Titel: | Die Eigenschaften der verschiedenen Wirkmaterialien und ihr Einfluss auf das Wirken; von Gustav Willkomm, Director der Fachschule für Wirkerei in Limbach bei Chemnitz. |
Fundstelle: | Band 212, Jahrgang 1874, Nr. IV., S. 29 |
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IV.
Die Eigenschaften der verschiedenen
Wirkmaterialien und ihr Einfluss auf das Wirken; von Gustav Willkomm, Director der Fachschule für
Wirkerei in Limbach bei Chemnitz.Mit gef. Genehmigung aus des Verfassers diesjähriger „Einladungsschrift der
Fachschule für Wirkerei in Limbach“.
Willkomm, über die Eigenschaften der verschiedenen Wirkmaterialien
und ihr Einfluss auf das Wirken.
Die zum Wirken verwendeten Materialien sind in der Hauptsache: Garne und Seide; von
ersteren werden am meisten Baumwoll- und Wollgarne, weniger häufig Leinengarne, und von letzterer
sowohl Rohseide als auch gesponnene Seide (eigentliches Seidengarn) benützt. Die
Fäden werden einfach und doublirt, im letzteren Falle entweder offen oder scharf
zusammengedreht, als Zwirn verarbeitet; sie sind entweder roh, wie sie die Spinnerei
liefert, oder gefärbt oder auch (wie das Eisengarn) mit einer gewissen Appretur
versehen, welche ihnen Festigkeit, Steifigkeit und Glanz verleiht. Je nach der Art
des ursprünglichen Materiales oder nach der Methode des Spinnprocesses oder auch
nach dem Verfahren bei der Appretur erhalten die zum Wirken bestimmten Fäden
verschiedene Eigenschaften; sie werden glatt oder rauh, weich und biegsam oder hart
und steif und zeigen größere oder geringere Elasticität. Diese Eigenschaften üben
aber einen wesentlichen Einfluß auf die Verwendbarkeit der Garne zur Maschenbildung
in den verschiedenen Wirkmaschinen und nur daher schreiben sich die Bedingungen,
welche man oft von den mit der Wirkerei nicht ganz vertrauten Personen bei der
Auswahl oder Bestellung von Maschinen aussprechen hört: „daß dieser oder
jener Stuhl auch Seide oder Flor oder hartes Kammgarn etc. verarbeiten
müsse.“ Wie die einzelnen bisher zum Wirken verwendeten Maschinen
diese Bedingungen erfüllen und welche Aushilfe man treffen kann, wenn sie dieselben
nicht erfüllen, das soll in Folgendem zusammengestellt werden.
Erörtert man zunächst die Frage: welche Eigenschaften den Garnfäden ihre Verarbeitung
in den Wirkmaschinen erschweren oder unmöglich machen, so findet man, daß
hauptsächlich die Rauhheit, die Steifigkeit und die Biegungselasticität der Fäden
Uebelstände nach genannter Richtung hin bilden.
Die Rauhheit des Materiales erschwert die Bewegung der
Maschenreihen auf den Nadeln, also das Auftragen und Abschlagen der Waare; sie tritt
als Hinderniß sowohl der Kulir-Arbeit als auch der Kettenarbeit auf,
gleichgiltig ob man Spitzen- oder Zungennadeln verwendet, und sie wirkt
mindestens kraft- und zeitraubend oder verursacht im schlimmeren Falle auch
noch schlechte Waare, wenn einzelne Maschen nicht abgeschlagen werden, also
Doppelmaschen bilden.
Die Steifigkeit der Fäden erschwert das Umbiegen derselben
zu Schleifen über die Stuhlnadeln; sie veranlaßt zunächst größeren Kraftaufwand
wenigstens in der Kulirwirkerei, sei dies beim Kuliren zwischen den Spitzennadeln
oder beim Herausziehen oder Drängen der Schleifen durch die Zungennadeln. Da die
Steifigkeit indeß nicht in allen Fäden und auch nicht in allen Theilen eines Fadens
gleich stark auftritt, so verursacht sie auch eine Ungleichheit des Zuges, welchen
die Fadenschleifen auf
die Nadeln, senkrecht gegen deren Längsrichtung, ausüben. Letztere werden dadurch
während des „Kulirens“ sowohl als auch während des
„Legens“ der Schleifen aus ihrer Richtung abgebogen, und
dabei entstehen verschiedene lange Schleifen und Maschen; man pflegt zu sagen:
„Das Garn zieht die Nadeln.“
Die Elasticität der Fäden endlich ist eine höchst
schätzenswerthe Eigenschaft derselben in der fertigen Waare, hindert aber deren
Herstellung sehr und kann sie sogar ganz unmöglich machen. In beiden Fällen, in der
fertigen Waare und während der Herstellung derselben, kommt wenig oder gar nicht die
Elasticitätswirkung der Spannung, Zusammendrückung oder Drehung als vielmehr fast
ausschließlich die Biegung in Betracht.
Wird ein kurzes Fadenende seitlich aus seiner Richtung abgebogen, so sucht es, nach
dem Aufhören der Kraftäußerung, seine urspringliche Lage wieder herzustellen; dieses
Bestreben ist in allen Theilen der Fäden, wenn auch verschieden stark, vorhanden; es
ist die Wirkung ihrer Biegungselasticität. In der ältesten Wirkmethode, der
Kulirarbeit, wird aber ein Faden, während des Herstellens der Schleifen, sehr
vielfach umgebogen und es bleiben auch die letzteren, also die eben gebogenen
Fadenlagen, eine Zeit lang frei auf den Nadeln hängen. Ist nun der Faden gegen die
Biegung sehr elastisch, so sucht er sich wieder gerade zu strecken, die Henkel
bleiben nicht geordnet hängen, sondern biegen sich auf und springen wohl gar hinter
die Haken der Spitzennadeln, in welchen sie hingen, zurück – eine weitere
Verarbeitung zu einer Maschenreihe ist also gar nicht möglich. Die Elasticität der
Garne erschwert also wenigstens die Kulirarbeit insofern, als sie leicht durch
Ausspringen einzelner Schleifen Fehler in der Waare verursacht; sie braucht nicht
immer mit der Steifigkeit zugleich aufzutreten, da bekanntlich ein Körper sehr wohl
steif und hart sein kann, ohne dabei einen hohen Grad von Elasticität zu besitzen.
In der Kettenarbeit ist die Biegungselasticität der Fäden eigentlich kein Hinderniß,
da während der Maschenbildung der Kettenwaare jede Schleife im Allgemeinen aus einem
besonderen Faden gelegt wird und die Schleifen nicht frei hängen bleiben.
In der fertigen Waare ist, wie schon bemerkt, die oben genannte Eigenschaft des
Materiales eine sehr erwünschte und wichtige; sie bedingt die Elasticität der
Wirkwaare, durch welche die letztere hauptsächlich von gewebten, geklöppelten und
geknüpften Stoffen oder Waaren sich unterscheidet und sie kommt im fertigen Gewirke
in folgender Weise zur Geltung.
Jede Masche des letzteren bildet eine Fadenlage von der Form zweier symmetrisch zu
einander stehenden S, in jeder Masche ist also der Faden
viermal aus seiner Richtung rechtwinkelig abgebogen und in dieser Lage wird er durch
die Nachbarmaschen gehalten, welche dieselbe Form haben und von denen eine in die
andere eingehängt ist. Wenn nun ein ganzes Gewirke aus lauter solchen Maschen
besteht (in glatter Waare ist dies vollkommen der Fall, in Wirkmustern nur
theilweise), so kommt der Faden in ihm nirgends lang gestreckt, sondern überall
gebogen vor. Während des Wirkens wird die Waare durch die Abzugsgewichte, welche das
Abschlagen erleichtern, in der Arbeitsrichtung etwas angespannt, und unter dem
Einflusse derselben bildet sich nun in den Maschen eine ganz bestimmte Form und
Fadenlage, welche der Faden auch immer beizubehalten sucht und welche er, vermöge
seiner Biegungselasticität wieder herstellt, wenn sie gestört worden ist. Wird z.B.
der Stoff breit ausgezogen, so wird diese Normallage insofern gestört, als die
Maschen breit und kurz gezogen werden, während sie beim Anspannen des Stückes in
dessen Längs- oder Arbeitsrichtung sich lang und schmal ziehen. – Nach
dem Aufhören der Kraftwirkung suchen sie ihre ursprüngliche Form wieder herzustellen
und damit auch dem Waarenstücke seine frühere Gestalt wieder zu geben. Nur hierdurch
werden die Wirkwaaren geschickt zur Verwendung für solche Kleidungsstücke, welche
eng an die Körpertheile sich anschließen sollen; sie dehnen sich leicht an einer
Stelle über Vorsprünge hinweg, ohne genau nach deren Form gearbeitet zu sein und
ohne deßhalb zu spannen und zu drücken oder an einer anderen Stelle Falten zu
werfen.
Die verschiedenen Fäden verhalten sich in Bezug auf die drei störenden Eigenschaften:
Rauhheit, Steifigkeit und Biegungselasticität etwa wie folgt.
Baumwollgarn besitzt dieselben nicht in sehr hohem Grade;
es ist zwar im Allgemeinen mehr rauh als glatt zu nennen, aber biegsam und so wenig
elastisch, daß die kulirten Schleifen frei hängen bleiben; es wird deshalb auch
vielfach, namentlich als offenes und rohes Garn, ohne besondere Vor- und
Einrichtungen verarbeitet. Ist es aber gefärbt, so kann es je nach den Farbstoffen
die genannten Eigenschaften schon in höherem Maaße enthalten; es wird namentlich
dadurch leicht rauh und steif. Ebenso ist doublirtes und gezwirntes Garn steifer und
elastischer als einfach offenes, und der Flor, d. i. zweifach gezwirntes und
gesengtes Baumwollgarn ist entschieden rauher und elastischer als ein offener Faden.
Das Material für die beste baumwollene Wirkwaare ist daher offenes Mulegarn aus
guten Baumwollen, mit glatten und nicht zu kurzen Fasern gesponnen; dasselbe verarbeitet sich
leicht und entwickelt wegen seinen langen Fasern in der Waare noch die gewünschte
Elasticität. Letztere ist nach Verlauf einiger Zeit größer als sogleich nach der
Herstellung, da die gebogenen Fadenlagen, eine längere Zeit gehalten, sich schwerer
verziehen lassen als sogleich nach dem Wirkprocesse, dessen Eindrücke und Biegungen
der Faden erst anzunehmen hat. Wird aus einer älteren Wirkwaare eine freie
Maschenreihe aufgezogen und der Faden sich selbst überlassen, so nimmt er sogleich
die Gestalt der nach den einzelnen Maschen gebogenen Wellenlinie wieder an, während
der Faden von einer eben erst gewirkten Reihe kaum merklich sich kräuselt. Diese
letztere Bemerkung gilt auch für die folgenden Materialien.
Das Wollgarn ist wohl im Allgemeinen als biegsam, dagegen
als sehr elastisch und rauh zu bezeichnen; besteht es aus kurzen starken Haaren, so
ist es rauher als das von langen feinen Haaren gesponnene, und Wollgarn von langen
Haaren ist elastischer und steifer als das von kurzen um so mehr, je stärker die
Haare sind. Kammgarn, namentlich das aus den langen Wollen der Niederungsschafe
gesponnene, wird deshalb als hart, d.h. wohl steif, und sogenannte Mooswolle oder
Zephirgarn als weich, d.h. biegsam, bezeichnet. Wollgarn von starken Haaren anderer
Thiere als der Schafe (Kühe, Hunde) kommt höchst selten in der Wirkerei vor, ist
aber natürlich als sehr hart zu behandeln.
Leinengarn wird im Allgemeinen wenig zu Wirkwaaren
verwendet; es ist glatt und steif, auch ziemlich bedeutend elastisch gegen
Biegung.
Die Seide ist als Coconfaden zunächst glatt, steif und
elastisch, da sie nicht aus einzelnen Fasern zusammengesponnen, sondern von der
Seidenraupe als ein ganzer Faden hergestellt wird, welcher ab und zu Verdickungen
enthält. Für den Gebrauch werden die Coconfäden vielfach doublirt (20-, 30
fach), und der so entstehende Rohseidenfaden ist wegen der Verdickung der
Einzelfäden und namentlich wegen Ungleichheiten im Doubliren schon als rauh zu
bezeichnen. Die gesponnene Seide, das eigentliche Seidengarn (Florettseide), ist wie
Baumwolle aus einzelnen Fasern hergestellt und dem Baumwollgarne ähnlich, wenn auch
rauher und elastischer als dieses.
(Der Schluß folgt im nächsten Heft.)