Titel: | Ein Beitrag zur Kenntniss der Canditenwaaren; von Professor M. Ballo in Budapest. |
Autor: | M. Ballo |
Fundstelle: | Band 213, Jahrgang 1874, Nr. CV., S. 441 |
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CV.
Ein Beitrag zur Kenntniss der Canditenwaaren; von
Professor M. Ballo in
Budapest.
Ballo, zur Kenntniß der Canditenwaaren.
Die bei weitem größere Hälfte der gesammten in Oesterreich-Ungarn erzeugten
Canditenwaaren wird in Ungarn consumirt, wovon wieder ein größter Theilbetrag auf
Budapest fällt. Ueber die Menge der im genannten Staate producirten Canditenwaaren
existiren keine zuverlässigen Angaben, weil dieser Industriezweig bisher unter
keiner behördlichen Controlle stand; daß dieselbe jedoch bedeutend sein muß, erhellt
aus der Thatsache, daß in Budapest allein in 3 größeren und etwa 50 kleineren
Fabriken 18000 Centner und in 5 größeren böhmischen Fabriken an 15000 Centner Canditenwaare
jährlich erzeugt wird. Wenigstens 60 Proc. des böhmischen Fabrikates werden nach
Ungarn importirt.
Die Canditen spielen demnach schon ihrer Menge zufolge im Haushalte der ungarischen
Städte eine nicht zu übersehende Rolle, und es bedurfte nicht erst mehrerer in
Budapest beobachteten Vergiftungsfälle mit Canditen, um die vollste Aufmerksamkeit
des hiesigen Oberarztes, Dr. Patrubany, auf diesen Handelsartikel zu lenken. Die in seinem Auftrage von
mir amtlich vollführte Untersuchung ergab nun Resultate, welche ohne Zweifel auch in
weiteren Kreisen Interesse erregen dürften, und welche ich deshalb im Folgenden kurz
skizziren möchte.
Die Canditenfabriken haben ihr Hauptaugenmerk auf die Form, Farbe, angenehmen
Nebengeschmack und Billigkeit ihrer Waare zu richten. Die Form hängt allein von dem
Geschmack der Konsumenten und der Intelligenz der Erzeuger ab; sie übt auf die
Qualität jedoch insoferne Einfluß, als durch dieselbe oft der Ort der anzubringenden
Farben bestimmt wird. So beobachteten wir Canditen, in deren Innerem ein
Blumenbouquet sich befand, dessen grünen Stiele aus Schweinfurtergrün bestanden.
Andere Canditen in Form von Birnen und Aepfeln trugen an den Stielen künstliche
Blätter, die mit derselben Farbe gefärbt waren. Obwohl nun streng genommen auf
Eßwaaren giftige Farben überhaupt nicht zu dulden sind, so war doch der
Canditenapfel-Fabrikant entschieden weniger strafbar, weil der giftige Theil
seiner Waare nicht zum Genuß bestimmt war.
Auch die Erzeugung des Nebengeschmackes kann nicht von wesentlichem Einfluß auf die
Qualität der Canditen sein, weil dazu meist dieselben Ingredienzien verwendet
werden, die auch beispielsweise der Liqueurfabrikant zu demselben Zwecke
benützt.
Die Zuckerart, aus welcher die meisten von mir untersuchten Canditen bestanden, war
Rohrzucker; nur selten traf ich Traubenzucker von ziemlich schlechter Qualität
an.
Die Billigkeit seiner Waare sucht der Fabrikant durch Beimischung billiger,
specifisch schwerer Zusätze, meist Schwerspath, zu erreichen. Die Qualität dieser
Zusätze sowohl als jene der Farben nun geben den häufigsten Anlaß zur Vergiftung der
Waare umsomehr, als dieser Industriezweig noch zum großen Theil als Kleingewerbe von
Leuten betrieben wird, die gar keine chemischen Kenntnisse und also keine
selbstständige Urtheilsfähigkeit besitzen, deshalb nur selten die für ihre Zwecke
geeignetsten Farbstoffe auszuwählen verstehen.
Die von mir untersuchten Canditen waren mit nachfolgenden Farbstoffen gefärbt.
Unter 13 rothen Farbstoffen wurde
gefunden:
11
Mal
Cochenilleroth und
2
„
Fuchsin.
Unter 12 blauen Farbstoffen wurde
gefunden:
2
Mal
Ultramarin.
1
„
Indigcarmin,
1
„
Anilinblau und
8
„
Berlinerblau.
Unter 83 gelben Farbstoffen wurde
gefunden:
31
Mal
Chromgelb,
49
„
Schüttgelb und
3
„
Binitronaphtolsalz.
Unter 18 grünen Farbstoffen wurde endlich gefunden:
4
Mal
Schweinfurtergrün,
8
„
der sogen. grüne Zinnober,
2
„
Ultramaringrün und
4
„
Saftgrün.
Der von einem hiesigen Fabrikanten unter dem Namen „Eisengelb“
bezogene Farbstoff war nichts anderes, als eine helle Nüance des Chromgelb. Eine
Probe eines als „Carminsurrogat“ verkauften Farbstoffes erwies
sich als ein grob gepulvertes, noch stark arsenhaltiges Fuchsin.
Merkwürdig ist die Anwendung der Salze der Binitronaphtolsäure, welche unter dem
Namen „Safransurrogat“ eine ausgebreitete Verwendung unter den
hiesigen Fabrikanten gefunden haben. Dieser Farbstoff wird in 1/4 Pfund haltenden
Blechbüchsen zu 2 1/2 Gulden ö. W. verkauft. Auf den Büchsen befindet sich eine
Inschrift des Inhalts: „Vor der Berührung mit brennenden oder glühenden
Körpern sorgfältig zu schützen.“ – Es ist jedenfalls fraglich,
ob dieses Safransurrogat zu genannten Zwecken verwendet werden darf, da über seine
Wirkung auf den Organismus bisher meines Wissens noch keine Angaben vorliegen.
Was die mineralischen Substanzen, welche sich in der Asche vorfinden, anlangt, so
sind dieselben in drei Gruppen zu theilen. Entweder bestehen dieselben aus dem
Farbstoff selbst, wenn dieser durch die Hitze nicht zerstört wird; oder sie stammen aus dem Farbstoff, so Thonerde aus dem Saftgrün,
kohlensaurer Kalk aus Schüttgelb etc.; oder endlich sie sind absichtlich zum Zweck
der Herstellung einer billigeren Waare hinzugegeben worden. Unter den absichtlichen
Zusätzen fand ich vorzüglich den schwefelsauren Barit vertreten. Derselbe kann nicht
als schädlich bezeichnet werden, so lange sich seine Menge in gebührenden Grenzen
hält; diese Grenze genau anzugeben, ist jedoch nicht möglich, da hier nicht allein
der Procentsatz, als auch die Menge des consumirten Zuckers maßgebend ist. Es kamen
aber Fälle vor, wo die ganze Zuckermasse nicht allein mit außerordentlichen Mengen von
Chromgelb gefärbt, sondern außerdem mit soviel Schwerspath versetzt war, daß die
Menge der Gesammtasche beinahe die Hälfte der gesammten Zuckermasse betrug.
Der Einfluß des Zusatzes an Schwerspath auf den Preis der Waare ergibt sich aus
folgender Tabelle, welche ich der Güte einer hiesigen renommirten Fabrik zu
verdanken habe:
Procent Schwerspath.
Preis bei Handarbeit.fl. ö. W. pro Centner.
Preis bei Maschinenarbeit.fl. ö. W. pro Centner.
0
44
39
2
43
38
4
42
37
6
41
36
8
40
35
10
39
34
Daraus wird ersichtlich, daß die Nothwendigkeit der Zusätze einzig und allein im
Interesse des Zwischenhändlers liegt – vorzüglich bei jener Waare, welche
beim Kleinverkauf ihren Preis nicht ändert, mag sie nun rein oder mit Zusätzen
versehen sein. Als solche Waaren sind z.B. die Kreuzercanditen zu verstehen, von
denen 32 Stück 1 Pfund geben und per Stück zu einem
fixen Preise verkauft werden.
Gewinnsucht der Zwischenhändler in der eben erörterten Weise, die große Anzahl der
Kleinfabrikanten und die unwissenschaftliche Bildung der meisten derselben –
dies sind die Hauptursachen, welche in diesem Industriezweig zu so großem Unfug
geführt haben. Es ist nicht vorauszusehen, daß die Anwendung giftiger Farben
absichtlich geschehen sei, während die Anwendung der Beschwerungsmittel nur absichtlich geschieht. Dem gegenwärtig
platzgegriffenen Uebel kann demnach in Zukunft kaum anders als durch belehrend
verfaßte Vorschrift über die Qualität der anzuwendenden Farben vorgebeugt werden,
während die erlaubte Menge des als Beschwerungsmittel anzuwendenden Schwerspathes
auf höchstens 8 Proc. zu normiren wäre.
Als solche, für die Canditenfärberei zu empfehlende Farbstoffe, wärm vielleicht die
folgenden zu nennen:
Blau: Ultramarin, Berlinerblau, Indigcarmin,
Flechtenblau;
Gelb: Gelber Ocker, Schuttgelb, Pürèe,
Binitronaphtol (?);
Grün: Grüner Ultramarin, Grünerde, Saftgrün,
Chromoxyde;
Roth: Carmin;
Metallfarben: Echtes Blattgold und Blattsilber.
Auf Anilin- sowie Theerfarben überhaupt ist hier absichtlich keine Rücksicht
genommen, weil unter diesen zu obigem Zwecke nur einige, und auch nur im reinsten
Zustande, also die theuersten Sorten derselben sich eignen. Die Möglichkeit
billigeres Fuchsin zu bekommen, könnte leicht zur Anwendung der arsenikhaltigen
führen!
Wir halten die in letzter Zeit bei uns gemachten Erfahrungen für geeignet, um die
vollste Aufmerksamkeit und Strenge der Behörden auf einen Industriezweig zu lenken,
welcher bisher eines erbaulichen Daseins sich erfreute, trotzdem die Güte seiner
Erzeugnisse von den kleinen Consumenten unmöglich beurtheilt werden kann, und
demnach unter Umständen ungehindert einen schädlichen Einfluß ausüben können.
Budapest, im August 1874.