° Cels.
Proc.HClzersetzt
in Metern perSecunde
Verhältnißdirect
1
37,2
0,00073
1
438
42,9
2
36,0
0,00127
1,74
440,5
43,4
3
38,8
0,00265
3,63
406,6
28,4
4
40,4
0,0061
8,38
432
15,2
5
39,0
0,0093
13,2
438
16,0
6
40,2
0,038
52,4
438
7,2
Es stellte sich ferner durch Vergleiche heraus, daß schwefelsaures Kupferoxyd in
Stücken und Thonkugeln, welche in Kupfervitriol getränkt waren, die gleichen
Resultate geben. Die Zersetzung des Chlorwasserstoffes beruht also auf einer
Oberflächenwirkung, und erzielt Deacon diese große
Oberfläche durch Einfüllen von kleinen Thonkugeln (1/2 Zoll englisch) in den
Decompositions-Apparat. Es erscheinen diese Kugeln für die Praxis als ein
geeignetes Füllmaterial, wenn die gewählte Form auch theoretisch für diesen Zweck
den Fehler hat, von allen Körpern beim größten Inhalte die kleinste Oberfläche zu
besitzen. Hohle Cylinder und andere Formen wären daher theoretisch
empfehlenswerthere Körper, jedoch bietet die Anfertigung des Füllmateriales und die
gleichmäßige Lagerung so viele Schwierigkeiten, daß man einstweilen nur Thonkugeln
in der Praxis verwendet hat. Die Oberfläche kann auch durch Kugeln von kleinem
Durchmesser schon recht groß werden, ohne die Passage der Gase zu hemmen, da ja beim
Anfüllen eines Raumes der freibleibende Querschnitt derselbe ist, gleichgültig ob
Kugeln vom größten oder kleinsten Durchmesser als Füllmaterial benutzt wurden, nur
müssen die Kugeln unter sich denselben Durchmesser haben.
Das nach Deacon erhaltene Chlor ist so verdünnt durch
Stickstoff und Luft, daß zur vollständigen Absorption die mit Kalk bedeckten
Flächenräume ca. sechsmal so groß genommen werden
müssen, als bei der gewöhnlichen Chlorkalk-Fabrication. Die Anlage des Deacon'schen Apparates ist hauptsächlich durch diese
ausgedehnten Kammern kostspielig, dagegen ist der Arbeitslohn nicht erheblich, der
Kohlenverbrauch mäßig und der Verbrauch von Braunstein ganz beseitigt. Wie hoch die
Anlagekosten sind, und welche Betriebsresultate in der Praxis erzielt werden,
darüber kann ich erst später berichten. Der chemischen Fabrik
„Rhenania“ scheint Deacon's
Verfahren so vortheilhaft zu seyn, daß in Stolberg die Apparate in der Anlage
begriffen sind und in einigen Monaten in Betrieb kommen werden.
Inzwischen werden auch wohl über Weldon's
Chlorkalkdarstellung Betriebs-Resultate publicirt werden und einen Vergleich
der beiden Methoden ermöglichen.
Von ganz besonderem Vortheil für die Praxis ist der Umstand, daß bei Deacon's Verfahren ein Ventilator hinter den Kammern
angebracht ist, welcher die Gase vom Sulfat-Ofen aus durch alle Apparate
hindurch aspirirt. Aus keiner undichten Stelle strömt Chlorwasserstoff aus, überall
zieht Luft ein, und gelangen also keine sauren Dämpfe in die Atmosphäre, keine
schädlichen Lösungen in die Flüsse. Würde Salzsäure schlecht condensirt, so wäre die
Folge, daß der Chlorkalk in den Kammern zersetzt und der eiserne Ventilator
angegriffen würde. Der Fabrikant hat also das größte Interesse, für eine gute
Condensation zu sorgen, und mehr wie irgend welche gesetzliche Normativbestimmung ist Deacon's Chlorproceß geeignet, die schädlichen Einflüsse
der Salzsäure vollständig zu beseitigen.