Titel: | Die Dampfmaschinen-Steuerungen auf der Wiener Weltausstellung 1873; von Ingenieur Müller-Melchiors. |
Fundstelle: | Band 214, Jahrgang 1874, Nr. LXXXIX., S. 345 |
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LXXXIX.
Die Dampfmaschinen-Steuerungen auf der
Wiener Weltausstellung 1873; von Ingenieur Müller-Melchiors.
Mit Abbildungen auf Tab.
V.
(Schluß von S. 275 des vorhergehenden
Heftes.)
Müller-Melchiors, über die Dampfmaschinen-Steuerungen
auf der Wiener Weltausstellung 1873.
Außer den bis jetzt besprochenen Corlißsteuerungen ist selbstverständlich noch manche
andere Disposition des Auslösmechanismus in den letzten 10 Jahren erfunden und
patentirt worden; doch hat sich außer Inglis und Spencer, Corliß von 1867, und etwa noch Grant und Douglas keine eine
größere Verbreitung erworben, so daß dieselben hier übergangen werden können.
Uebrigens unterscheiden sich auch alle hierher gehörigen Steuerungen in keiner
wesentlichen Beziehung, und sind nur durch mehr oder weniger praktische Disposition
der Bestandtheile, ruhigeren oder geräuschvolleren Gang, Sicherheit des
Functionirens, Entlastung des Regulators und höchstens noch durch die größere oder
geringere Raschheit des Oeffnens von einander unterschieden.
Die wesentlichste Eigenschaft ist aberallen gemeinsam und
war auch Veranlassung, sie hier zusammenzufassen, daß nämlich bei allen hier
besprochenen Steuerungen variable Füllung nur bis zu 40 Proc. möglich, und mit
Sicherheit sogar nur bis 30 und 35 Proc. zu erreichen ist. Der Grund liegt nach der
früher, gelegentlich der Besprechung der Sulzer-Steuerung (S. 267), gemachten Bemerkung, einfach darin, daß die
Auslösvorrichtung stets in der Bewegungsrichtung der
den Steuerhahn bewegenden Zugstange zur Wirksamkeit kommt, somit auch nach
Ueberschreitung der extremen Lage und darauf folgendem Rückgange der Zugstange nicht
mehr zur Thätigkeit gelangen kann. Nachdem nun alle bis jetzt besprochenen Corliß-Steuerungen die Bewegung der vier
Steuerhähne von einem gemeinsamen Excenter ableiten, so ist die Lage desselben durch
die mit ihm in fester Verbindung stehenden Auslaßhähne derart bestimmt, daß es, wie
bei einer einfachen Schiebersteuerung, für die Stellung der Kurbel im todten Punkte bereits seine
Mittelstellung überschritten hat, und somit seine extreme Stellung erreicht, ehe
noch die Kurbel eine halbe Umdrehung über den todten Punkt hinaus gemacht hat. Somit
kann nur innerhalb dieses kurzen Bogens die Auslösung stattfinden, und nachdem in
der extremen Stellung des Excenters der Bewegungsausschlag nur mehr sehr gering
wird, muß selbst, um aller Unsicherheit vorzubeugen, noch vor der extremen Stellung – zwischen 30 bis 35 Procent –
ausgelöst werden und erfolgt, wenn dieses nicht geschieht, volle Füllung bis gegen
Ende des Hubes. Außerdem bedingt diese Anordnung des Excenters auch noch unnöthig
große Ueberdeckungen der Eintrittshähne und damit vermehrte Reibung, indem das
Wiedereinlösen der Mitnehmervorrichtung, um Stöße zu vermeiden, in einer extremen
Lage erfolgen muß, die thatsächliche Oeffnung des Canals aber erst in oder nach der
Mittelstellung des Excenters erfolgen soll. – Zur Vermeidung dieser
Uebelstände sind hier nur zwei Wege möglich, entweder die vollkommene Trennung der
Eintritt- von der Austrittsteuerung, oder die Auslösung nicht durch einen feststehenden Anschlag, sondern durch eine eigens bewegte Auslösvorrichtung, welche in einem
beliebigen Moment zur Wirksamkeit gebracht werden kann.
Der gesonderte Antrieb der Eintrittshähne wurde schon bei älteren Maschinen nach Inglis und Spencer's Patent
dadurch erreicht, daß für Eintritt und Austritt je eine eigene Steuerscheibe von
einem gesonderten Excenter bewegt wurde, in jüngster Zeit auch bei einer
Modification der Corliß-Steuerung von 1867 durch
Wood
Beschrieben in Dingler's polytechn. Journal, 1874
Bd. CCXI S. 161., bei welcher zwei auf einer eigenen Vorgelegwelle ohne Voreilen aufgekeilte
Excenter die Zugstangen der Eintrittshähne bewegen, endlich noch bei der
Corlißsteuerung von Bède und Farcot, wo der Antrieb nicht durch Excenter, sondern durch unrunde
Scheiben, die auf einer eigenen Steuerwelle rotiren, verrichtet wird. Nur die
letztere Disposition war auf der Ausstellung vertreten und ist auch die allein
rationelle, nachdem hier durch die Gestalt der unrunden Scheiben beliebig rasche
Oeffnung erzielt werden kann, während mit Excenterbewegung in diesem Falle rasche
Oeffnung mit weiten Füllungsgrenzen gänzlich unvereinbar ist, wie schon oben (S.
267) nachgewiesen wurde.
Außerdem war auch der zweite Modus zur Erzielung variabler Expansion für alle
Füllungsgrade, mittels einer eigens bewegten
Auslösvorrichtung, auf der Ausstellung vertreten, und zwar durch die
modificirte Corlißsteuerung nach Wannieck und Köppner's Patent.
Beide Constructionen waren in vorzüglich durchdachter und vollendeter Ausführung
erschienen und haben sich während des Betriebes auf der Ausstellung bestens bewährt;
es ist jedoch sehr die Frage, ob die Corliß-Steuerung, deren Werth hauptsächlich in der günstigen Erreichung
geringer Füllungsgrade besteht, durch diese
Erweiterung ein ausgedehnteres Feld der Anwendung erringen dürfte.
Die Maschine von Bède und Farcot (Société
Houget et Teston) in Verviers (Belgien) hatte 450
Millim. Cylinderdurchmesser, 1000 Millim. Hub und machte regelmäßig 45 Touren pro Minute. Sie war während der Ausstellung fast
continuirlich im Betrieb und fand wegen der verhältnißmäßigen Einfachheit des
Mechanismus, sowie wegen des regelmäßigen und geräuschlosen Ganges der Steuerung
viele Anerkennung. Auch die allgemeine Disposition dieser Maschine hatte manches
Interessante aufzuweisenVergl. Dingler's polytechn. Journal, 1873 Bd. CCX
S. 161., wovon nur als speciell hierher gehörig die Anordnung des Cylinders
hervorgehoben werden soll, welcher (s. Fig. 1) aus 4 Theilen
– der inneren Lauffläche, dem Dampfmantel, vorderem und hinterem Deckel
bestehend – in diesen beiden Schlußstücken die Steuerhähne enthält und
dadurch eine Reduction des schädlichen Raumes bis zur äußersten Grenze
gestattet.
Der Antrieb der Austritts- und Eintrittshähne geschieht, wie oben bemerkt,
durch unrunde Scheiben von einer continuirlich rotirenden verticalen Steuerwelle a aus (Fig. 1 und 2), welche mittels der
horizontalen Welle b mit gleicher Tourenzahl wie die
Schwungradwelle angetrieben wird, und gleichzeitig auch zum Antriebe des Regulators
dient.
Die untere Curvenscheibe c bewegt den Rahmen r, welcher mit den Austrittshähnen in fester Verbindung
steht; die obere Scheibe e ertheilt gleichfalls einem
Rahmen h hin und her gehende Bewegung, der aber zunächst
nicht mit den Eintrittshähnen sondern mittels der Zugstangen l mit zwei Querstücken s verbunden ist, welche
frei über die Schubstangen k der Eintrittshähne gleiten.
Die Verbindung des Rahmens h mit den Schubstangen k geschieht durch Vermittelung der Klauen ii', welche um Bolzen des Rahmens h frei beweglich sind, und in den extremen Stellungen des Rahmens
abwechselnd hinter einer der beiden Kolbenstangen k
einfallen, wie dies auf der linken Seite der Figur 1 ersichtlich ist,
während in Figur
2 die beiden Klauen nur im Schnitte durch die Nabe angedeutet sind. Bei
dem nun folgenden Auswärtsgange des Rahmens h wird die
betreffende Schubstange mitgenommen, und somit bewegt sich auch der in der Mitte
derselben ausgeschmiedete Bufferkolben m, sowie das mit h festverbundene Gleitstück s nach links, wobei die zwischen Querstück und Bufferkolben
eingeschlossene Spiralfeder in unverändert gespanntem Zustande bleibt. Sowie jedoch
das nach aufwärts gekrümmte Horn i' der Klaue ii' an die Rolle t der vom
Regulator verstellbaren Hülse C anschlägt, wird die
Klaue gehoben, die Verbindung des Rahmens h mit der
Kolbenstange k gelöst, und die letztere schnellt sofort
durch den Einfluß der nun frei werdenden Spiralfeder unter der gehobenen Klaue
zurück, bis der Kolben an der Hinterwand des Buffercylinders anliegt und der
Eintrittshahn vollkommen geschlossen ist (vergl. die rechte Seite des Grundplanes
Figur 2).
Der weitere Ausschlag des Rahmens h nach links hat nun
auf die Bewegung des Eintrittshahnes keinen weiteren Einfluß und bei dem hierauf
folgenden Rückgange wird die Spiralfeder, da sich jetzt das Querstück s dem feststehenden Bufferkolben wieder nähert, allmälig
aufs neue gespannt, und endlich in der extremen Stellung des Rahmens durch Einfallen
der Klaue ii' die Verbindung zwischen Rahmen und
Schubstange wieder hergestellt. Durch Auf- und Abwärtsbewegung der Hülse C mittels des Regulators wird die Füllung automatisch
verringert oder vergrößert; durch entsprechende Construction der Curvenscheibe e kann gleichzeitig rasche Oeffnung erzielt, als auch
der Moment der Bewegungsumkehr des Rahmens h, welcher
die Grenze der Auslösung bedingt, beliebig hinausgeschoben und somit Füllung von 0
bis 100 Proc. erreicht werden. Der ganze Mechanismus ist compendiös disponirt und
nicht leicht außer Ordnung zu bringen, und somit erscheint die allgemeine
Anerkennung, welche die Maschine von Bède und Farcot auf der Weltausstellung erhalten hat, vollkommen
gerechtfertigt.
Der einzige Uebelstand, der sich während des Betriebes auf der Ausstellung bemerkbar
machte, bestand darin, daß die Hülse C in Folge der
abwechselnden Beanspruchung durch den Auslösungsmechanismus nach entgegengesetzten
Richtungen, gegen Ende stark ausgenützt war und ein gewisses Spiel gestattete
– ein Uebelstand, der jedoch durch entsprechende Verlängerung und richtige
Führung der Hülse leicht zu vermeiden ist. Dagegen wird der Regulator selbst bei der
hier angewendeten Gestalt der Auslöshebel mit einer kleineren Kraftcomponente in
Anspruch genommen, als es beispielsweise bei der neueren Corliß-Steuerung der Fall ist.
Neben dieser Steuerung ist noch die modificirte Corlißsteuerung für alle
Expansionsgrade – Patent Wannieck und Köppner – anzuführen, welche an einer vorzüglich
ausgeführten Maschine (432 Millim. Cylinderdurchmesser, 946 Millim. Hub, 50 Touren
pro Minute) der Firma Friedrich Wannieck in Brünn angewendet war, und gleichfalls während
der Ausstellung in Betrieb stand. Die Disposition dieser Steuerung ist in Figur 3 in
schematischer Darstellung im Aufrisse, in Figur 4 im Grundplane
dargestellt.
Es ist daraus zunächst die Anordnung der oscillirenden Steuerscheibe und deren
Verbindung mit den Ein- und Austrittshähnen ersichtlich, welche mit der alten
Disposition von Corliß, sowie von Inglis und Spencer übereinstimmt. Die
auslösbare Verbindung der aus zwei Hälften bestehenden Zugstangen der Eintrittshähne
ist in Figur 4
auf der rechten Seite im Schnitt dargestellt, und geschieht mittels einer Klinke k, welche an dem unteren Theile der Zugstange befestigt
ist, und in der extremen Stellung mit ihrem Zahne z in
eine Kerbe des oberen Theiles der Zugstange einfällt. Dabei ist die achsiale Lage
der beiden Theile zu einander dadurch gesichert, daß, ähnlich wie bei Inglis und Spencer, das
cylindrische Ende der oberen Hälfte in einer entsprechenden Bohrung des unteren
Theiles Führung erhält. Auf diese Weise bleiben beide Theile der Zugstange so lange
zu einem festen Ganzen verbunden, bis der Stift i wider
die Klinke k gedrückt wird, dieselbe entgegen dem
Einflusse der Feder f nach auswärts preßt, so daß der
Zahn z aus der Kerbe heraustritt, worauf sofort die
obere Hälfte der Zugstange in Folge ihrer Verbindung mit dem Steuerhahne und dem
nach abwärts ziehenden Hebel h zurückschnellt, und der
Einlaßhahn geschlossen wird. Die obere Hälfte der Zugstange bleibt dann von der
Klinke k befreit, bis bei dem Rückgange der
Steuerscheibe die Zugstange herabsinkt, hier aus dem Bereiche des Anschlages i heraustritt und schließlich bei ihrer extremen
Stellung wieder soweit über die obere Hälfte hinaufgeschoben ist, daß die Klinke
unter dem Einflusse der Feder f in ihre Kerbe
einschnappt und ein neues Spiel beginnen kann.
Wäre nun der Anschlag i nur in der Bewegungsrichtung der
Schubstange vom Regulator verstellbar, so könnte, nachdem die Position des
Steuer-Excenters E durch die Austrittshähne
bestimmt ist, nur bis circa 30 Proc., bei Erreichung der
extremen Stellung, eine Auslösung stattfinden; hier jedoch tritt der Anschlag erst
dann hervor, wenn der Moment der Auslösung gekommen ist, und kann somit sowohl bei
dem Vor- als Rückgange der Schubstange wirken, und auf diese Weise die
Füllung von 0 bis 100 Proc. variiren. Dieses zeitweise Vorrücken der Anschlagstifte
i geschieht durch ein eigenes Excenter e, auf dessen Schieberstange zwei Hülsen c so zwischen Bundringen gefaßt sind, daß ihnen eine
seitliche Verschiebung gestattet ist. Wenn somit diese Hülsen c auf den vom Regulator fixirten Anschlägen n
auflaufen, werden sie nach auswärts gepreßt, drücken die Stifte i,
mit denen sie fortwährend in Contact bleiben, heraus und bewirken dadurch die
Auslösung der Klinken k. Nachdem aber das
Auslös-Excenter ohne weiteres diametral der Kurbel gegenüber aufgekeilt
werden kann, so ist klar, daß das Auflaufen der Hülfen c
auf die festen Anschläge n bei jeder beliebigen Stellung
des Kolbens erfolgen kann, somit auch alle Füllungen von 0 bis 100 Proc. erreichbar
sind, je nachdem der Regulator die Anschläge n
verstellt. In welcher Weise der Regulator mittels kleiner Zahnsegmente und
entsprechender Zugstangen die Anschläge n bei steigender
Geschwindigkeit einander nähert, bei abnehmender Tourenzahl von einander entfernt,
ist aus den Skizzen klar ersichtlich; bemerkt werden mag nur noch, daß um das Spiel
des Regulators sowie die Länge der Hülsen c in engeren
Grenzen zu halten die Anschläge n so angeordnet sind,
daß das Auslös-Excenter, wenn diametral der Kurbel gegenüber aufgekeilt, nur
die Füllungen von 50 bis 100 Proc. gibt, während zur Erreichung der Füllungen von 0
bis 50 Proc. ohne Veränderung des Regulators nichts weiter zu geschehen hat, als das
Excenter in seinem Schlitze zu verschieben, so daß es, wie in Fig. 3 angedeutet, um
270° der Kurbel voreilt. Die Zwischenstellungen zwischen 180 und 270°
Voreilen werden nicht benützt, nachdem der Regulator selbst innerhalb 50 Proc. die
Füllung variirt.
Die Steuerung war ausgezeichnet ausgeführt und functionirte vortrefflich;
selbstverständlich complicirter wie eine gewöhnliche Corlißsteuerung mit Füllungen
bis zu 30 Proc. dürfte sie doch in der Einfachheit und rationellen Construction kaum
hinter der vielgerühmten Steuerung von Bède und
Farcot zurückstehen.
Außer den hier angeführten Steuerungsmechanismen, welche mehr oder minder von der
ursprünglichen Corliß-Steuerung abweichen, aber
immer noch in der hauptsächlichen Anordnung, speciell der Anwendung der Steuerhähne
mit der Original-Corliß-Steuerung
zusammenfallen, waren, abgesehen von den oben besprochenen Ventilsteuerungen, noch
zwei weitere Systeme auf der Ausstellung erschienen, welche hier, als zunächst der
Corlißsteuerung verwandt, angefügt werden müssen.
Sie waren angewendet an zwei in Betrieb befindlichen Maschinen, die eine (421 Mm.
Durchm., 948 Mm. Hub, 55 Touren) ausgestellt von der Prager
Maschinenbau-Actiengesellschaft, vormals Ruston und Comp. in Prag, die zweite (300
Millim. Durchmesser, 600 Millim. Hub, 65 Touren) von der Maschinenfabrik Scheller und Berchtold in
Thalweil bei Zürich. Beide Maschinen hatten unverkennbar dieselbe Tendenz, nämlich
einerseits die billigere Herstellung ins Auge gefaßt und andererseits eine derartige
Umgestaltung des Mechanismus erstrebt, daß höhere Geschwindigkeiten erreichbar
würden.
Von der ersteren Steuerung, Patent Iwan Dautzenberg, waren
leider keine Zeichnungen erhältlich, und es kann somit nur kurz angeführt werden,
daß statt der vier Rundschieber ebensoviel Flachschieber angewendet sind, von denen
die oben liegenden den Austritt besorgen und direct mit einem seitlich vom Cylinder
gelagerten Steuerhebel in Verbindung stehen, der von einem Excenter in oscillirende
Bewegung versetzt wird. Derselbe Hebel besorgt auch die abwechselnde Oeffnung der
Dampfeintrittsschieber, während der Schluß derselben durch einen vom Regulator
abhängigen Auslösmechanismus besorgt wird.
Der interessanteste Punkt der Steuerung, und eine äußerst glückliche Idee, welche
jedenfalls eine bedeutende Zukunft hat, besteht darin, daß die Einlaßschieber,
nachdem sie von der Verbindung mit dem Steuerhebel ausgelöst sind, ihren momentanen
Rückgang und Schluß nicht durch Federkraft bewerkstelligen, sondern durch den
einseitigen Druck des Dampfes auf die Querschnittsfläche der entsprechend verstärkt
aus der Stopfbüchse tretenden Schieberstange. Es ist nicht zu verkennen, daß durch
die Anwendung von Flachschiebern sowie die glückliche Vermeidung des theuren und
empfindlichen Federmechanismus, die Corlißsteuerung einer allgemeineren Verbreitung
zugeführt werden kann, und daher muß der weiteren Ausbildung dieses auf der
Ausstellung nur im ersten Versuchsstadium erschienenen Systemes mit allem Interesse
entgegengesezten werden.
Die zweite hier zu besprechende Steuerung, Patent Scheller
und Berchtold, ist in Figur 5 im Aufrisse und in
Figur 6
und 7 im
Grundrisse dargestellt.
Statt der Corlißhähne sind hier fächerartig durchbrochene Flachschieber angewendet,
welche von einer verticalen, mit der Schwungradwelle gleichmäßig rotirenden Welle
a aus ihre oscillirende Bewegung erhalten. Die
Dampfaustrittsschieber sind, wie bei den Steuerungen mit getrennten
Dampfvertheilungsorganen gewöhnlich, unten angeordnet und gestatten damit dem
Condensationswasser freien Abzug; sie werden mittels der Zugstangen r, welche auf die doppelarmigen Hebel k wirken, (Figur 5 und 7) von der auf
der Regulatorwelle a aufgekeilten Nuthscheibe S in Bewegung gesetzt. Zum Betrieb der Einlaßschieber
dient der Hebel h (Figur 5 und 6), welcher
wider eine mit der Regulatorwelle verbundene unrunde Scheibe p gepreßt wird und von derselben seine oscillirende Bewegung erhält. Dabei
kann das Gleitstück g, auf welches die Curvenscheibe p wirkt, längs des Hebels h
durch den Regulator verschoben werden, so daß es früher oder später von der Curvenscheibe p abschnappt und dadurch den Schluß der Füllung
bestimmt. Hier könnte somit durch entsprechende Gestaltung der Curvenscheibe sowohl
rasche Oeffnung als variable Füllung von 0 bis 100 Proc. erzielt werden; bei ihrer
Ausstellungsmaschine gaben jedoch Scheller und Berchtold die Grenze der Füllung nur zwischen 0 und 50
Proc. an, welche Beschränkung durch die eigenthümliche Disposition der Schieber
geboten war. Die Einwirkung des Regulators auf das Gleitstück g ist aus Fig. 5 ersichtlich. Der Hebel l, welcher am
unteren Ende in einen Schlitz des Gleitstückes einspielt und oben an einem festen
Ständer s aufgehängt ist, greift mit einem Stifte i in die schiefe Nuth der Regulatorhülse ein, so daß er
beim Sinken der Regulatorkugeln das Gleitstück g nach
einwärts, bei steigender Geschwindigkeit nach auswärts verschiebt und dadurch die
Füllung beziehungsweise vermehrt oder vermindert.
Es erübrigt noch zu bemerken, in welcher Weise die stoßweise Bewegung des Hebels h auf die Einlaßschieber übertragen wird. Zu dem Ende
sind die Zugstangen und Bufferkolben der beiden Einlaßschieber in verschiedenen
Höhenlagen angeordnet (vergl. das Detail in Fig. 8) derart, daß die
mit dem Hebel h verbundene Nase n in ihrer oberen Lage die Schubstange des vorderen Einlaßschiebers vor
sich her drückt und öffnet, in ihrer unteren Lage jedoch – bei der nächsten
halben Umdrehung der Curvenscheibe p – die
Zugstange des hinteren Einlaßschiebers ergreift, mit sich zieht und dadurch die
Oeffnung des Schiebers bewirkt. Um dabei der Nase n
gleichzeitig die horizontale Bewegung des Hebels h sowie
die zum abwechselnden Eingriffe mit den zwei Schieberstangen erforderliche
Verticalbewegung zu ertheilen, ist dieselbe zunächst durch den horizontalen Zapfen
y mit dem Hebel h
verbunden, andererseits aber noch mittels des verticalen Zapfens x mit einem Hebel v, welcher
in dem Nuthcylinder m einspielt und dadurch auf-
und abgeschoben wird. Damit jedoch dieser Hebel v durch
die Horizontalbewegung des Hebels h nicht außer Eingriff
mit dem Nuthcylinder m gebracht werde, ist derselbe
durch einen Anschlag wider den festen Ständer s (Figur 6)
entsprechend fixirt.
Die Maschine war auf der Ausstellung in Betrieb und machte 65 Touren pro Minute – eine bei Corlißmaschinen
ungewöhnlich hohe Umdrehungszahl – allerdings mit ziemlich lebhaftem
Geräusche, das auf eine rasch eintretende Abnützung der einzelnen Steuerungstheile
schließen ließ. Wesentlich vereinfacht und verbessert wurde der etwas schwerfällige
Mechanismus in jüngster Zeit durch eine neue Construction derselben Firma, welche in
Figur 9
und 10
skizzirt ist. Hier treibt der um den festen Zapfen z
schwingende Hebel h bei seiner Linksdrehung den einen,
beim Rückgange den anderen Schieber, und erhält durch eine mit gleicher Tourenzahl
wie die Schwungradwelle rotirende Nuthscheibe M eine
derartige Bewegung, daß er im Momente, wo die Nase g des
Hebels h die Schubstange des Drehschiebers berührt, noch
ziemlich langsam geht, auf diese Weise die unvermeidlichen Stöße und das störende
Geräusch wesentlich mildert, und erst beim Ausschube über die äußere Ueberdeckung
die erwünschte rasche Oeffnung gibt. Indem gleichzeitig der volle Hub des Hebels h für die Bewegung je eines Drehschiebers disponibel ist
– da der eine beim Hingang, der andere beim Rückgang von dem Hebel
mitgenommen wird – so sind alle Füllungen von 0 bis 100 Proc. erreichbar
gemacht. Die Regulirung der Expansion geschieht in leicht ersichtlicher Weise durch
Verschiebung der Nase g in dem Hebel h mittels des Regulators.
Der oscillirende Drehschieber wurde beibehalten, und damit sind alle die Nachtheile
bedingt, welche in dem III. Abschnitte dieser AbhandlungVergl. Bd. CCXIII (zweites Augustheft 1874), S. 265. hervorgehoben wurden. Als Vortheile führen die Constructeure an: den
geringen erforderlichen Ausschlag – nur 5 bis 10 Grad – sowie die
damit erzielbare rasche Oeffnung eines großen Canalquerschnittes, endlich die
thatsächlich erreichbare bedeutende Reduction des schädlichen Raumes.
Ueberblicken wir nun die Resultate, zu welchen wir bei der Kritik der verschiedenen
Steuerungssysteme, welche jetzt gebräuchlich sind und auf der Weltausstellung 1873
vertreten waren, nach den Eingangs aufgestellten Grundsätzen gelangt sind, so wird
zuvörderst klar, daß jedes einzelne System für einen speciellen Fall gerade
zweckentsprechend und damit das beste sein kann.
Vor allem aber haben die Doppelschieber-Steuerungen
in ihrer jetzigen Gestalt sowohl das Schwergewicht allgemein bekannter und anerkannter Vorzüge, als auch die
Einfachheit und Solidität der Construction in solchem Maße für sich, daß sie wohl
noch lange den Vorrang bewahren werden, den sie auch in mehreren Punkten selbst vor
den besten bis jetzt bekannten Corlißsteuerungen verdienen.
Denn sowohl der Vorzug geringer Reibung des Steuerungsmechanismus, als rascher
Oeffnung der Eintritts- und Austrittscanäle, welcher so oft von übereifrigen
Anhängern der Corlißsteuerung für diese allein reclamirt wurde, kann in den meisten
Fällen mit größerem Rechte für die Doppelschieber-Steuerung geltend gemacht
werden, und selbst die
Möglichkeit momentanen Schlusses der Dampfcanäle wurde schon bei den letzteren durch
einen einfachen Auslösmechanismus erzielt.
Andererseits aber darf nicht vergessen werden, daß die Corlißsteuerung kaum die erste
Stufe ihrer Entwicklung überschritten hat, und nach den vorzüglichen Resultaten,
welche schon bis heute mit derselben erzielt worden sind, und den glücklichen
Aussichten auf weitere Verbesserungen und Vereinfachungen, welche gerade die letzten
hier besprochenen Constructionen eröffnen, kann wohl unbedenklich der Ausspruch
gewagt werden, daß in der Fortbildung und Entwickelung des von Corliß begründeten Systemes der wahre Fortschritt für unsere
Dampfmaschinensteuerungen zu erwarten ist.