Titel: | Die fabrikmässige Gewinnung des Bleichkalkes und die neueste Veröffentlichung darüber; von Dr. G. Richters und G. Juncker. |
Autor: | G. Richters , G. Juncker |
Fundstelle: | Band 212, Jahrgang 1874, Nr. LVI., S. 339 |
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LVI.
Die fabrikmässige Gewinnung des Bleichkalkes und
die neueste Veröffentlichung darüber; von Dr. G. Richters und G. Juncker.
Richters und Juncker, über die fabrikmäßige Gewinnung des
Bleichkalkes und die neueste Veröffentlichung darüber.
Als wir vor einigen Monaten unsere kritischen Beiträge zur Kenntniß des Chlorkalkes
veröffentlichtenVergl. Dingler's polytechn. Journal 1874, Bd. CCXI
S. 31 (erstes Januarheft)., glaubten wir nicht, daß dieselben schon nach kurzer Zeit eine so
verschiedene Beurtheilung finden würden, wie es der Fall gewesen ist. Göpner, auf dessen AbhandlungDingler's polytechn. Journal 1873, Bd. CCIX S.
204. unsere Arbeit speciell Bezug nimmt, erwähnt gelegentlich seiner
RechtfertigungBerichte der deutschen chemischen Gesellschaft, Jahrg. 1874, S. 270. gegenüber der Angriffe Schorlemmer's, daß mit
seinen Resultaten über die Zersetzung des trockenen Chlorkalkes durch Säuren die in der schönen Abhandlung von Richters und Juncker
niedergelegten Resultate vollständig übereinstimmten.
Im Gegensatze hierzu ereifert sich nun ein Anonymus F. K.Dingler's polytechn. Journal 1874, Bd. CCXI. S.
461 (zweites Märzheft)., welcher bei der Abhandlung Göpner's Pathe
gestanden zu haben scheint, gegen unsere Erklärung des ständigen Vorkommens von
Kalkhydrat im Chlorkalk. Wir hatten dasselbe auf den Umstand zurückgeführt, daß im
Laufe der Chlorkalkbildung das Kalkhydrat durch die sehr hygroskopische bleichende
Verbindung CaOCl (CaOCl₂) vollständig seines
Feuchtigkeitsgehaltes beraubt und in Folge dessen von dem noch ferner hinzutretenden
Chlor nicht mehr angegriffen werde. Göpner dagegen sucht
die Ursache in dem Vorkommen von Chlorcalcium, welches durch Einhüllung, also auf rein mechanischem Wege, einen Theil des Kalkhydrates
der Einwirkung des Chlors entziehe. Zu bemerken ist dabei, daß Göpner mit uns den bleichenden Bestandtheil des Chlorkalkes für eine der
empirischen Formel CaOCl₂ (CaOCl) entsprechende
Verbindung hält. Chlorcalcium kommt nach ihm zwar in jedem Chlorkalk vor und zwar in
sehr wechselnder Menge, aber nicht im Sinne der älteren Anschauung als
constituirender Bestandtheil, nicht gewissermaßen als Correlat des
unterchlorigsauren Kalkes, sondern als ein von äußeren Ursachen herrührender,
zufälliger und wechselnder Gemengtheil.
Wir glaubten diese kurzen Bemerkungen zur Orientirung des Lesers, den wir im Uebrigen
auf die Originalabhandlungen verweisen, vorausschicken zu sollen.
Gegen die oben erwähnte, von uns gegebene Erklärung zieht nun unser anonymer Gegner
mit einer wahrhaft überwältigenden Logik zu Felde!
Der uns zur Verfügung stehende Raum gestattet leider nicht auf jede einzelne
Einwendung unseres Gegners einzugehen. Nur dasjenige, was mit einigem Schein von
Begründung gegen unsere Auffassung vorgebracht worden ist, wollen wir eingehender
betrachten.
Unser Logiker beginnt a. a. O. S. 463: „Nach den Chemikern der Silesia ist der wesentlichste Umstand, der ihnen
gegen die Erklärung
Göpner's spricht, ein verhängnißvoller Zufall, der
ihn mit Chlorkalksorten operiren ließ, die 14 Procent und darüber Chlorcalcium
enthielten. . . . Ein Betrag von 14 Proc. Chlorcalcium und darüber ist
bekanntlich keineswegs unerhört, aber er ist weder eine Voraussetzung der
Erklärung Göpner's, noch steht er damit principiell
im Widerspruch.“
Nun, es ist uns nicht im Entferntesten eingefallen, in einem Zufall, welchem wir eine rein subjective Bedeutung vindicirt haben, einen
wesentlichen Umstand zu sehen, der gegen die
Richtigkeit einer Erklärung sprechen könnte; noch weniger
haben wir irgendwo behauptet, daß ein Betrag von 14 Proc. Chlorcalcium eine Voraussetzung der Erklärung Göpner's sei, am allerwenigsten aber, daß er damit principiell im
Widerspruch stehe. Es ist uns unverständlich, wie man derartiges aus dem
betreffenden Passus auf S. 40 unserer Abhandlung hat herauslesen können! Ganz
ähnlich verhält es sich mit den 42 Proc. Kalkhydrat, welche intact blieben, als Göpner Aetzkalk mit Chlorwasserstoffgas behandelte.
Hätten wir, ohne dadurch den Sinn unserer ganzen Argumentation auch nur im Mindesten
zu ändern, den Wortlaut des betreffenden Passus, welchen der Anonymus zu bemängeln
für gut befindet, etwa so gefaßt: „Göpner
stützt sich dabei auf einen Versuch, welcher das
Ergebniß hatte, daß von 100 Th. Kalkhydrat nur 58 Th. in Chlorcalcium verwandelt
wurden, während die übrigen 42 Procent intact blieben“ –, so
hätte dem Anonymus wohl jede Gelegenheit gefehlt, dem Leser glauben zu machen, nach
unserer beschränkten Auffassung liege der Schwerpunkt gerade in den 42 Procent
Kalkhydrat, die nicht umgewandelt wurden. Diese 42 Procent sind uns in der That ganz
gleichgiltig gewesen. Wohl aber scheint uns – ganz allgemein gesprochen
– bei der großen Menge des Chlorcalciums, welche zum Schutze des Kalkhydrates
erforderlich war, das Resultat des Experimentes sich wenig zu einer Verwerthung zu
Gunsten der Erklärung Göpner's zu eignen. Die geistreiche
Anekdote vom Wasserrade und der Turbine (auf Seite 464) hat uns ebenso wenig vom
Gegentheil überzeugt, wie der angezogene Versuch von Wolters.
Die Sache ist einfach folgende: Chlorkalke, die nach erschöpfender Behandlung mit
Wasser eine Lösung geben, in welcher auf 1 Aeq. CaOClO
(CaO₂Cl₂) kaum mehr wie 1 Aeq. CaCl
(CaCl₂,) kommt, die also in trockenem Zustande von Chlorcalcium fast
vollkommen frei sind, werden selbst beim fabrikmäßigen Betriebe gar nicht selten
angetroffen. Es ist das eine Erfahrung, die jeder Chlorkalk-Fabrikant
bestätigen wird. Göpner
A. a. O. Seite 224. selbst erwähnt in seiner Abhandlung ein Präparat, dessen Gesammtgehalt an Chlor 39,20
Procent betrug, während das Chlor der bleichenden Verbindung nach einer eigenen
Methode bestimmt = 38,92 Proc., nach dem bekannten Otto'schen Verfahren aber = 39,24 Procent gefunden wurde. Hiernach berechnet
sich der Gehalt an Chlorcalcium mit Zugrundelegung der ersteren Zahl = 0,438
Procent. Nimmt man die zweite Zahl aber als richtig an, so war Chlorcalcium in dem
betreffenden Chlorkalk überhaupt nicht vorhanden. Daß der letztere nicht fabrikmäßig
erhalten, sondern im Laboratorium präparirt war, ist aus naheliegenden Gründen für
die Entscheidung der Frage nach der ursachlichen Beziehung zwischen dem ständigen
Gehalt des Bleichkalkes an Kalkhydrat und dem Auftreten des Chlorcalciums ganz
unwesentlich.
Diese geringe, mitunter kaum mit Sicherheit bestimmbare Quantität Chlorcalcium soll
nun im Stande sein, ca. 20 Proc. Kalkhydrat auf rein
mechanischem Wege von der Umwandlung in Chlorkalk auszuschließen! Und der Beweis?
Ganz einfach: Jeder Chlorkalk enthält nach Göpner freies Chlorcalcium (zuweilen freilich in kaum
bestimmbaren Spuren, wie die obigen Zahlen zeigen). Bei Anwendung von
kohlensäurefreiem Aetzkalk soll dasselbe durch den Chlorwasserstoff gebildet werden,
von welchem sich das zur Darstellung des Chlorkalkes dienende Chlor angeblich auf
keine Weise vollständig befreien läßt. Behandelt man andererseits Kalkhydrat mit
gasförmiger Chlorwasserstoffsäure, so entzieht sich stets ein Theil desselben der
Umwandlung in Chlorcalcium, folglich ist auch das im Chlorkalk vorhandene
Chlorcalcium die Ursache des ständigen Vorkommens von Kalkhydrat im Chlorkalk! Wenn
diese Art der Beweisführung genügt, dann wird auch die Erklärung Göpner's befriedigen; wir aber sind auf die Gefahr hin
von dem anonymen Logiker vorgefaßter Meinungen und absoluter Urtheilslosigkeit
geziehen zu werden, der Ansicht, daß die Erklärung Göpner's keinen Anspruch darauf machen kann, für so zweifellos zu gelten,
daß unser Gegner jede andere Meinung als ungereimt zurückweisen darf.
Sollte der Leser etwa glauben, daß unsere Darstellung der Beweisführung Göpner's eine nicht zutreffende sei, so ersuchen wir ihn
dessen Aufsatz nachzulesen. Er wird finden, daß nach Eruirung der angegebenen
Thatsachen die „Erklärung“ plötzlich
fix und fertig dasteht (a. a. O. Seite 210), und daß Nichts vorhergegangen ist, was
sonst noch zu ihrer Begründung dienen könnte.
Auch wird sie nicht als möglicherweise zutreffend sondern
ohne Weiteres als Factum hingestellt, dem gegenüber jeder
Zweifel verstummen muß. Nachträglich werden freilich noch
einige, lediglich bestätigende Versuche ausgeführt, welche indessen für die
Beweisführung selbst
vollkommen werthlos sind. Oder will man uns ernstlich zumuthen, aus den auf Seite
211 und 212 mitgetheilten Versuchen den Schluß zu ziehen, daß das Chlorcalcium – und gerade
nur dieses – die Ursache des vorkommenden Kalkhydrates im Chlorkalk
sein müsse? Läßt sich etwa die erreichte Anreicherung der
betreffenden Präparate um 1,20 resp. 1,66 Procent bleichendes Chlor nicht auch durch
die Mitwirkung von Feuchtigkeit erklären, welche der Chlorkalk beim Zerreiben
aufgenommen? Weisen nicht die auf Seite 222 angeführten Versuche Göpner's selbst recht deutlich auf eine solche
Möglichkeit hin? Und wenn durch die näheren, nicht mitgetheilten Umstände, unter
welchen die Versuche ausgeführt wurden, auch eine solche Annahme ausgeschlossen
wäre, kann dann das Ergebniß besten Falles etwas anderes beweisen, als daß kein
directer Widerspruch zwischen der Vorstellung Göpner's
und den Resultaten der Versuche besteht? Darf man denselben die geringste positive
Beweiskraft für die vielberufene Erklärung zusprechen? Muß es nicht vielmehr
überraschen, daß jene Anreicherung nur 1,2 resp. 1,66 Procent betrug, da man doch
glauben sollte, daß durch das wiederholte Zerreiben die „Mauer“
von Chlorcalcium einigermaßen wirksamer zerstört werden würde? Ferner, wenn man
überhaupt auf mechanische Ursachen zurückgehen will, hat denn Göpner festgestellt, daß die von ihm hervorgehobene einhüllende und
schützende Function eine specifische und ausschließliche Wirkung des Chlorcalciums ist? Deuten die von dem Anonymus erwähnten Versuche von Wolters nicht vielmehr das Gegentheil an? Kann jene
Eigenschaft nicht auch anderen Verbindungen zukommen? Und wenn dies wenigstens nicht
so ohne weiteres bestritten werden dürfte, hätte es da nicht viel näher gelegen
statt der Spuren von Chlorcalcium die in viel größerer Menge vorhandene bleichende Verbindung für die
„Mauer“ zu halten, hinter welcher das Kalkhydrat Schutz
findet? Hat Göpner auch nur den Schatten eines Beweises
vorgebracht, daß dem nicht so ist?
Wäre endlich der Nachweis so sehr schwierig und gleichzeitig nicht auch nothwendig gewesen, um die Richtigkeit der Erklärung zu
erhärten, daß ein mit einer dünnen Hülle von Chlorcalcium umgebenes Kalkhydrat nicht
mehr in Chlorkalk umgewandelt werden kann, selbstverständlich unter Verhältnissen,
welche die wasserabsorbirende Wirkung des Chlorcalciums ausschließen? Ein solches
Kalkhydrat wäre doch leicht genug darzustellen gewesen und das Ergebniß des
Versuches würde gezeigt haben, wie sehr die ganze Erklärung in der Luft schwebt.
Der kritische Anonymus weiß jetzt, daß nicht „der verhängnißvolle
Zufall“ der wesentlichste Umstand ist, der uns verhindert die
Erklärung
Göpner's zu acceptiren. Mit welchem Ausdrucke könnten wir
nun den Ton, mit dem er die widersprechenden Meinungen Anderer abzufertigen
versucht, genügend kennzeichnen?
Nach der Behauptung des Anonymus drücken wir alle Werthe, auf die es unserer Meinung
nach ankommt, wesentlich herab. „So soll der Bleichkalk der
Fabriken“ – ruft er (S. 464) aus – selten bis zu 2
Proc. Chlorcalcium enthalten. Fresenius z.B. fand in
dem von ihm untersuchten Bleichkalk, den er nicht als zersetzt bezeichnet, 25,5
Proc. Chlorcalcium!“
Vergl. Dingler's polytechn. Journal Bd. CLXI S.
444 u. ff.
Wir gestehen, daß wir schier die Luft verlieren, uns mit einer Kritik zu befassen,
welche ihre Materie so wenig beherrscht, um die angeführte Thatsache als Einwand
gegen uns benutzen zu können! Der Anonymus hat nicht einmal begriffen, daß nach Göpner und uns der Gehalt eines Bleichkalkes an
Chlorcalcium einfach der Differenz zwischen dem (durch Silber bestimmten)
Gesammtgehalte an Chlor und dem Chlorgehalt der bleichenden Verbindung entspricht.
Er weiß nicht, daß der letztere doppelt so groß ist als der Chlorgehalt des
unterchlorigsauren Kalkes, welchen Fresenius im Sinne der
älteren Anschauung im Bleichkalke voraussetzte, und daß sonach der Gehalt des
fraglichen Chlorkalkes an Chlorcalcium sich von 25,51 auf 4,79 Proc. (a. a. O. S.
445) reduciren muß, wenn man sich der Auffassung Göpner's
über das Wesen des Bleichkalkes anschließt! Der Irrthum, in welchem sich der
Anonymus befindet, hat aber eine mehr als blos formelle Bedeutung; er zeigt, daß
sich unser Gegner noch nicht einmal in die einfachsten Consequenzen der von Göpner vertretenen Anschauungen hineingedacht hat! Was
den Feuchtigkeitsgehalt betrifft, so kann man hier in Saarau sich täglich
überzeugen, daß Göpner irrt, wenn er glaubt,
„daß ein gut verlaufender fabrikmäßiger Betrieb und ein brauchbares
Product nur bei einem gewissen Betrag (etwa 8 Proc.) an ungebundenem Wasser im
gelöschten Kalk möglich ist.“
U.a. O. S. 206. Unsere Angabe über den Feuchtigkeitsgehalt und die Hygroskopicität des zur
Chlorkalkfabrikation verwendeten Hydrates stützen sich auf jahrelange, zum Theil
täglich wiederholte Beobachtungen, die wir hier und an anderen Orten anzustellen
Gelegenheit hatten. Was die Brauchbarkeit eines Kalkhydrates mit 8 Proc. Wasser
betrifft, so hätten wir den Hinweis auf „den
gewiegten Praktiker“, von welchem der Artikel über Bleichkalk im
Handwörterbuch der Chemie herrührt, füglich entbehren können, da wir uns in einer
langen Praxis selbst
hinreichende Erfahrungen in dieser Beziehung erworben zu haben glauben.
Wenn der Anonymus ferner sagt, wir hätten gemeint, ein
Kalkhydrat mit 8 Proc. freiem Wasser sei naß, so
erwiedern wir ihm, daß wir mit Absicht den schwächeren Ausdruck „feucht“ gewählt haben, an welchem der
anonyme Gegner nicht drehen und deuteln soll, wie es ihm für seine Zwecke paßt. Ein
Kalkhydrat mit 8 Proc. freiem Wasser klumpt nach unserer Erfahrung beim Reiben und
verstopft die Maschen der feinen Siebe, durch welche man es passiren läßt, bevor es
in die Chlorkalkkammer kommt. Ob man ein solches Kalkhydrat für feucht halten will, ist eine rein subjective Ansicht,
über die zu streiten ganz müßig ist.
Nachdem unser Gegner dann (a. a. O. S. 465) unsere Ansicht über den Gegenstand
richtig wiedergegeben, fährt er fort: . . . . „Der Angriff des Chlors auf
Kalkhydrat bedarf schlechterdings der Vermittelung von freiem Wasser, gleichviel
aus welcher Quelle dieses dem Proceß zugeführt werden mag . . . . Wenn daher
eine im Laufe der Chlorkalkbildung eintretende absolute Austrocknung des
Kalkhydrates den Fortgang der Chlorkalkbildung abschneiden sollte, so müßte
mindestens – von anderen Bedingungen einstweilen abgesehen – das
zugeleitete Chlor absolut trocken sein“ u.s.f.
Der Logiker kann sich also durchaus nicht denken, daß, wenn zu zwei Körpern, von
denen der eine sehr stark und der andere sehr schwach hygroskopisch ist, ein
feuchtes Gas geleitet wird, der erstere stark hygroskopische Körper dem Gase die
Feuchtigkeit entzieht, bevor es auf den zweiten, schwach hygroskopischen Körper
einwirken kann. Wir fragen den Anonymus nun, wie sich das ihm Undenkbare zu
folgender Thatsache verhält, die auch seine übrigen Bedenken wegen der
„anderen Bedingungen“ zerstreuen dürfte.
1 Grm. Kalkhydrat mit 1,25–2,00 Proc. freiem Wasser wurde mit 2 Grm. bei
180° C. getrocknetem Chlorcalcium innig gemischt in einen Halbliterkolben
gebracht. Ueber das Gemenge wurde darauf langsam 1 Liter Chlor geleitet, welches aus
der von dem Chlorentwickler kommenden Leitung unmittelbar vor deren Einmündung in
die Chlorkalkkammer entnommen würde. Das Chlor war mithin nicht besonders gereinigt, und jedenfalls für die gerade herrschende
Lufttemperatur von 10° C. mit Feuchtigkeit
gesättigt. Der Kolben wurde während der Dauer der einzelnen Versuche zum
Theil mit Eis gekühlt, zum Theil nicht. In einem dritten Falle stand derselbe in
einer Schale mit Wasser von 28° C. Als nach der Behandlung mit Chlor die
Gemenge untersucht wurden, gaben dieselben nur eine äußerst geringe, theilweise kaum wahrnehmbare
Reaction auf Jodkaliumstärkepapier, welche in jedem Falle nach Zusatz von höchstens
0,7 Kubikcentimet. zehntelarsenigsaurem Natron verschwand. Trotz der Einwirkung von
feuchtem Chlor auf ursprünglich feuchtes Kalkhydrat war demnach keine nennenswerthe Chlorkalkbildung
erfolgt.
Der in das Wesen der Erscheinungen so tief eindringende Kritiker wird es vielleicht
auch möglich zu machen wissen, diese Thatsache mit seinen Einwendungen und
Auffassungen in Harmonie zu bringen. Findet er doch sogar eine Beziehung zwischen
unserer Erklärung und den Versuchen von Ebell und weiß er
sogar, daß derselbe aus einem bei 120° C. getrockneten Kalkhydrat einen Bleichkalk mit 29,3 und 35,6 Proc. wirksamen Chlor erhielt, obgleich hiervon an der
von ihm citirten StelleBei Göpner a. a. O., S. 215. nichts zu finden ist.
„Zum Ueberfluß“, wie er ganz richtig sagt, wiederholt nun der
anonyme Logiker unsere in der ersten Abhandlung mitgetheilten Versuche und findet,
daß er bei der Behandlung von Kalkhydrat mit Chlor noch Producte überreich an
bleichender Verbindung erhielt, wenn der Zusatz an Chlorcalcium nicht blos fünf
sondern sogar 10 und 15 Procent betrug. Zu bedauern ist nur, daß man über den Feuchtigkeitsgehalt des angewendeten Kalkhydrates nichts
erfährt. Sollte derselbe die vorschriftsmäßigen 8 Procent betragen haben, so
überrascht uns dies Resultat keineswegs; wir wendeten ein Hydrat mit 1,25 Proc.
Feuchtigkeit an und fanden, daß die Chlorkalkbildung schon bei einem Zusatz von 5
Proc. Chlorcalcium aufhörte, beziehungsweise auf ein Minimum reducirt wurde.
Zum Schlusse meint unser Kritiker, daß, wenn unsere Ansicht richtig wäre – bei
der Bildung von Bleichkalk bleibe ein Theil Kalkhydrates lediglich aus Mangel an
Feuchtigkeit der Einwirkung des Chlors entzogen – so müsse auch das
Umgekehrte wahr sein und das Kalkhydrat bei hinreichender Zufuhr von Feuchtigkeit
einen von Aetzkalk absolut freien Bleichkalk liefern.
Zunächst bemerken wir hierzu, daß gegen Ende der Chlorkalkbildung ein Mangel an
Feuchtigkeit für das vorhandene Kalkhydrat recht wohl bestehen kann, selbst wenn feuchtes Chlorgas mit dem Bleichkalk in Berührung kommt.
Beweis dafür sind die soeben mitgetheilten Versuche.
Wenn die Zufuhr von Feuchtigkeit „hinreichend“ ist, so verschwindet allerdings aller Kalk, aber
man erhält dann keinen Bleichkalk sondern eine Lösung von
unterchlorigsaurem resp. chlorsaurem Kalk und Chlorcalcium. Ist sie aber
„nicht hinreichend“, so
erhält man statt des
Bleichkalkes eine schmierige, sich zusammenballende Masse, die unzersetztes Hydrat
nun allerdings auf rein mechanischem Wege der Einwirkung des Chlors entzieht.
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Wir sind stets der Ansicht gewesen, daß streitige Fragen nur durch eine ruhige
Erörterung, nicht aber durch persönlich gehässige und verletzende Ausfälle
entschieden werden können. Auf den an letzteren überreichen Artikel unseres Gegners
haben wir in Vorstehendem so sachlich zu antworten uns bemüht, wie es mit einer
Abweisung der gegen uns gerichteten Angriffe zu vereinigen war. Eine Fortsetzung der
Polemik, welche in dem Tone der ersteren gehalten sein sollte, werden wir einfach
ignoriren, da wir es ablehnen müssen, mit denselben Waffen zu kämpfen, die unser
anonyme Gegner gegen uns zu führen nicht verschmäht hat.Als der bezügliche Artikel im zweiten Märzheft zum Abdruck gelangte, übersah
es die Redaction dieses Journals im Drange des damaligen Personenwechsels,
jede Verantwortlichkeit für die persönlichen Ausfälle, welche dieselbe
durchaus nicht billigte, von sich zu weisen. Wir hoffen, daß durch Aufnahme
obiger Entgegnung diese Streitfrage erledigt ist oder doch nur auf rein
sachlichem Wege zur vollkommenen Austragung gebracht wird. D. Red. v. D. p.
J.
Chemische Fabrik Silesia bei Saarau, April 1874.