Titel: | Volumetrische Bestimmung der essigsauren Salze und der Essigsäure bei Gegenwart von Mineralsäuren; von G. Witz. |
Fundstelle: | Band 214, Jahrgang 1874, Nr. LXXXIII., S. 313 |
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LXXXIII.
Volumetrische Bestimmung der essigsauren Salze
und der Essigsäure bei Gegenwart von Mineralsäuren; von G. Witz.
Witz, über volumetrische Bestimmung der essigsauren Salze und der
Essigsäure bei Gegenwart von Mineralsäuren.
Das Methylanilin-Violett ist nicht nur ein sehr
empfindliches Reagens, sondern läßt sich auch vorzüglich gut zu speciellen
volumetrischen Bestimmungen und zur qualitativen oder quantitativen chemischen
Analyse anwenden. So z.B. röchet die Essigsäure den Lackmus, ist aber ohne Wirkung
auf jenes Violett; dahingegen färben die Mineralsäuren (Salzsäure, Schwefelsäure,
Salpetersäure etc.) das Violett blaugrün – selbst dann noch, wenn sie auch
nur in äußerst geringer Menge in einer Flüssigkeit enthalten sind. Hieraus folgt,
daß die Essige, natürliche wie künstliche, das Violett sofort verändern werden, wenn
man ihnen eine Spur solcher Säuren zugesetzt hat. Dieser Versuch ist in der That von
dem entschiedensten Erfolge begleitet, und man kann auf keine andere Weise rascher
und genauer einen derartigen Betrug ermitteln, sowie die Menge der Essigsäure und
die der zur Fälschung angewendeten Säuren volumetrisch bestimmen. Man bedarf zu
diesem Zwecke nur einer einzigen acidimetrischen Flüssigkeit (z.B. Aetznatron), um
damit zu erhalten:
1) Den Neutralitätspunkt bei Gegenwart von Lackmus, welcher die Gesammtmenge der
Säuren gibt;
2) Den Neutralitätspunkt bei Gegenwart des Violett, welcher die Menge der
Mineralsäuren allein gibt.
Die Menge der Essigsäure erfährt man durch Differenz.
Nehmen wir als Beispiel eine Titrirung von reinem Essig oder Essigsäure mittels
Natronlauge, wobei als Reagens Lackmus angewendet worden ist. Fügt man dazu eine
titrirte Schwefelsäure (oder sonstige mineralsaure) Flüssigkeit und einen Tropfen
des Violetts, so geht das letztere nicht in Blau über, weil alles essigsaure Natron
in schwefelsaures (oder sonstiges mineralsaures) Natron verwandelt wird. (Es ist
dabei natürlich vorausgesetzt, daß die Mineralsäure gerade so viel beträgt, als
erforderlich ist, das zur Neutralisation der Essigsäure angewendete Natron zu sättigen.) Das Blau
erscheint aber sofort, wenn die Mineralsäure auch nur spurweise im Ueberschusse
zugegen ist. Das essigsaure Salz läßt sich also ebenso leicht wie ein kohlensaures
Alkali mittels des gewöhnlichen alkalimetrischen Verfahrens bestimmen; denn die
ausgeschiedene Essigsäure übt auf das Reagens Violett keine Wirkung aus.
Enthält das Acetat auch noch freie Essigsäure, so braucht man letztere nur durch
einen besonderen Sättigungsversuch mit Beihilfe von Lackmus zu bestimmen.
Ich lasse nun einige praktische Beispiele folgen.
Das krystallisirte essigsaure Natron, NaO + C₄H₃O₃ + 6 HO
(Na.C₂H₃O₂.3 H₂O) hat das Aequivalent 136; ein
Hundertstel Grammäquivalent ist also 1,36 Grm. und muß durch 10 K. C. Normalsäure
vollständig neutralisirt werden. Als Mineralsäure diente die Salpetersäure. Das
Reagens Violett nahm man in der Verdünnung von 1 Tausendstel an.
a) 1,36 Grm. Salz, 10 K. C. Wasser, 1 Tropfen Violett.
Nach Zusatz von 9,8 K. C. Normalsäure violettblau, nach Zusatz von 10 K. C. rein
blau.
b) 1,36 Grm. Salz, 10 K. C. Wasser, 2 Tropfen Violett.
Mit 9,95 K. C. Säure violettblau, mit 10 K. C. blau.
c) 1,36 Grm. Salz, 100 K. C. Wasser, 2 Tropfen Violett.
Mit 10,05 K. C. Säure ins Bläuliche übergehend.
d) 1,36 Grm. Salz, 1000 K. C. Wasser, 6 Tropfen Violett.
Mit 11,5 K. C. Säure noch undeutliche Farbenveränderung.
e) 1,36 Grm. Salz, 1000 K. C. warmes Wasser, 6 Tropfen
Violett. (Temperatur der Flüssigkeit 50° C.) Mit 12 oder 13 K. C. Säure noch
undeutliche Farbenveränderung.
f) Zur Probe b wurden noch
10 K. C. Säure gesetzt. Als man nun mit der normalen Natronacetatlösung
zurücktitrirte, waren 10,05 K. C. erforderlich, um das Violett wieder
herzustellen.
g) Zur Probe c wurden noch 6
K. C. Säure gesetzt. Zur Wiederherstellung des Violetts waren 6 K. C.
Natronacetatlösung erforderlich.
Die Reihenfolge des Zusehens ist also ohne Einfluß auf das Resultat. Mit
Flüssigkeiten von 1/1000 Natronacetat bietet das Titriren zu große Schwierigkeit in
der Beurtheilung dar; mit 1/100 des Salzes dagegen erscheint es hinreichend genau,
und bei noch größerer Concentration läßt es gar nichts zu wünschen übrig.
Abgesehen von der Sorgfalt, welche die Beobachtung sehr feiner Farben-Nüancen
erfordert, könnte man diese Art von Titrirung vielleicht als Grundlage einer
alkalimetrischen und acidimetrischen Methode benützen; allein dem steht entgegen,
daß das essigsaure Natron schwierig rein und im krystallisirten Zustande gehörig
trocken zu erhalten ist, und daß das geschmolzene wasserfreie Salz wiederum andere
Uebelstände darbietet.
10 K. C. einer Auflösung von essigsaurem Natron, welche bei 17,5° ein spec.
Gew. von 1,1542 hatte, erforderten 38,4 K. C. Normalsalpetersäure; mithin enthielt
der Liter jener Auflösung 3,84 Aequivalent oder 522,2 Grm. krystallisirtes
essigsaures Natron, während zur Herstellung eines Liters 544 Grm. käufliches Salz
genommen waren. Demnach befanden sich in diesem Salze nur 96 Proc. reines
krystallisirtes Acetat.
10 K. C. einer Auflösung von essigsaurem Kali, welche bei 17,5° ein spec. Gew.
von 1,2788 hatte, erforderte 60,6 K. C. Normalsalpetersäure; mithin enthielt der
Liter jener Auflösung 6,06 Aequivalent essigsaures Kali, und da das Aequivalent des
KO + C₄H₃O₃ = 98,1
beträgt, so befanden sich in der Lösung 954,5 Grm. wasserfreies Salz.
Diese Ermittelung, welche nur einige Minuten Zeit erforderte, würde, auf andere Weise
ausgeführt, ebensoviele Tage gedauert und gewiß kein so genaues Resultat geliefert
haben.
Der essigsaure Kalk, CaO + C₄H₃O₃ oder Ca(C₂H₃O₂)₂ = 79, läßt sich
ebenso leicht bestimmen; wenn er sauer oder alkalisch ist, so kann man mit Lackmus
und Normallösungen erst neutralisiren, dann das Violett und so lange Säure zufügen,
bis die Farbe ins Blaue übergeht. – Selbstverständlich kann nach dieser
Methode auch der rohe holzessigsaure Kalk, dessen Werth von der darin befindlichen
Essigsäure abhängt, rasch und sicher auf seinen Gehalt untersucht werden.
Von krystallisirtem essigsaurem Manganoxydul, MnO + C₄H₃O₃ + 4 HO = 122,6,
erforderte 1 Grm. 8 K. C. Normalsalpetersäure, entsprechend 98,1 Proc. reine
Substanz und 1,9 Proc. Fremdartiges.
Das essigsaure Bleioxyd erfreut sich bekanntlich einer sehr ausgedehnten Anwendung,
theils als reines krystallisirtes Salz, PbO + C₄H₃O₃ + 3 HO = 189,6,
theils als rohes geschmolzenes, schwach basisches Salz oder holzsaures Bleioxyd,
dann als Solution unter dem Namen Bleiessig. Das neutrale Salz reagirt schwach
sauer, die basischen Salze bläuen den gerötheten Lackmus; es ist mithin leicht,
diese letzteren vor der Titrirung in das erstere zurückzuführen, indem man titrirte
Essigsäure hinzufügt, bis der Lackmus aus Blau in Roth überzugehen anfängt.
Nachdem ich aber die Erfahrung gemacht hatte, daß die Anwesenheit der löslichen
Bleisalze die Empfindlichkeit der Reaction der Säuren auf das Violett verringert, so
war ich bestrebt, diese Salze zu beseitigen, was auch auf sehr einfache Weise
dadurch gelang, daß ich die neutrale oder schwachsaure Flüssigkeit mit einem
Ueberschusse von neutralem reinem schwefelsaurem Natron ausfällte. Das erzeugte
schwefelsaure Bleioxyd braucht nicht abfiltrirt zu werden, sondern kann in der
Flüssigkeit suspendirt bleiben, und bietet durch seine blendende Weiße noch den
Vortheil dar, daß die
Farbenveränderung deutlicher zu erkennen ist. Nur muß man von dem Reagens (Violett)
etwas mehr als sonst hinzufügen.
Die vorstehende Methode läßt sich auch anwenden, um die Reinheit der Oxyde und
Carbonate zu erproben. Ein Beispiel wird dies deutlich zeigen.
1,50 Grm. isländischer Doppelspath wurde in einem Kolben mit 20 K. C. reiner
Essigsäure und 40 K. C. Wasser digerirt. Es erfolgte völlige Lösung; dieselbe, mit 2
Tropfen Violett und dann mit Normalsalpetersäure bis zum Blauwerden versetzt,
verlangte 29,7 K. C. von letzterer. Das Aequivalent des CaO + CO₂ oder CaCO₃ = 50
erfordert für 1,50 Grm. 30 K. C. Säure; gefunden wurden – statt 1,50 Grm.
– 1,485 Grm., d. i. 99 Proc. Dieser Ausfall von 1 Proc. muß die spurweise
Verunreinigung und den geringen Feuchtigkeits-Ueberschuß der
Oxalsäurekrystalle, welche als Grundlage des Normal-Natrons und der
-Salpetersäure gedient haben, ausgleichen; aber selbst wenn man ihn als
Irrthum betrachtet, ist er sehr gering für eine indirecte volumetrische
Bestimmung.
In ähnlicher Weise kann man eine große Anzahl kalkiger oder erdiger Substanzen,
Bleiglätte, Bleiweiß sowie die meisten metallischen Oxyde und Carbonate,
untersuchen. Da die Salpetersäure durchweg lösliche Verbindungen mit denselben
eingeht, so ist dieselbe anderen Mineralsäuren vorzuziehen. (Auszugsweise aus dem
Bulletin de la
Société de Rouen; Februar 1874 S. 45.)
W.